Malerei als eine Form der Liebe – zum Tod von Marc Chagall

Von Bernd Berke

„Malerei ist nichts, als eine andere Form zu lieben“, hat Marc Chagall einmal seine Kunstauffassung umschrieben. Und er bekannte: „Die innere Welt ist vielleicht wirklicher als die sichtbare äußere.“ Marc Chagall, in der Nacht zu gestern im biblischen Alter von 97 Jahren gestorben, ist ein Maler der warmen, leuchtenden Farben und der Innerlichkeit.

Zwar unmittelbar das Gefühl ansprechend, entstanden seine Bilder dennoch vor einem Hintergrund, dessen Kenntnis Voraussetzung für tieferes Verständnis ist: Die russische Heimat und die Sehnsucht nach ihr, das jüdische Elternhaus, der Chassidismus, der in jeder Erscheinung einen „Funken Gottes“ erblickt – diese Einflüsse seiner Jugend blieben auch lebendig, als Chagall in Paris in den Aufruhr der künstlerischen Moderne geriet.

Zeitlebens ist er nicht von figürlich-gegenständlicher Darstellung abgerückt. Kunsthistoriker rechnen ihn zu den Anregern des Expressionismus (Signal dafür: die von Hewarth Walden veranstaltete Chagall-Ausstellung 1914 in Berlin) und des Surrealismus.

Chagall wude am 7. Juli 1887 in Liosno bei Witebsk als Kind armer Leute geboren. Seine zeichnerische Begabung entfaltete sich früh. 1907 wurde er in Petersburg Schüler von Leon Bakst. Mit einem Stipendium versehen, kommt er 1910 erstmals nach Paris, die damals unbestrittene Weltkunstmetropole. Er lernt dort u.a. Guillaume Apollinaire und Amedeo Modigliani kennen. Chagalls Palette – bis dahin von fahlen Braun- und Grautönen beherrscht – wird in Paris zusehends farbiger, sprühender.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht ihn bei einem Heimataufenthalt. Er leistet Wehrdienst ab, wird nach der Oktoberrevolution von den Sowjets zum Gebietskommissar für Kunst ernannt. Bald aber kommt es zum Zerwürfnis und Chagall reist via Berlin nach Paris (wo er 1939 die französische Staatsbürgerschaft annimmt). Von 1931 bis 1937 sieht er u.a. Palästina. Dort sammelt er Anregungen für seine berühmten Bibelillustrationen.

Beweis für Chagalls visionäre Kraft: Lange vor den Nazi-Exzessen malte er brennende Synagogen. Der Einmarsch der Deutschen in Frankreich bedeutet für ihn den Beginn des Exils in den USA, wo seine erste Frau Bella Rosenfeld stirbt. Chagall kehrte 1947 nach Frankreich zurück, heiratete 1952 Valentina Brodsky („Vava“).

Chagall hinterläßt ein Riesenwerk, über 5000 Arbeiten. Mit Retrospektiven in Hannover und London wurden noch zu Beginn dieses Jahres weithin unbekannte Aspekte dieser Vielfalt deutlich. Chagalls Welt: Dörfliche Szenen, hier eine rote Kuh auf dem Hausdach, zu der eine kopflose Melkerin herabschwebt, dort die blaue Ziege mit dem Leuchter – Figurationen, schwerelose Gestalten zwisehen Traum und Wirklichkeit. Figurationen, von einer märchenhaft reichen (und frommen) Phantasie ersonnen.

Chagall gestaltete das Foyer der Metropolitan Opera in New York (1966), ein Kirchenfenster in Mainz (1978), die Decke im Zuschauerraum der Pariser Oper (1964). Seine Wahlheimat Frankreich erteilte ihm spät diesen ersten öffentlichen Auftrag. Dafür war Chagall der einzige Künstler, dem zu Lebzeiten eine Retrospektive im Louvre gewidmet wurde.




Profifußball – schleichendes Gift / Michael Lentz‘ Fernsehfilm „Alles paletti“

Von Bernd Berke

Essen. Zunächst fällt auf, was „Alles paletti“ n i c h t ist: Der Film des Esseners Michael Lentz (geplanter Sendetermin: ZDF, 16. April, 19.30 Uhr) ist, obwohl im Ruhrgebiet gedreht, kein Revier-Film und er ist, obwohl Fußball die Handlung in Gang bringt, kein Fußballfilm.

