Die breite Straße des Realismus – Querschnitt durch die DDR-Kunst in Bonn

Von Bernd Berke

Bonn. Der DDR-Maler Bernhard Heisig stand gestern im Mittelpunkt des Interesses, als in der NRW-Landesvertretung an der Bonner Dahlmannstraße die Ausstellung „Menschenbilder – Kunst aus der DDR“ (bis 16. Januar ’87 in Bonn) vorgestellt wurde, die heute von Ministerpräsident Johannes Rau eröffnet wird.

Heisig hat Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt auf dessen Wunsch für die „Kanzlergalerie“ im Bundeskanzleramt porträtiert. Ein Schmidt-Porträt ist nun Blickfang der Ausstellung, ein weiteres wurde gestern im Kanzleramt übergeben. Es ist das künstlerisch höchstrangige offizielle Kanzlerporträt, vergleichbar allenfalls mit Oskar Kokoschkas Adenauer-Bildnis, das freilich seinerzeit keinen amtlichen Beifall fand.

Heisig hat sich nicht vom Klischee des „Machers“ Schmidt blenden lassen, er hat den Menschen hinter dem Image gesucht, und dieser Mensch strahlt vor allem wache Nachdenklichkeit aus. Beschaulich kann es aber bei den Porträt-Sitzungen nicht zugegangen sein. Heisig zur WR: „Schmidt steckte voller Ungeduld und bewegte sich dauernd. Ich mußte sein Gesicht auswendig lernen“. Ob er auch Helmut Kohl, einen (höchst unwahrscheinlichen) Auftrag vorausgesetzt, malen würde? Heisig: „Das ist keine Frage politischer Sympathien. Es gibt Gesichter, die macht man, und es gibt Gesiebter, die macht man nicht.“

Es war sicher kein Zufall, daß Schmidt einen renommierten DDR-Künstler beauftragte. Die Ausstellung „Menschenbilder“, ein Querschnitt durch vier Jahrzehnte DDR-Kunst, macht nämlich deutlich, daß im zweiten deutschen Staat die realistische und also auch die Bildnis-Tradition nie abgerissen sind. Das „Menschenbild“ war immer gegenwärtig. Von plattem sozialistischem Realismus kann aber längst nicht mehr die Rede sein, der „Bitterfelder Weg“ (Einschwörung der Kunst auf den Sozialismus im Jahr 1959) ist zur breiten Straße geworden. In der DDR haben sich ganz unterschiedliche Realismen entfaltet, auch solche, die Brüche, Risse und Krisenphänomene darstellen.

Günther Einert, NRW-Mînister für Bundesangelegenheiten und Hausherr der Landesvertretung, wies stolz auf die museumsreife Qualität der (von DDR-Seite nicht behinderten) Auswahl hin. Die Ausstellung umfaßt weit über 100 Werke von 14 DDR-Künstlern. Die Crème der DDR-Kunst ist vertreten, neben Heisig u. a. Wolfgang Mattheuer, Arno Rink, Willi Sitte und (der 1906 in Arnsberg geborene) Fritz Cremer, der das Mahnmal für das KZ Buchenwald schuf.

Der Ausstellungsort Bonn signalisiert politische Bedeutung (Stichwort: Kulturabkommen). Diesen Aspekt betonte gestern der stellvertretende Kulturminister der DDR, Dietmar Keller, der die Brücke vom Realismus in der Kunst zum Realismus zum Realismus in den politischen Beziehungen schlug. Ab 8. Februar 1987 kommt die Ausstellung ins Westfälische Landesmuseum in Münster.