„documenta 8″: Zurück zur historischen Bedeuteung – Konzept für die Weltkunstschau im Sommer ‘87 steht

Von Bernd Berke

Kassel. Grob gesagt: In den 70er Jahren hat die Kunst in theorielastigen „Selbstgesprächen“ ihre eigenen Mittel erwogen, in den frühen 80ern drängte sie mal wieder nach unverfälschtem Ausdruck. Und heute? „Die Kunst gewinnt wieder eine neue historische und soziale Dimension“ – mit dieser griffigen Formel versuchte gestern Manfred Schneckenburger, künstlerischer Leiter der „documenta 8″, sein Konzept für die „d 8″ zu umreißen.

Nicht Wahrnehmung und/oder deren Kritik, sondern Erinnerung stehe auf der Tagesordnung. Die „wilden“ Zeiten, so könnte man folgern, sind also vorbei; gefragt sind wieder Künstler, die sich in irgendeiner Form mit Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzen.

Vom 12. Juni bis zum 20.September 1987 soll die Kunstwelt wieder nach Kassel blicken, um womöglich die neuesten Stimmungen im Westen zu orten. Keinen Stil will Schneckenburger auf der „documenta“ in den Vordergrund stellen, denn eine dominierende Richtung sei derzeit gar nicht auszumachen. Auch soll es keine Gliederung nach Themen und Gattungen geben, sondern jedes Werk „soll ein Kraftfeld sein“, die Schau als ganzes ein vielfältiger „Erlebnisraum“ (Schneckenburger). Ansprüche, die derzeit noch im luftleerenRaum stehen und natürlich erst durch die Ausstellung eingelöst werden können.

Fest steht: Es werden weniger Künstler zum Zuge kommen als je zuvor bei einer„documenta“. Schneckenburger nannte gestern die Zahl 120, zu denen noch rund 20 Designer kommen sollen. Dem Design und der Architektur soll diesmal ein besonderes Gewicht zukommen. So werden einige prominente Museums Architekten Gelegenheit erhalten, in „szenischen Inszenierungen“ ihre Vorstellungen vom „idealen Museum“ umzusetzen. Der Museumsbau gilt dabei als die beispielhafte Bauaufgabe der 80er Jahre.

Nachdem die „documenta 7″ in großen Teilen der Parole „Es wird wieder gemalt“ gefolgt war, sollen diesmal auch Skulpturen verstärkt präsent sein. Auf diesem Feld ist u. a. „Kritik an der verbauten Stadt“ angesagt. So soll etwa Richard Serra Kassels fehlende Urbanitat künstlerisch „kommentieren“. Weitere Schwerpunkte: „Performance“ (Grenzgebiet zur darstellenden Kunst) und Videokunst sollen nicht mehr nur Garnierung, sondern „Hauptgerichte“sein.

Gibt es auch keine Aufteilung nach Themen, so ist doch geplant, „schwergewichtige“ von „heiterer und spielerischer“ Kunst abzugrenzen, etwa dem Schema von E- und U-Musik entsprechend. Das weite Spannungsfeld zwisehen Mythos und Politik soll im „Museum Fridericianum“ erlebbar werden. Risiken wie Pathos und Monumentalität will Schneckenburger hier ganz bewußt eingehen. Immerhin nannte er einige Namen: Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Robert Longo, aber auch „documenta-Neulinge“ wie Antony Gormley, Astrid Klein und Marie-Jo Lafontaine. Zum Leidwesen (nicht nur) Schneckenburgers verliert das „Fridericianum“, das zur Zeit zum ständigen Museum umgebaut wird, seinen unfertigen Charakter, mithin eine kunstförderliche Aura.

In der Orangerie und im Auepark soll es eher verspielt, mitunter auch ironisch und sogar dekorativ zugehen. Hier solfen u. a. Wechselwirkungen zwischen Kunst, Architektur und Design dargestellt werden.

350 000 bis 400 000 Besucher erhofft sich die „documenta GmbH“ (Etat: 7,15 Mio. DM). Damit die kulturbeflissenen Gäste aus aller Welt sich auch im abendlichen Kassel nicht langweilen, wird das Staatstheater seine Saison eigens um drei Wochen verlängern.