Im Mittelpunkt steht vielmehr Kai Wodar (Levin Kress), genannt „Fips“, der vierzehnjährige Sohn des aus Jugoslawien stammenden Bundesligatrainers Milan Wodar (Branko Plesa). Dessen Verein „BlauWeiß“ (Vorbild Schalke?) ist abstiegsbedroht. Dies bekommt der Sohn an allen Ecken und Enden zu spüren. In der Schule vollziehen sogenannte Fans kurzerhand eine Sippenstrafe und demolieren Kais Fahrrad, der Vater wird im Abstiegsstrudel zunehmend auch als Erzieher hilflos. Für den Ernstfall hat er (zu Kais Entsetzen) bereits Kontakte nach Istanbul geknüpft – Jupp Derwall hat’s vorexerziert.

Der Einstieg in die Handlung erfolgt mit großer Geduld und Zähigkeit, wirkt unscheinbar, ja zunächst fast läppisch. Lentz nähert sich seinen Themen sehr vorsichtig von den Rändem her, tastet behutsam den Alltag ab. Und der ist nun einmal grau.

Das Innere des Stadions sieht man erst zum Schluß. Fußball ist denn auch eher das geheime Zentrum der Handlung, gleichsam ein zuerst kaum sichtbares Gift, das in den Alltag einsickert. Auch daß die Geschichte im Revier spielt, wird nie in den Vordergrund gestellt. Wohhuend: Das Ruhrgebiet ist hier eine weder gebeutelte noch glorifizierte Selbstverständlichkeit; selbstverständliche Heimat auch für Kai, der hier Freunde gefunden hat und nicht schon wieder entwurzelt werden will. Unter anderem deshalb fängt er auch allmorgendlich den Postboten ab und versteckt vor seinem Vater die schmutzigen Drohbriefe enttäuschter „Freunde“ des Vereins.

Kai ist 14. Also liegt es nahe, daß dies auch, eine Pubertätsgeschichte ist. Der erste Suff, die erste Liebe, ersterer komisch, letztere leidlich gefühlvoll ins Bild gesetzt. Den Weltschmerz allerdings hat Lentz durch die Figur „Rico“, den sterbenskranken Freund Kais, ein wenig zu dick aufgetragen. Mit makabren Sprüchen und einer gehörigen Portion Melancholie gibt Peter Lohmeyer dem „Rico“ zwar einen gewissen Aufmerksamkeitswert. Warum die Figur als solche aber notwendig ist, bleibt bis zum Schluß unerfindlich. Vielleicht ist es die Leidenschaft für alte Hollywood-Klassiker, die Lentz wohl mit „Rico“ teilt, die allerdings auch zuweilen mit ihm durchgeht. Da gibt es – verzichtbar – eine ganze Schwarz-Weiß-Sequenz mit den US-Stars von „damals“.

Der Schluß: Durch ein mit Ach und Krach erkämpftes Unentschieden seiner Mannschaft- gegen den Hamburger SV kann der Trainer seinen Kopf noch einmal knapp aus der sprichwörtlichen Schlinge ziehen. Keine Rettung, eher eine Verschnaufpause. „Alles paletti“? Bis auf Weiteres.




Dortmunder Musikprofessor klagt über mangelnde Hilfe bei Europa-Projekt

Von Bernd Berke

Dortmund. Das „Europäische Jahr der Musik“ wird in Dortmund von Mißklängen begleitet: Bemüht, ein gemeinsames Konzert von Musikstudenten aus zehn Ländern finanziell abzusichern, hat die Dortmunder Uni gleich mehrfach Abfuhren bekommen.

Weder das Bonner Bundesbildungsministerium noch der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) wollen das Vorhaben finanziell unterstützen, klagt Organisator Willi Gundlach, Dortmunder Professor für Musik und ihre Didaktik. Gundlach enttäuscht: „Zuwendungen hätten auch Anerkennung bedeutet“. Verdächtig, aber „nicht beweisbar“ (Gundlach): Das Bundesbildungsministerium scheint die Idee aus Dortmund auch noch kopiert zu haben, ließ doch Ministerin Dorothee Wilms (CDU) mitteilen, Bonn wolle ein international besetztes Studentenkonzert unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten aufziehen, und zwar ausgerechnet im Juni, wenn auch die Dortmunder Aufführung (26.6. in der Reinoldikirche) steigen soll. Prof. Gundlach: „Darüber haben wir uns wirklich geärgert“.

