Zwischen der verordneten und der innigen Trauer – Arbeiten von Joseph Enseling im Stadtmuseum Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Eine Brunnenfigur in der Essener Muster-Gartenstadt „Margarethenhöhe“ stammt von ihm, ein Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges in Unna gleichfalls. Die Ruhrkohle AG besitzt mehrere seiner Skulpturen, und auch auf verschiedenen Revier-Zechen und Friedhöfen stehen oder standen solche Statuen.

Wer ist der „große Unbekannte“? Der Bildhauer Joseph Enseling (1886-1957), gebürtiger Coesfelder, der jedoch vor allem im Revier Spuren hinterließ. Aus Anlaß seines 100. Geburtstags zeigt Düsseldorfs Stadtmuseum (Bäckerstraße 7-9) die allererste Enseling-Einzelausstellung (bis 5. Oktober). Der Katalog (20 DM) enthält auch ein erstes Werkverzeichnis, das 150 Arbeiten umfaßt.

Enseling war wichtigen Kunstgruppierungen des beginnenden 20. Jahrhunderts verbunden, gehörte zum Umkreis des „Jungen Rheinland“, lehrte an der Kunstgewerbeschule Essen (spätere Folkwangschule). Wie viele andere Künstler, die damals entscheidende Impulse erhielten, legte auch der gelernte Schreiner Enseling vor allem Wert auf handwerkliche Grundlagen.

Übrigens: Selbst u. a. bei Aristide Maillol „in die Schule gegangen“, war Enseling ab 1946 Lehrer an Düsseldorfs Kunstakademie. Auch ein gewisser Joseph Beuys lauschte dort seinen Vorträgen…

Von 1916-18, also noch mitten im Ersten Weltkrieg, war Enseling in Münster Gestaltungsberater in Sachen Ehrenmäler und verlegte sich selbst auf dieses Genre. Hinzu kamen Monumente der Arbeit im Ruhrgebiet, wie jener riesige „Eisenhüttenmann“ (1939), der heute in der Mannesmann-Zentrale in Düsseldorf steht und sich fürs Museum als zu schwergewichtig erwies.

Bei den rund 50 Exponaten in Düsseldorf fallt durchgehend die solide Gestaltung auf. Weniges, darunter eine Hindenburg-Porträtbüste, weckt ungute Assoziationen. Die Arbeiterdarstellungen vermitteln oft eine seltsame Spannung zwischen Heroismus und „klassischer“ Schlichtheit. Am gegenwärtigsten wirken jene Skulpturen, die nicht eine öffentlich ausgestellte oder verordnete Denkmals-Trauer, sondern innigere Formen des Gedenkens verkörpern. Beispiel: die „Trauernde Frau“, ein Essener Privatgrabmal.




Halluzinationen des Alltags – die Bildwelt von Karl Horst Hödicke

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Der Alltag steckt voller Mythen, Märchen und Magie. Und: Gerade in den unscheinbarsten Banalitäten kündigen sich die schlimmsten Katastrophen an. Oder ist es doch umgekehrt? Erweist sich als harmlos, was katastrophal schien?

Nichts ist ohne Hinter-, Neben- und Doppelsinn in der irritierenden Bildwelt Karl Horst Hödickes. Jetzt bietet sich in Düsseldorf die Gelegenheit zu entsprechenden Rätselfragen. Die Kunstsammlung NRW zeigt mit 45 Gemälden, Skulpturen und Objekten (bis zum 21. September, Katalog 30 DM) eine Retrospektive des 48jährigen, der in den letzten Jahren zumeist als „Vater der Neuen Wilden“ gehandelt wurde – eine unzulässige Verkürzung, wie sich nun zeigt.

Hödicke widmete sich schon in den 60er Jahren der Figürlichkeit, als die meisten sich abmühten, hochfliegende Kunst-Theorien vom Ende des Tafelbilds zu „reflektieren“. Schüler des Tachisten Fred Thieler, bezog Hödicke von Beginn an die Trieb- und Fliehkräfte spontaner Malgestik mit ein. Vielfach ergab dies verblüffende Überblendungen des abstrakten und des gegenständlichen Expressionismus.

