„Von hier aus“: Kunst-Stadt auf dem Düsseldorfer Messegelände soll Kölner erbleichen lassen

Von Bernd Berke

Auch Unschlüssige soll die 60 Meter lange Rampe zur Kunst fiihren. Wer oben anlangt und sich einen groben Überblick über 14.000 Quadratmeter voller neuer deutscher Kunst verschafft, kann noch entschieden, ob er/sie für 8 DM die Halle 13 des Messegeländes betritt. Der Eintrittspreis wird erst hinter der Rampe fällig.

„Von hier aus“ heißt das wohl größte bundesdeutsche Ausstellungsprojekt dieses Jahres (29. September bis 2. Dezember, Katalog 40 DM). Witzbolde haben den Titel achselzuckend parodiert: „Von m i r aus“… Der Originaltitel aber verweist nicht zuletzt auf die stete Rivalität zwischen den rheinischen Kunstmetropolen Köln und Düsseldorf. „Von hier aus“, so behaupten nun bis zum Beweis des Gegenteils die Düsseldorfer, gehen derzeit die magnetischen Kraftlinien der Kunstentwicklung aus.

Besonders der Beschluß des Bundesverbandes Deutscher Galerien, Köln zur alleinigen Kunstmessenmetropole zu erklären, hatte vor Jahresfrist Düsseldorfs Galeristen auf die Palme gebracht. Mit einem noch nicht zum Abschluß gebrachten Kraftakt hat vor allem die örtliche Finanzwelt 3 Mio. DM für die gigantische Schau aufgebracht.

Kasper König als Ausstellungsmacher gewonnen

Kasper König (40), seit der 1981er „Westkunst“ in Köln zur ersten Garde der freien Ausstellungsmacher gestoßen, wurde von den Sponsoren (Rang eins: Stadtsparkasse Düueldorf mit 1 Mio. DM) angeheuert. König schuf, wenn auch wohl nicht der Kunst-Weisheit höchsten Gipfel, so doch eine Ausstellung, deren purer Ereignisrang hoch veranschlagt werden muß.

Hermann Czech, Wiener Stararchitekt, verbaute etwa ein Drittel des Gesamtetats für eine regelrechte Kunststadt, in deren Winkeln, Gassen, Arkaden, Tempelchen, Rotunden und Hinterhöfen König die Kunst so großzügig inszenieren konnte, daß dem einzelnen Kunstwerk beinahe eine Art „Majestät“ zurückgewonnen wird. Nach über 200 Atelierbesuchen konnte König etwa 70 Künstlern zusagen. Joseph Beuys ist, da es die Weltläufigkeit der Düsseldorfer zu belegen gilt, natürlich dabei.

Man geht nicht einfach durch diese Ausstellung – man schlängelt sich durch überraschende Türen und Öffnungen, wandelt zwischendurch auf breiteren Pfaden, betritt treppauf majestätische Bauten oder intimere Gelasse – kurz: In der Kunststadt wird jeder Schritt zum Abenteuer.

100 Video-Bildschirme flimmern unterm Hallendach

Dominierende Erscheinungen sind eine glockenförmig vom Hallendach hängende Installation mit etwa 100 Video-Bildschirmen (flimmerndes Werk des renommierten Koreaners Nam June Paik) und ein Ziegelsteinturm des Dänen Per Kirkeby, der – ebenso wie Paik – kurzerhand der deutschen Szene zugeschlagen wurde. Hernach gerät man zum Beispiel in einen Raum, in dem Dieter Roth 42 Fimprojektoren mit verschiedenen Fümea losschnurren äßt – Bewußtmachung beispiellosen Medientenors. Von Manfred Stumpf gibt’a das zeichnerische Gesamtwerk, abrufbereit auf einem Momtor. Der Besucher tippt dazu einfach eine dreistellige Zahl ein.

