„Dreigroschenoper“ ohne Zähne

Von Bernd Berke

Wuppertal. War es Lust- oder Hilflosigkeit? Regisseur Brian Michaels jedenfalls hat Brechts „Dreigroschenoper“ in Wuppertal nur „an“-inszeniert und sonst den Dingen freien Lauf gelassen. Hier wurde ein bißchen choreographiert, da etwas verorpert, dort ein wenig verrockt und aufgegagt, aber nichts konsequent durchgehalten. Brechts Stück als Selbstbedienungsregal, wahllos geplündert.

Es fehlen auch Schärfe und Widerspruchsgeist. Letzterer könnte sich ja notfalls auch am Autor selbst reiben. Doch hier wird weder getreulich mit Brecht noch widerborstig gegen Brecht, sondern – und das ist am schlimmsten – ohne Brecht agiert. Daß man auf den revolutionstrunkenen Schlußchoral von 1948 verzichtet, mag angehen. Daß aber sogar die gedämpft aggressive „Abbitte“-BaIlade von Machheath „entfällt, legt den Verdacht nahe, daß hier ein entkernter Brecht „für die ganze Familie“ dargeboten wird. Beredt war in diesem Zusammenhang der Premieren-Versprecher von Gerd Mayen (Macheath), der fälschlicherweise den Einbruch in eine Bank mehr brandmarkt als die Gründung einer solchen (Brecht meinte, auf Ehr‘, das Gegenteil!).

Hinzu kommen Geschmacksverirrungen, besonders bei den Songs. Vieles wird im Entertainer-Stil vorgetragen, was nur in einem tragfähigen Gesamtkonzept schlüssig sein könnte. Unerträglich aber: Macheath stülpt sich zur „Ballade vom angenehmen Leben“ einen Cowboyhut auf und macht einen Country-Heuler daraus.

Macheath steigt anfangs von einem Denkmalssockel herunter. Kaum hat er diesen Schritt ins Bühnenleben getan, zeigt sich auch schon, daß dieser Haifisch keine Zähne hat. Er ist zu abgehalftert, um Unterwelt, Polizei und Damenwelt in Atem zu halten. Siegfried Maschek als Bettlerkönig Peachum macht bessere Figur. Er tänzelt als zynisch-geschmeidiger Impresario durch die Szene, dem das Elend nur als Manövriermasse im Spiel der Macht dient.

Rena Liebenow als Frau Peachum hält sich tapfer, ihre Songs haben zumindest Pfiff. Als naives Püppchen mit Kieksstimme war hingegenWiebke Frost als „Polly“ eine schwache Besetzung. Franz Träger als Polizeichef Brown zeigte nichts von Zerrissenheit, sondern wirkte einfach fahrig. Die Viererbande der Ganoven schlug kaum Funken aus der Hochzeitsszene. Die Huren durften nur seufzen und mit den Pos wackeln. Beste Darsteller waren noch Horst Fassel („Münz-Matthias“), Silvia Kesselheim („Jenny“) und Andrea Witt („Lucy“). Es gab Anstandsbeifall für die Schauspieler und etliche Buhs für die Regie.

An der Wuppertaler Darbietung zeigen sich im nachhinein erst recht die Qualitäten der Essener Inszenierung Hansgünther Heymes (noch auf dem Spielplan). Bei der Essener Premiere war seinerzeit Wuppertals Intendant Jürgen Fabritius zugegen. Jetzt kann er vergleichen.




Kunstsammlung NRW: Gebäude schon zu klein – Erste Jahresbilanz des Hauses

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Die erste Jahresbilanz der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf fällt zwiespältig aus: Zwar zog das Haus am Grabbeplatz seit seiner Eröffnung (März ’86) rund 400.000 Besucher an, aber schon der bloße „Normalbetrieb“ lief wegen Personalnot nur mit knapper Mühe. Museumsdirektor Prof. Werner Schmalenbach träumt weiterhin von 23 zusätzlichen Stellen (bewilligt sind gerade viereinhalb), entsprechende Verhandlungen mit dem Kultusministerium sind im Gange.

Einen anderen Traum konnte Prof. Schmalenbach jedoch verwirklichen: Er hat für die Sammlung soeben das frühe Matisse-Bild „Golf von St. Tropez“ erwerben können. Das 1904 entstandene Frühwerk stammt aus der „wilden“ (Fauve-)Phase von Matisse und füllt somit eine Lücke im Gesamtbestand. Das Bild befand sich bis vor kurzem in US-Privatbesitz und kam über einen Schweizer Kunsthändler nach Düsseldorf. Mit einer Preis-Schätzung von etwa 2 Mio. DM dürfte man kaum zu hoch liegen.