Wenn die Bundeswehr „Gesellschaft“ spielt – Stefan Dähnerts Stück „Herbstball“ uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein Theaterstück über die Bundeswehr – das tat wirklich not. Bemerkenswert, daß erst jetzt eins auf die Bühne kommt: „Herbstball“, geschrieben vom 25jährigen Stefan Dähnert, wurde am Samstag gleichzeitig in Wuppertal und Köln uraufgeführt.

Dähnert, Sohn eines Offiziers und selbst als „Kasernenkind“ aufgewachsen, verfährt nach erprobter Manier: Jedwede Ideologie läßt sich am besten da entlarven, wo man die Zügel schießen läßt, nämlich im Freizeitbereich. Also führt er uns auf besagten Herbstball im Offizierskasino, wo Alkohol die Zunge löst und die Gegenwart von Damen auch das „Thema Nummer eins“ ins Spiel bringt.

Bei dieser Festivität kann es natürlich nicht so subtil abgezirkelt zugehen wie etwa im Paare-Passanten-Reigen von Botho Strauß‘ „Trilogie des Wiedersehens“. Dähnerts Militär-Party ist schrill, grell und grotesk; am Ende des zweiten Teils rinnen gar Urin und Erbrochenes über die verheerend zugerichtete Bühne. Die stetige Steigerung des „Säuischen“ bleibt aber eine der wenigen „Entwicklungslinien“ in diesem Stück, das seltsam unstrukturiert und wie in einem Zug hingeschrieben wirkt. Es fehlen einfach die Spannungsbögen, die den Zuschauer drei Stunden lang in Atem halten könnten. Versuche, diesem Mangel (z. B. durch die Jagd auf einen Deserteur) abzuhelfen, bleiben schüchtern.

Der fast aphoristische, knappe Zugriff scheint hingegen Dähnerts Sache zu sein. Einzelne Passagen, messerscharfe Merksätze manchmal, weisen ihn als unerbittlichen Beobachter und Zuhörer aus. Die besten Szenen hat „Herbstball“ im ersten Teil, wenn noch nicht alles unterschiedslos in der Orgie ersäuft, sondern im geläufigen Party-Plausch die latente Gefàhrlichkeit reaktionärer Gesinnungen und Verhaltensweisen gerade erst durchschimmert. Ganz verkorkst ist aber die Schlußszene, in der ein idyllisches „Heimat-Konzept“ (Rekrut sehnt sich nach der Weinlese) als Gegenbild entworfen wird.

So desolat sieht Dähnert die Bundeswehr: Sie ist schizophren, weil auf etwas wartend, was nicht eintreten soll – auf den Ernstfall nämlich. Und: Sie ist immer noch von der Gesellschaft isoliert, quasi in der Wiederbewaffnungs-Zeit der 50er Jahre steckengeblieben. „Gesellschaft“ wird da eben nur gespielt, am deutlichsten bei Gelegenheiten wie diesem herbstlichen Ball. Gerade der enthüllt aber letztlich den Urgrund aus sexueller Verklemmung, Kampflust und Chaos.

Gastregisseurin Barbara Bilabel hat ein Gespür für Dähnerts grelle Bilder. Sie inszeniert in Wuppertal fast „filmisch“, in Totalen und Nahaufnahmen sozusagen: Sie wechselt zwischen dem Blick auf die ganze Party-Gruppe und intimeren Perspektiven, für die jeweils Einzelfiguren und Paare nach vorn „gezerrt“, vorgeführt und schließlich wieder in die Gruppe „zurückgestoßen“ werden. So wird das Stück wenigstens teilweise gerettet. Das gelungene Bühnenbild (Roger von Moellendorf) zitiert mit Clubsesseln und Bartresen die 50er Jahre.

Unter den Darstellem vor allem zwei, die einem den erforderlichen Schauer über den Rücken jagen: Horst Fassel als Oberst und – neu in Wuppertal – Andreas Peckelsen als Major.