Malerei steht dennoch im Mittelpunkt. Keine Überraschund: Die meistens Stars der neudeutschen Szene, zum nicht geringen Teil Beuys-Schüler, sind dabei, u. a. Anselm Kiefer mit seinen Bildem der verbrannten Erde, Biennale-Teilnehmer A.R. Penck mit an die Schriftzeichen vorzeitlicher Kulturen erinnernden Riesenfromaten, Jörg Inmendorffs monumentaIe Meditations-Comics zur deutschen Geschichte, und auch „Wilde“ wie Salome (Porno-Szenen im heftigen Gestus) oder Rainer Fetting.

Dies ist vielleicht eine der hervorragendsten Leistungen der Mammutschau: Daß sie den bislang überschätzten Strömungen keinen übermäßigen Platz einräumt und behutsam verschiedene Tendenzen sichtbar macht.




Lebensgeschichten auf dem Seziertisch – Sergio Leones Film „Es war einmal in Amerika“

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Im besten Mannesalter durchschreitet „Noodles“ (Robert de Niro) das Bahnhofsportal, um gleich darauf als gramgebeugter Grauhaariger durch dieselbe Pforte zurückzukehren. Der Zeitsprung deutet auf Märchenhaftes. Und so heißt dieser Film denn auch: „Es war einmal in Amerika“.

Volle drei Stunden und vierzig Minuten nimmt Sergio Leones Opus den Zuschauer in Anspruch. Ein langer Film. Auch ein „großer“?

Leone, der zehn Jahre lang an seiner ersten Regiearbeit seit 1971 („Todesmelodie“) „gefeilt“ hat, führt uns ins New Yorker Juden-Einwandererviertel Lower East Side. Beginnend mit den 20er Jahren, es ist die Zeit der Alkohol-Prohibition, wird die Entwicklung einer Kinderbande zum perfekt organisierten Verbrecher-Syndikat nachgezeichnet. Zwischenstation ist das Jahr 1933, Endpunkt das Jahr 1968, von dem aus die Vergangenheit allmählich analytisch aufgeschlüsselt wird.

Auf den Seziertisch kommen ganze Biographien, deren Unausweichlichkeit zutage gefördert wird. An den entscheidenden Schnittstellen rasten stets dieselben Gesten ein, dieselben Zwangsreaktionen an denselben Orten. Die Menschen altern und vergehen, die ihnen auferlegten Zwänge bleiben eisern.

Einen weiteren Erzählstrang bildet die lebenslange Geschichte einer prekären Freundschaft: „Noodles“ und „Max“ sind, von Kindesbeinen an, die denkbar gegensätzlichen Pole der Bande. „Noodles“ steht für den Gesetzlosen aus Gefühl und Leidenschaft, der den wilden Prärie-Geruch der Straße braucht. „Max“ (James Woods) vertritt eine geschichtlich neuere Variante des amerikanischen Traums: Nach dem Muster der Tellerwäscher-Karriere will er in immer höhere, „schmutzfreie“ Machtregionen vordringen. Kälteste Berechnung und Rationalisierung des Verbrechens sind seine Mittel.

Der Film setzt furios und gewaltsam ein – als wolle sich das „Märchen“ seines realistischen Gehalts versichern. Doch nach und nach gewinnt die Handlung an Tiefenschärfe, entfaltet komische und tragische Qualitäten; dies in mächtigen Bildern, die sich einem sozusagen „über den Kopf wölben“ und nachwirken. Mit Robert de Niro hat Leone zudem einen Hauptdarsteller, der sich seiner Rolle einmal mehr wie ein Besessener gewidmet haben muß. Hochprofessionelle Arbeit haben auch das Besetzungsbüro und der Maskenbildner geleistet – die Darsteller der verschiedenen Lebensphasen scheinen organisch auseinander hervorzuwachsen.

