Nuancen des Rot – Retrospektive über Rupprecht Geiger

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Solche, die sich wie Rupprecht Geiger über weite Phasen des künstlerischen Schaffens auf Nuancen einer einzigen Farbe konzentriert haben, dürfte es selten geben.

Nachdem Geiger lange Jahre mit der quasi-musikalischen „Kontrapunktik“, dem Spektrum zwischen Widerstreit und Gleichklang mehrerer Farben experimentiert hatte, widmete er sich immer ausschließlicher dem Rot, dessen Dimensionen er rundum ausgeschritten und das er konsequent bis zum Farb-Raum vorangetrieben hat.

In der Düsseldorfer Kunsthalle, wo jetzt die bislang größte Retrospektive auf das Lebenswerk des heute 77jährigen zu sehen ist (bis 21. Juli), ist ein solcher Farb-Raum ganz real vorhanden: ein voluminöses, blutrotes Zelt („Rote Trombe“, 1985).  Auf daß man ganz und gar in der Farbe „baden“ kann, empfiehlt sich die Benutzung einer bereitliegenden Decke. Für den, der sich unter und in das Farbzelt legt, existiert nur noch reine, abstrakte Farbe.

Geiger begann in den 40er Jahren als Kriegsmaler in Rußland und Griechenland. Schon für diese frühen Jahre bringt die Ausstellung Belegstücke bei. Der gelernte Architekt, in dieser Zeit Autodidakt der Malerei, schuf damals Landschaftsstudien, in denen sich die spätere Autonomie der Farbe schon ankündigt.

Im Lauf von Geigers Auseinandersetzung mit surrealistischen Strömungen gegen Ende der 40er Jahre verschmelzen solche Farbwerte noch nahtloser mit der Vorstellung eines seelischen Innenraums. In Trümmerdeutschland, 1949, war Geiger Mitglied der Münchener „ZEN“-Gruppe, der auch Willi Baumeister und Fritz Winter angehören. Bereits in diesen Jahren, und damit wohl als einer der ersten Künstler überhaupt, arbeitete er mit „shaped canvases“, mit Bildträgern also, die vom Rechteck- oder Quadratformat unregelmäßig abwichen. Im Kontext der Düsseldorfer Ausstellung wird greifbar deutlich, daß sich auf diesen zurechtgeschnittenen Leinwänden gleichsam Ausbruchsversuche, ja Befreiungen der Farbe ereignen. Die Abkehr vom konventionellen Bildzuschnitt bedeutete zugleich eine weitere Verselbständigung des Grundelements „Farbe“.

Als Geiger später zu rechteckigen Formaten zurückkehrt, scheint die Farbe gleichsam „gereinigt“ von allen Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten. Nun werden die (meist titellosen) Bilder zu meditativen „Reiseführern“ ins Absolute, die mit Leuchteffekten den Blick bannen.

 

 




Düsseldorf: Kunstmuseum weicht in den Kunstpalast aus – Einblicke in den Keller

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Diese Ausstellung hat manche Züge einer Verzweiflungstat. Das gerade im letzten Monat wiedereröffnete Kunstmuseum Düsseldorf zeigt mit „Zeitgenössische Kunst – Eine Perspektive“ (bis l. September) Teile dessen, was sich sonst im Keller verbirgt.

Das Institut platzt nämlich aus allen Nähten. Es wich mit dieser Schau demonstrativ in den gegenüberliegenden Kunstpalast aus, um vorzuführen, was es an aktueller Kunst in den letzten Jahren angeschafft hat und was seither im Depot der Offentlichkeit entzogen bleiben muß.

Dem gerafften Überblick haften – vom Blickpunkt rascher Kunstmodewechsel aus betrachtet – naturgemäß Zeichen der Verspätung an. Man sieht, was in den letzten fünf bis sechs Jahren am Kunstmarkt „gängig“ gewesen ist. Ein Resümee, kein Ausblick.

