Video lockt neue Besucherschichten in die Bücherei – Bonner Diskussion über Erfahrungen in Bielefeld

Von Bernd Berke

Bonn. Einen erstaunlichen Anfangserfolg kann das Projekt „Video in öffentlichen Bibliotheken“ verbuchen. Wie die Projektleiterin und Direktorin der Bielefelder Stadtbibliothek, Dr. Annegret Glang-Süberkrüb, gestern bei einem Symposion im Bonner Bundesbildungsministerium mitteilte, hat ein Drittel der bisherigen Video-Entleiher noch nie zuvor die Stadtbibliothek aufgesucht.

Mit dem zusätzlichen Angebot „guter“ Video-Filme grabe man sich also offenbar nicht selbst das Wasser ab. Im Gegenteil: Die Kassetten könnten vielleicht sogar eine Steigerung der Buchausleihe nach sich ziehen. Außerdem sei Videokonsum nicht unbedingt ein Übel. Formulierte die Bibliothekschefin: „Es stimmt ja nicht, daß immer ,blöd geglotzt und klug gelesen‘ wird!“

Am soeben angelaufenen Projekt sind die Stadtbüchereien in Duisburg (Start: Frühjahr ’85), Bielefeld und Celle beteiligt. Es werden jeweils einige hundert Kassetten angeboten, darunter Literaturverfilmungen, Theaterstücke, Kinderfilme und Weiterbildungsprogramme. Der Versuch, vom Bildungsministerium mit fast 250 000 DM gefördert, ist eine Reaktion auf den überbordenden kommerziellen Videomarkt, den man mit anspruchsvolleren Angeboten zumindest ergänzen will.

Großen Illusionen gab man sich allerdings in der gestrigen Gesprächsrunde nicht hin. Politiker, Medienwissenschaftler und Jugendschützer, so zeigte sich, stehen dem Versuch eher mit skeptischer Sympathie gegenüber. Vor allem der Bielefelder Medienwissenschaftler Prof. Dr. Dieter Braake dämpfte die Erwartungen: Das pure Angebot der Bibliotheken reiche keinesfalls aus, vielmehr müsse die Medienpädagogik erst einmal auf den sinnvollen Umgang mit Video vorbereiten. Sonst stehe zu befürchten, daß die Kluft zwischen denen, die per Video nur ihr Unterhaltungsbedürfnis stillten und jenen, die Video gezielt zur Weiterbildung nutzen, noch weiter wachse.

Den Video-Kommerz mit Horror-, Porno- und Gewaltorgien könne man mit der Bibliotheksaktion bestimmt nicht vollends eindämmen, wurde einmütig befunden. Befürchtet wird sogar, daß von der Videoflut verunsicherte Politiker zwar den Bibliotheken Kassetten spendieren, daß dafür aber beim Bucheinkauf noch mehr Abstriche verlangt werden.

Wie sieht die Praxis aus? In Bielefeld, so berichtete Annegret Glang-Süberkrüb, sei die Kassettenausleihe mit der üblichen Bibliotheksgebühr von 10 DM im Jahr abgegolten. Wenn man die Leihfrist überschreite, werde es jedoch kostspielig (4 DM pro Tag und „Einheit“). Bei der Auswahl der Kassetten verlasse man sich zum großen Teil auf Besprechungsdienste und vorhandene Rezensionen: „Wir können beim besten Willen nicht alles selbst in Augenschein nehmen.“ Die Kassetten – in Bielefeld 1000 Stück – würden an strategisch günstigen Punkten plaziert, „nämlich ganz hinten, wie das Frischfleisch im Supermarkt.“

Wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Anton Pfeifer, gestern am Rande des Symposiums sagte, haben mittlerweile schon 80 Büchereien Interesse an dem Projekt bekundet. Das Video-Engagement der Bibliotheken sei offensichtlich geeignet, der Überflutung des Marktes durch private Videotheken gegenzusteuern.




Endloses Trauma der Verfolgten – Judith Herzbergs „Schadenfreude“ in deutscher Erstaufführung

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mut zum eigenwilligen Spielplan beweisen die Wuppertaler Bühnen. Binnen zehn Tagen gab es nun schon die zweite deutsche Erstaufführung. Nach Ayckbourns „Stromaufwärts“ jetzt: Judith Herzbergs „Schadenfreude“ (Regie: Ulrich Greiff).

