Das Unbewußte wird erschreckend sichtbar – 75 Gemälde von Edvard Munch im Museum Folkwang

Von Bernd Berke

Essen. „Die Angst“, „Der Schrei“, „Die Verzweiflung“. Noch nie waren diese drei Bilder des Norwegers Edvard Munch (1863-1944), allesamt Schlüsselwerke moderner Zerrissenheit, außerhalb des Ursprungslandes so beieinander zu sehen, wie jetzt im Essener Museum  Folkwang.

Die drei Werke sind nur einer von vielen Höhepunkten der umfangreichsten deutschen Munch-Präsentation seit rund 15 Jahren. Museumsleiter Prof. Paul Vogt: „Eine solche Ausstellung habe ich mir schon seit 20 Jahren gewünscht.“ Vogt rechnet vorsichtig mit einer Besucherzahl um 80 000.

Es dürfte in der Tat die bedeutendste Ausstellung dieses Jahres einem Revier-Museum sein. Der Anlaß ist prosaisch: Vior genau 10 Jahren wurde erstmals norwegisches Erdgas (vom Ölfeld Ekofisk) in die Bundesrepublik geliefert. Zu diesem Jubiläum zeigte sich die Ruhrgas AG spendabel, sie ist der Mäzen der Ausstellung. Ereignisse dieser Güte „gehen“,  angesichts der Schrumpf-tats der meisten Museen, eben kaum noch ohne Geld aus der Industrie.

25 Leihgeber zwischen Köln und Toronto, vornehmlich aber aus Norwegen selbst, entsandten 75 Munch-Gemälde nach Essen. Frage keiner nach der Versicherungssumme, die Veranstalter nennen sie natürlich nicht. Rare Stücke sind dabei, die sonst praktisch nie verliehen werden. Jedenfalls erlaubt die Zusammenstellung einen Gesamtüberblick über das malerische Schaffen des berühmten Norwegers – von realistischen und impressionistisch-pointillistischen Arbeiten der frühen Jahre bis hin zu melancholischen Selbstbildnissen der Spätzeit.

Die drei eingangs erwähnten Bilder gehören, so sieht man in der (in sinnvollen „Sequenzen“ gehängten) Schau, so und nicht anders zueinander. Auf allen drei Bildern sieht man jenes schräg auf den Betrachter zulaufende Geländer, jene blutroten Himmelsschlieren.

Auch die Geburt solcher Motive und Formen, die Genese einer Chiffrensprache, die das Unbewußte mit malerischen Mitteln geradezu erschreckend sichtbar macht, ist in Essen beispielhaft zu verfolgen. Da ist etwa die unscheinbare Sonnenspiegelung im Gewässer, die in späteren Bildern zum Zeichen gerinnt und nun auch in ganz anderen Zusammenhängen stehen kann. Die Sprache der Dinge ist in die Sprache der Seele übersetzt.

Ein oft geäußertes Vorurteil über Malerei aus Europas Norden wird gründlich widerlegt, nämlich jenes, daß „dort oben“ vorwiegend Denk-Bilder mit bestenfalls duchschnittlichen malerischen Qualitäten entstanden seien. In Munchs visionärem Werk bleibt kein Kompositionsdetail dem Zufall überlassen, die Gestaltungskraft ist von seltener Souveränität. Eindrucksvolle Beispiele geben etwa die Bildnisse (u. a. August Strindberg, Walter Rathenau), die durch Körperhaltung, ja schon durch bloße Farbgebung oder Strichführung die gemalte Person sinnfâllig charakterisieren. Und welche Lichteffekte Munch mit seinen Schneelandschaften erzielt, ist einfach phänomenal.

Die Ausstellung wird in Essen heute um 11 Uhr vom norwegischen Kronprinzenpaar (Harald und Sonja) eröffnet. Ab 18. November ist sie in nochmals erweiterter Form in Zürich zu sehen.

