Autoren befürchten Zwang zur Arbeit mit dem Heimcomputer – Unruhe beim Verband Deutscher Schriftsteller

Von Bernd Berke

Im Westen. Ein Gespenst geht um in der bundesdeutschen Verlagslandschaft. Autoren, so glaubt Volker W. Degener, NRW-Landesvorsitzender des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS), könnten von „ihren“ Verlagen angehalten werden, Texte nicht mehr zu Papier zu bringen, sondern sie zu Hause am Computerbildschirm druckfertig einzugeben.

Degener („Da ist einiges im Gange“) sieht Gefahren heraufdämmern: Solche Texte könnten eyentuell ohne nennenswerte Kontrolle abgerufen oder vervielfältigt werden, womit Privatsphäre und Copyright empfindlich berührt wären. Außerdem bestünde unter solchen Umständen die Möglichkeit, den jeweiligen Autoren die Arbeit von Setzern und Lektoren zusätzlich aufzuhalsen. Degeners Schlußfolgerung: „Dann müßten ganz neue Normverträge ausgehandelt werden“.

Beim VS haben sich Informationen über Autoren-Heimarbeit an Bildschirm-Terminals inzwischen derart verdichtet, daß die Stuttgarter Bundeszentrale eine entsprechende Mitgliederbefragung in Gang gesetzt hat, die allerdings noch keine handfesten Ergebnisse zeitigte.

Bis zur Stunde fehlen also eindeutige Beweise. Zwar munkeln Autoren hinter vorgehaltener Hand über Verträge, die nur mehr den Hungerlohn von 1,07 DM je bildschirmgesetzte „Buch-Normseite“ anböten; zwar gestand ein Suhrkamp-Manager dem Fachmagazin „Buchreport“, daß der Einsatz von Textsystemen in mehreren Verlagshäusern ernsthaft geprüft werde, doch meint Friedhelm von Notz, Geschäftsführer des Verlegerausschusses beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels: „Die Unruhe beim VS ist gegenstandslos“. Die Bildschirmarbeit sei, so von Notz, „vielleicht in fünf oder mehr Jahren wirtschaftlich erforderlich“, jetzt aber noch „Zukunftsmusik“ – schon allein deswegen, weil „es noch keine Bildschirmsysteme gibt, die auf Verlagsaufgaben zugeschnitten sind“. Autoren könnten sich ja auch gegebenenfalls gegen derartige Ansinnen der Verlage „wehren“. Im übrigen gebe es sogar Textproduzenten, die sich den „Bildschirm für zu Hause“ wünschten, um nicht auf vielfach verkrakeltem Papier korrigieren zu müssen.

In der Tat: Zwar muß man sich bestimmt nicht Autoren wie Böll, Grass oder Siegfried Lenz am heimischen Terminal vorstellen, doch gibt es vor allem unter Wissenschaftsschreibern und Übersetzern zahlreiche Bildschirmbesitzer, die sich das Gerät selbst angeschafft haben.

Dies gesteht auch Ursula Brackelmann; Geschäftsführerin in der VS-Bundeszentrale, zu. Ansonsten aber ist sie „fest überzeugt“, daß „einige Verleger in dieser Richtung planen“. Es gebe gar Gerüchte, daß Verlage von ihren Autoren Miete für den Heimbildschirm verlangt hätten. Welche Konsequenzen sich im Ernstfall für den VS ergäben, müsse noch geprüft werden. Jedenfalls könne niemand es den Verlagen verbieten, solche Produktionsweisen einzuführen, die ohne Zweifel „handfesten Profit“ brächten.




Auf dem Weg in die perfekte Idylle – Ludwig Richter im Folkwang-Museum

Von Bernd Berke

Essen. An Volkstümlichkeit dürfte ihn kaum einer übertreffen: Als Illustrator etlicher Märchen-Schätze ist Ludwig Richter (1803-1884) in nahezu jedem Haushalt gegenwärtig.

