Wo die Gewalt ihre Spuren zieht – Reinhild Hoffmann mit „Von einem, der auszog… / Horatier“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Quer über die gänzlich graue Bühne ist Draht gespannt. Wenn die Tänzerin Reinhild Hoffmann ihn mit den Füßen berührt, wird er zum bedrohlich schnarrenden „Saiteninstrument“.

Diese Töne sind fast die einzige Musik zum Bochumer Tanztheater-Abend „Von einem, der auszog…/Horatier“, den Reinhild Hoffmann als Choreographin und Tänzerin solo bestreitet. Sprachrhythmen („deutsche Urworte“, durchkreuzt von US-Sprachpartikeln) setzen einen weiteren, quasi-„musikalischen“ Akzent.

Die Grenzen zur Performance (Körper als „lebendes Kunstwerk“) werden von Reinhild Hoffmann oft überschritten. Überhaupt könnte man sich dem Auftritt mit Begriffen von Mischformen darstellender und bildender Kunst nähern – von „Spuren-Suche“ könnte man sprechen, zuweilen auch von „privater Mythologie“.

Textgrundlagen sind im wesentlichen das Grimmsche Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ sowie Heiner Müllers Text „Der Horatier“. Solch kühne Verknüpfung muß wohl auf verschlungenen Assoziationswegen zustande gekommen sein; sie verlangt jedenfalls nach Cäsur, sprich Theaterpause.

In dem Geisterbahn-Märchen geht es letztlich um die innige Verwandtschaft von Dummheit und abgestumpfter Angstlosigkeit. Ein junger Spund mordet sich munter durch, bis er die Prinzessin erringt; über Leichen lacht er nur, statt sich zu gruseln. Heiner Müllers Horatier-Text beschreibt – am antiken Beispiel – eine unauflösbare Verquickung von (Kriegs)-Ruhm und Schuld. Kleinster gemeinsamer Nenner und Verbindungspunkt beider Texte ist wohl der dümmlich-gewaltbereite Marsch in Krieg und Gemetzel.

Und so beginnt denn auch der Abend: Reinhild Hoffmann, maskiert als bärtiger, scheinbar gemütlicher Greis. Doch da ist sein Brustpanzer, sein martialisches Stampfen. Der Panzer platzt ab, darunter kommt – historisch eingrenzender Aha-Effekt – ein Volksempfänger zum Vorschein. Kurz darauf steht Reinhild Hoffmann maskenlos und in aschgrauer Gefangenen-Montur vor uns. In einer atemberaubenden Folge sozusagen „gepanzerter“ Bewegungen – hastiges Kreuzzeichen, zackige Wehr-Ertüchtigung, aufschießender „Meldefinger“ eines Schulkinds – stellt sie Stühle auf, räumt sie an eine Art Konferenztisch, verkleidet sich plötzlich als Weihnachtsmann, der wiederum zum Messerwerfer wird und auf den Umriß einer Menschenfigur auf dem Tisch zielt. Abermals eine Alptraum-Metamorphose zur Gewalt, die sich hinter jeder Maskerade zu verbergen und überall ihre rituellen Spuren zu ziehen scheint.

Rätselhaft-schöne Traumszene: Aus Papierlagen, die auf ein Metallbett geschichtet sind, entsteht wie durch Zauber ein Prinzessinnen-Kleid. Schließlich barbusig, nimmt die Hoffmann eines der Messer und schneidet Brot – ein Friedens-Bild? Der Teil nach der Pause, viel näher am Text, ist deutlich schwächer, tendiert zur Illustration, die kaum über die Wirkung von Heiner Müllers Worten hinausgreift. Theater wie „aus der Wundertüte“: Nach und nach schlitzt Reinhild Hoffmann fünf Säcke auf – einzig spannende Frage jeweils: Was ist diesmal drin? Sie kippt den Inhalt (Erde, blutverwaschene deutsche Fahne, Schwerter, Haarnadeln) aus. Ratlosigkeit und Beifall hielten sich im Premieren-Publikum die Waage.




Kunst-Geschenk für Oberhausen – die Sammlung Jäger

Von Bernd Berke

Oberhausen. Die Stadt Oberhausen und ihre Schloßgalerie scheinen eine geradezu magische Anziehungskraft auf Stifter und Förderer auszuüben.

