Das Theater zertrümmert sich selbst – Drei Stücke beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb

Von Bernd Berke

Mülheim. Da kann man nicht hadern: Die bisherigen vier Inszenierungen beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb waren durchweg hochklassig. Doch die Texte , um die es hier ja geht, sind von recht unterschiedlicher Qualität. Nach dem Auftakt mit Botho Strauß‘ „Besucher“ (die WR berichtete) waren jetzt Stücke von Tankred Dorst, Rainald Goetz und Gisela von Wysocki zu sehen.

Passionsspiel zwischen Bibel, Kroetz und Beckett: Tankred Dorsts „Korbes“ ragt wie ein einsamer Findling in die Stücke-Landschaft. Der Text überspringt kühn die Zeiten: Ein zylindrisches Halbrund, mit kargem Stubenmobiliar schief in ein steinzeithaftes (und apokalyptisches) Bühnen-Universum gestellt, ist passender Spielort der Aufführung des Münchner Residenztheaters (Regie: Jaroslav Chundela).

„Korbes“ (großartig: Wolfgang Hinze) ist ein gottloser Hiob in einer gottverlassenen Welt. Das Stationenstück seiner Leiden wird – Kontrast wie von einem anderen Stern – immer wieder unterbrochen durch Passagen aus Händels „Brockes-Passion“. Doch der „Kreuzweg“ ist alles andere als fromm. Seine soeben gestorbene Frau liegt noch schauerlich verrenkt auf dem Bett, da bespringt Korbes schon die Nachbarin. Erschütternd dann die Szene, in der er merkt, daß er über Nacht erblindet ist. Fortan wird er verlacht und bestohlen, und am Ende kehrt seine als Kind von ihm gequälte Tochter zurück, um eine innige Symbiose aus Pflegedienst und Rache mit ihm einzugehen. Leiden zufügen und selbst leiden werden eins, ballen sich höllisch zusammen. Händels Passion. Trostversuch der Kunst und der Religion zugleich, verhallt da ungehört.

Irritierend, wie das Böse in diesem Stück „einfach da“ ist, ohne jede Erklärung – ganz wie im titelgebenden, rätselhaften Grimm-Märchen über den Herrn Korbes, der von Gegenständen und Tieren zu Tode gepiesackt wird. Dorsts Stück entfaltet in theaterwirksamen Szenen beinahe alttestamentarische Kraft.

Kraftvoll gebärdet sich auch Rainald Goetz mit seinem Einpersonenstück „Kolik“. Doch hier ist es eher kraftgenialisehe Attitüde, die sich in einen Wortschwall sondergleichen ergießt. Die gleichwohl achtbare Bonner Inszenierung (Regie: Peter Eschberg) beginnt mit einem Countdown, dann zischt die Sprachrakete ab. Geleitet von einer Art Wahn- und Zwangssysstem, das er mit siebzehn auf die Tafei geschriebenen Worten markiert, legt der „Mann“ (Giovanni Früh) los, vom Geburtsschrei bis zum Todesröcheln: Er doziert vom Katheder herunter, salbadert, sondert allgemeinsten, zuweilen pubertären Weltschmerz ab und (einzige Regieanweisung) „trinkt“ wie ein Loch. Seine Sätze schwellen an und krampfen sich zusammen: Kolik der Sprache und des Hirns. Ein sehr „deutsches“ Stück, unerbittlich-expressives Trümmerfeld aus Worten. Goetz schlägt wahllos um sich – und trifft doch selten. Wie vermißt man da den Strudel von Thomas Bernhards langsam, aber stetig anbrandenden Haß-Tiraden.

In Gisela von Wysockis „Schauspieler, Tänzer, Sängerin“ (gezeigt vom Schauspiel Frankfurt) zerschmettert das Theater seine Mittel nicht, sondern seziert Techniken und Obsessionen der genannten Bühnenberufe gleichsam bei lebendigem Leibe; ein höchst artifizieller und intellektueller Vorgang. Die Textvorlage enthält essayistische Einsprengsel und einen Fußnoten-Apparat. Regisseur Axel Manthey setzt sich darüber hinweg und macht faszinierend sinnliches, subtile Kraftlinien nachzeichnendes Bilder- und Körpertheater. Frappant die Körperbeherrschung des Tänzers (Stephen Galloway), von genialer „Naivität“ Ulrich Wildgruber als tapsiger Schauspieler. Dieser König der Nuschler, der die Theatermittel eben nicht wie aus dem Bilderbuch beherrscht, kann sie desto befremdlicher ausstellen. Ein interessantes Experiment, doch wohl kein „Stück des Jahres“.