Zahlreiche Genres und Unterabteilungen der Jetztkunst sind vertreten. Keine bestimmte Richtung wird da favorisiert. Das weckt Neugier auf die Gesamtheit der Neuankäufe, für deren angemessene Präsentation sich Kunstmuseums-Direktor Hans-Albert Peters „mindestens 3000 Quadratmeter zusätzlicher Fläche erhofft.

Welches Konzept der Einkaufspolitik zugrunde lag, wird allerdings an Hand dieser Auswahl noch nicht so recht deutlich. Ein gewisser Kernbestand immerhin scheint sich aus neueren Arheiten der Düsseldorfer und Kölner „Szene“ zu rekrutieren. Sparzwänge vor allem waren der Grund dafür, daß man sich in der unmittelbaren Nähe umsah. Des weiteren werden etwa monochrome Malerei, minimalistische Bodenplastiken und Rauminstallationen ebenso vorgeführt wie vereinzelte Streifzüge durch die sich heftig gebärdende Gegenständlichkeit der frühen 80er Jahre.

Die meisten Namen haben am Markt mittlerweile einen guten Klang: von Ulrike Rosenbach ist das auf der Pariser Biennale vielbeachtete „Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin“ zu sehen, jene mittelalterliche Madonna, deren Bildnis auf eine Zielscheibe montiert ist, in der Dutzende von Pfeilen stecken.

Isolde Wawrin, Reinhard Mucha, Harald Klingelhöller – um nur einige zu nennen – sind ebenfalls feste Größen geworden. Der frühe Ankauf aktueller Kunst zu einem Zeitpunkt, als deren Urheber noch unbekannt waren, hat in einigen Fällen offenbar schon Früchte getragen.




Im soliden Mittelfeld der Kunst – „Exponata“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vom Kunstbetrieb und seinen diversen „Szenen“ fühlen sie sich immer mehr an den Rand gedrängt. Deshalb nehmen die Mitglieder im Berufsverband Bildende Künstler (BBK) Westfalen Süd/Nord ihr Ausstellungsschicksal dann und wann in eigene Hände.

Die größte Präsentation dieser Art bekam den hübsch-häßlichen Namen „Exponata“ (der eher einer Industriemesse anstünde) und hatte 1983 in Münster Premiere. Am Sonntag startet dort – im deutlich erweiterten Rahmen – die „Exponata ’86“.

Hält man sich am Hauptbahnhof schräg rechts und biegt man in die Mauritzstraße ein, so ist man schon auf dem langen „Kunst-Weg“, der sich quer durch die Innenstadt schlängelt und bis zur Orangerie und den Freilandskulpturen im Schloßgarten reicht. Diesmal räumten auch dreizehn Kaufleute am Prinzipalmarkt ihre Schaufenster komplett für Kunst aus Westfalen.

Die mit rund 570 Arbeiten fast aller Genres vertretenen 141 Künstler aus dem Raum zwischen Münsterland und Siegen, Dortmund und Detmold stehen nicht für die international marktgängigen „Spitzen“, sondern für jene achtbare Kunst, die in dieser Region tagtäglich entsteht. Ausgesprochene Stars fehlen, Dilettanten gleichfalls. Vom „soliden Mittelfeld“ der Kunst spricht denn auch der Dortmunder Roland Altmann, Öffentlichkeitsarbeiter des hiesigen BBK.

Offensichtlich wurde diesmal nach strengeren Kriterien ausjuriert als noch beim „Schnellschuß“ 1983. Auch der Altersdurchschnitt der Künstler ist gesunken. Gleichwohl ist die „Exponata“ eine der ganz wenigen Ausstellungs-Gelegenheiten, auf die auch noch über 70jährige zurückgreifen können, die natürlich nicht mehr im Schickeria-Trend à la Köln oder Düsseldorf liegen. Zugleich scheint beim BBK ein leidlich frischer Wind zu wehen. Immerhin rund 40 Prozent der Künstler waren 1983 noch nicht dabei. Einen „harten Kern“ gibt es aber auch.