Nachdem der Hansdampf-Mäzen Peter Ludwig dort vor einigen Jahren die „Ludwig-Stiftung für Kunst der DDR“ ermöglicht hatte, tritt nun mit mit dem früheren Theatermann und ÖTV-Gewerkschafter Rolf Jäger (68) ein völlig anderer Sammler-Typus als Gebender auf den Plan. Jäger, lange Jahre Justizangestellter in Duisburg, pflegte – fernab von eitlen Kunstmärkten und hehrer Kunstwissenschaft – persönliche Kontakte zu Künstlern; vor allem zu solchen, die entschieden Position gegen den NS-Staat bezogen.

Über 270 Arbeiten, vorwiegend Graphik, hat Jäger im Laufe seines Lebens zusammentragen können, rund 200 sind jetzt erstmals in Oberhausen zu sehen: „Kunst für eine Arbeiterstadt – Schenkung Rolf Jäger“ (Städt. Galerie, Sterkrader Str. 46 — bis 21. August; Katalog 15 DM).

Jäger, der die Kollektion mit bescheidenen Mitteln aufbaute, sie bislang daheim zumeist in Schränken aufbewahrte und nun über den Gesamteindruck in der Stadtgalerie staunte, sammelte nie bewußt systematisch. Ein innerer Zusammenhang stellte sich dennoch her: Jäger kam immer wieder mit Künstlern zusammen, die sich als „Verbündete der Arbeiterschaft“, der Unterdrückten überhaupt, verstanden.

Eindeutiger Schwerpunkt der Jägerschen Schenkung sind graphische Arbeiten von Otto Pankok. In der zwar nicht mit Spitzenstücken glänzenden, gleichwohl aber qualitätvollen Sammlung finden sich u. a. auch Blätter von Fritz Cremer, Gertrude Degenhardt, Günter Grass, Erich Heckel, Alfred Hrdlicka, Otto Nagel, Rudolf Rothe, Karl Schwesig, A. Paul Weber und Heinrich Zille.

Kennzeichnend für die zurückhaltende Art Rolf Jägers: Er hat der Stadt keine Übernahme-Bedingungen gestellt, außer der, die 270 Stücke nicht weiterzuverkaufen. Stadtgalerie-Leiter Bernhard Mensch: „Eine hochwillkommene Ergänzung zum Oberhausener Graphik-Bestand“.




„Eisenzeit“ im Museum: Die schwere Leichtigkeit – Skulpturen von Ansgar Nierhoff am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Ohne Kräne, Gabelstapler und viel, viel Muskelkraft wäre bei dieser Ausstellung gar nichts gegangen. Künstler Ansgar Nierhoff: „Wir mußten unglaublich schuften.“ Im Dortmunder Ostwall-Museum hat die „Eisenzeit“ (Ausstellungstitel) begonnen. Der Schwere des Materials entsprach der Aufwand beim Aufbau.

Der gebürtige Mescheder, jetzt in Köln lebende Ansgar Nierhoff (47), ist längst weithin renommiert, erinnert sich aber noch heute dankbar daran, daß es der Ex-Chef des Ostwall-Museums, Eugen Thiemann, war, der anno 1968 – als erster Museunisleiter überhaupt – eine Nierhoff-Arbeit ankaufte.

Nierhoffs geschmiedete und gebrannte Eisen- und Stahl-Arbeiten tragen stets deutliche Spuren der an ihnen verrichteten Arbeit. Doch es ist, obgleich oft in Stahlwerken entstanden, alles andere als das, was man sich vielleicht unter „Kunst der Arbeitswelt“ vorstellt.

Die „Eisenzeit“-Stücke reagieren sehr bewußt und genau auf den jeweiligen Raum, auf die jeweilige Umgebung. In Saarbrücken. wo sie zuerst zu sehen waren (dort wurde die Ausstellung vom neuen Essener Folkwang-Chef Georg-W. Költzsch betreut), wirkten sie, da in einem einzigen Riesensaal präsentiert, ganz anders, nämlich direkter aufeinander bezogen. In Dortmund hingegen muß der Betrachter, sich durch eine Raumfolge vorarbeitend, solche Bezüge selbst schaffen. Immerhin erleichtert der Aufbau der Ausstellung, die auch das rückwärtige Freigelände des Museums einschließt, die Wege, indem sie Strecken, Schneisen und Achsen vorgibt und auf diese Weise „Sogwirkungen“ ausübt, denen man nachgehen kann.