Theaterprobe als Modell eines flüchtigen Lebens – „Besucher“ von Botho Strauß eröffnet Mülheimer Stücketage

Von Bernd Berke

Mülheim. Frenetisch bejubelter Auftakt der Mülheimer Theatertage „Stücke 89″: Der Dramatiker-Wettbewerb begann mit „Besucher“ von Botho Strauß. Dieser Text wandelt kreuz und quer durch alle Ebenen von (Un-)Wirklichkeit und verwendet kunstvoll die Probensituation des Theaters als Modell des vorläufigen, flüchtigen und austauschbaren Lebens.

Leben spiegelt das Theater, Theater das Leben. Schauspieler stehen plötzlich sogar als Theaterbesucher auf der Bühne, und wir geraten immer tiefer in das verschachtelte Spiegelkabinett eines Stücks im Stück im Stück…

Die Proben für einen Gentechnik-Schocker werden beherrscht von „Karl Joseph“, einem berühmten Mimen alten Schlages. Es wird nie ganz gewiß, ob er ein spieltechnischer Virtuose ist oder doch nur ein Deklamations-Scharlatan, der sich vor den Zumutungen des Lebens großmäulig in alte Bühnen-Anekdoten rettet. Heinz Bennent spielt seine ganze Bühnenerfahrung mit, er hält – wahres Wunder an Präsenz – diese herrliche Rolle (unbestreitbare Stärke auch des Textes) bis zum Schluß offen.

Seine Mit- und Gegenspieler: Cornelia Froboess als nymphomane Tierschützerin, die man nach langen Jahren wieder zum Theater geholt hat, und Axel Milberg als junger Bühnenanfänger; er stammt aus der DDR, scheint aber aus der gesamten Wirklichkeit „ausgebürgert“. Auf den Stationen seines Einsamkeits-Weges kommen traumartige Passagen ins Spiel. Sie verleihen dem Stück leider einen Zug ins Ungefähre, ins bloß noch Geraunte. In Dieter Doms Inszenierung (Kammerspiele München) ergibt das einen scharfen Kontrast zu Szenen, die auch handfesten Klamauk nicht scheuen: „Joseph“ (Bennent) hat Dauerprobleme mit seinem Gebiß und vollführt auch schon mal einen Handstand.

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Zur Eröffnung der „stücke ’89“ hat NRW-Kultusminister Schwier eine Rückbesinnung des Theaters auf seine wesentlichen Elemente gefordert. Theater werde nicht allein für Rezensenten veranstaltet, um den „Marktwerkt des jeweiligen Intendanten zu steigern“. Abwerbeverhandlungen sollten der Fußball-Bundesliga vorbehalten bleiben. Sie dienten der Qualitätssteigerui des Theaters nicht.




„Sammlung Berg“: Osthaus-Museum zeigt seine kostbare Erbschaft

Von Bernd Berke

Wenn die in Hagen ansässige Industrie- und Handelskammer (IHK) Südwestfalen ihre Jahreshauptversammlung zwischen lauter Kunstwerken abhält, muß das eine besondere Bewandtnis haben. So wie letzten Donnerstag im Hagener Osthaus-Museum.

Die Wirtschafts-Experten der Region, sonst vorrangig mit nüchternen Bilanzen befaßt, gerieten ins Schwärmen über ein bemerkenswertes Kunst-Erbe der Stadt: Die „Sammlung Berg“, mit kostbaren Bildern aus Impressionismus und Expressionismus, hebt, so freut sich auch Osthaus-Chef Dr. Michael Fehr, „das Niveau des Museums noch einmal spürbar an“. Arbeiten so berühmter Künstler wie u. a. Lyonel Feininger, Erich Heckel, Alexej Jawlensky, Ernst Ludwig Kirchner, Emild Nolde, Max Pechstein und Auguste Renoir rechtfertigen diesen Stolz.