Hintergrund: Aus Anlass des „Musikjahrs“ sollen 78 Studenten aus den Partnerstädten  Dortmunds und von den Partner-Unis der Dortmunder Hochschule für eine Woche in der Westfalenmetropole mit 60 „Einheimischen“ zusammen Händels „Messias“ auf Schloß Nordkirchen gemeinsam für die die Aufführung in der Reinoldikirche einstudieren.

Mitwirkende werden u.a. aus Rostow (UdSSR), Buffalo (USA), Stettin (Polen), Novi Sad (Jugoslawien), Pisa (Italien), Norwegen und den Niederlanden erwartet ein beispielhafter musikalischer Akt der Völkerverständigung also. Gratis ist er allerdings nicht zu verwirklichen. Zwar entstehen den Dortmunder Veranstaltern keine Anreisekosten (die tragen die Herkunftsländer der Teilnehmer), wohl aber Aufwendungen für die Unterbringung. Geschätzter Gesamtbedarf: 33 000 DM. Davon tragen das NRW-Kultusministerium 10.000 DM (Minister Schwier ist auch Schirmherr), die Stadt Dortmund 5000 DM, die 60 beteiligten Dortmunder Studenten weitere 6000 DM. Hofft Prof. Gundlach: „Wir werden gerade über die Runden kommen“.

Erstaunt war man beim KVR in Essen über die Klage aus Dortmund. Wie Bernhard von Schmettow, Leiter der Abteilung Landeskunde und Kultur und damit zuständig für Anträge auf Förderung, gestern gegenüber der WR versicherte, habe man von einem solchen Projekt „noch nie gehört“.




50 Nächte Streß für Kunstwerk im U-Bahn-Tunnel – Streckenposten sind immer dabei

Von Bernd Berke

Essen. Sein neuestes Projekt hält dar Essener Künstler Karsten Wolter (43) nur durch, „weil ich sonst sehr gesund lebe“. In rund 50 durchstreßten Nächten will Wolter ein 280 Meter langes Farbkunstwerk auf freier Strecke an die Wand eines Essener U-Bahn-Tunnels sprühen. Da Walter nur dann zu Werke gehen kann, wenn keine Bahnen fahren; muß er jeweils zwischen 0.15 Uhr und 3.30 Uhr ran.

Genau 25 Sekunden lang werden die Fahrgäste (bei durchschnittlichem U-Bahn-Tempo) künftig das Riesengemälde an sich vorüberziehen sehen, hat Walter ausgerechnet. Doch noch ist es nicht so weit. Wegen der kühlen Witterung der letzten Tage haftete die Fassaden-Dispersionsfarbe nicht an den Tunnelwänden. Erst wenn das Thermometer konstant über 5 Grad plus anzeigt, kann Walter sein gigantisches Werk fortsetzen.

Und so soll es im fertigen Zustand ungefähr aussehen: Zwischen den U-Bahnhöfen Porscheplatz und Hauptbahnhof – meistbefahrene Teilstrecke Essens – taucht plötzlich ein mattes Rot auf, verstärkt sich zusehends, und geht über die Zwischenstufe „Violett“ allmählich in Blau über. Inmitten der Farbstufung taucht der Schriftzug „Folkwang eint die Künste“ auf. Walter bezeichnet die mögliche Wirkung als eine ganz eigentümliche Art von „Strecken-Orientierung“, als meditatives Erlebnis „eines Stückchens Sicherheit“ im schier endlosen Tunnel, das die unterirdische „tote Sachlichkeit“ auf angenehme Weise unterbreche.

Der „Spezialist für gesprühte Farbverschmelzungen in Übergroße“ (Wolter über Wolter), der auch schon sein Wohnhaus in der Essener Eduard-Lucas-Straße monumental besprühte, scheut keinen Aufwand für seine nächtliche Aktion. Auf der Basis eines Streckenfahrzeugs der Essener Verkehrsbetriebe hat er sich eigens einen „Beleuchtungszug“ konstruiert. Mit einem weiteren Schienen-Spezialwagen steuert er nächtens seine Arbeitsstelle an und bringt die nötigen Materialien vor Ort. Schließlich hat Walter auf ein drittes Gefährt eine U Bahn-Attrappe montiert, deren Umrisse er an die Wand projizieren kann, so daß sich das Gemälde später in der bequemsten Sichthöhe befinden wird. Kostenpunkt für den Künstler: 10000 DM. Wolter. „Das ist durchs Honorar abgedeckt.“