Frappierend die Mehrwertigkeit vieler Arbeiter: Je nachdem, von welcher Seite man sich nähert, wirkt etwa eine stählerne „Tor“-Situation als bedrückende Verengung oder als Öffnung und Weiterung. Einige Objekte stehen als „in sich gekehrte“, blockhafte Fügungen im Raum, andere zeigen, welche Leichtigkeit Nierhoff seinem „kolossalen“ Material abgewinnen kann. Die Arbeit „Zu einem Block“ (1987), Teile, die zu einem Ganzen zusammenzustreben scheinen, ist – der schweren Stofflichkeit zum Trotz – Vergegenwärtigung einer Bewegung, nicht die eines Lastens.

„Eisenzeit“ ist also auch das Leichte, das bekanntlich so schwer zu machen ist. Aus Museumsräumen werden Spielräume der Phantasie. Wunsch des Ostwall-Leiters Ingo Bartsch: Er möchte, falls das finanziell machbar ist, mindestens ein Exponat für Dortmund ankaufen.

(Eröffnung Sonntag, 11.30 Uhr; bis 21. August – Katalog 36 DM).




Kopfüber ins Leiden – Baselitz im Arnsberger Kunstverein

Von Bernd Berke

Sogar der Adler, gemeinhin als „König der Lüfte“ über allem schwebend, hängt kopfüber. Jämmerlich und bedauernswert wirkt so das seit Jahrtausenden mythologisch „besetzte“ Edel- und Wappentier.

Wenn von „Kopfstand“ in der Kunst die Rede ist, kann es eigentlich nur um Georg Baselitz gehen. Der Star der internationalen Szene, während der letzten Jahre praktisch auf allen wichtigen Überblicksschauen vertreten und dabei oft unter dem irreführenden Etikett „Neuer Wilder“ präsentiert, hat Umkehrungen der erwähnten Art seit Ende der 60er Jahre zu seinem medienwirksamen „Markenzeichen“ gemacht.

Nicht gerade alltäglich, daß Arbeiten von Baselitz fern von den großen Museen zu sehen sind. Zwar keine (inzwischen sündhaft teuren) Gemälde, aber immerhin rund 50 Graphikblätter und Zeichnungen sind ab Sonntag (Eröffnung 11 Uhr) im Kunstverein Arnsberg zu besichtigen.

Das Spektrum reicht von Zeichnungen aus den Jahren 1965/66 (noch aufrechte, aber traurig-ungelenk taumelnde, wie aufgeblasen wirkende „Helden“-Figuren) bis hin zu neuesten Arbeiten. Ein gewisser Überblick zu Grundlinien in Baselitz‘ Schaffen ist also möglich. Dabei zeigt sich einmal mehr, daß die Kopfüber-Darstellungen keineswegs ein purer  sind, Baselitz lenkt mit diesem Kunstgriff vielmehr die Aufmerksamkeit von der dargestellten Figur ab – und hin auf die Art der Darstellung. Trotzdem bleibt das Figürliche erkennbar: ein Vexier- und Wechselspiel zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Überdies erweisen sich die „verkehrten“ Darstellungen zugleich als Bilder einer verkehrten Welt, genauer: als Leidensbilder. Eines der eindrucksvollsten Exponate in diesem Sinne: der „Trinker“, der zwischen schlierig-giftgrün fließenden Linien ins Bodenlose stürzt.

Der Arnsberger Kunstverein, gegründet vor einem halben Jahr, hat inzwischen 140 Mitglieder. Einige Förderer kommen gar aus Städten, die nun wahrlich selbst große und altehrwürdige Kunstvereine haben: Düsseldorf und Münster.

(Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24, bis 17. Juli). Mo. bis Fr. 17 -19 Uhr; So. 11-13 Uhr und nach Vereinbarung (Tel. 0 29 31/2 11 22).