In fünf Fabrikhallen wird Revier-Kultur produziert – „Flottmann“-Eröffnung am Wochenende in Herne

Von Bernd Berke

Herne. Alle Künste unter einern Dach – dieser Wunsch ist ab sofort auch in Herne, das bislang eher den Stiefkindern der Revierszene zuzurechnen war, keine Utopie mehr. „Flott nach Flottmann“ heißt der saloppe Slogan. Gemeint sind die Flottmann-Hallen, denkmalgeschützte Jugendstilarchitektur aus dem Jahr 1908 und ehemalige Fabrikgebäude. Früher wurde hier vor allem Bergmannsgerät hergestellt.

Ein flott laufendes Männchen mit Bohrhammer wurde denn auch zum Signet der neuen Einrichtung erkoren. Am heutigen Samstag (ab 16 Uhr) und Sonntag (ab 11 Uhr) – jeweils Ende offen – wird die Kulturschmiede mit großem Zirkus-, Theater- und Musikprogramm ihrer vielfältigen Bestimmung übergeben.

Der Komplex am Südrand Hernes umfaßt insgesamt fünf Hallen. Die Hallen 1 und 2 sind für vor allem Ausstellungen reserviert. Besonders freut dies den Leiter des örtlichen Emschertalmuseums, Dr. Alexander von Knorre, der hier, anders als im angestammten und beengten Hause, auch einmal größere Objekte vorzeigen kann. Den Auftakt machen elf Bildhauer aus dem Ruhrgebiet. „Skulptur Ruhr“ dauert bis zum 16. November und zeigt dreidimensionale, zumeist revierspezifische Arbeiten, vor allem künstlerische Auseinandersetzungen mit Massenprodunkten und industriellen Werkstoffen wie Metall.

Halle 3 soll – mit rund 250 Sitzplätzen – vor allem als feste Spielstätte für Willi Thomczyks „Theater Kohlenpott“ dienen, aber auch Gastspiele anderer (freier) Truppen sind geplant. Der Theater-Etat für 1987 beträgt 50000 DM („Kohlenpott“) plus 25 000 DM (Gastspielbetrieb). Konzerte, so u.a. eine Jazz- und eine Folk-Reihe, sollen gleichfalls Besucher in Halle 3 locken. Die Hallen 4 und 5 schließlich stehen u. a. für Breitensport und Spiel, eventuell für größere Kulturveranstaltungen zur Verfügung.

Umbaukosten von 3,4 Mio. DM (davon 2,2 Mio. Landeszuschüsse) waren erforderlich, um ehemalige Versandhallen, Schmiede und Schlosserei zu einem Kultur- und Begegnungszentrum umzubauen, das seine industrielle Vergangenheit ganz bewußt nicht unter den Scheffel stellt. Kein schnieker, aufpolierter Kulturpalast also, sondern ein durchweg robust sich gebender Bau, wie geschaffen für das anvisierte Zielpublikum der 16- bis 30jährigen, die – so wünscht man sich – möglichst aus der gesamten Region hierher strömen sollen. Der Programmbeirat (Vertreter der Stadt und Künstler) hat sich einiges vorgenommen: 22 Veranstaltungen sollen noch in diesem Jahr über die Bühne gehen, im nächsten Jahr sollen es rund 120 sein. Ein Kraftakt, ja ein Kunststück, auf das man ziemlich gespannt, sein darf – bei einem Gesamt-Jahresetat von gerade mal 95.000DM…

Mit Rock-Veranstaltungen gehobener Lautstärke wird man übrigens nicht aufwarten können. Die Hallen liegen nämlich mitten in einem Wohngebiet, und schon der Umzug der Flottmann-Fabrik von hier in ein Gewerbegebiet erfolgte 1983 vor allem aus Lärmschutzgründen.

Aus dem Raum Dortmund ist die Fabrik z. B. über die A 43 (Richtung Recklinghausen), Abfahrt Bochum-Riemke, dann Bochumer Straße in Richtung Herne, zu erreichen. Auf der rechten Seite, kurz hinter der Stadtgrenze Bochum/Herne, geht’s zur Flottmannstraße.