Bilder einer vernetzten Welt – Arbeiten Gustav Deppes aus Wittener Eigenbesitz

Von Bernd Berke

Witten. Der Himmel ist vernetzt und verbaut. Riesige Hafenkräne, die Röhren einer Raffinerie und immer wieder turmhohe Strommasten – der Horizont ist voller Lineaturen, Kreuz- und Querverstrebungen.

Diese Linien verselbständigen sich, ihre Verflechtungen werden – das bietet sich bei diesem Motiv einfach an – bis zur Grenze der Abstraktion vorangetrieben. Was einst, gleich nach 1945, vielleicht auch als Verheißung einer technisch bestimmten Ästhetik und als Bekräftigung des allgemeinen Aufbauwillen gedacht war, ist heute zur Not auch als Zeichensystem der Bedrohung „lesbar“. So betrachtet, haben die damaligen Bilder Gustav Deppes auch heute noch ihre Aussagequalität.

77 Arbeiten Deppes aus den Jahren 1936-1961, den gesamten Eigenbesitz, zeigt jetzt (bis 5. März, Katalog 20 DM) erstmals das Märkische Museum der Stadt Witten. Es ist überhaupt die erste Wittener Deppe-Ausstellung seit 1961. Die Ruhrstadt besitzt die weitaus größte öffentliche Kollektion an Deppe-Frühwerken.

Gustav Deppe, heute 75 Jahre alt, war kurz nach dem Krieg Mitbegründer der damals im Revier maßgeblichen Gruppe „junger Westen“ (mit Thomas Grochowiak u. a.), er hat ab 1936 viele Jahre in Witten gelebt und war bis zu seiner Pensionierung als Professor an der Dortmunder Werkkunstschule tätig. Der Künstler, der nun mal in Bochum, mal im Westerwald wohnt, bekommt zur heutigen Ausstellungseröffnung (Beginn 17 Uhr) den mit 5000 Mark dotierten Ehrenpreis des Wittener Kunst- und Kulturfonds.

Die Ausstellung ist, da sie ausschließlich aus Eigenbesitz bestritten wird (und so eine Sammlungskonzeption früherer Jahre widerspiegelt) insgesamt etwas eintönig geraten. Gar zu sehr dominieren die Strommast-Bilder. Zweiter Schwerpunkt sind Landschaften, zumeist Idyllen aus den grünen Randzonen des Reviers. Vereinzelt sieht man auch „Ausflüge“ ins gegenstandslose Reich des Informel. Sie stehen hier sehr unvermittelt neben den andeten Arbeiten.




Ein Mann spielt um sein Leben – Tankred Dorsts „Ich, Feuerbach“ am WLT

Von Bernd Berke

Schäbige Theaterwelt: Wie Gemmpel türmen sich die Requisiten, alles wirkt wie „von gestern“, als sei die Farbe abgeblättert. Aus Schweigen und Finsternis – wie am ersten Schöpfungstag – taucht einer auf, der hierher paßt: schlecht sitzender Anzug, abgetragene Schuhe, loser Schlips — eine leicht „verrutschte“ Figur, umgeben von einem Hauch der Verwahrlosung.

Der Mann heißt Feuerbach, ist Schauspieler und zum Vorsprechen geladen. Doch der Regisseur, ein gewisser Lettau, läßt – fast wie Becketts „Godot“ – auf sich warten, nur sein Assistent ist da. Daraus entwickelt sich in Tankred Dorsts Stück „Ich, Feuerbach“, das jetzt im Studio des Westfälischen Landestheaters (WLT) Premiere hatte, ein Quasi-Monolog.

Feuerbach spielt – zwei Stunden ohne Pause – um sein Leben. Sogar vor dem Assistenten, den er eigentlich verachtet, versucht er, sein ganzes Rollen-Register abzuspulen; doch es sind nur noch Rollensplitter, die Wahrheit seines verpfuschten Lebens bricht immer wieder durch. „Feuerbach“ war, wie sich schließlich herausstellt, einige Jahre in einer Heilanstalt; den Anschluß an das Theater, an die dort erforderliche Kunst-Disziplin, sucht er mit wachsender Verzweiflung.

Regisseur Manfred Repp setzt kräftige Kontraste. Offenbar um den Anschein zu verstärken, „Feuerbachs“ Wahn könne entstelltes Anzeichen von Genialität sein, bleiben der Regie-Assistent (Peter Dobrowolski), „Frau Angermeier“ (Gabriela Leinitzer) sowie zwei mürrische Bühnenarbeiter geheimnislose Karikaturen, nur durch wenige „Running Gags“ gekennzeichnet: Der Assistent, amusisch wie eine Mohrrübe, kratzt sich beständig dummlich-obszön zwischen den Beinen, „Frau Angermeier“ nestelt ebenso hartnäckig an ihrem Halstuch.

Schwierig die Titelrolle: Sie verführt zu lauter Bravourstückchen, doch der Darsteller muß sein eventuelles Virtuosentum zügeln, gilt es doch, einen Schauspieler zu zeigen, von dem man eben nie eindeutig wissen darf, ob das Flackern zwischen Hochmut und Depression womöglich auf Genie hindeutet. Feuerbach-Darsteller Norbert A. Muzzulini gelingt die Gratwanderung über weite Strekken überzeugend, nur gelegentlich verfällt auch er zu sehr in Extreme: Schreie und Flüstern. Das mindert die subtile Spannung des Stücks.