Judith Herzberg (50), geboren in Amsterdam, ist Jüdin. Ihr Stück (Originaltitel: „Leedvermaak“) führt eine Anzahl von Menschen bei einer Hochzeitsfeier zusammen. Die jüdischen Eltern der Braut haben zwar die KZ-Haft überlebt, sind aber seelisch zerstört. Unauslöschliehe Nachwirkungen auch bei der Braut „Lea“, die „damals“, ihrer Identität beraubt, zu einer christlichen „Kriegsmutter“ kam. Dazu die Eltern des Bräutigams, die jeweiligen Ex-Ehepartner der Brautleute; schließlich „Daniel“, der wie eine Leidensfigur aus den Kriegstagen in die Jetztzeit hereinragt.

Hochzeiten veranlassen für gewöhnlich die Älteren zur Bilanz, die Jüngeren zur Zukunftsschau. Doch wenn da keine nennenswerte Zukunft ist, sondern nur übermächtige Vergangenheit, dann weiten sich die üblichen Beziehungskatastrophen in neue Dimensionen. Das Trauma der Verfolgung bricht immer wieder durch, macht jedes Gespräch zur Verletzung, jede Annäherung zur Entfernung.

Gespielt wird auf der breiten Fläche des Foyers, gleichsam in „Cinemascope“. Die Fassade: üppiges Buffet, Hut- und Mantelablage, blaue Sitzgarnitur, große Zimmerpflanze. Und Treppen, die ausgiebig genutzt werden. Es herrscht ein unaufhöfliches Kommen und Gehen. In Dutzenden von Mini-Szenen defilieren die Figureneinzeln, paar- oder gruppenweise vorbei. Auf scheinbar unverbindliches Party-Gewäsch folgt Ehezerwürfnis, auf Jux und Dollerei tiefgründelnde Lebensphilosbphie, und zwischendurch – beinahe wie ungewollt – obsessive Erinnerung an die Kriegszeit. Schaden, ja und Freude auch, hie und dort. Aber „Schadenfreude“? Bei uns Zuschauern?

In Wuppertal wird die Nummern-Dramaturgie recht unelegant umgesetzt. Merklich aufs Stichwort hin erscheinen manche Darsteller, liefern Szenen ab. Manchmal wird über den Text sinniert, anstatt daß er „gegeben“ wird. In der Konversation raschelt Papier. Rühmlichste Ausnahmen: Ursula von Reibnitz als Leas Mutter Ada, Siegfried Maschek als Bräutigam Nico.

Das Stück verweigert Herleitungen und psychologische Stimmigkeit, es führt seine Personen nur punktuell vor. Unmerklich haben sich von Szene zu Szene die Beziehungen verschoben, Erdverwerfungen gleich. In Wuppertal aber bleibt das meist schimärenhaft, ungreifbar, wirkt wie aneinandergepappt.

Verständlich, daß ein deutsches Theater bei diesem Thema nicht den Mut zum possenhaften Vaudeville aufbringt, das doch im Programmheft so zustimmend als Ingredienz des niederländischen Theaters bezeichnet wird. Folge aber: Da das Lachen sich nicht einstellt, kann es auch nicht im Halse steckenbleiben.




Rodin und die Inszenierung des Körpers

Von Bernd Berke

Münster. Für eine Skulptur des Schriftstellers Honoré de Balzac nahm sich Auguste Rodin viel Zeit. 1891 bekam er den Auftrag, bis 1898 fertigte er zahllose Skizzen und Entwurfsstudien. Rodin recherchierte genau. Sogar den Schneider des berühmten Toten suchte er auf und entlockte ihm exakte Angaben über die KörpermaBe des Dichters – Kunst, mit wissenschaftlicher Akribie betrieben. Auch darin war Rodin ein Kind seiner Zeit.

Daß Rodin (1840-1917) d e r stilbildende Bildhauer des späten 19. Jahrhunderts war, ist fast ein Gemeinplatz. Daß er auch als Zeichner zu kaum weniger vollendete Formen fand, kann jetzt – umfassend wie nie zuvor – im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte nachvollzogen werden. Eine Reihe von Architekturzeichnungen wird erstmals außerhalb Frankreichs gezeigt.