Ganz wenige Einstellungen wirken „gesucht“: Die Ballettübung von Deborah, „Noodles'“ Jugendliebe, zwischen lichtumflorten Mehlsäcken (!) sowie ein tödliches Duell in einer Bettfedernfabrik, bei dem eigentlich nur die blutige Rötung des weißen Flaums fehlt, bleiben Ausnahmen. Auch die zuweilen vor Süßigkeit triefende Musik vermag dem Gesamteindruck kaum Abbruch zu tun: Leone hat – noch mehr als 1968 mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ – für ein Filmereignis hohen Ranges gesorgt (Bundesstart 12.10.).




Messe-Rahmenprogramm: „Photokina“ stellt das gedruckte Bild in den Blickpunkt

Von Bernd Berke

Köln. Auf massenwirksame Lichtbilder setzt diesmal die „Photokina“-Messe mit ihrem Beiprogramm in Köln. War man 1980 und 1982 mit anspruchsvollen Bilderschauen in die Kunsthalle ausgewichen, präsentiert man sich nun wieder auf dem Messegelände – unter dem populären Leitthema „Das gedruckte Foto“.

Profis und Amateure können sich Anregungen in jederlei Format holen, denn Bilder auf Briefmarkengröße („Foto-Philatelie“) werden ebenso gezeigt wie gigantische Abzüge aus Foto-Jahrbüchem und Kalendem, aus dem Bereich besonders kreativer Reklame-Fotografie oder aus preisgekrönten Foto-Reportagen. Auch sonst weniger beachtete Sparten sollen zur Geltung kommen, beispielsweise Aufnahmen aus Theater-Programmheften, die ansonsten nur am jeweiligen Ort beachtet werden und nach der Auffiihrung meist in die Schublade wandern.

Eingeleitet wird die Fülle der Exponate mit einer historischen Abteilung. Dort kann man anhand zahlreicher Beispiele nachvollziehen, wann und wie die Erfindungen der Fotografie und des Rotationstiefdrucks vereinigt wurden undadenaSiegeszug des „gedruckten Fotos“ einleiteten. ln Deutschland nahm diese Entwicklung um 1912 ihren Lauf. 1913 erschien bereits die erste Illustrierte, der „Berliner Weltspiegel“. Eine Auswahl von Fotos aus den 50er Jahren erweitertdie Rückbesinnung.

Zurück zur Gegenwart: Auch Anhänger von Sofortbild-Kameras kommen bei den Bilderschauen nicht zu kurz. Gedruckte und signierte Schnellbilder machen einen eigenen Ausstellungsteil aus. Weiterer Zweig des Mediums: fotografisch gestaltete Schallplattenhüllen.

Was Amateure auf fotografischem Gebiet zu leisten vermögen, belegen ebenfalls mehrere Film- und Bilderschauen. Da werden u. a. die Siegerfotos des bundesweiten Wettbewerbs „Blende ’84“ vorgestellt, und Super-8-Fans steuern ihre Ansichten zum Thema „Lokalereignis“ bei. Schließlich sind die Gewinnerfotos eines Jugendwettbewerbs (Aufgabenstellung: „Meine Freizeit“) zu besichtigen.

Sämtliche Bilderschauen sind – nicht nur furs Fachpublikum – während der ..Photokina“ (10. bis 16. Oktober) zu sehen. Dafür muß man allerdings an der Tageskasse 30 DM Eintritt hinblättern. Preiswerter wird’s nach Messeschluß: Dann sieht man das Rahmenprogramm für 5 DM (17. bis 28. Oktober). Alle Bilderschauen befinden sich in den Rheinsälen des Messegeländes und in den neuen Glas-Pavillons (Nähe Messeturm). Öffnungszelten: bis 16. Oktober täglich 9 bis 19 Uhr, ab 17. Oktober täglich 10 bis 18 Uhr.




Westfalens Gesellschaft zur Goethezeit – auf Bildern von Johann Christoph Rincklake

Von Bernd Berke

Münster. Westfalens Adel ging um das Jahr 1800 mit der Zeit. Man hatte schließlich „seinen“ Rousseau gelesen und kehrte auch dann „zurück zur Natur“, wenn man sich porträtieren ließ: Nun getrauten sich auch Damen von Stand, inmitten ihrer Kinderschar oder gar im „Zustand der Hoffnung“ vor den Maler zu treten.