84 Exponate, vor allem kleinformatige Zeichnungen und Holzschnitte des Künstlers, der vornehmlich als biedermeierlicher Idylliker gilt, werden jetzt im Graphischen Kabinett des Essener Folkwang-Museums ans (aus konservatorisehen Gründen gedämpfte) Licht geholt. Was kaum jemand weiß: In Essen befindet sich – nach Richters GeburtsStadt Dresden und Ost-Berlin die drittgrößte Anzahl von Zeichnungen des Mannes, dessen Todestag sich im Juni zum 100. Mal gejährt hat.

Nun lernt man hier zwar keinen gänzlich neuen Ludwig Richter kennen. Aber vor allem die frühen Landschafts-Zeichnungen deuten, wiewohl nie sonderlich zugespitzt oder gar „dramatisch“ komponiert, noch nicht unbedingt in die Richtung der späteren, fast fließbandhaften Idyllen-Produktion. Zum Beispiel gelangen Richter auf einer (für Künstler dazumal obligatorischen) Italienreise zwischen 1823 und 1826 einige, mit hartem Bleistift zart modellierte Landschaftsbeobachtungen, die sich vielfach liebevoll den unscheinbaren Details des Naturzusammenhangs widmen.

Mehr und mehr wandte sich Richter dann der Darstellung menschlicher Figuren zu, die zunächst grob und pathetisch gerieten. Mit fortschreitender Übung gewannen sie zwar an Grazie, jedoch nahmen auch schon Stilisierungen und eine gewisse Perfektionsglätte zu. Womit die Beschaulichkeit der Richter’schen Szenen erkauft war, wird schmerzhaft deutlich, wenn man bedenkt, wie wild bewegt der Zeithintergrund war, vor dem sie entstanden: Von der 1848er Revolution und ihren Begleiterscheinungen etwa bemerkt man hier nämlich nicht den leisesten Hauch.

Interessant erscheinen mir einige von Richters Skizzen. In diesen schnell gefertigten Entwürfen blitzt hier und da noch etwas auf, was einem spontaneren und „riskanteren“ Blick auf die Dinge entspricht.

Ludwig Richter, Zeichnungen und Grapik. Museum Folkwang, Essen. 26. August bis 14. Oktober, Katalog 25 DM.




Zufalls-Themen für Künstler mit Glücksrad und Würfeln ermittelt – eine originelle Aktion in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Man stelle sich vor: Anno 1513. Albrecht Dürer wirft einen Pfeil, trifft auf der rotierenden Scheibe die Nummer 98, sieht in einer Liste unter dieser Ziffer nach und notiert: „Teufel“. Alsdann greift er zu zwei Würfeln, es fällt je eine „Sechs“, macht zwölf, also „Kupferstich“.

Natürlich ist es nicht so gewesen. Dürers „Ritter, Tod und Teufel“ ist keiner solchen Laune zu verdanken. Genau auf die beschriebene Weise aber haben sich jetzt fast 50 Künstler mit Dart-Pfeilen, Glücksrad und Würfeln ihre nächsten Aufgaben vom blinden Zufall stellen lassen. Ort der Handlung: die Ausstellungssäle des Von der Heydt-Museums in Wuppertal-Barmen. Veranstalter: Der Aktionskreis „360 Grad“, der 1979 die Wuppertaler Kunstszene betrat, dann mangels städtischer Zuschüsse sein Wirken einstellen mußte und sich nun mit seinem Kunst-Glücksspiel wieder ins Gespräch bringt.

Bei der wohl einmaligen Verlosungs-Aktion kamen 360 Themenstellungen und zwölf Realisierungstechniken – von der Malerei über Video und Aktion bis hin zur Fotografie ins Spiel. Im Rahmen einer Fete fügten sich vor allem Wuppertaler Künstler, aber auch Kollegen aus Dortmund (Andrea Behn), Bremen, Nürnberg, den Niederlanden und sogar New York „Fortunas“ Entscheidung.