Die meisten Exponate, darunter die Balzac-Studien, stammen aus den Magazin-Beständen des „Musée Rodin“ in Paris. Die Ausstellung verschafft mit etwa 180 Zeichnungen und Aquarellen einen Überblick zu Rodins Lebenswerk (insgesamt 8000 Blätter). Die Zeichnungen sind nicht etwa bloß Vorstufen zu den Skulpturen, sondern bilden einen durchaus autonomen Strang in Rodins Schaffen.

Es beginnt mit Arbeiten aus den 1860er Jahren, die noch deutliche Kennzeichen akademischer „Fingerübungen“ tragen. Besonders gilt dies für einige Akte im Geiste des Klassizismus, die ebensogut von David oder Ingres stammen konnten. Über die zeichnerische Wiedergabe von Michelangelo-Statuen und die Darstellung antiker Szenen entwickelt Rodin immer entschiedener „seinen“ Stil.

Ausführlich werden die Entwürfe für das „Höllentor“ (inspiriert von Dantes ,,Göttlicher Komödie“) dokumentiert. Ähnlich wie „Faust“ Goethe sein Lebtag beschäftigte, so das ,,Höllentor“ Rodin. Ein schon unverwechselbarer Gestus kennzeichnet die Höllenstudien mit ihren dunkeldramatischen Tönungen.

Rodin bildet nicht einfach Körper ab, er bringt gleichsam die Kraftlinien zu Papier, die diese Körper in Bewegung setzen. Wenn er Figuren zu Gruppen zusammenstellt, so fügen sie sich zu ungeheuer dynamischen ,,Körper-Inszenierungen“. Spitzenstücke der Ausstellung sind die hauchzarten, schier „verfließenden“ Zeichnungen kambodschanischer Tänzerinnen, die 1906 in Frankreich gastierten und Rodin durch die Natürlichkeit ihrer Bewegung faszinierten.

Im Spätwerk nähert sich Rodin zeitweise dem Stil von Henri Matisse, zuweilen überschreitet er auch bereits die Grenzen der Gegenständlichkeit, indem etwa eine kniende Frauengestalt, die den Kopf zurückwirft, auf einem weiteren Bild zur Vasen-Form umgestaltet wird. Beide Arbeiten hängen in Münster nebeneinander, der Abstraktionsprozeß kann exemplarisch verfolgt werden.

Auguste Rodin – Zeichnungen und Aquarelle. Münster, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Bis 20. Januar. Katalog 40 DM.




Mütter als Landschaften – Arbeiten von Henry Moore in Marl

Von Bernd Berke

Marl. Zwei Themen ziehen sich wie rote Fäden durch das Werk von Henry Moore. Der berühmte britische Bildhauer formte immer wieder liegende Figuren, und er kam so häufig auf das Thema „Mutter und Kind“ zurück, daß man geneigt ist, darin eine Art Besessenheit zu sehen.

Um so erstaunlicher, daß noch kein einziges Museum auf die Idee gekommen ist, die Mutter-Kind-Darstellungen zum Leitgedanken einer Moore-Ausstellung zu machen. Insofern kann das Skulpturenmuseum „Glaskasten“ in der Revierstadt Marl jetzt mit einer Weltpremiere aufwarten.

Die Marler Ausstellung „Henry Moore: Mutter und Kind“ – sie umfaßt 28 Skulpturen, 27 Zeichnungen und 20 Graphiken – ist noch dazu einem immensen Zufall zu verdanken. Der „Glaskasten“ besitzt nur eine Moore-Zeichnung, einen Mädchenakt von 1923. Ausgerechnet diese Arbelt war der ansonsten hervorragend unterrichteten Henry-Moore-Foundation (Stiftung) noch unbekannt. Aus Dankbarkeit für den Marler „Fund“ sandte die Stiftung sämtliche Exponate für diese Ausstellung. Weitere Besonderheit: Altbundeskanzler Helmut Schmidt, seit langem Bewunderer Moores, wird auf ausdrücklichen Wunsch des Künstlers die Ausstellung am Samstag um 11 Uhr eröffnen.