Die neue Kollektion paßt so „angegossen“ zum bisherigen Sammlungsbestand, als hätte man sie gezielt auf dem Markt erworben, was wegen horrender Preise heutzutage praktisch unmöglich ist. Nur genaue Kenner des Museums an der Hochstraße werden denn auch auf Anhieb alle neuen Bilder herausfinden können. Kleiner „Geheimtip“: Jene, die (noch) von Goldrahmen eingefaßt sind, gehören zur „Sammlung Berg“.

Bilder fügen sich bestens zum bisherigen Eigenbesitz

Die Hagener Erbschaft stammt von Fritz Berg (1901-1979), einem mittelständischen Industriellen (Drahtverarbeitung) aus Altena. Berg war von 1946 bis 1971 Präsident der IHK Südwestfalen und langjähriger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Seine im Dezember 1988 verstorbene Witwe Hildegard Berg vermachte die Kunstsammlung, zu der auch Ostasiatika wie chinesiches Porzellan und historische Möbel gehören, völlig überraschend dem Osthaus-Museum. Ursprünglich hatte sich ein anderes Kunstinstitut Chancen ausgerechnet. Bedingung: Hagen muß 21 Gemälde in der ständigen Ausstellung präsentieren und darf sie nicht weiterverkaufen. Da sich die „Sammlung Berg“ so glückhaft in den angestammten Osthaus-Besitz einfügt, fällt beides leicht.

Mit der Übergabe des Nachlasses verheilt zum Teil eine alte Hagener „Wunde“. 1922, nach dem Tod von Karl Ernst Osthaus, wanderte dessen Kunstsammlung nach Essen, wo sie das Folkwang-Museum bis heute zur „feinen Adresse“ macht. Beispiel Lyond Feininger: Bisher besaß das Osthaus-Museum zwei seiner Arbeiten, ein Aquarell und das Ölbild „Gaberndorf I“ (1921), eine für diesen Künstler typische Überlagerung prismatischer Architektur-Formen.

Sinnvolle Ergänzungen bei Feininger und Heckel

Jetzt kann man mit „Am Quai“ (1908) auch die frühe Phase dokumentieren, in der sich Feininger gerade erst als freischaffender Künstler zu etablieren begann. Bis dahin hatte er vor allem als humoristischer Zeichner und Karikaturist gearbeitet. Das Hafengemälde zeigt nun den Übergang zum Tafelbild: Die Figuren sind karikaturhaft überzeichnet, und gleichzeitig deutet die Ausführung auf Feiningers späteren Stil voraus – besonders der Umstand, daß praktisch jedes Ding und jede Figur unter einer eigenen Perspektive dargestellt wird. Bei genauerem Hinsehen merkt man sogar, daß auf verschiedenen Bildteilen der Wind aus verschiedenen Richtungen weht. Der Hafen als Ort einer verwirrenden Gleichzeitigkeit, von vielerlei Abschied, Ankunft, Sehnsucht und Einsamkeit. Auch für eine spätere Feininger-Phase gibt es jetzt einen Beleg in Osthaus-Besitz: „Frau mit rotem Haar“ (1927) markiert den Übergang zu einer neuen Beschäftigung mit dem menschlichen Bildnis.

Genau so sinnvoll ist die Ergänzung bei Erich Heckel. Vom Maler der expressionistisehen Künstlergruppe „Brücke“ konnte man bisher „Frühling in Flandern“ (1915/16) zeigen – verzweifelter Seelenzustand in Form einer Landschaft, Bild der „verbrannten Erde“. Nun ist, als Kontrast, „Gehölz am Meer“ hinzugekommen, ein Vorkriegsidyll von 1913. Dieses Bild hat einen gar nicht idyllischen Irrweg hinter sich. Anfangs hing es in der Kunsthalle Bremen. Dann, von den Nazis als „entartet“ gebrandmarkt und vermutlich 1937 in Zürich für Devisen versteigert, befand es sich in den USA, bevor es in den 50er Jahren in einer Münchner Galerie auftauchte und von Fritz Berg erworben wurde.