Das Thema „Teufel“ bekam tatsächlich einer zugelost, und zwar gleich der allererste pfeilwerfende Künstler: Raimund van Well aus Duisburg wird, so will es das Schicksal, den Gottseibeiuns auf einem Gemälde verewigen. Der vielleicht bekannteste Teilnehmer, „Anatol“ (Herzfeld) aus Düsseldorf, muß sich eine Aktion zum Thema „Traum“ einfallen lassen, der Nürnberger Bernd Klötzer erwischte die Kombination „Urwald“ und „Musik/Klang“, Till Hausmann aus Düsseldorf die Paarung „Steinzeit/Fotografie“; Klaus Heuermann aus Essen darf eine Bildhauerarbeit zum Begriff „Wende“ anfertigen.

Wie diese und all die anderen Zufallsaufgaben gelöst worden sind, das wird man bald in Augenschein nehmen können. Ab 8. September nämlich werden sämtliche „Resultate“ in den Sälen am Geschwister-Scholl-Platz ausgestellt. Einstweilen kann man über einen möglichen tieferen Sinn der Aktion spekulieren. Wie das Dürer-Beispiel verdeutlicht, setzt man sich jedenfalls spielerisch vom herkömmlichen „Werk“-Begriff ab.

Reizvoll auch die Tatsache, daß nun zahlreiche Künstler über das nächste Projekt ihrer Kollegen Bescheid wissen – ein Umstand, der der Diskussion förderlich sein dürfte. Schließlich bringt der sanfte Zwang des Zufalls zum Beispiel den notorischen Aktionskünstler dazu, sich auch einmal in einem anderen Medium zu äußern.




Als Michelangelo für Rock-Stars werben musste – einschlägige Plakatsammlung in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer heute zwischen 25 und 35 ist, erlebt zunehmend häufiger, wie seine Jugendjahre bereits der Historie zugeschlagen werden. An diesem Vergessens- und Erinnerungsprozeß nimmt jetzt auch die Kunsthalle Recklinghausen teil – mit einer für die Bundesrepublik bislang beispiellosen Ausstellung von 350 Plakaten zur Rock-Musik der 60er Jahre. Selbst US-Museen beginnen dieses Genre eben erst zu entdecken.

Die seit 1972 „tätigen“ Sammler Tomm Klatt (Recklinghausen) und Rainer Knorr (Neubeckum) haben sich auf Plakate von der US-amerikanischen Westküste konzentriert. Daher ist die einschlägige Produktion hier fast komplett beisammen. So gut wie alle mittlerweile legendären Namen, die damals den West Coast-Sound prägten, kommen vor: Allen voran „The Grateful Dead“. Im Umkreis dieser großen Rock-Family hat sich offenbar das größte graphische Potential entfalten können. Auch jeder weitere Name ein Mythos: Jefferson Airplane, The Byrds, The Doors, Frank Zappa and the Mothers of Invention, und so fort. Schließlich zergehen auch die Veranstaltungsorte etwa „Fillmore West“ und „Avalon Ballroom“ in San Francisco Eingeweihten auf der Zunge.

So sehr die Ausstellung auch Lust auf die passende Musikbegleitung macht (vielleicht wird sie gar geliefert?), geht es doch in erster Linie um optische Aspekte. Die Pop-Graphiker (z.B. Wes Wilson, Victor Moscose) haben in nahezu allen Epochen der Kunstgeschichte produktiv gewildert. In Eigentumsfragen lax, machten sie ihre Inspirationsquellen in den wenigsten Fällen kenntlich. Die Herkunft der Motive war denn auch offensichtlich genug: Wenn eine altägyptische Szene für ein Konzert von „Jefferson Airplane“ in San Francisco wirbt, wenn sich Franz von Stucks Jugendstilbild „Die Sünde“ oder Michelangelos nackte Adam-Figur inmitten der grellbunten Pop-Elemente wiederfinden, dann verschwimmt die Grenze zwisehen „Hoch“- und „Gebrauchskunst“.

Eine dominierende Rolle spielen psychedelische, wohl nicht selten im Drogenrausch erzeugte, pflanzenartige Windungsformen und explosive Farbzusammenstellungen. Auch die vibrierenden Augentäuschungen der Op-Art sind immer für Effekte gut, besonders in Leuchtfarben. Oft wird auf Mythen der amerikanischen Pionierzeit angespielt – Goldgräber, Indianer, Cowboys. Aber auch US-Mythen der Neuzeit werden zitiert, indem z. B. Disney-Figuren als Gitarren-Freaks abgebildet werden.