Wenn der gelernte Designer zu nachtschlafender Zeit im Tunnel arbeitet, ist stets ein Streckenposten dabei. Die Bahnleute „nehmen meine Aktion ernst und haben mir bei den Vorarbeiten schon manches Mal geholfen“, freut sich Walter. Besonders das Kabelziehen habe sich als eine der anstrengendsten Arbeiten erwiesen: Spritzpistole, Kompressor, Gebläse, Farbrührgerät – alles funktioniert nur elektrisch. Eine Stromzapfstelle aber gibt es dort unten nur alle 50 Meter.




Cappenberg soll mit Ausstellungen auch Großstädten Konkurrenz machen

Von Bernd Berke

Cappenberg. Mit Schloß Cappenberg als Ausstellungsort will es der Kreis Unna „verstärkt mit großstädtischen Angeboten aufnehmen“. Neben Ausstellungsprojekten, die vorwiegend aus Berlin übernommen werden, soll künftig eine neue Konzertreihe in Zusammenarbeit mit dem WDR das ehemalige Schloß des Freiherrn vom Stein zum kulturellen Anziehungspunkt machen. Diese Ziele und Pläne nannte gestern Prof. Dr. Otto Krabs, Kreisdirektor und Kämmerer des Kreises Unna.

Prof. Krabs zog eine günstige Zwischenbilanz. Das Schloß hatte bekanntlich bis 1983 die Sammlung des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte beherbergt. Als diese nach Dortmund kam, pachteten der Kreis Unna und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) das freiherrliche Gemäuer. Seither hat man Krabs zufolge mit Ausstellungen wie „Nostalgie – warum?“ Besucherzahlen bis zu 18000 erzielt. Das Publikum komme aus ganz NRW. Besonderer Trumpf: Mit 2000 qm Ausstellungsfläche ist enorm viel Platz vorhanden. Grund genug für die eng mit dem Kreis Unna kooperierende Stiftung Preußischer Kulturbesitz, auch künftig größere Ausstellungen ins Westfälische zu exportieren.

Die nächste Ausstellung ist freilich eine Eigenveranstaltung des Kreises Unna: Vom 26. 3. bis 5. 5. 1985 werden fast 200 Zeichnungen, Aquarelle und Ölskizzen des 19. Jahrhunderts (u.a. Ludwig Richter, Spitzweg) die Schloßwände zieren. Es folgen 150 Landkarten und Globen „von Ptolemäus bis Humboldt“ (15. bis 19. Jh.) aus der Berliner Staatsbibliothek. Außerhalb Berlins wird diese Schau nur in Cappenberg (13.5. bis 23.6.1985) zu sehen sein. Gleichfalls aus der Spree-Metropole kommt im Juli ’85 Kleinkunst der „frühen Bergvölker aus Armenien und dem Kaukasus“ (Leihgeber: Völkerkundemuseum Berlin-Dahlem).

Die Leistungsschau des NRW-Kunsthandwerks, „Manu Factum 1985″, schließt sich im September an. Im November ’85 wird man Dokumente über den „Kreisauer Kreis“, eine Vereinigung (konservativer) NS-Gegner im Umfeld des „20. Juli“, zeigen. Außerdem: Plakate aus Israel, Skulpturen aus den Staatlichen Museen Berlin sowie die Ausstellung „Das China-Bild“, die aus Beständen der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und des Braunschweiger Anton-Ulrich-Museums bestritten wird.

Details der WDR-Konzerte (im Stein-Saal des Schlosses) sind noch Gegenstand von Verhandlungen. Während im Stein-Saal Musik des 19. Jahrhunderts gespielt werden soll, bleibt die Cappenberger Stiftskirche der mittelalterlichen Musik vorbehalten.




Kipphardts „Oppenheimer“ zu aktueller Geltung gebracht

Von Bernd Berke

Wuppertal. Gleich zu Beginn wird offenbart, welche Laufbahn die Mitglieder des Untersuchungskomitees hinter sich haben. Angebliche kommunistische Umtriebe und vermeintliche „Bremsertätigkeit“ Robert Oppenheimers beim Bau der H-Bombe sollen keinesfalls von Unparteiischen ans Licht gebracht werden: Einer ist Direktor einer Atomfirma, ein anderer Ex-Staatssekretär im Kriegsministerium. Schon ist klar, daß das Verfahren zu Lasten des Physikers Oppenheimer ausgehen muß. Jetzt geht es nur noch um das „Wie“.