Edvard Munch. Museum Folkwang, Essen, Goethestraße. 18.9. bis 8.11. – Di.-So. 10-18, Do. bis 21 Uhr. Katalog 40 DM. Eintritt (Erwachsene): 5 DM.




Bob Dylan: Gebremste Legende

Von Bernd Berke

Dortmund. Was sagt man zu einem legendären Rockstar, der seinem zahlenden Publikum weder ein „Hello“ noch ein „Goodbye“ gönnt, der ohne jede Ansage sein Programm herunterspult und geht? Soll man sagen, er sei unhöflich, schlecht gelaunt, lustlos oder besonders innig auf sich konzentriert?

All das zu sagen, fällt schwer, geht es doch um Bob Dylans Auftritt in der Dortmunder Westfalenhalle, um seinen Deutschland-Tournee-Start, sein einziges NRW-Konzert, ja letzten Endes um nicht weniger als um ein ganzes Lebensgefühl, das viele der 7000 Zuschauer in der (halb gefüllten) Halle noch einmal spüren wollten.

Angesagt war ein Spitzenereignis, ein Wiedersehensfest. Den Autokennzeichen nach zu urteilen, kamen denn auch Fans aus dem Raum zwischen Bonn und Wilhelmshaven in die Westfalenhalle. Standhafte Altfreaks ebenso wie mittlerweile zu dynamischen Führungskräften gereifte Zeitgenossen in schnieken Nobelfahrzeugen. Zwischen 15 und 50 lag, schätzungsweise, das Altersgefalle. Was wurde den Leuten geboten?

Ein Profi, der seinen Job routiniert macht, dessen volle Qualitäten aber nur an ganz wenigen Stellen aufblitzten, so daß der Beifall meist verhalten blieb. Alles ging enorm pünktlich vonstatten, also gar nicht wie bei einem Fest. Von 21.30 bis 22.30 Uhr spielte Dylan, die Zugabe dauerte bis 22.45 Uhr, dann flammte grell das „Rausschmeißer“-Licht auf. Genau nach Plan, „Mindest-Soll erfüllt“. Böswillig gesagt: Es fehlte nur noch die Stechkarte.

Dabei hatte doch Ex-„Byrds“-Sänger Roger McGuinn („Special Guest“) schon auf Nostalgie eingestimmt – mit Klassikern wie „Mr. Tambourine Man“, „Turn Turn Turn“ und „Eight Miles High“. Begleitet von „Tom Petty & The Heartbreakers“, klang das ganz wie aus den glorreichen 60er Jahren. Damit nicht genug: Petty und seine Band heiizten danach die Stimmung mit Songs wie „Reelin‘ and Rockin'“ oder „Rock’n’Roll Star“ an. Keine Filigranarbeit, die hatte auch niemand erwartet: aber .„Geradeaus-Rock“ der allerfeinsten Sorte, hochenergetisch und mitreißend.

Das Feld für Dylan war also eigentlich bestens bestellt. Doch der 46jährige Altstar klopfte, begleitet von der jetzt nur noch bescheiden „dienenden“ Petty-Band, zum Einstieg zögernd an die Himmelstür („Knocking on Heaven’s Door“), fuhr sodann gemächlich über den „Highway 6l“, näselte mit gebremster Sinnlichkeit seinen alten Hit „IWantYou“, suchte in gebeugter Haltung Schutz vor dem Sturm („Shelter from the Storm“) und brachte balladeske Lieder wie „Tangled up in Blue“oder „The Ballad of Frankie Lee and Judas Priest“ auf einheitliches Mittelmaß. Erst mit der nicht allzu stürmisch geforderten Zugabe brachte er den Stein ins Rollen („Like a Rolling Stone“).

Den Schlußpunkt setzte Dylan mit „Forever Young“ („Auf ewig jung“). Genau das ist der Punkt. So jung sehen wir ihn eben nicht mehr wieder, ja, vielleicht ist es schon seine letzte Deutschland-.Tour. Und was machen wir dann mit unseren Erinnerungen?