Erstaunlich, daß viele Exponate der eigentlichen Funktion eines Plakatanschlags, eingängig zu sein, diametral zuwiderlaufen. Überraschend schon die kleinen Formate, die überwiegend unserem „DIN A 2″ entsprechen. Vielleicht wollte man Papier sparen. Nur im Kontext jener Jahre ist hingegen verständlich, daß oft die Namen der Gruppen im optischen Gestrüpp „versaufen“. Mögliche Schlußfolgerung: „Man“ stand unter Drogen – und es war zweitrangig, wer die Musik dazu machen würde…

Man hätte die Plakate nach Bildelementen (typisch etwa die Skelette und Totenköpfe, nicht nur bei „Grateful Dead“ – den „Dankbaren Toten“) oder nach Rock-Formationen geordnet hängen können. In Recklinghausen hat man sich für die zeitliche Abfolge entschieden, folglich wird die Fülle der Plakate kaum strukturiert. Aus Etatgründen fehlt leider auch ein Katalog, der leicht eine Pioniertat hätte werden können.

Die Ausstellung, für Rock-Fans nahezu ein „Muß“, ist ab Sonntag bis 30. September zu sehen (Öffnungszeiten: di-fr 10-18 Uhr, sa/so 11-17 Uhr). Sie wird passend ergänzt durch Pop-Graphik (Warhol, Wesselmann, Lichtenstein & Co) aus dem Eigenbesitz der Kunsthalle.




Alles auf Plakaten: Private Probleme und Polit-Sprüche – Vorläufige Bilanz der Kölner Bemalungs-Aktion

Von Bernd Berke

Köln. „In Köln gibt es 5472 Plakatwände zu viel“. Da schreibt’s mal einer. Und ausgerechnet bei einer Aktion, die sich des Mediums „Plakat“ bedient. Genau 224 Wände hatte – wie berichtet – eine private Initiative in der Domstadt für je 70 DM Miete zwecks freier Meinungsäußerung reserviert. Was ist daraus geworden?

„Mein Mann betrügt seine Frau. Wer bin ich?“, schrieb eine Teilnehmerin in Riesenlettern auf „ihr“ Plakat. Ein offenbar wenig mitfühlender Zeitgenosse setzte als Antwortvorschlag „Mona Lisa“ darunter. Eine der ganz wenigen Beschwerden handelte sich der Autor ein, der den Pauschal-Spruch „Kölner Frauen sind weich, warm und willig“ überdimensional zu Papier brachte.

Die Plakattexter stießen jedoch beileibe nicht nur in zweideutige Bereiche vor. Die Bauwut in der Kölner City bleibt beispielsweise auch nicht unkommentiert: „Macht den Dom nicht jeck“, heißt es da in Anspielung auf die rund um den Gotik-Bau aufgetürmten Betonmassen.

Natürlich hat auch die Friedensbewegung für Inspiration gesorgt. In einem neonbeleuchteten Parkhaus findet sich eine gespenstische Malerei, auf der sich eine schwarze Tür öffnet und den Blick auf eine Explosion freigibt: „Es klopft – herein! – Lächelnd tritt der Ernstfall ein“, lauten die lapidaren Begleitworte.

Als besonders findig erwies sich der Mann, der unter Einsatz aller Mittel ein Dia auf seine Wand projizieren und die Umrisse auf plakatgroßem Fotopapier festhalten wollte. Der Schlauch furs Wasserbad und der Quast zum Auftragen der Fixierlösung lagen schon bereit – da machten voll aufgeblendete Autoscheinwerfer, die auf die Wand strahlten, das Werk zunichte. Verständlicherweise weniger Mühe gab sich eine Teilnehmerin, die kurzfristig erkrankt war. Sie ließ mitteilen: „Lungenentzündung statt Plakatbemalung“.