Hödicke verarbeitete vielerlei Einflüsse. Ein frühes Werk wie das dynamische Menschen- und Gestengeflecht „Am großen Fenster“ (1963) bezieht deutliche Anregungen von Max Beckmann. 1965 experimentierte er – Titel: „New York City?“ – mit Rastern à la Piet Mondrian, die er freilich ebenso eigensinnig variierte wie Picassos „Laufende Frauen am Strand“, denen er seine furiose „Vertreibung“ gegenüberstellt. Picassos schwellendes Formgefüge löst sich da vollends auf zu einem grellen, taumelnden Ausbruch. Auch Farbrinnsale, die beim Malprozeß entstanden, übertünchte Hödicke nicht.

Mit seinen Vexierbildern verspiegelter Großstadt-„Passagen“ griff Hödicke früh die Thematik der bedrohlich anonymen Metropolen auf, der er sich in den letzten Jahren wieder verstärkt zuwandte. Auf großformatigen Alltags-Halluzinationen scheinen Ur-Rituale, magische Praktiken und gefährliehe Tiere die Stadt zu erobern. Eine Frau bekommt ihre Geburtswehen mitten auf der Straße, bedroht von einem zähnebleckenden Krokodil und einem Auto, das gleichfalls wie eine Bestie wirkt.

Unter der dünnen Decke der Zivilisation brechen Dschungel und Wüste durch. Da starren offenbar hirnlose Monstren über die Berliner Mauer gen Osten (dicht vor der Mauer hat Hödicke sein Atelier – in einer Stadtödnis, die er „Wüste Gobi“ nennt). Auch die „Hausbesetzer“ (1983) werden zu sprungbereiten Bestien. Nicht denunzierend, sondern mythisch-märchenhaft auch dies: Die Gestalten sind nach dem Schema der „Bremer Stadtmusikanten“ aufgetürmt – ein für Hödicke typisches, ironisch-witziges Sinn-Spiel.

Harmlosigkeit und unterschwellige Bedrohung vermischen sich auch auf dem Bild „Telefonzelle“ (1982). Da könnte ebenso gut ein Mord verabredet wie ein Plausch gehalten werden. Und „Im Blaulicht“ (1983) fegt eine Gestalt durchs Bild, die Feuerwehrmann oder Todesbote sein könnte. Wie bei Standbildern eines Films, kann der Betrachter endlos Vorgeschichten und Fortsetzungen weiterspinnen.




Archäologen ständig auf der Flucht vor Baggern – Erfolgserlebnisse bei Ausgrabungen in Westfalen selten

Von Bernd Berke

Münster. Die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sitzen gehörig in der Klemme, und zwar so: Rechts will ein Bauer endlich seinen Mais anbauen, links durchwühlen Bagger – zum Wohle der Konjunktur – das Erdreich nach verwertbarem Bausand; mittenmang, auf einem schmalen Feld, graben die Wissenschaftler fieberhaft nach Zeugnissen alter Kulturen. Sie sind „auf der Flucht vor dem Bagger“ in arge Zeitbedrängnis geraten.

Dies ungute „Spielchen“ müssen Forscher derzeit wieder einmal mitmachen, und zwar im Münsteraner Stadtteil Gittrup, wo zwar mögliche Funde aus einem halben Dutzend Geschichtsperioden (von der Zeit des Neandertalers bis ins frühe Mittelalter) geortet wurden, der Hektik wegen aber nur zu Bruchteilen ans Licht befördert werden können.

Motorräder rasen über die Fundstelle

Zu allem Überfluß sitzen den Ausgräbern hier nicht nur wirtschaftliche Interessen „im Nacken“; das winzige Areal, auf dem sich die Archäologen vermutlich nur noch kurz werden betätigen dürfen, wurde auch noch von Motorradfreaks als Sandbahn mißbraucht. Kurios: Das sie für Grabungen keine Zeit mehr haben, erfahren die Fachleute meist erst durch die Schaufelarbeit der Bagger von Fundstellen. Dann ist Eile geboten.

Beklagenswerte Probleme gewiß, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe da gestern einer Schar von Pressevertretem vor Ort erläutern wollte. Man stimmte jedoch nicht nur Klagelieder an, sondern wollte auch eins der mittlerweile raren Erfolgserlebnisse vermitteln, und zwar „live“. Das ging freilich schief. Eigens um auf die Medien zu warten, hatten die Ausgräber eine Stelle noch nicht angerührt, neben der kürzlich eine bronzezeitliche Gürteldose gefunden worden war. Die Gelehrten vermuteten an dieser Stelle weitere Schätze, die aber gestern nicht zum Vorschein kamen.