Mit vielbeachteten Zusammenstellungen (u.a. Picasso, K. H.Hödicke und NaumGabo) konnte Ausstellungsleiter Jörn Merkert im Startjahr 1986 beweisen, daß die – im Vorfeld heftig kritisierte – Ausstellungshalle mittels architektonischer Einbauten sinn- und eindrucksvoll genutzt werden kann. Prof. Schmalenbach stellte denn auch fest, daß eher die ständige Abteilung für US-Kunst nach 1945 ein Problem darstelle, da sie in der Sammlung einen recht abrupten Schlußpunkt bilde. Schmalenbach dachte gestern bereits laut über eine Erweiterung des Hauses nach.

Die Pläne für 1987 klingen vielversprechend. Mit neuen Bildern des Biennale-Teilnehmers Gotthard Graubner beginnt der Reigen am 31. Januar. Diese Schau wird denkbar aktuell sein, arbeitet Graubner doch jetzt noch an einigen Bildern, die dann zu sehen sein werden. Erstmals will man mit dieser Ausstellung das Risiko eingehen, besagte Halle nicht mit Stellwänden zu gliedern.

„Rot sehen“ (Ausstellungstitel) sollen vor allem Schulklassen von Ende Januar bis Mitte Juni. Die Pädagogische Abteilang der Kunstsammlung NRW hat ein Programm über Farbwahrnehmung und „Farbe im Alltag“ vorbereitet, das von „rothaltigen“ Beispielen aus der eigenen Sammlung flankiert wird.

Am 27. März beginnt eine Retrospektive zum Werk von Richard Oelze. Rund 80 Gemälde aus allen Schaffensperioden des „magischen Realisten“ werden zu sehen sein. Skulpturen von Ulrich Rückriem folgen ab 27. Mai.

Mit einem hochkarätig besetzten Vortragszyklus und zwei Ausstellungen hält die Kunstsammlung im Herbst Rückschau auf das Jahr 1937: „Vor 50 Jahren – Europa am Vorabend des 2. Weltkriegs“ lautet der Obertitel. Das „Museum der Gegenwart – Kunst in öffentlichen Sammlungen bis 1937″ versammelt ab 11. September fünfzig Spitzenwerke, die damals als „entartet“ verfemt und aus deutschen Museen entfernt wurden – von Beckmann bis Picasso reicht das Spektrum. Eine weitere Ausstellung zeigt ab 4. Dezember Positionen unabhängiger Kunst um 1937 auf, wobei Schwerpunkte auf Abstraktion, konkreter Kunst und surrealistischen Strömungen liegen.




Ring frei zum großen Ehekrach – „Offene Zweierbeziehung“ von Dario Fo in Wuppertal

Von Bernd Berke

Keine Frage, daß eine Premiere von Dario Fos Ehekrach-Stück „Offene Zweierbeziehung“ zum Silvesterabend paßt, denn es brennt am letzten Tag des Jahres eben nicht nur Feuerwerk ab, auch in „Zweierkisten“ wird’s da zuweilen brenzlig.

Auf die Honigmond-Fassade, die übers Jahr die Risse im Beziehungs-Gebälk oft besser verbirgt, spielt Rosemarie Krines‘ Bühneneinrichtung der Wuppertaler Inszenierung (Regie: Helmut Palitsch) sattsam mit Kitsch- und Harmonie-Signalen an: Die Aufbauten leuchten rosarot und himmelblau, auch ein Tannenbäumchen fehlt nicht; die beiden Akteure bewegen sich gar durch ein Bodengewölk von zahllosen Bettfedern, die freilich im Eifer des Streitgefechts aufgewirbelt werden und bis weit in den Zuschauerraum driften. Doch derlei wattierte Niedlichkeit täuscht natürlich: Die Souffleuse schlägt immer mal wieder auf einen Gong: Ring frei zur nächsten Runde im Ehekampf!

Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Mann will endlich ungestraft fremdgehen, nennt dies aber – mit pseudolinken Sprüchen gewappnet – „die Zweierbeziehung öffnen“. Allerdings soll die „Öffnung“ nur auf seiner Seite erfolgen. Kaum macht seine Frau ebenfalls Ernst, wird ihm mehr als mulmig zumute. Garniert ist das Ganze mit turbulenten Einblicken in den alltäglichen Geschlechterkampf, wobei die einander zausenden Eheleute zuweilen episch aus ihren Rollen fallen und das Publikum zum Zeugen anrufen.

Maria Pichler und Erich Leukert lassen sich das Spiel-„Futter“ des Stücks nicht entgehen und sorgen für herrliches Lachtheater, das auch nicht eine Minute langweilig wird. Bewundernswert auch ihre physische Leistung: Zu Silvester spielten sie das temporeiche Zweipersonen-Stück gleich zweimal hintereinander.