Auch 21 Jahre nach der Uraufführung sind die in Heinar Kipphardts Dokumentarstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ verhandelten Sachverhalte alles andere als „erledigt“. Das Stück behandelt am Beispiel Oppenheimers virulente Themen, obgleich es auf Dokumenten der McCarthy-Ära basiert: die Verantwortung des Wissenschaftlers, die Schnüffelpraxis eines sicherheitsbesessenen Staates, den Rüstungswettlauf.

Der Strenge des Stücks entspricht in Wuppertal das nüchterne Bühnenbild: Ein symmetrischer, beinahe „klinischer“ Raum, karge Sitzgelegenheiten. Auch die Regie (Martin Ackermann) drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern läßt behutsam den Text zur Geltung kommen. stülpt ihm richtigerweise keine ehrgeizigen szenischen „Erfindungen“ über. Dennoch sind die Gerichts-Szenen meist packend, obwohl doch „nur“ Argumente oder (Vor)-Urteile ausgesprochen werden und kaum Aktionen die Szene beleben.

Es überzeugt ein homogenes Ensemble ohne „Ausfälle“. Bernd Kuschmann spielt den Oppenheimer als weltgewandten Mann, der immer einsilbiger und passiver wird, weil er merkt, daß er sich an der falschen Front verteidigt. Nicht seine linksliberalen Sympathien belasten ihn, sondem seine Blauäugigkeit, die Atombombe aus „rein wissenschaftlicher“ Begeisterung zu bauen, ihre Anwendung aber bekämpfen zu wollen.

Der Sicherheitsausschuß: Rene Schönenberger als die Korrektheit in Person, Heiner Stadelmann als kalkulierender Manager, den die menschliche Seite nicht schert, dazu als Widerpart Publikumsliebling Heinz Voss, der – eine Art gütiger Großvater – die scheinbar naivsten, in Wahrheit aber scharfsinnigsten Fragen des Verfahrens stellt.

Idealbesetzungen im Rahmen des Wuppertaler Ensembles auch die Anwälte beider Seiten: Erich Leukert als Oppenheimer-Verteidiger, der seine Ungeduld zügeln muß, obwohl er die Absurdität des Verfahrens erkennt, Gregor Höppner als junger, fühlloser Karrierist, der Oppenheimer partout in die kommunistische Ecke drücken will, dazu Gerd Mayen und Günther Delarue mit weniger spektakulären, doch ebenbürtigen Leistungen. Unter den Zeugen ragen Hans Richter als Physiker Bethe und Horst Fassel als H-Bomben-Produzent Edward Teller hervor.

Zu kritisieren sind allerdings die Diaprojektionen. Solch‘ wohlfeile und naheliegende Bildeinblendungen hätte man nicht nötig gehabt. Mehrfach sehen wir den kriegslüsternen Ronald Reagan. Solche Verbindungslinien zu ziehen, gestattet das Stück von selbst. Ohne Bild-„Nachhilfe“.




Ruhr-Kultur für Bonns Meinungsträger – Regierung glänzte durch Abwesenheit

Von Bernd Berke

Bonn. Lang genug hat’s ja gedauert, doch nun macht das Ruhrgebiet in der Bundeshauptstadt mit Macht von sich reden – und das auch noch als Hort der Kultur. „Ruhrgebiet Kulturgebiet“ heißt der Vorstoß, mit dem der NRW-Minister für Bundesangelegenheiten, Günther Einert, die in Bonn natürlich zahlreich vertretenen Meinungsträger und Meinungsmacher aufs Revier aufmerksam machen will.

Gleich 1500 dieser „Multiplikatoren“, darunter allein 30 Botschafter, waren gestern Abend in der NRW-Landesvertretung (Bonn, Dahlmannstraße 2) zugegen, als Ministerpräsident Rau die Ausstellung eröffnete. Bundespräsident von Weizsäcker will die Exponate morgen in Augenschein nehmen. Für die illustren Gäste wurden vornehmlich Spitzenstücke etablierter Kultur aus Museen des Reviers nach Bonn gebracht, so aus dem Folkwang-Museum Essen Gemälde von Emil Nolde und Christian Rohlfs, Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck aus dem gleichnamigen Duisburger Museum, dazu Jugendstilexemplare aus dem Essener Plakatmuseum und Leihgaben aus dem Ikonen-Museum in Recklinghausen.