Es war aber zugleich die Ära, in der das Selbstbewußtsein des westfälischen Bürgertums wuchs. Nur: Statt der Wappen, die die adeligen Herrschaften vorweisen konnten, staffierten sich Bürgersleute fürs Konterfei mit Signalen für erbrachte „Leistung“ aus. Ein wissenschaftliches Buch für den Herrn, ein Strickstrumpf für die Dame – und schon war die Heraldik wirksam ersetzt.

Westfalens wohl bester Porträtmaler zur „Goethezeit“ hieß Johann Christoph Rincklake (1764-1813). Sein Werk wird jetzt in einer Ausstellung des Westfälischen Landesmuseums fur Kunst und Kulturgeschichte dokumentiert (23.9. bis 4.11.). 150 Bilder sind zu sehen, darunter 100 bisher unbekannte Werke, die sich zu 90 Prozent noch in Privatbesitz (meist Nachfahren der Porträtierten) befinden. Die Bilder ergeben ein Panorama der westfälischen Gesellschaft – von Ansichten derer zu Romberg, Westerholt oder Heeremann bis hin zur Wirtstochter und zur Dortmunder Kaufmannsfrau.

Obwohl Rincklake eine Akademieausbildung (Lehr- und Wanderjahre in Dresden, Düsseldorf, Wien) vorweisen konnte, sind die Exponate weniger unter künstlerischen als unter regionalgeschichtlichen Aspekten aufschlußreich. Gesellschaftliche Umbrüche nach der Französisehen Revolution, neue Rituale der Trauer um Verstorbene oder auch das Geschlechterverhältnis jener Zeit können oft anhand unscheinbarer Details nachvollzogen werden. Beispiel: Selbst Schriftstellerinnen wurden damals nicht etwa mit Symbolen intellektueller Betätigung wie Feder und Tintenfaß abgebildet, sondern bestenfalls mit einer Leier.

Pünktlich zur Ausstellung ist ein Buch über Rincklake erschienen (Verfasserin: Hildegard Westhoff-Krummacher; Preis des Bands 98 DM, ab 1985 etwa 120 DM). Der Ausstellungskatalog in Münster kostet 15 DM.




Büchners „Woyzeck“ in Wuppertal – Inszenierung lässt vieles offen

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mit Georg Büchners „Woyzeck“ ist das so eine Sache. Seit Generationen streiten sich die Philologen, in welche Reihenfolge die Szenen gehören (wovon u. a. abhängt, ob Woyzecks Gang ins Wasser als Selbstmord oder als Reinigung anzusehen wäre), ja die Gelehrten sind sich noch nicht einmal einig, ob es sich um ein „Fragment“ handelt oder ob die offene Dramenform als in sich abgeschlossen zu gelten hat.

Wuppertals Bühnen haben sich in Gestalt des Regisseurs Ulrich Greiff und seines Dramaturgen Lothar Schwab dafür entschieden, die Sache nicht gar so ernst zu nehmen. Im Programmheft läßt Schwab durchblicken, daß man die Szenen nahezu beliebig umstellen könne, was während der Proben auch mehrfach geschehen sei.

Und so läßt denn diese Inszenierung vieles offen. Sie umkreist gleichsam ihre Hauptfigur (den nicht nur mit medizinischen Versuchen geschundenen Franz Woyzeck), greift den oder jenen roten Faden auf, läßt ihn fallen, faßt an anderer Stelle wieder zu. So kommt es, daß auch die Motivationen sich auffächern. Ist nun, so fragt man sich, Woyzeck das Opfer sozialer Umstände oder seiner eigenen Seelenverwirrung oder gar der allgemeinen Unzuträglichkeit menschlicher Existenz? Auch Ansätze, Woyzeck überhaupt nicht mehr als unbedarftes Opfer, sondern als messerscharf denkenden (und träumenden) Menschen darzustellen, sind vorhanden.

