Malerei als eine Form der Liebe – zum Tod von Marc Chagall

Von Bernd Berke

„Malerei ist nichts, als eine andere Form zu lieben“, hat Marc Chagall einmal seine Kunstauffassung umschrieben. Und er bekannte: „Die innere Welt ist vielleicht wirklicher als die sichtbare äußere.“ Marc Chagall, in der Nacht zu gestern im biblischen Alter von 97 Jahren gestorben, ist ein Maler der warmen, leuchtenden Farben und der Innerlichkeit.

Zwar unmittelbar das Gefühl ansprechend, entstanden seine Bilder dennoch vor einem Hintergrund, dessen Kenntnis Voraussetzung für tieferes Verständnis ist: Die russische Heimat und die Sehnsucht nach ihr, das jüdische Elternhaus, der Chassidismus, der in jeder Erscheinung einen „Funken Gottes“ erblickt – diese Einflüsse seiner Jugend blieben auch lebendig, als Chagall in Paris in den Aufruhr der künstlerischen Moderne geriet.

Zeitlebens ist er nicht von figürlich-gegenständlicher Darstellung abgerückt. Kunsthistoriker rechnen ihn zu den Anregern des Expressionismus (Signal dafür: die von Hewarth Walden veranstaltete Chagall-Ausstellung 1914 in Berlin) und des Surrealismus.

Chagall wude am 7. Juli 1887 in Liosno bei Witebsk als Kind armer Leute geboren. Seine zeichnerische Begabung entfaltete sich früh. 1907 wurde er in Petersburg Schüler von Leon Bakst. Mit einem Stipendium versehen, kommt er 1910 erstmals nach Paris, die damals unbestrittene Weltkunstmetropole. Er lernt dort u.a. Guillaume Apollinaire und Amedeo Modigliani kennen. Chagalls Palette – bis dahin von fahlen Braun- und Grautönen beherrscht – wird in Paris zusehends farbiger, sprühender.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht ihn bei einem Heimataufenthalt. Er leistet Wehrdienst ab, wird nach der Oktoberrevolution von den Sowjets zum Gebietskommissar für Kunst ernannt. Bald aber kommt es zum Zerwürfnis und Chagall reist via Berlin nach Paris (wo er 1939 die französische Staatsbürgerschaft annimmt). Von 1931 bis 1937 sieht er u.a. Palästina. Dort sammelt er Anregungen für seine berühmten Bibelillustrationen.

Beweis für Chagalls visionäre Kraft: Lange vor den Nazi-Exzessen malte er brennende Synagogen. Der Einmarsch der Deutschen in Frankreich bedeutet für ihn den Beginn des Exils in den USA, wo seine erste Frau Bella Rosenfeld stirbt. Chagall kehrte 1947 nach Frankreich zurück, heiratete 1952 Valentina Brodsky („Vava“).

Chagall hinterläßt ein Riesenwerk, über 5000 Arbeiten. Mit Retrospektiven in Hannover und London wurden noch zu Beginn dieses Jahres weithin unbekannte Aspekte dieser Vielfalt deutlich. Chagalls Welt: Dörfliche Szenen, hier eine rote Kuh auf dem Hausdach, zu der eine kopflose Melkerin herabschwebt, dort die blaue Ziege mit dem Leuchter – Figurationen, schwerelose Gestalten zwisehen Traum und Wirklichkeit. Figurationen, von einer märchenhaft reichen (und frommen) Phantasie ersonnen.

Chagall gestaltete das Foyer der Metropolitan Opera in New York (1966), ein Kirchenfenster in Mainz (1978), die Decke im Zuschauerraum der Pariser Oper (1964). Seine Wahlheimat Frankreich erteilte ihm spät diesen ersten öffentlichen Auftrag. Dafür war Chagall der einzige Künstler, dem zu Lebzeiten eine Retrospektive im Louvre gewidmet wurde.




Profifußball – schleichendes Gift / Michael Lentz‘ Fernsehfilm „Alles paletti“

Von Bernd Berke

Essen. Zunächst fällt auf, was „Alles paletti“ n i c h t ist: Der Film des Esseners Michael Lentz (geplanter Sendetermin: ZDF, 16. April, 19.30 Uhr) ist, obwohl im Ruhrgebiet gedreht, kein Revier-Film und er ist, obwohl Fußball die Handlung in Gang bringt, kein Fußballfilm.

Im Mittelpunkt steht vielmehr Kai Wodar (Levin Kress), genannt „Fips“, der vierzehnjährige Sohn des aus Jugoslawien stammenden Bundesligatrainers Milan Wodar (Branko Plesa). Dessen Verein „BlauWeiß“ (Vorbild Schalke?) ist abstiegsbedroht. Dies bekommt der Sohn an allen Ecken und Enden zu spüren. In der Schule vollziehen sogenannte Fans kurzerhand eine Sippenstrafe und demolieren Kais Fahrrad, der Vater wird im Abstiegsstrudel zunehmend auch als Erzieher hilflos. Für den Ernstfall hat er (zu Kais Entsetzen) bereits Kontakte nach Istanbul geknüpft – Jupp Derwall hat’s vorexerziert.

Der Einstieg in die Handlung erfolgt mit großer Geduld und Zähigkeit, wirkt unscheinbar, ja zunächst fast läppisch. Lentz nähert sich seinen Themen sehr vorsichtig von den Rändem her, tastet behutsam den Alltag ab. Und der ist nun einmal grau.

Das Innere des Stadions sieht man erst zum Schluß. Fußball ist denn auch eher das geheime Zentrum der Handlung, gleichsam ein zuerst kaum sichtbares Gift, das in den Alltag einsickert. Auch daß die Geschichte im Revier spielt, wird nie in den Vordergrund gestellt. Wohhuend: Das Ruhrgebiet ist hier eine weder gebeutelte noch glorifizierte Selbstverständlichkeit; selbstverständliche Heimat auch für Kai, der hier Freunde gefunden hat und nicht schon wieder entwurzelt werden will. Unter anderem deshalb fängt er auch allmorgendlich den Postboten ab und versteckt vor seinem Vater die schmutzigen Drohbriefe enttäuschter „Freunde“ des Vereins.

Kai ist 14. Also liegt es nahe, daß dies auch, eine Pubertätsgeschichte ist. Der erste Suff, die erste Liebe, ersterer komisch, letztere leidlich gefühlvoll ins Bild gesetzt. Den Weltschmerz allerdings hat Lentz durch die Figur „Rico“, den sterbenskranken Freund Kais, ein wenig zu dick aufgetragen. Mit makabren Sprüchen und einer gehörigen Portion Melancholie gibt Peter Lohmeyer dem „Rico“ zwar einen gewissen Aufmerksamkeitswert. Warum die Figur als solche aber notwendig ist, bleibt bis zum Schluß unerfindlich. Vielleicht ist es die Leidenschaft für alte Hollywood-Klassiker, die Lentz wohl mit „Rico“ teilt, die allerdings auch zuweilen mit ihm durchgeht. Da gibt es – verzichtbar – eine ganze Schwarz-Weiß-Sequenz mit den US-Stars von „damals“.

Der Schluß: Durch ein mit Ach und Krach erkämpftes Unentschieden seiner Mannschaft- gegen den Hamburger SV kann der Trainer seinen Kopf noch einmal knapp aus der sprichwörtlichen Schlinge ziehen. Keine Rettung, eher eine Verschnaufpause. „Alles paletti“? Bis auf Weiteres.