Ein besonderes Stück ist auch Auguste Renoirs „Blick von Haute-Cagnes aufs Meer“ (nach 1903); es gibt nur ganz wenige „Renoirs“ in unserer Region, bislang mußte man mindestens nach Essen fahren, um einen zu sehen. Den materiellen Wert kann man nur schätzen, vergleichbare Bilder dieses Malers haben jedenfalls auf Versteigerungen – vorsichtig formuliert – höchst namhafte Preise erzielt.

Dies und die anderen Bilder der „Sammlung Berg“ bedeuten auch ein gehöriges „Pfund“, mit dem das Osthaus-Museum künftig bei seinen Wechselausstellungen „wuchern“ kann. Denn die Ausleihpraxis zwischen Museen funktioniert nun einmal nach dem Motto: Nur wer attraktive Leihstücke anbieten kann, bekommt auch welche.

Die „Sammlung Berg“ ist ab Sonntag im Zusammenhang mit bisherigen Beständen als Dauerausstellung zu sehen (Katalog 12 DM). Öffnungszeiten des Osthaus-Museums, Hagen, Hochstraße 73 (Tel.: 02331/207 576): So 11-16 Uhr, Di/Mi/Fr/Sa 11-18 Uhr. Do 11-22 Uhr, montags geschlossen.

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(erschienen in der Wochenend-Beilage der Westfälischen Rundschau)




Es siegt die Liebe zur Macht – Kotzebue-Stück „Der weibliche Jacobiner-Club“ bei den Ruhrfestspielen

Von Bernd Berke

August von Kotzebues „Der weibliche Jacobiner-Club“ ist, auf Ehre, ein erzreaktionäres Stück. Der Vielschreiber sah in der Französisehen Revolution von 1789 wohl nur eine pöbelhafte Störung der öffentlichen Ordnung. Das verdient, als bornierte deutsche „Antwort“ auf die Vorgange jenseits des Rheins, bestenfalls historisches Interesse.

Kotzebue projiziert seine Ängste ins Familiäre: Bei den Duports hängt der Segen schief. Töchterlein liebt Adligen, Vater ist angetan, Mutter – als glühende Anhängerin der Republik – hingegen gar nicht. Ihr „weiblicher Jacobiner-Club“ ist ein Hühnerhaufen und kräht Parolen, weil’s Mode ist. Eine Intrige des Dienstmädchens verhilft (so Kotzebue) der „Macht der Liebe“ zum Sieg. Doch eigentlich hat die Liebe zur Macht gewonnen.

Diesen Schmarren kann man nur noch schrill denunzieren. Michael Baumgarten/Horst Schäfer (Regie) tun das in ihrer Ruhrfestspiel-Inszenierung auch. Wacklige Pappmaché-Bühne, grotesk überdrehte Spielweise. Zudem wird das Ganze als Aufführung für Kaiser Joseph II. 1791 in Prag deklariert. Eben die hat es, bezeichnend genug, damals tatäachlich gegeben. Doch derlei Distanzierung und eine machtvolle Sexualattacke auf die Jacobinerinnen am Schluß helfen wenig. Man muß doch Kotzebue folgen, der den Männern den „Vemunft“-Part zuweist.

Helmut Löwentraut-Motschull als tumber Diener ragt heraus, Ingeborg Wolf als Madame Duport darf nach Herzenslust chargieren, Claus Iffländer gibt den Monarchisten Duport noch zu würdevoll.




Jedes Bild ein neuer Aufbruch – Vitales „Spätwerk“ von Emil Schumacher in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Als fange die Kunst noch einmal ganz von vorn an, krümmt sich – wie auf einer vorzeitlichen Höhlenzeichnung – ein Pferd, es scheint im Bildraum zu stürzen. Doch dann der Hintergrund: giftig-gelb, ein farblicher Aufschrei, wie er so nur in unserem Jahrhundert möglich ist. Ganz von vorn und doch immer ein neuer Aufbruch – überhaupt ein Kennzeichen der Arbeiten Emil Schumachers (76), des Hagener Ehrenbürgers mit internationalem Ruhm.

Kaum können zeitliche Entwicklungen nachvollzogen werden, denn jedes Einzelbild verlangt nach einer Betrachtung „für sich“, erst recht die vierzig „späten Bilder“ (seit 1969), die ab heute bis zum 25. Juni in der „Kunstsammlung NRW“ am Düsseldorfer Grabbeplatz zu sehen sind und dann in die Ferne (Budapest, Madrid) reisen.