Manches wirkt umständlich. Heftigst werden Kulissen geschoben,  ja einmal rollt mitten in der Szene, die ganze graue Silhouette einer Stadt weg. Den Protagonisten werden zuweilen Laufleistungen abverlangt, die das Stück nicht um ein Jota vorwärtsbringen. Und wenn ein wallendes Tuch, mit blutrot verlaufendem Fleck besprenkelt, zunächst die ganze Bühne bedeckt und sich wie ein wörtlich zu nehmendes „Verhängnis“ bläht, sodann aber als bodenlose Rutschbahn für eine Bühnenleiche (die von Woyzeck erstochene Marie. de ihn betrogen hat) dient, dann schlägt Umständlichkeit in Abwegigkeit und unfreiwillige Komik um.

Eher ablenkend als sinnerhellend wird auch die Figur des „Idioten Karl“ eingesetzt. Im Text nur mit wenigen Sätzen ausgestattet, ist sie hier – das Haupt bandagiert – ständig anwesend, trinkt, raucht und vollführt pantomimische Darstellungen.

Auf Heiner Stadelmann, der die Titelrolle spielt, lastet viel; er entledigt sich seiner Aufgabe bemüht, wenn auch nicht immer zureichend (sein Mord etwa wirkt wie ein Zufall, der auch hätte unterbleiben können); Isabell Zeumer als „Marie“ tritt gar nicht recht in Erscheinung. Glanzpunkte hingegen im grotesken Panoptikum rund um Woyzeck: Gerd Mayen als „Doktor“ liefert einen wahnsinnigen Wissenschaftler – immer hart am Rande des Klischees, aber doch glückhaft daran vorbei. Heinz Voss als Hauptmann setzt seine Mittel ökonomisch ein und erzielt viel Wirkung. Für Wuppertaler Verhältnisse gab’s nur mäßigen Beifall.




Ein Mensch wird neu montiert – Bert Brechts „Mann ist Mann“ beim WLT

Castrop-Rauxel. Einer ist keiner. Jeder ist wie der andere: „Mann ist Mann“. Das ist Bert Brechts lehrstückhafter Abgesang auf „Charakterköpfe“, aufs Individuum überhaupt.

Wie ein Zahnrad ins andere greift, wird hier der Beweis geführt: Der Mensch kann neu montiert wereden – wie Galy Gay, der Packer vom Hafen, der zum Massenprodukt „Soldat“ umgepolt wird. Mit „Mann ist Mann“ startet das Westfälische Landestheater (WLT) in die neue Saison.

Nicht mehr die britische Armee in Indien ist Gegenstand des Beweisführungs-Spiels. Aus dem Tempel ist die glitzernde Spielhalle mit elektronischem Kriegsgerät geworden. Ein metallenes Gerüst beherrscht den Spielort.

Mann ist Mann, aber Brecht nicht immer gleich Brecht. Allzu bereitwillig hakt die Inszenierung (Regiedebüt in Castrop: Kurt Lambrigger) bei Stichworten ein, die Unterhaltungswert signalisieren. Wenn von Wetterunbill die Rede ist, singt die laszive Witwe Begbick (rollengerecht: Ingrid Franckenstein) postwendend den Schlager „Am Tag, als der Regen kam“, wenn die irische Stadt Tipperary aufs Tapet kommt, folgt sogleich die entsprechende Volksweise. Unterhaltung, die sich glatt anschmiegt, sich an nichts reibt. Komik, die sich an Widersprüchen entfaltet, wirkt allemal nachhaltiger.

Beste Szene: Galy Gay, genüßlich frähstückend, während drei MG-Soldaten ihn über die Vorzüge des Militärlebens aufklären wollen. Heldengeschwätz contra Frühstücks-Ei. Ein hervorragender Einfall auch, den Rüssel des „falschen Elefanten“, durch dessen Versteigerung Galy Gay endgültig zum Soldatsein gezwungen werden soll, mittels Gasmaske zu imitieren. Solche Doppelverweise setzen etwas in Gang.