Henry Moore hat das uralte Motiv „Mutter und Kind“, das in Form von Madonnen-Darstellungen auch zum Grundbestand der religiösen Kunst gehört, in einer ungeheuren Variationsbreite künstlerisch umgesetzt. Nicht immer geht es idyllisch zu: In der Skulptur „Mutter und Kind“ von 1953 etwa scheinen gezackte Köpfe einander zerhacken zu wollen, die Mutter setzt gar einen Würgegriff am Hals des Kindes an.

Meist aber werden Vorstellungen einer schützenden „Mutter Erde“ heraufbeschworen, bzw. solche von einem „schützenden Prinzip“, einer Zuflucht für die Kreatur schlechthin. Die Frauengestalten gleichen dann Landschaften mit bergenden Höhlenformationen, auf und in denen Kinder Schutz suchen oder herumtollen. Moore hat dabei jede nur denkbare Abschattung zwischen Nähe, Loslösung und Feindseligkeit zum Ausdruck gebracht.

Die Ausstellung dauert bis zum 13. Januar 1985, der Katalog kostet 20 DM.




Bootsfahrt in die Tyrannei – Ayckbourn-Stück „Stromaufwärts“ als deutsche Erstaufführung in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Diese Idee des Briten Alan Ayckbourn ist schon ein mittelschwerer Geniestreich: Theateraktion ganz auf ein begrenztes Bootsdeck zu konzentrieren, auf dem zwei Ehepaare „stromaufwärts“ fahren. Symbolische Überhöhung liegt nahe. Die Flußreise steht für die „Lebensfahrt“. Auch schaffen Bedrängnis und Isolation auf dem Boot ideale Anlässe für Konfliktexplosion. Der Kahn wird zum schwimmenden Sozial-Labor.

Wie schwer all dies jedoch auf die Bühne zu bringen ist, das bekam das Wuppertaler Ensemble bei seiner deutschsprachigen Erstauffûhrung von Ayckboums „Stromaufwärts“ (Regie: Dieter Reible) zu spüren. Denn die Beschränkung des Spiels auf das Boot erzwingt eine Übermittlung fast aller „bewegenden“ Momente durch Gestik und Sprache. Über derlei Erfordernisse triumphieren in Wuppertal oftmals bühnentechnische Mätzchen. Das Boot kreuzt munter über die Bühne, und seitwärts, am imaginären Festland, gleiten auf einer elektrischen Schiene gar Gegenstände und Personen vorüber, als könne man nichts der Vorstellungskraft überlassen.

Zum Inhalt: Besagte Ehepaare, die Männer Compagnons in einer Firma, entern erholungshalber das Boot. Urlaub verheißt Freiheit, doch das Gegenteil ist hier der Fall. Keith schwingt sich zum Käpt’n auf, kommandiert herum. Er zehrt von hohl gewordener Autorität – ein Unternehmer alten Schlags, kampfbereit gegen „Gewerkschafts-Umtriebe“, die derweil seinen Betrieb bedrohen. Keith‘ Frau June ist ein an jeder Reiseunbill herummäkelndes Luxusweib. Der schwächliche Alistair und seine schutzbedürftige Frau Emma vervollständigen das Unglücksquartett.

Zunächst geht die Wuppertaler Aufführung recht zügig vonstatten. Komödien-Effekte, freilich weniger die hintergründigen, werden so recht herausgebracht. Maria Pichler als vom Ehe-Ekel angewiderte „June“ setzt Akzente.

Aber diesen Ayckbourn darf man nicht nur leicht nehmen. Gleichsam Flußgott und Seeungeheuer in Personaluniuon, so taucht bei einer Bootspanne „Vince“ als teuflischer Retter aus den Wassern auf. Der kraftstrotzende Naturbusche mit dem Appeal eines Fremdenlegionärs bringt die überkommene „Ordnung“ auf dem Schiff zum Einsturz und errichtet daselbst ein Terrorregime. Daß er sich dazu anfangs nautischen Fachwissens bedient, wird offenbar unterschätzt. Denkbar nämlich, diese Figur mit Merkmalen eines durch Expertentum herrschenden Haifischs unserer Tage auszustatten.