Gegenüber der Erstpräsentation 1988 in der Berliner Nationalgalerie ist die Zusammenstellung erheblich verändert worden. Das besagte Pferdebild (Titel: „Fallaca“, 1989) war seinerzeit noch gar nicht entstanden. Es ist übrigens die einzige gegenstandsnahe Arbeit in Düsseldorf – Hinweis auf eine künftige Hinwendung zum Figurativen? Hinzugekommen sind außerdem sieben Gouachen. Doch ansonsten sah sich Museums-Chef Werner Schmalenbach aus Platzgründen gezwungen, auf die meisten Berliner Bilder zu verzichten. Er glaubt aber, daß die derart konzentrierte Düsseldorfer Version intensiver und spannender geraten sei. Schmalenbach bekennt, erst 1961 (als er Schumacher in Hannover ausstellte) von der Kunst des Hageners überwältigt worden zu sein. Seitdem habe er sich laufend mit diesem Werk befaßt. Nur beipflichten kann man SchmaÏenbach in der Kritik am im Berlin erstellten Katalog (30 DM), der – mit bonbonfarbenen Titelrand – Schumachers Farbempfinden Hohn spricht und im Innern mächtig von den Originaltönen abweicht.

Ein Grund mehr also, nach Düsseldorf zu kommen und die Bilder selbst zu betrachten. Vor den Arbeiten stehend, spürt man denn auch erst die „sportive Aggressivitat“ (Schmalenbach), mit der sich Schumacher an seinen Bildern abarbeitet. Doch pure Aggression wäre keine Kunst. Gegengewicht sind jene vorsichtig, tastend und skrupelhaft geführten Linien, die dem reinen „Angriff“ auf die Bildfläche Einhalt gebieten und der zuvor reinen Körperlichkeit Geist und Seele einhauchen.

Exotische Titel verleihen den meist schrundig aufgerauhten Bildern zusätzliches Geheimnis: „Halaf“, „Autuno“, „Tamana“, „Elam“, „Harim“, „Maroussi“ – in Reihenfolge gelesen, wirkt das wie orientalische Poesie. Die Titel „helfen“ nicht eigentlich beim Verstehen, lenken aber zuweilen die Assoziationen, so bei der Arbeit „Lacrima“ (Tränen) von 1977, deren Oberfläche wirklich zu weinen scheint, oder bei „Hiob“: Nicht die biblische Leidensgestalt, vielleicht aber ihr ganzer Weltjammer wird da sichtbar.

Gerne würde Werner Schmalenbach, dessen Haus zwei Bilder von Schumacher besitzt, ein weiteres erwerben. „Besonderen Appetit“ habe er auf das großartige „Indemini“ (1974), ein Materialbild mit Teerstücken. Doch es fehlt Platz für dauerhafte Hängung. Schmalenbach: „Einen Schumacher kauft man nicht, um ihn im Depot zu verstecken.“ Womit er abermals recht hat.




Natur wird Kunst – Vogelstudien von William Turner in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Für gewöhnlich hüten die Briten Werke ihres wohl größten Künstlers, Joseph Mallord William Turner, wie den sprichwörtlichen Augapfel. Dazu sind sie auch verträglich verpflichtet. Für die Dortmunder Auslandskulturtage mit der Insel macht jetzt jedoch Leeds, die Partnerstadt der Westfalenmetropole, eine Ausnahme.

20 Aquarell-Blätter von Turner, „Vogelstudien“, sind ab morgen bis 18. Juni (di-so 10 bis 18 Uhr) im Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße zu bewundern — erstmals außerhalb Englands. Strengste Auflagen waren Bedingung für diese kleine Sensation: Die empfindlichen Bilder dürfen nicht hell angestrahlt und nur hinter spiegelndem Glas gezeigt werden. Riesenformate darf man da nicht erwarten, ja angesichts einiger der kleinsten Exponate empfiehlt es sich sogar ernstlich, eine Lupe mitzubringen.