„Unsere Aktion ist leider etwas zögerlich angelaufen“, bedauert Hanne Zens (37), Mitorganisatorin der Plakatbemalung. Inzwischen seien immerhin 120 Wände gefüllt. Die Seniorenorganisation „Graue Panther“ (Plakattext: „Armut im Alter. Schande für Deutschland“) habe sich ebenso beteiligt wie die Selbsthilfeorganisation „Netzwerk“; auch Rentner, Taxifahrer, Ärzte, Hausfrauen und Redakteure seien eifrig zu Werke gegangen.

Die betrüblichste Erfahrung machte Clemens Böll (Neffe von Heinrich Böll) mit seinem Text „Mein Freund ist Türke“, der rechtsradikale Geister wachrief. Die handschriftlichen Zusätze auf dem Plakat sind nicht zitierwürdig.




Mit dem Messer der Leinwand die dritte Dimension eröffnen – Werkschau über Lucio Fontana in Bielefeld

Von Bernd Berke

Bielefeld. Aufs Neue mehrt die Kunsthalle Bielefeld ihren Ruf, ein Ort der „stillen Sensationen“ zu sein, den sie jüngst vor allem mit Ausstellungen der Zeichnungen Seurats und der „Todesthemen“ Picassos gefestigt hat. Diesmal widmet man einem weiteren wichtigen Neuerer der Moderne, Lucio Fontana (1899-1968), eine beachtliche Retrospektive (bis 23. 9. – Katalog und Beiheft 35 DM).

Ursprünglich sollte die Werkschau (über 120 Arbeiten) nur in München und Darmstadt präsentiert werden, doch unter sanftem Hinweis aufs eigene Renommee gelang es den Bielefeldern, die Zusammenstellung auch noch in ihr Haus zu lotsen. Wohl zum letzten Mal ergibt sich damit die Gelegenheit, Fontanas Oeuvre ohne konservierende Bildverglasung und somit möglichst unverfälscht zu betrachten.

Bekannt geworden ist der in Argentinien geborene Fontana, der meist in Mailand gelebt hat, durch seine Schlitz- und Perforationsbilder, die nach langen kunsttheoretischen Vorüberlegungen erst ab 1949 entstanden. Solche „Verletzungen“ der Leinwand mit dem Messer sollten – nachdem die Malerei jahrhundertelang und zunehmend geschickter den Raum perspektivisch vorgetäuscht hatte – den befreienden Weg zur einer wirklichen „dritten Dimension“ eröffnen und zugleich den Prozeß der Produktion sichtbar machen. Die Leinwand wird zum Relief, zur plastischen Form.

In Bielefeld legt man allerdings nicht nur auf diese Markenzeichen des Künstlers Wert. Vielmehr wird die ganze Ausdrucksbreite des Werks chronologisch aufgefächert, beginnend mit futuristisch inspirierten Arbeiten aus den 20er Jahren. Auch hat man eine verschollene, bislang nur auf Fotos dokumentierte Neon-Installation von 1951 rekonstruiert, die nun mit weit ausgreifenden Schwüngen den Deckenbereich des Museums bestimmt. Mit solchen „Raumkonzepten“ wurde der Sohn eines italienischen Bildhauers zum Vorläufer einer ganzen Reihe von Environment-Künstlern der 60er Jahre. Auch die deutsche „Zero“-Gruppe verdankte ihm Ende der 50er Jahre erklärtermaßen viel. Strukturen der „Nagelkunst“ Günter Ueckers etwa sind schon in den durchlöcherten Leinwänden Fontanas angelegt.

Viele Exponate bleiben rätselhaft, nähren aber die Vorstellungskraft des Betrachters ganz entschieden – so die Serie der fast zwei Meter hohen, durchlöcherten Ei-Formen mit dem Titel „Das Ende Gottes“ oder die Reihe der Venedig-Bilder, die trotz völliger Abstraktion die Atmosphäre einer Mondnacht oder eines Sonnentags hervorrufen.




Am schäbigen Rand des Glamours – Woody Allens Film „Broadway Danny Rose“

Von Bernd Berke

Köln. Sieben Broadway-Komiker hocken im Restaurant und überbieten einander mit Stories aus der „guten alten Show-Zeit“. Den Vogel schießt jener Spaßmacher ab, der die Story von Danny Rose zum besten gibt, die nun Revue passiert.