Bergung „live“ ging schief 

Wer immer zuvor geargwöhnt haben mag, die Archäologen würden halt fix noch etwas verbuddeln, um es dann triumphierend zu bergen, mußte Abbitte leisten. Rund um Gittrup, wie vielerorts in Westfalen, liegen zahlreiche Stätten, die für die archäologische Auswertung bereits unwiederbringlich verloren sind. Man weiß, daß hier z. B. riesige Urnenfelder existieren müssen, doch man kommt nicht mehr an sie heran. Entweder stehen auf den rekultivierten Sandflächen schon wieder Gebäude oder es wachsen dort Pflanzen. Wollte man hier graben, bekäme man es mit den Naturschützern zu tun. Wenn’s allerdings hart auf hart kommt, wenn etwa aufschiebbare Baggerarbeiten zum Schaden einer laufenden Archäologie-Grabung vorangepeitscht werden – dann riskiert man mit guten Aussichten auch schon mal einen juristischen Streit samt verwaltungsgerichtlichem Ortstermin an der Grabungsstelle.

Wühlmäuse vor Jahrtausenden

Angesichts all dieser Probleme ist um so erstaunlicher, was die Experten aus den dürftigen Spuren herauslesen, die sie bei ihren Notgrabungen gerade noch sichern können. Walter Finke, leitender Archäologe des Regierungsbezirks Münster, weiß zum Beispiel einige (für Laien kaum wahrnehmbare) Bodenverfârbungen als Spuren eines Pfluges zu deuten, der hier im Mittelalter durch den Acker gezogen wurde. Andere, etwa fünfmarkstückgroße dunkle Flecken, geben Finke Aufschluß über Wühlmäuse oder Maulwürfe, die hier vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden durch den Boden gewuselt sind. Im Vordergrund stehen freilich Grabstätten und -Beigaben, wie die – je nach Epoche – höchst unterschiedlich geformten Urnen. Solche Funde lassen auch Rückschlüsse auf vorzeitliche Besiedlungsstrukturen zu.

Doch so sehr man sich auch müht und modernste Analysemethoden anwendet – letztlich führt man mit Spachtel, Schippe und Pinsel einen wenig aussichtsreichen Kampf gegen die „gefräßigen“ Bagger. Walter Finke ist denn auch bescheiden geworden: „Manchmal freuen wir uns schon, wenn wir vage ahnen, was uns eigentlich verlorengeht.“




Westfälisches Literaturbüro plant Autoren-Zeitung und Messe der Kleinverlage – Seit einem Jahr Beratungsdienste in Unna

Von Bernd Berke

Unna. Zu einer festen Größe im Kulturleben ist das „Westfälische Literaturbüro“ geworden, das vor einem Jahr in Unna seine Arbeit aufnahm. Kaum hat man die Anfangszeit überstanden, reifen ehrgeizige Pläne: Von der Gründung einer Literaturzeitschrift für NRW ist die Rede, von einer Messe westfälischer Kleinverlage, die 1987 in Unna aus der Taufe gehoben werden soll. Die Rundschau sprach mit den „Literaturberatern“ des Büros, Franziska Groszer und Siegfried Mrozek.

Als die beiden vor Jahresfrist die unscheinbare Dachkammer in der Kreisbücherei bezogen, stapelten sich dort längst „mehrere tausend Blatt Manuskripte“ (Mrozek) von durchweg „namenlosen“ Autoren. Es bestand also großer Bedarf nach kundiger Beratung: „Wie gut sind meine Texte? Kann ich sie veröffentlichen?“ Solche und zahllose andere Fragen wurden gestellt,

Mrozek und Groszer, die wenig von „kurzlebigen Riesenspektakeln, dafür mehr von dauerhafter Kleinarbeit halten“ (Groszer), halfen mit Erfolg. Sie betätigten sich als „Vor-Lektoren“ für Texte aus privaten Schubladen, knüpften Kontakte zu Kultur-Institutionen, vermittelten Lesungen, wirkten an Lyrik-Treffen (z. B. in Hattingen und Wetter) und ähnlichen Veranstaltungen mit, regten die Bildung lokaler Schreibgruppen an – und spielten immer mal wieder „Seelentröster“. Auch bekanntere Autoren schauen bisweilen herein, wenn sie sich „festgeschrieben“ haben.