Die Ausstellung zeigt sozusagen den „privaten“ William Turner, nicht den Maler jener von unvergleichlichen Lichtnebeln durchzogenen Landschaften, nicht den genialen Vorläufer der Impressionisten. Turner fertigte die Vogelstudien zwischen 1808 und 1824 für die Familie seines Freundes und Mäzens Walter Fawkes, auf dessen Landsitz Farnley Hall in der Grafschaft Yorkshire. Gedacht waren die Bilder als Ergänzung vogelkundlicher Alben, in die auch Federn und sogar Schnäbel eingefügt wurden; all das diente Fawkes zur unterhaltsamen Belehrung.

Hintergrund: Damals war es vornehme Sitte, naturkundliche oder Kuriositäten-Kabinette anzulegen. Losgelöst von diesem ursprünglichen, eher profanen Kontext, können Turners Vogelstudien heute als autonome Kunstwerke wahrgenommen werden. Ohnehin sind es keine zoologisch exakten, sondern künstlerisch inspirierte Darstellungen; ein Blatt wie „Schottisches Moorschneehuhn“ – in der alten Konvention von Geflügel-Stilleben – ist schon die Ausnahme. Augenfällig wird die über Natur und Kunsttradition weit hinausreichende künstlerische Zutat hingegen bei einem Blatt wie „Kampfhahn“, dessen Machart an die furiose Abstraktionskraft des Landschaftsmalers Turner gemahnt. Auch beim toten, zartblau schimmernden „Eisvogel“ handelt es sich nicht einfach um ein Vogel-, sondern auch um ein Sinnbild.

Alle Arbeiten zeigen die Tiere für sich, ohne szenische Hintergründe, und die meisten sind nach dem für Turner typischen Kopf-Hals-Schema ausgeführt, das heißt: Nicht der ganze Vogel ist abgebildet. Dies nähert manche Darstellungen formal dem menschlichen Brustbild und damit manchmal gar (wie etwa bei der „Schleiereule“) einem „menschenähnlichen“, individuellen Ausdruck an.




Über die Revolte wird nur geredet – Roland Gall inszeniert Hauptmanns „Weber“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Unter der gebieterischen Titelzeile „Schluß jetzt mit Hauptmann?“ bezeichnete der Kritiker Peter Iden („Frankfurter Rundschau“) 1987 die Beschäftigung unserer Bühnen mit Gerhart Hauptmanns Dramen als überflüssig. Das sei „totes Theater“, ganz von gestern.

Nun gibt es immer mal wieder Sternstunden, in denen angeblich „unspielbare“ Stücke sich als überraschend spielbar erweisen. Eine solche Sternstunde wurde Wuppertal, wo Roland Gall (1980-84 Dortmunder Oberspielleiter) Hauptmanns „Die Weber“ in Szene setzte, allerdings nicht zuteil.

Die Bühne (Frank Chamier) ist naturalistisch gestaltet, die Dinge bedeuten nur sich selbst: Szenen wie Genre-BiIder, insgesamt zu harmlos. Auch eine Symbolik der Art, daß die Fabrikantenwohnung sich als Luxus-Gehäuse über einer Weberhütte befindet, ist gar zu offensichtlich.

Zudem wird das Elend der schlesischen Weber von 1844 durch die Kostüme (Angelika Uhlenbruch) eher behauptet als im Spiel beglaubigt. Es kommt zu keiner – womöglich erhellenden – Neu-Begegnung mit dem Text, der Zugriff durchdringt das Stück nicht. Kaum wird deutlich, warum man sich gerade für diesen Text interessiert hat.

Gespielt wird in Wuppertal nicht Hauptmanns dialektdurchsetzter Text von 1892, sondern eine hochdeutsche Neubearbeitung von Karl Otto Mühl. Das bedeutet einen Zugewinn an Verständlichkeit, poetisch aber einen Verlust. Man vermißt nicht nur berühmte Seufzer à la „Nu ja ja – nu nee nee!“, sondern vor allern die soziale Differenzierung nach Sprach-Schichten: Je näher einer den Herrschenden steht, desto eher versucht er sich in der Hochsprache. Hier aber redet der Weber fast so wie seine Ausbeuter.