Danny ist Künstleragent. Er vermittelt die eigentlich Unvermittelbaren, den „einbeinigen Steptänzer“ oder den Hypnotiseur, der seine Opfer nicht mehr wachkriegt. Abgetakelte Figuren am schäbigen Rand des Broadway. Aber Danny zerreißt sich für sie, ist Manager und Beichtvater in einer Person. Wenn aber doch mal einem seiner Klienten der Sprung ins große Geschäft gelingt, nimmt der sich auch gleich einen geschniegelten Top-Agenten.

Woody Allen (Buch, Regie, Titelrolle) kehrt mit dem Schwarz-Weiß-Film „Broadway Danny Rose“ (Bundesstart 17.8.) als wuselig-melancholischer „Stadtneurotiker“ zurück. Gleichsam unter der Hand wird auch die anrührende Geschichte eines Mannes erzählt, der allseits Toleranz übt und den Schwachen beisteht. Und: Dieser Danny bleibt mit Bedacht „klein“. In der Sphäre der Spitzenstars könnte er seine Hilfsmissionen nicht mehr erfüllen.

Die Rahmenhandlung mit der steifen Komikerrunde wirkt konstruiert. Nicht immer taufrisch auch jener (aus vielen Allen-Filmen vertraute) nervöse Konversations-Salat aus Abstrusität, Anzüglichkeiten und Intellektuellen-Parodie. Diesmal ist Mia Farrow die Redepartnerin.

Aber man wird reich entschädigt. Die Verfolgungsszene beispielsweise, in der durch Schußeinwirkung ein Heliumtank leckschlägt und das ausströmende Gas die bedrohlichsten Worte piepsig klingen läßt, mag Vorbilder in der Filmgeschichte haben hier wirkt sie wie neu erfunden. Geradezu genial eine weitere Sequenz, in der ein verschmähter Liebhaber vom Balkon herunter eine Romeo-und-Julia-würdige Schmerzensszene hinlegt und „Danny“ den Gemütskranken wie bei einem „Bunten Abend“ mit täppisch-läppischen Fragen („Ah, welches Sternzeichen haben Sie?*‘) „anmoderiert“.




Mit dem Bus geht das Museum auf die Reise – Neue Idee beim Landschaftsverband Rheinland

Von Bernd Berke

Köln. Mit einem ehemaligen Röntgenbus macht jetzt der Landschaftsverband Rheinland (LVR) seine Museen mobil. Das urige Gefährt, für 40 000 DM erworben und umgebaut, wird als rollende Ausstellung Betriebe, Schulen, Altenheime oder Campingplätze ansteuern. Erklärtes Ziel des bundesweit einmaligen Kulturdienstes auf Rädern: Besucherschichten, die bisher keinen Fuß über Museumsschwellen setzten, sollen anhand von Kostproben umgestimmt werden.

Im Fahrerhaus des gut zehn Meter langen „Museums“ sitzen jeweils zwei Wissenschafts- oder Kunstpädagogen, die die nötigen Hintergrundinformationen vermitteln. Auf längeren Touren können diese „Kultur-Animateure“ auch im Bus übernachten. Im hinteren Bereich befinden sich Vitrinen und Stellwände – bestückt mit besonders robusten Exponaten, die auch einen beherzten Zugriff überstehen. Zum Innenleben gehören außerdem Filmprojektor, Videoanlage und Diabetrachter.

Klar, daß auf der höchst begrenzten Ausstellungsfläche jeweils nur ein Museum seine Arbeit vorstellen kann, und dies auch nur in bescheidenen Ausschnitten. Den Anfang macht seit gestern das Rheinische Freilichtmuseum Kommern/Eifel, dessen Museumspädagoge, Dr. Michael Faber, auch die zündende Idee für das ganze Projekt hatte. Faber: „Wir wollen den Leuten nicht nur etwas vorführen, sondern sie zum Mitmachen bewegen.“ Ein erster Erfolg konnte bereits gestern verbucht werden: Eifrig nahmen einige Kinder das Modell eines Fachwerkhauses auseinander, das die mobilen Museumsleute vor dem Kölner Dom ausgepackt hatten.