Trends oder auch nur Schwerpunkte sind schwerlich auszumachen, ging es den (durchweg ehrenamtlichen) Organisatoren aus dem Verband doch gerade um die Pluralität (Vielfalt) der Aussageweisen und Stilrichtungen. Kein Drängen ist daher spürbar, schon gar keine Aufbruchstimmung. Es geht eher um Selbst-Bestätigung. Vielfach charakteristisch: ein manchmal sympathisch-konsequent, seltener auch hausbacken oder halsstarrig wirkendes Beharren auf altvertrauten Mitteln.

Erfreulich ist, daß hier – neben einer ganzen Reihe von Dortmundern – zahlreiche Künstler aus Südwestfalen zum Zuge kommen, die ansonsten überregional keine „guten Karten“ haben.

Etwas verstimmt zeigen sich die Veranstalter über die Haltung des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, das dem BBK aus Konzeptgründen seine Pforten nicht öffnen mochte. Auch dies also ein Ziel der „Exponata“: der Leitung des renommierten Museums zu zeigen, daß es sich doch gelohnt hätte.

„Exponata ’86“. 8. Juni bis 3. August: Rathaus, Stadthaus-Galerie, Landeshaus, Orangerie, Uni-Hörsaalgebäude, Volksbank-Galerie – bis 28. September im Schloßgarten und im Botanischen Garten.




Stocksteife „Mahagonny“-Oper: Holzfäller erscheinen im Frack

Von Bernd Berke

Duisburg. Wer „seinen“ Brecht in- und auswendig zu kennen glaubte, bekam ihn jetzt wieder einmal überraschend anders gewendet.

Was vorgestern in der Duisburger Mercatorhalle und gestern im Festspielhaus Recklinghausen als „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ firmierte, war, was die Stimmlage der Gesangsdarbietungen angeht, eine eher konventionelle Oper. Als „Oper“, die freilich die Gattungsgrenzen gesellschaftskritisch hätte sprengen sollen, hatten Bert Brecht und Kurt Weill „Mahagonny“ in der Tat gedacht.

Beteiligt waren das Kölner Rundfunkorchester (Leitung: Jan Latham-König), das Vokalensembles der Staatlichen Musikhochschule Köln, ein Sprecher und acht Gesangssolisten, darunter die besonders als Wagner-Interpretin bekannt gewordene Anja Silja als Hure „Jenny“. Harald Banter produzierte im Rahmen des Rheinischen Musikfests ’85 für den WDR, Regle führte Adolf Dresen. Übermenschliche Regieanstrengungen waren freilich kaum vonnöten, handelte es sich doch um eine konzertante Aufführung ohne Bühnenbild und gespielte Handlung.

Musikalisch war das zweifellos aller Ehren wert und selbst für orthodoxe Brecht-Enthusiasten zumindest interessant, weil so ganz anders als in der Song-Tradition umgesetzt. Die Geschichte mit den Holzfällern aus Alaska, die in der Stadt Mahagonny ein himmlisch-höllisches Genußparadies vorfinden (einzige Todsünde ist es dort, kein Geld zu haben, sonst ist „alles erlaubt“), von zwangsläufig stocksteifen Akteuren in Fräcken vortragen zu lassen, wirkt aber doch reichlich seltsam. Im Vordergrund standen ganz eindeutig die schönen Klänge, kaum einmal ein distanziertes „Vorzeigen“ des Textes im Sinne Brechts.

Ohne szenische Elemente wirkte die Aufführung über lange Strecken blutarm und „ausgedünnt“. Hier eine hilflos unterstreichende Geste der Solisten, dort ein paar aufgesetzte Gags (heftige Betätigung einer Windmaschine, horrender Pistolenknall) sowie Diaprojektionen können das fehlende Drumherum lediglich vage herbeizitieren.

Am Sonntag, 9. Juni, strahlt der WDR die Produktion von 20.15 bis 23 Uhr in seinem 3. Hörfunkprogramm aus.