Malen am Abgrund der Seele – Zum Tod von Salvador Dalí

Ich selbst weiß nicht, was meine Bilder bedeuten“, soll er einmal bekannt haben. Und in Anspielung auf seine exzentrischen Eskapaden:„Gäbe es 200 Dalís, wäre das Leben auf der Erde unmöglich.“ Salvador Dali, am 11. Mai 1904 in Figueras bei Barcelona geboren, eine der Leitfiguren des Surrealismus, ist tot.

Er war so bekannt wie unter den Malern dieses Jahrhunderts allenfalls noch sein Landsmann Pablo Picasso. Das Inventar seiner Bilder – brennende Giraffen, zerfließende Uhren, endlos weite Sandflächen, Menschen mit bizarren Krücken und Schubladen im Körper – ist visuelles Allgemeingut geworden; genau wie sein Erkennungszeichen, die „Antennen zum Außerirdischen“ (Dalí), also die hochgezwirbelten Schnurrbartspitzen.

Seine Person beschäftigte Befürworter und Gegner meist mehr als seine Kunst. Ob der Mann nicht eher ins „Irrenhaus“ als in die Kunstgeschichtegehöre, darüber haben Generationen von Dalí-Deutern gerätselt. Dalí selbst, alles andere als von Bescheidenheit angekränkelt, bezeichnete sich selbst als genialen Schöpfer der „kritisch-paranoiden“ Methode, die – sei es Simulation, sei es durch echte Veranlagung – ihre Bildwelten aus dem krankhaft verformten Unbewußten zutage fördere. Natürlich griff auch er auf Vorbilder zurück: Die Lektüre der „Traumdeutung“ von Sigmund Freud gab entscheidende Impulse, Gemälde von Velazquez und Vermeer legten Motive nahe, Böcklins „Toteninsel“ oder das Werk de Chiricos wiesenWege zur optischen Umsetzung der Wahn- und Traumgebilde.

Dalí fand, nach futuristischen und kubistischen „Tastversuchen“, in den späten 1920er Jahren zu einer bis dahin unbekannten, bewußt schockierenden Bildsprache der Halluzinationen. Kernstück der mit bemerkenswert „akademischer“, an Klassikern orientierter Meisterschaft gemalten Bilder: Abgründe zwischen Erotik und Verwesung.

Fast alle Anekdoten über Dalí beziehen sich auf haarsträubende Exzesse. Daß er mit 20 Jahren achtkantig von der Kunstakademie Madrid „flog“, weil er seine Prüfer als Dummköpfe beschimpfte, ist ein vergleichsweise harmloser Schwank. Was Wunder, daß er im sensationsversessenen New York der 30er Jahre – noch mehr als zuvor in Paris – Furore machte.

Ein Kapitel für sich waren Dalís äußerst fragwürdige politische „Ansichten“. Die letzten Sympathien in der Gruppe der (mehrheitlich kommunistisch orientierten) Surrealisten um André Breton verscherzte sich der Aristokraten-Freund durch seine Begeisterung für einen Schlachtenmaler und Bemerkungen wie die, daß er Eisenbahnunglücke herrlich finde, sofern die 1. Klasse nicht betroffen sei. Später befürwortete er nachdrücklich die Franco-Diktatur. Auch langjährige Freunde, wie der 1983 gestorbene Filmregisseur Luis Buñuel, fanden derlei Zynismus unverzeihlich.

Sein Werk ist – nicht immer ohne Duldung oder Zutun des Meisters – beispiellos ausgeschlachtet worden. Fälscher und sonstige Nachahmer traten auf den Plan, und Dalí ließ es zu, daß in immensen Auflagen seine „Original“-Graphik verramscht wurde.

In den letzten Jahren war es stiller um ihn geworden. Seine vergötterte Frau „Gala“, die ihn nach eigenem Bekunden vor dem endgültigen Abgleiten in den Wahnsinn rettete, starb 1982. Der todkranke Dalí zog sich schon vor Jahren von aller Welt auf Schloß Pubol an der Costa Brava zurück.

                                                                                                                            Bernd Berke




„Denkmalschutz“ für das Sauerländer Platt – Wörterbuch-Autoren zu Besuch bei der Rundschau

Eigener Bericht

Arnsberg/Dortmund. (bke) „Roter Hund, raus!“ – ein Testsatz, der es in sich hat. Auf Sauerländisch Platt lautet er: „Räoe Ruie riut!“ Wer die halsbrecherische Folge kehliger R’s und die Diphtonge (Zwielaute wie „äo“ oder „iu“) nicht einwandfrei hinbekommt, der kann auch kein „Platt“ – zumindest nicht die kurkölnisch-sauerländischen Variante, wie sie im Hochsauerlandkreis und im Kreis Olpe „gekuiert“ (gesprochen) wird.