Hans-Rudolf Haltung, Kulturdezernent des LVR, hat unterdessen vor allem höhere Besucherzahlen im Sinn. Zwar gehöre das Museum Kommern (das alte Bauernhäuser, Windmühlen und historische Werkstätten beherbergt), mit 300 000 Besuchern pro Jahr zur Spitzengruppe, doch – bezogen auf die Gesamtzahl der Rheinländer – „waren 8,7 Millionen noch nicht da!“ (Hartung). Der Dezernent hat genau nachgerechnet: Wenn es der Busbesatzung gelingt, an jedem Reisetag 75 Besucher ins eigentliche, „stationäre“ Museum zu locken, rentiert sich der Aufwand. Die Fahrzeugmiete beträgt 150 DM täglich.

Bis Freitag wird der bunte Bus, der übrigens auch auf Bestellung kommt, noch auf dem Kölner Roncalli-Platz stehen und zum Nulltarif Einblicke in die Arbeit des Freilichtmuseums Kommern geben. Danach geht’s auf Tournee durch die Provinz. Dabei führen die Betreuer unter anderem das Modell eines Getreide-Reinigungsgeräts sowie Lehrbeispiele aus einer Stellmacherei vor.

In ungefähr drei Monaten soll das nächste Museum – eventuell der Archäologische Park Xanten – auf die Reise gehen.




Heldentum und Markenartikel – „100 Jahre politisches Plakat“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Führer- und Vaterfiguren schauen streng oder gütig herab. Fahnen, Adler, Heilige und Flammen halten für historische Vorhaben der Großkopfeten her. Politische Plakate, seit der Französischen Revolution verbreitet, haben meist „denen da unten“ etwas abgefordert – seien es Wahlstimmen, Wohlverhalten, soldatische „Tugenden“ oder Geld.

Mit welchen Bildern und Parolen die deutsche Bevölkerung seit 1870/71 zumeist verschaukelt worden ist, vermittelt ab morgen eine Ausstellung im Dortmunder Ostwall-Museum. 503 Exponate umfaßt diese Zusammenstellung „100 Jahre politisches Plakat“. Das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung durchkämmte dafür seine reiche Kollektion (5000 Stücke).

Die im Kaiserreich vorherrschende Stilistik wurzelt zum Teil noch in althergebrachter Karikaturen-Tradltion. Da tauchen etwa jene Landkarten auf, in denen Könige und Schlachtenlenker – stellvertretend für ganze Völker – agieren. Nostalgie kommt aber schon in dieser Abteilung nicht auf, haben doch die Plakate des NS-Staats spätestens im Umfeld des 1. Weltkriegs deutliche Vorläufer, was Heroismus und Zynismus anbelangt.

In der Weimarer Republik, den eigentlichen Blütejahren der Plakatgestaltung, schlagen sich endlich auch zeitgenössische Kunstströmungen nieder. Die Dynamik der Umbruchstimmung deutet sich etwa in Versuchen an, expressionistische oder futuristische Komponenten massenpsychologisch wirksam aufzubereiten. Die bewegte Polarisierung der Weimarer Zeit wird nach 1933 auch formal abgelöst von der statischen Bildsprache eines verlogenen Klassizismus‘. Mit den Kriegsjahren brechen dann wieder hektischere Ausdrucksmittel durch. Man vergleiche etwa die fast angstvoll zittrige Schrift von „Der Feind sieht Dein Licht. Verdunkeln!“, das vor den Luftangriffen warnt, mit den bis dahin gebrächlichen, trutzig-„eisern“ wirkenden Schriftblöcken.