Ferner gab’s am gestrigen Eröffnungsabend einen Live-Querschnitt durch die Revier-Kultur: Das Bochumer Schauspielhaus zeigte seine Produktion „Wer nie bei Siemens-Schuckert war“, und mit „Teddy Technik“ war eine Rockband der Revierszene vertreten. Schließlich traten, flankiert von Kultusminister Schwier sowie den Revier-OBs Krings (Duisburg) und Reuschenbach (Essen), Galionsfiguren der Ruhrgebiets-Kultur aufs Podium: unter anderem Hansgünther Heyme (Essens künftiger Schauspieldirektor), Pina Bausch und der Filmemacher Michael Lentz.

„Befremdliches“ Desinteresse

Mit der nicht in allen Punkten reviertypischen Auswahl kam man der verwöhnten Bonner Prominenz entgegen. Mit aktueller Revier-Kunst, so vermutete man in Einerts Haus wohl zu Recht, kann man in Bonn „nichts werden“. Also mußten absolute Attraktionen her – ein Ansinnen, das den beteiligten Ruhrgebiets-Museen aus konservatorischen Gründen zunächst Bauchschmerzen bereitete.

Die Idee zu dieser bisher wohl umfangreichsten Kultur-Präsentation einer Region im Bonner Regierungsviertel, ist bereits fünf Jahre alt. Als 1984 der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) einstieg, gewann sie ihre jetzige Gestalt. Nun sind bis zum 19. April das Foyer und etliche Sitzungszimmer im Ministerium für Bundesangelegenheiten der Kunst vorbehalten. Für die Ausstellung (werktags zwischen 9 und 16 Uhr allgemein zugänglich) wurde allenthalben geworben. Das Plakat, eine Anspielung auf „Kunst und Kohle“, ziert zahlreiche Bonner Litfaßsäulen. Auch bei den Schulen wurde gezielt die Werbetrommel gerührt. Die Veranstalter hoffen nun auf etwa zwei- bis dreihundert Besucher pro Tag.

Vermißt wurden am Eröffnungsabend Spitzenvertreter der Regierungskoalition. Weder der Kanzler noch einer seiner Bundesminister ließen sich blicken. Landesminister Günter Einert fand derlei Desinteresse am Revier „auffallend und befremdlich“.




„Marktplatz Ruhrszene“: Literatur an der Wäscheleine, Schülerzeitung auf Video und vieles mehr

Von Bernd Berke

Bochum. Mit rund 150 Auftritten und Selbstdarstellungen in 80 Kojen hat von Freitag bis gestern der 4. „Marktplatz Ruhrszene“ etwa 9000 Besueher in die Bochumer Ruhrlandhalle gelockt. Vor zwei Jahren waren 12 000 Besucher in die Essener Grugahalle gekommen.

Die Talentbörse des Reviers wurde in Bochum erstmals auf drei Tage ausgedehnt. Am Freitag hatte der „Schulhof Ruhrszene“ Premiere, bei dem Schulklassen aus dem Revier ihre Künste vorführen konnten, darunter gar eine „Schülerzeitung auf Video“. Die jüngsten Teilnehmer des „Schulhofs“ waren 10 Jahre alt. Gestern wurde beschlossen, diese Talentprobe der Allerjüngsten zum festen Bestandteil des „Marktplatzes“ zu machen.

Neu gegenüber den ersten drei Marktplätzen in Dortmund, Essen und Hamm war auch die Einrichtung eines eigenständigen Literatur-Forums, als dessen sichtbarste Ankündigung eine 50 Meter lange „Wanne-Eickeler Literaturschlange“ auf einer Wäscheleine hing. Zwar etwas abseits im „Judo-Raum“ der Halle postiert, hatten die Autoren diesmal immerhin keine übermäßige Stimmgewalt nötig, um gegen die wieder besonders vielfältig vertretene Rockmusik anzukommen. Der Gelsenkirchener Arbeiterdichter Richard Limpert machte sich allerdings einen verbitterten Reim darauf: „Die Literaten sind geprellt, hinterm Lokus abgestellt“.