Das Stück müßte nun jedenfalls eine bedrohliche, fast surreale Dimension gewinnen. Dies aber geschieht nur umrißhaft, nicht zuletzt weil Bernd Kuschmann als „Vince“ sein Draufgängertum eher als lässiger Frauenverfûhrer denn als Furcht gebietender Tyrann ausleben darf.




Kunstmarkt spürt den Dollarkurs – auch auf der Art Cologne

Von Bernd Berke

Köln. Der Dollarkurs läßt, wie könnte es anders sein, auch den Kunstmarkt nicht unverschont. Gut 15 bis 20 Prozent mehr müßte der betuchte Kunstfreund anlegen, wenn er in den USA das Werk eines aktuellen bundesdeutschen Künstlers erwerben will, als wenn er dies hierzulande täte. Das Preisgefälle hat Rückwirkungen. Im Sog der hohen US-Notierungen ziehen auch die hiesigen Preise an.

Solche leichten Eintrübungen können das Bild kaum verwischen, das gestern die Spitzen des Bundesverbandes Deutscher Galerien anläßlich der Eröffnung der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“ vom Stand ihres Gewerbes zeichneten. Die Kunstverkäufer haben, so bekennen sie freimütig, Boom-Jahre hinter sich. So vehement habe sich der Handel entwickelt, daß jetzt auch Möbelfirmen nebenbei Kunst anböten, was man seitens der Galeristen „sehr sorgfältig“ beobachte.

Nachdem die Kölner die Konkurrenz aus Düsseldorf elegant ausgebootet haben und allein verantwortlich zeichnen, ist sogar – gesundes Selbstbewußtsein – eine „Achse Köln – New York“ gesichtet worden. Erstmals seit Jahren beteiligen sich wieder Galerien aus New York am größten Markt für Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch eine Sonderausstellung riskiert Blicke über den großen Teich: „Szene New York* glänzt mit inzwischen gut eingeführten Namen wie David Salle, Robert Longo und dem des Graffiti-Meisters aller Klassen, Keith Haring.

Eine weitere gewichtige Sonderausstellung bestreitet das Kunstmuseum Bern. 26 Arbeiten von Paul Klee stehen im Mittelpunkt, hinzu kommen weitere Klassiker der Moderne, junge Schweizer Künstler und – fast eine Sensation – Ferdinand Hodlers „Aufstieg“ und „Absturz“, die erstmals seit 1896 in der ursprünglichen Zusammenstellung zu sehen sind.

Das eigentliche Messegeschehen spielt sich rund um die Stände der 160 beteiligten Galerien aus zehn Ländern ab. Von 220 Bewerbern wurden 60 ausjuriert, von den verbliebenen kommen 115 aus der Bundesrepublik (davon 29 aus Köln, einer aus Dortmund). Der Auslandsanteil hat sich auf fast 30 Prozent erhöht.

Trends? Immer weniger Galerien setzen auf Klassische Moderne, während Gegenwartskunst (Stichwort „expressive Gegenständlichkeit“) Trumpf zu sein scheint.

„Art Cologne“, Internationaler Kunstmarkt, Köln-Deutz, Messegelände, Rheinhallen, 15. bis 21. November, täglich 11 bis 20 Uhr. Tageskarten 10 DM.




Die Zukunft als Vorwand: Lauter irrwitzige Verwicklungen im Revier des Jahres 2000

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Das Revier im Jahr 2000: Alles ist aus dem Ruder gelaufen. Die Bundesregierung stümpert mit Notverordnungen, in den Verkehrshinweisen wird empfohlen, das Ruhrgebiet „weiträumig zu umfahren“, denn dort rebelliert die Bevölkerung mit Fabrikbesetzungen und Plünderungen.

Fast alle, in vorderster Front die Frauen der Arbeitslosen, machen mit – bis auf die Männer vom Schlage Mani Mack. Der ist sogar drauf und dran, sich von einem Betrüger für „fünf Blaue“ (500 DM) eine vermeintlich goldene Arbeitszukunft im Musterländle Baden-Württemberg aufschwatzen zu lassen.