Den Zeitumständen entsprechend, werden die Plakate der unmittelbaren Nachkriegszeit karg. Sie sind mitunter nur auf Litfaßmaß gebrachte Flugblätter und Bekanntmachungen. Schließlich Plakate aus jüngster Zeit: Parteien und Personen werden immer deutlicher nach Art der Markenartikel-Werbung „verhökert“. Beispiel für den Verzicht auch auf holzschnitthafte Argumente: ein CSU-Poster, auf dem ein hübsches Mädchen lächelt. Darunter steht nur: „Lichtblick“. Wahrhaftig überzeugend…

Die Ausstellung wird heute abend mit einem Referat von SPD-Bundesgeschäftsführer Dr. Peter Glotz eröffnet, dauert bis zum 23. September und geht dann auf Rundreise durch NRW. Interessiert zeigte sich auch das Goethe-Institut in Amsterdam. Das Katalogbuch erscheint in einem Dortmunder Verlag und kostet 29,80 DM.




Rock-Musiker wollen über ihre Renten reden – Erstmals Bundeskongreß: Beruf soll seriöser werden

Von Bernd Berke

Berlin/Lüneburg. Die „wilden Jahre“ sind offenbar endgültig vorüber: Deutsche Rockmusiker wollen ihren Beruf jetzt auf seriöse Grundlagen stellen. Auf ihrem erstmals stattfindenden Bundeskongreß (15.-18. August am Rande der „Show-Tech“-Messe im „ICC“ Berlin) soll eine geregelte Rentenversorgung für „Alt-Rocker“ ebenso diskutiert werden wie eine solide Ausbildung des Nachwuchses.

Treibende Kraft ist die erst 1983 gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft der Rockmusiker“ mit Sitz in Lüneburg und Ortsvereinen in bislang 26 Städten. Ole Seelenmeyer (38), Mitgründer der Organisation und als Bassist seit gut 20 Jahren im Geschäft, klagt: „Es gibt bei uns ein riesiges ,Rock-Proletariat‘. Die meisten Bands krebsen am Rande des Existenzminimums dahin.“

Wo schon die Gegenwart so trübe aussieht, ist es auch um die Zukunft schlecht bestellt. Zwar ist noch nicht heraus, in welchem Alter Rockmusiker eigentlich aufs Altenteil gehören, doch wird ein Experte die Musiker in Berlin vorsorglich darüber aufklären, wie sie das weitmaschige Netz der seit kurzem bestehenden Künstler-Sozialversicherung durch flankierende Maßnahmen dichter knüpfen können.

Erst einmal aber wollen die Versicherungs-Beiträge aufgebracht sein. Die Kongreßteilnehmer werden deshalb auch „über Möglichkeiten einer vernünftigen Ausbildung nachdenken“ (Seelenmeyer), die den „Rockern“ – so hofft man auf lange Sicht – geregeltere Einkünfte garantiert. Ein „Rockprofessor“ vom einzigen Deutschen Institut für Populärmusik in Hamburg hat vor, den Musikern eine Art „Diplom“ schmackhaft zu machen. Ole Seelenmayer findet, daß man nicht zuletzt dem Publikum eine derart „beglaubigte“ Musizierleistung schuldig sei: „Viel zu viele Kollegen ersetzen mangelndes Können durch Bühnen-Flitter“, schilt er seine Zunft. Auf solche Weise werde man nie wirklich aus dem Schatten der afroamerikanischen Konkurrenz treten können, sondern auf ewig „Rock-Provinz“ und Absatzmarkt für US-Plattenkonzerne bleiben.

Ein weiteres Thema des Bundestreffens, zu dem auch Amateure und Fans kommen dürfen, hat ebenfalls mit Finanzen zu tun: Es soll geklärt werden, wie man sich reichlicher aus dem „Goldenen Topf“ der GEMA-Gebühren bedienen kann. Hier sei noch „einiges zu holen“. Ole Seelenmeyer: „Wenn wir die Rechtslage besser kennen würden, könnten wir unsere Ansprüche weit wirksamer durchsetzen.“

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Rockmusiker“ (2120 Lüneburg, Kolbergstraße 30) hat inzwischen auch Prominente als „Ehrenmitglieder“ gewinnen können: Udo Lindenberg, Achim Reichel und Konzertmanager Fritz Rau gehören dazu. Die Stars der Branche sollen den Interessen der „Basis“ mehr Nachdruck verleihen.