Auf der Bühne 3, die der Kleinkunst vorbehalten war, konnten am Samstag vor allem die Dortmunder Blasmusiker von „Atemgold“ und die Duisburger Travestie-Truppe „Pink Chatal Revue“ das Publikum für sich gewinnen. Exotisches war ganz offensichtlich „angesagt“.

Zwischen Bauchrednern, Clowns, Feuerschluckern, Kabarettisten, Musikern (von Rock bis Renaissance), Pantomimen, Puppenspielern, Tänzern und Zauberern aus dem Revier sorgten gestern unter dem Motto ..Szene der Nachbarn“ auch Amateure und Halbprofis aus anderen Ländern und Regionen für Abwechslung. Folkore aus der Türkei, Griechenland, Spanien und Afrika gehörten ebenso dazu wie etwa „plattdeutsche Disco-Musik“ made in Papenburg. Ziel des Veranstalters (Verein „Pro Ruhrgebiet“): Die Ruhr-Szene solle nicht ausschließlich „im eigenen Saft kochen“.

Für den „Marktplatz Ruhrszene“ muß, zumindest bei den Auftrittswilligen, kaum noch geworben werden. Dermaßen etabliert, wird sich der „Marktplatz“ allmählich auch selbst „historisch“. So kamen unter dem Titel „Ruhrszene-Spitze“ einige der erfolgreichsten Gruppen der letzten Jahre, darunter vor allem solche aus Dortmund („Ace Cats“, „Rocktheater Nachtschicht“, „Acoustic Groove Band“), erneut ins Programm.

Vom Erfolg der Letztgenannten können die meisten der über 1000 Mitwirkenden nur träumen. Immerhin war Fachpublikum (Konzertveranstalter, Plattenproduzenten) angereist, darunter – zur Überraschung aller – sogar Talentsucher eines belgischen Privatsenders namens „Distel“.




„Ornamenta Ecclesiae“: Unermeßliche Kirchenschätze in der Kölner Kunsthalle

Von Bernd Berke

Köln. Kuriere aus dem Vatikan und Leningrad trafen noch am Dienstagabend mit kostbarer Fracht in Köln ein. Sie brachten die letzten, sehnlichst erwarteten Teilstücke zu einer Ausstellung, die ihresgleichen sucht: „Ornamenta Ecclesiae“ versammelt bis zum 9. Juli in der Kölner Kunsthalle am Neumarkt über 600 Exponate, vornehmlich aus romanischen Kirchenschätzen (9. bis 13. Jahrhundert).

Gegliedert ist die Präsentation klerikalen Reichtums in eine Trilogie mit acht Unterabteilungen. Eine der interessantesten heißt auf lateinisch „Fabrica“ und bringt Belege zur Produktion und Funktion der Künste im frühen Mittelalter bei. Gleichsam ein Einblick in die Werkstatt der Künstler, die – keineswegs so „anonym“, wie bislang angenommen – sich bereits damals häufig selbst(bewußt) abbildeten.

Das Eingangs-„Kapitel“ der Ausstellung ist freilich generell dem Weltbild des Mittelalters gewidmet. Gleich zu Beginn eines der vielen sensationellen Exponate: das „größte Buch der Welt“, der sogenannte „Codex Gigas“ aus der Königlichen Bibliothek Stockholm. Mit seiner Satans-Darstellung verdeutlicht er auch die Position der Kunst: Sie hatte zu jener Zeit ausschließlich religiösen Gesichtspunkten zu dienen.

Verblüffende Entsprechungen

Etwa ein Drittel der Ausstellung rankt sich um die Stadt Köln und ihre künstlerische Blüte in der Romanik. Zahllose goldene und elfenbeinerne Reliquienbehälter sind hier ebenso zu sehen wie wertvolle Bilder-Handschriften. Eine andere Abteilung weitet den Blick sowohl geographisch als auch historisch. Sie verdeutlicht, wie konkret die Zusammenhänge zwischen antiker, byzantinischer und romanischer Kunst gewesen sein müssen. So findet eine römische Goldbüste des Mark Aurel ihre verblüffend direkte Entsprechung in der Romanik.Die Abteilung „Liturgica“ zeigt kostbare Gewänder und Geräte, die im Verlauf einer Meßfeier Verwendung fanden.