„Fünf Blaue und ein Mann im Schrank“, vom Ruhrfestspiel-Ensemble im Recklinghäuser „Depot“ uraufgeführtes Stück von Jürgen Fischer, vermehrt nicht die Inflation der im Einheitsmuster gestrickten Ruhrgebiets-Revuen, bezieht dafür aber Anregungen vom italienischen Farcenschreiber Dario Fo. Keine Frage: Jürgen Fischer hat sich besonders von der Personenkonstellation in Fos „Bezahlt wird nicht“ inspirieren lassen. Das führt weg vom Revier-Klischee, mitunter aber auch weg vom Revier.

75 Minuten lang turbulente Verwicklungen ohne Verschaufpause, aber kaum einmal der Versuch einer konkreten Zukunftsschau ins „Revier 2000″. Letztere bleibt Vorwand für Kabinettstückchen und erschöpft sich in einer bloßen Vergrößerung, ja Vergröberung des heutigen Ist-Zustands.

Immerhin liefert der Text reichlich Spielmaterial für publikumswirksame Komik. Besonders die Szenen, in denen groteske Körperverwicklungen den aberwitzigen Verzweigungen der Handlung entsprechen, verraten intensive Probenarbeit und Lust am Detail (Regie: Wolfgang Lichtenstein). Beifall auf offener Szene erhalten vor allem Heinz Kloss („Mani“) und Petra Afonin („Angela“). Gekonnt auch die scheinbare Unbedachtheit, mit der die Darsteller immer wieder neben Rollen treten und gleichsam die eigene Künstlichkeit und Bedingtheit karikieren.

Der „Revierschwank mit beschränkter Hoffnung“ (Untertitel) verwehrt zwar am Ende eindeutige Antworten, hat aber zuvor schon so angelegentlich und pflichtschuldigst auf Solidarität sowie 35-Stunden-Woche verwiesen, daß dem Sinnverlangen Genüge getan ist.




Nur Stichproben der fotografischen Kunst

Von Bernd Berke

Bochum. Wer immer strebend sich bemüht, wird im weitläufigen Bochumer Museumsbau irgendwann auch auf die beiden Ausstellungen „Fotokunst aus NordrheinWestfalen“ (bis 20.1.85) und „Kunst gegen den Faschismus“ stoßen, die beide heute eröffnet werden.

Die nicht einmal umfangreiche Fotoausstellung (15 Exponate) mußte aus Platzgründen auf zwei Geschosse verteilt werden, die antifaschistische Kunst wird in der ständigen Schausammlung versteckt.

Die Lichtbilder stammen aus dem Besitz des Kultusministeriums, wurden im Rahmen des Spektakels „NRW Kultur ’84“ aus den Magazinen der Landeskunstsammlung geholt und waren bereits in Marl zu sehen. Die 15 Exponate von ebenso vielen Künstlern können allenfalls als Stichproben fotografischer Kunstanstrengungen in diesem Lande gelten. Nicht die fotografische Einzeldarstellung, sondern die – sicher durch andere Massenmedien geprägte – serielle Reihung von Bildern, deren feine Unterschiede man sich erst „erschauen“ muß, bildet hier den Hauptstrang; so etwa bei den 126 rot kolorierten Bildern des Düsseldorfers Michael Sauer (Titel: „Mannesmann“), auf denen abstrakt wirkende Details der Arbeitswelt den Menschen schier erdrücken, oder bei den „Industrieportalen“ von Tata Ronkholz aus Hürth, die die Arbeitswelt als bedrohlich abgeschlossenen Sektor hervortreten lassen.

Mit archaischen Zeichen hingegen arbeitet die Kölnerin Astrid Klein, deren Arbeit „Einatmen – ausatmen“ einer Höhlenzeichnung ähnelt. Der Katalog (10 DM), in Düsseldorf erarbeitet, ist alles andere als gelungen, hat man sich doch bei der Abfolge der Reihungen mehrfach verzettelt.

Parallel beginnt die Ausstellung „Kunst gegen den Faschismus“ mit rund 40 Exponaten aus Eigenbesitz. Sie versammelt Zeitdokumente zur Bochumer Synagogen-Brandstiftung in der sogenannten „Reichskristallnacht“ 1938 und künstlerische Antworten (u. a. von John Heartfield, Federico Garcia Lorca, Henry Moore) auf den Faschismus.