Heinrich Cuipers als Galy Gay – ein Hans-im-Glück-Typ. Nur selten merkt man, daß etwas zumindest Zwiespältiges mit ihm geschieht – Ununterscheidbarkeit der Menschen als Fluch, aber auch als Chance zur Gleichheit. Blaß bleibt Wolfgang Schneider als Sergeant Fairchild, der „Blutige Fünfer“, während  das Soldatentrio – auch mehr „lustiger Haufen“ denn Schreckenstrupp – gut aufeinander eingespielt ist und Alfons Wecker als Bonze Wang durch kühle, zurückgenommene Präsenz überzeugt.

Auf der Bühne wird Dortmunder Bier getrunken. „Wir danken der XX-Brauerel für ihre freundliche Unterstützung.“ Die Marke steht im Programmheft. Kein Kommentar.




Von Raubrittern und Kobolden im Revier – Kinder gruben uralte Sagen des Ruhrgebiets aus

Von Bernd Berke

Im Westen. Da behaupte noch einer, das Ruhrgebiet sei keine geschichtsträchtige Region! Bis zu 1000 Jahre haben Sagen und Märchen aus dem Umkreis des Reviers auf dem sprichwörtlichen Buckel, die im Rahmen eines Wettbewerbs von Kindern zwischen Duisburg und Dortmund ausgegraben worden sind.

8- bis 16jährige, vom Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) zu dieser Suche aufgerufen, haben pfiffig und vielfach nach allen Regeln der Kunst recherchiert. um „Raubrittern und Ko(hle)bolden“ auf die sagenhafte Spur zu kommen. Für die über 100 Einsendungen (auch ganze Schulklassen machten mit) waren natürlich in erster Linie die Großmütter, aber auch Gemeindepfarrer und Archive wertvolle Quellen.

Manchmal war schon ein Straßenname in der Heimatgemeinde Anlaß genug, dem historischen Kern einer Sage nachzuspüren. Die 39 besten – und bislang unveröffentlichten – Geschichten liegen jetzt in Buchform vor (im Handel zum subventionierten) Preis von 9,80 DM. Titel: „Von Raubrittern und Kobolden“.

Den ersten Preis des Wettbewerbs trug die zehajährige Cornelia Möhrig aus Bochum davon. Sie stöberte eine Version der Geschichte von der „ersten Zeche“ auf und erzählte sie mit eigenen Worten neu. Inhalt: Der kleine Michael stürzt in ein Loch, muß drunten einer zahnlosen alten Frau dienen und bekommt zum Lohn einen „schmutzigen Stein“, von dem sich allerdings nachher herausstellt, daß er wohltätige Wärme bringen kann. Michael hat „die Kohle entdeckt“ und für sein Leben ausgesorgt.

Überhaupt ranken sich die meisten Revier-Sagen, wie kaum anders zu erwarten, um das „schwarze Gold“. Der dritte Preis zum Beispiel, vergeben an den 16jährigen Jonas Rusky aus Hattingen, honoriert eine „Geschichte von der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen“. Die Fakten, die er noch ausschmückte, erfuhr der Junge von seiner Großmutter, die wiederum aus Erfahrungen des Urgroßvaters schöpfte, welcher an der Entwicklung der berühmten Dahlbuschbombe mitgewirkt hatte. Kern der über drei Generationen tradierten Sage: Landwirte im Revier durften eines Tages keine SEnsen mehr verwenden, denn man vermutete, daß sonst auch unter Tage der todbringende Sensenmann umgehe. Fortan sorgten Schafe für kürzere Halme.

Allein schon die Titel der weiteren Geschichten machen Lust auf Lektüre. Da geht es etwa um den „hartherzigen Bäcker von Dortmund“ (der die Arman darben ließ und zur Strafe zwischen seinen Geldsäcken verhungern mußte), um „Mirsa, das Grubenpferd“, um die Mär vom Bochumer „Räuberhauptmann Korte“ oder um das im Siegerland beheimatete „Heinzelmännchen auf der Grube Hoffnung“.