Kein Wunder, daß die Berater kaum noch zum Schreiben eigener Texte kommen – und ihre beiden halben Stellen reichen schon gar nicht hin, dies alles zu bewältigen. Überstunden sind die Regel.

Der jüngste Schriftsteller ist erst 14 Jahre alt

Die Klientel kommt aus allen Schichten: Sie reicht vom Schlosser, der in seiner Freizeit Kurzgeschichten verfaßt, über die Hausfrau, die sich an Romanen versucht, bis hin zu Studienräten und Anwälten mit lyrischer Ader. Siegfried Mrozek: „Es gibt Leute, die fast keine Schulbildung genossen haben und trotzdem in einer ganz einfachen Sprache phantastisch erzählen können – und es gibt Deutschlehrer, die keinen lesbaren Satz zu Papier bringen“.

Frauen gehören ebenso häufig zu den Ratsuchenden wie Männer. Die überwiegende Zahl der bisher betreuten 150 Autoren ist zwischen 25 und 40 Jahre alt. Der Jüngste war gerade 14, die Ältesten über 70.

Illusionen sind generell selten, „ansonsten ziehen wir ihnen gleich den Zahn“ (Mrozek). Zwar warf auch schon mal jemand seine Blätter mit der Bemerkung auf den Tisch, dies Meisterwerk habe gefälligst in einem renommierten Verlag zu erscheinen, und auch Meinungsverschiedenheiten über die Qualität von Texten ließen das Büro schon erzittern. Doch die allermeisten schätzen ihre Veröffentlichungs-Chancen sehr realistisch ein und vertragen Kritik. Natürlich werden auch hin und wieder Kitsch-Texte eingesandt. Deren Verfasser werden nicht zum Gespräch geladen, bekommen aber aufmunternde Briefe. Das Gros aber hat nach Auffassung der Berater zumindest literarische „Substanz“.

Finanziell fehlt es hinten und vorn

Nicht nur „Einzelkämpfer“ werden beraten, auch Kommunen gehören zur Kundschaft – etwa dann, wenn (wirklich vorgekommen) kein Mensch in einer großen Stadtverwaltung so recht weiß, wie man eigentlich einen Literaturpreis ausschreibt und organisiert. Doch nur eine einzige westfälische Gemeinde, nämlich Selm, ist zahlendes Mitglied im eingetragenen Verein „Literatur-Büro“ (Vorsitzender: NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen, „Vereinsblatt“ namens „Büroklammer“).

So mancher Stadtvertreter muß quasi „bekniet“ werden. Meist gilt, daß sich kommunale Kulturpolitiker lieber mit kostspieligen Auftritten berühmter Opernsänger schmücken als mit Literatur. Finanziell fehlt es, auch wenn NRW mit der Ausstattung seiner drei Literaturbüros (Unna, Gladbeck, Düsseldorf) bundesweit führend ist, „hinten und vorn“. Unna muß mit 75.000 DM pro Jahr auskommen, außerdem gibt es Zuschüsse und Sachleistungen der Stadt und des Kreises sowie (ganz selten) Spenden.

Künftig (erstmals am 18. September, 19.30 Uhr) veranstaltet das Büro jeden dritten Donnerstag im Monat ein Thementreffen in der Kreisbücherei Unna. Beim ersten Mal geht’s um Literatur für den Funk, im Oktober um Lyrik.

Hier die Adresse und die (neue) Telefonnummer: „Westfälisches Literaturbüro“, Am Markt 1, 4750 Unna, 02303/27 10 97. Übrigens: Das Büro steht jedermann offen, seine Dienste sind kostenlos.




Kunst aus dem Flugzeug macht den Himmel zur „unendlichen Leinwand“ – Kassel: Bestandsaufnahme der tollkühnen „Malerei im Äther“

Von Bernd Berke

Kassel. Vor der Kunst kam die Reklame: Anno 1927 war der Himmel über Deutschland voller Werbeflugzeuge, die in Riesen-„Dampf“-Lettern den Namen eines Waschmittels ans Firmament schrieben. Im August desselben Jahres stiegen (laut Bordbuch) sieben Doppeldecker des Düsseldorfer Konzerns auch über dem Ruhrgebiet auf; kaum ein Dorf in Europa blieb verschont. Das Schauspiel setzte die Massen in Erstaunen.