Anlaß für die Ausstellung ist der 40. Jahrestag des Kriegsendes und damit des Wiederaufbaubeginns für die zwölf romanischen Kirchen Kölns. Blumige Worte fand Prof. Hugo Borger, Generaldirektor der domstädtischen Museen: Von Geld (sprich, Versicherungssummen) solle hier gar nicht die Rede sein, denn in Köln mache „der Geist die Geschichte“. Anton Legner (Chef des Schnütgen-Museums), „Vater“ dieser sechs Jahre lang vorbereiteten Ausstellung, ordnete die Schau gleichfalls in einen eher kultischen Zusammenhang ein. Sie solle „das innere Schauen“ befördern. Dann kam er auf den Boden der Tatsachen: Der Domschatz von Halberstadt (DDR) könne nicht in Köln gezeigt werden. Grund: DDR-Verärgerung über die Beteiligung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Der dreibändige Katalog kostet 65 DM, die Ausstellung ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.




Buchheim hält Gerichtstag ab – „Boot“-Autor drehte eigenen Dokumentarfilm über den U-Boot-Krieg

Von Bernd Berke

„Den einzelnen Kriegsteilnehmer glorifizieren, die Verführer aber dekuvrieren“ (aufdecken, entlarven) – dieses fürwahr zwiespältige Ziel hat sich Lothar-Günther Buchheim, derzeit wegen des „Boot“-Dreiteilers in aller Munde, gesetzt – für seine Dokumentation „Zu Tode gesiegt“ (WDF, 22.15 Uhr).

Buchheim gibt hier vor allem einer (Un-)Person die Schuld am Untergang der deutschen U-Boot Flotte und am Tod vieler tausend Soldaten im 2. Weltkrieg: Großadmiral Dönitz, dem Befehlshaber des Seekriegs. Sobald Buchheim, der zwischen den dokumentarischen Teilen immer wieder mal in Strickjacke an seinem Schreibtisch gezeigt wird, auf „den Totmacher“ Dönitz zu sprechen kommt, entlädt sich sein ganzer bebender Zorn. Vorbei ist es dann mit der scheinbaren Gemütlichkeit am Schreibtisch. Buchheim, im Innersten verwundet, hält Gerichtstag.

Die Dokumentation war fester Bestandteil des Vertrags zwischen Buchheim und der ARD. Wird das „Boot“ ausgestrahlt, so der Autor, dann darf eine ergänzende Recherche im historischen Umfeld nicht fehlen. An diesem Anspruch, um dessen Erfüllung sich Buchheim freilich nur zu später Stunde in den dritten Programmen bemühen kann, muß „Zu Tode gesiegt“ gemessen werden. Und da stellen sich bei mir Bedenken ein.

Immer wieder muß Buchheim während des Films Abbitte dafür leisten, daß die Bilder niemals den vollen Schrecken des Krieges wiedergeben können. In der Tat: Oft ist das schiere Gegenteil der Fall. Da dokumentarische Aufnahmen vom U-Boot-Krieg mangels Alternative meist aus propagandistisch vorgefiltertem Materiai stammen, gehorchen sie einer „Ästhetik“, die sich am blanken Stahl und dessen Zurichtung zu technischer Perfektion berauscht.

Man muß Buchheim zugute halten, daß er diese Schwächen selbst benennt und auch nicht mit dem Eingeständnis hinter dem Berg hält, heute noch seltsam fasziniert zu sein, wenn er Bilder vom U-Boot-Krieg sieht. Er hätte es allerdings kaum aussprechen müssen. Beredt nämlich ist, was er da ins Unreine spricht. Ungebrochen verwendet er den Begriff des „Helden“, der so manche Geleitzugschlacht geschlagen habe. Wie von einer Obsession geleitet, spricht er von „Prankenschlägen“, die die See austeile, spricht er gar von der „Natur“ eines Waffensystems und nennt einen altgedienten U-Boot-Kommandanten „einen alten Barsch“. Der Krieg ein Naturereignis, gesteigertes Lebensgefühl in der Hölle?

Buchheim, so zeigt sich, ist immer noch zutiefst betroffen und ‚besessen von „seinem“ Thema. Daher ist „Zu Tode gesiegt“ nicht so sehr Dokumentation als bewegendes, grundehrliches Bekenntnis. Ungeglättet wie die rauhe See, läßt der Film aber wenig Raum für gedankliche Distanz und Klärung.