So richtig können es ja eigentlich nur noch die Alteingesessenen. Vor allem ältere Mitarbeiter waren es auch, die, auf Anregung des Sauerländischen Heimatbundes, von 1982 bis 1988 die Fleißarbeit für ein „Plattdeutsches Wörterbuch für das kurkölnische Sauerland“ leisteten. Das Ende 1988 erschienene Buch (Strobel-Verlag, Arnsberg, 272 Seiten; 24,80 DM) hat Erfolg. Die Startauflage von 1500 Stück war im Nu ausverkauft, jetzt ist die zweite im Handel. Zwei eifrige Zulieferer des Wörterbuchs, Dr. Maria Rörig und Ludwig Klute, bei ihrem Besuch im Dortmunder Rundschau-Haus: „Der Band ist wirklich ins Volk gegangen“.

Zwar hat die Kommission für „Mundart- und Namenforschung Westfalens“ (Münster) die rund 5000 Worte wissenschaftlich überprüft; doch das Resultat ist kein trockener Germanisten-Stoff. Dafür sorgt schon die Auflockerung durch Fotos und Redewendungen. Ludwig Klute: „Ganze Familien blättern gemeinsam in dem Wörterbuch.“

In den Wortkolumnen findet man viele Beleg-Sätze für die oft drastische Komik der Mundart. Maria Rörig charakterisiert Sauerländer Platt als besonders wortmalerisch. Im Unterschied zum bedächtigen Münsterländisch wirke das Sauerländische lebendiger, beweglicher – „wie eine Quelle, von denen diese Region so viele hat“. Daß Sauerländer gern foppten und Schabernack trieben, hat sich in die Mundart „eingeschrieben“. Ein Beispiel für die derbe Bildkraft: Den Umstand, daß eine junge Frau im Haus Männer anzieht, beschreibt eine Redewendung so: „Bai siek ne Hitte imme Hiuse höllet, matt leyen, dat de Bock düört Finster keyket“ — Wer eine Ziege im Haus hält, muß dulden, daß der Bock durchs Fenster (herein)schaut.

Sprachlich näher an Holland als am Siegerland

Eine Grenze zieht Ludwig Klute: „Wir haben sprachlich mehr mit Holland zu tun als mit dem Siegerland.“ Sauerländer Platt hat allerdings seinerseits etliche Spielarten. Beispiel „Braut“: Dem Wörterbuch zufolge sagt(e) man in Arnsberg-Sundern „Bruie“, in Brilon „Bröit“, in Elspe „Bröut“, in Schmallenberg „Bröüt“, in Attendorn und Olpe „Brut“ (mit langem „u“), in Olpe auch „Brüe“, in Balve „Bruite“…

Auch Maria Rörig (aus Endorf) und Ludwig Klute (aus Allendorf) mußten feststellen, daß sie als Kinder verschiedene „Platts“ gelernt haben. Das Wörterbuch solle jedoch auch zur Überwindung des Kirchturmdenkens beitragen. Da „Platt“ keine wirklich lebendige Sprache mehr sei und jüngere Leute es höchstens noch „streypelig“ (mit Hochdeutsch vermischt) beherrschten, gelte es „zu retten, was zu retten ist“. Der (sprach)-denkmalschützerische, konservatorische Aspekt steht also im Vordergrund.

Immerhin, so Maria Rörig, gebe es Anzeichen für eine Rückbesinnung („Platt“-Messen, Lesewettbewerbe usw.). Falsch sei es jedenfalls, die Mundart künstlich wiederzubeleben, indem man den Duden Wort für Wort in ein synthetisches Platt übertrage und Begriffe wie „Computer“ einschließe. Für das Wörterbuch ist man umgekehrt vorgegangen: Aufgrund bestehender Wortlisten wurde das tatsächlich gesprochene Platt ermittelt. Maria Rörig: Man habe gleichsam ein echtes Fachwerkhaus restauriert, statt es bloß nachzubauen.

So wird das Wörterbuch zum „Wort-Museum“, zum authentischen Dokument alter Volkskultur. Wenn Maria Rörig und Ludwig Klute von und auf Platt erzählen, kommen sie schnell auf alte sauerländische Originale und „Dönekes“ zu sprechen. Auch erschließt Platt die versunkene Lebenswelt der früheren Landwirtschaft und des einfachen Handwerks.