Selbst in Berlin guckte man so verwirrt ins Blaue, das sogar Verkehrsunfälle deswegen passierten. Wie aus den werbenden „Himmelsschreibern“ später „Himmelsmaler“, also Künstler wurden, zeigt jetzt erste größere Bestandsaufnahme überhaupt, eine Ausstellung des Kasseler Kulturamts.

Der Flug zur Kunst ging in den 60er Jahren ab, als man allenthalben die Grenzen des Museums sprengen und sich dem Alltag annähern wollte. Auf der Suche nach einer „unendlichen Leinwand“ durchpflügten etwa die Vertreter der „Land-Art“ ganze Äcker und Wüstenstriche. In diesem Umfeld kam auch die „Sky-Art“ (Himmelskunst) auf. Ältere Ahnen hat diese Kunstrichtung in den Futuristen und deren Bewunderung für grenzenlose Dynamik und Mobilität des Industriezeitalters.

Die mitunter bizarren Kondensstreifen ziviler und militärischer Donnervögel legten die Idee nahe, solche Zeichen ganz bewußt und nach ästhetischem Plan zu entwerfen. Gezeichnete Konzepte, die diese ansonsten sehr flüchtige Kunstrichtung dingfest machen, sind es vor allem, die neben vielem Foto-Dokumenten die Kasseler Schau ausmachen. Aber auch Comics sind zu sehen: Donald Duck, der Teufelskerl, bringt es – „rrroaaarrr!“ – sogar fertig, einen riesigen weißen Delphin ins Blau zu zaubern.

Die echten Himmels-Maler, das leuchtet ein, wollen „Kunst für alle“, wollen eine demokratische Kunst ohne „Schwellenangst“. Was sich „da oben“ künstlerisch tat und tut, ist in der Tat erstaunlich. Alle flugtechnisch denkbaren Figuren und Muster erschienen schon – günstige Wetterlage vorausgesetzt – am Himmel, meist von Piloten nach Künstlerplänen, seltener von tollkühnen Künstlern höchstselbst in den Äther gesetzt. Führend sind (wen wundert’s?) US-Amerikaner wie Steve Poleskie. Immerhin: Bei klarer Sicht will zur Ausstellungseröffhung am Samstag ein Deutscher (Jörg Steber aus Hamburg) seine Schleifen drehen.

Das Monopol auf Farbe haben immer noch die Militärs

Frappierend die Veränderangen, die die Himmelskunst den Bauten und Landstrichen angedeihen läßt. Durch einige richtig plazierte Himmelsstriche wirkt etwa der streng geometrisch abgezirkelte, altehrwürdige Kasseler Auepark samt Orangerie wie eine gigantische Science-Fiction-Landebahn. Oder: Der Schatten, den die dampfende Flugzeugspur zur Erde wirft, wird als „Boden-Zeichnung“ einkalkuliert. Wie Glücksräder lassen sich Steve Poleskies Konzept-Zeichnungen drehen, die gefährliche Kunst-Sturzflug-Situationen über Kasseler Gebäuden erlebbar machen.

Zahlreiche Arbeiten in der von Harald Kimpel aufgebauten Kasseler Ausstellung nehmen kritisch Bezug auf die militärische Durchdringung der Lüfte bzw. auf allfällige Vergitterung des Ausblicks (etwa durch Strommasten). Auch droben, so sieht man, ist die Freiheit eben keineswegs grenzenlos.

Apropos Militär: Luftwaffen wie die französische, die zu hohen Staatsfeiertagen die Farben der Trikolore aus Düsenmaschinen rinnen läßt, haben immer noch das Monopol auf Kolorierung am Himmel. Wie man es anstellt, daß die Farbpartikel sich nicht vom Dampf ablösen und auf entsetzte Zuschauer niederrieseln, haben die Künstler bis heute noch nicht herausbekommen. Einstweilen muß sich all ihre Kunstanstrengung also noch mit der Eigenfarbe des Himmels und draufgetupften Weiß-Effekten begnügen. Die ganz große Entfaltung der „Sky-Art“ steht daher womöglich noch bevor.

Ein Negativ-Kapitel ist der Umweltschutz. Zwar machen die Himmels-Maler inzwisehen ein großes Geheimnis aus der versprühten Mixtur, doch – so argwöhnt Ausstellungsmacher Kimpel – „ganz ohne schädliche Abgase wird es dabei wohl nicht abgehen.

Die originelle und seriöse Ausstellung (Kassel, Ständeplatz 16) dauert vom 9. August bis 14. September und ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet 20 DM.