Frank Zappa enttäuscht Publikum in Ahlen – ganz im Gegensatz zu Rory Gallagher

Von Bernd Berke

Ahlen. Es war nach Mitternacht, als die Legende endlich besichtigt werden durfte. Mit zwei Stunden (leider festivalüblicher) Verspätung trat er, als hätte sich die Erde aufgetan und Mephisto sei erschienen, urplötzlich ins Rampenlicht: Frank Zappa.

Ein artiger Dank ans Publikum, daß es bei dieser Kälte ausgeharrt habe, dann ging „die Post ab“. Kam aber nicht an. Wirkliche Aufnahmebereitschaft für Zappas hochdifferenzierte Musik war zu dieser Stunde kaum noch vorhanden. Wer (oh, rebellische Zeiten der „Mothers of Invention“!) eine provokante Bühnenshow erwartet hatte, ging gänzlich fehl. Statt dessen, der kunstvollen (bisweilen auch erkünstelten) Sperrigkeit dieser Musik zum Trotz, Perfektion ohne Ecken und Kanten. Die vielköpfige Begleitband des „neuen“ Zappa webt einen lückenlosen Klangteppich, der zwar Falten schlägt, aber nirgendwo mit der Gitarre „ausfranst“. Darauf setzt Zappa ins erwartete Improvisationsmuster, deren Variationsbreite vom Jazz bis zu neuerer E-Musik reicht.

Zappa, mittlerweile 43 Jahre alt, wirbt keine Sekunde lang um die Gunst des Publikums. Ohne Umstände, ohne Zwischenansagen liefert er seine Musik ab, läßt die Titel bruchlos ineinander übergehen. Viele enttäuschte Gesichter. Man nimmt die Klangkaskaden staunend bis bewundernd zur Kenntnis – nicht mehr und nicht weniger.

Wie anders hatte zuvor der Ire Rory Gallagher den Zuschauern eingeheizt! Während Zappas Distanzbedürfnis sich bereits in einer rigorosen Sonderabsperrung rund um die Bühne dokumentierte, gab sich Gallagher (natürlich wieder im karierten Kaufhaushemd) wie einer „von nebenan“. Er läßt nichts anbrennen, spielt sein „Rockpalast“-getestetes Repertoire („Double Visions“, „Big Guns“ usw.), tief in den Traditionen verwurzelten, erdigen Blues-Rock. Er fegt energiegeladen über die Bühne, macht den „Ritt“ auf der Gitarre wie weiland sein Vorbild Chuck Berry. Wie Zappa mit rund 20 Jahren Bühnenerfahrung gesegnet, verschreibt er sich ganz den Wünschen des Publikums. Zwei Weiten.

„Schlammschlacht“ auf Motocross-Gelände

Nicht nur zwei. Bereits zur Mittagszeit hatte das Freiluft-Festival begonnen: Mit den Gruppen „Lake“, „Sisters of Mercy“, „Waterboys“, „Blancmange“ und der besonders enttäuschenden Formation „The Alarm“. Viel Spreu, wenig Weizen. Und offenbar eine Programmzusammenstellung nach dem Zufallsprinzip.

Mit dieser Veranstaltung reiht sich Ahlen, für Rockfans bislang weißer Fleck auf der Landkarte, in den Reigen der Festivalorte ein. Wenn sich dort allerdings kein anderer Platz finden läßt als das Motocross-Gelände am Morgenbruch, sollte dies das erste und letzte Mal gewesen sein. Für Tausende nämlich geriet diese „Golden Summernight“ (Goldene Sommernacht) vornehmlich zur „Schlammschlacht“. Im regenweichen Lehmboden sank man unweigerlich zentimetertief ein. Mancher, der zu hastig ging oder Tanzversuche riskierte, klatschte gar vollends in den Morast.