Ein paar Eingriffe hat Roland Gall gewagt: Er verzichtet praktisch ganz auf Massenszenen, ersetzt sie durch skandierte, mit Trommelmusik (Heinrich Huber) untermalte Rebellions-Rufe vom Band – Revolte aus der Konserve? Auch als die Weber ins Haus des Fabrikanten Dreißiger eindringen, schlagen sie nicht etwa alles kurz und klein, sondern erstarren zum Gruppen-Tableau. Somit laufen all die vielen Reden, die rund um die Rebellion geführt werden, ins Leere, beziehen sich auf keine konkrete Tat, nähern sich einern bloßen Revolutions-Geschwätz. Der Aufstand wird nur noch herbeigeredet, nicht wirklich vollführt. Auch auf der Gegenseite steht keine echte Macht: Hans Christian Seeger als Fabrikant Dreißiger ist nur ein Schmalspur-Herrscher und führt eine Ideologie im Munde, an die er wohl selbst nicht mehr glaubt.

Ein Großteil des Ensembles, viele in Mehrfach-Rollen, wirkt mit. Die Leistungen reichen vom gelegentlichen Chargieren über ordentliche „Ablieferung“ der Rolle bis hin zur „Erledigung“ (letzteres im Doppelsinn). Einige schöne Gestaltungen ragen aber doch heraus, zumal in Nebenrollen: Besonders Josef Ostendorf (Reisender, Chirurg) und Karin Neuhäuser (als debiler Webersohn August Baumert), der es für einige Momente gelingt, dem Geschehen einen geradezu idiotischen Schrecken zu verleihen. Auch Dietmar Bär als brutaler Revolten-Karrierist Moritz Jäger und Bernd Kuschmann als Lumpensammler Horig machen ihre Sache recht gut. Horst Fassel (Weber Baumert) und Günther Delarue (Hilse) agieren solide, wie man es von bewährten Stutzen des Ensembles erwartet.

Herzlicher Beifall für die Schauspieler, ein paar zaghafte Buhs für die Regie.




Als Zukunftshunger die Künstler erfaßte – Bilder in der deutschen Revolution 1918/19

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Was kann die Revolution der Kunst geben, was kann die Kunst der Revolution geben?“ Im Zeichen dieser Doppelfrage steht die große Ausstellung der Ruhrfestspiele. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ lautet der etwas irreführende Titel. Doch es geht hier nicht um die Französische Revolution.

Exponate, die sich auf die Umwälzung von 1789 beziehen, dürften derzeit fast restlos ausgeliehen sein. So konzentrierte sich Dr. Anneliese Schröder in der Kunsthalle Recklinghausen auf fünf Künstlergruppen im Umfeld der (gescheiterten) deutschen Revolution 1918/19.

Dies kann man aus der Ausstellung ableiten: Ganz anders als die Oktoberrevolution in der Sowjetunion, haben die Umsturzversuche in Deutschland die Kunst zwar mit Zukunftshunger aufgeladen, kaum aber auf den Stil der Künstler eingewirkt. Zwar gab es eine Flut von drangvollen Manifesten und beinahe siegestrunkenen Architektur-Entwürfen für kristalline „Kathedralen der Zukunft“ (Motto: „Glas macht dem Menschen Mut“), doch wich der Stilpluralismus nicht etwa einem revolutionären Einheitsstil. Gemeinsame Gesinnung ja, gemeinsame Ausdrucksformen nein – das wäre die Formel.

Die Vielfalt blieb – auch innerhalb der Künstlergruppen. Eine gewisse Ausnahme bildeten die „Rheinischen Progressiven“ (Gert Arntz, Heinrich Hoerle, F. W. Seiwert u. a.), bei denen Tendenzen zu kollektivem Stil und Thematik erkennbar sind. Sie richteten ein Hauptaugenmerk auf Automatismen, die die Industriewelt den menschlichen Körpern aufprägt. Doch findet sich in dieser Abteilung auch eins der ganz seltenen Beispiele für die direkte Darstellung eines Revolutions-Themas, und das auch erst am Punkt des Niedergangs: Margarete Kubickas Bilder zu den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Der „Arbeitsrat für Kunst“ (Berlin, ab 1919 – Hermann Finsterlin, Hans Scharoun, Bruno Taut u. a.), schon in der Namensgebung an Arbeiter- und Soldatenräte angelehnt und mit der „Novembergruppe“ verwoben (Max Pechstein, Walter Dexel, Rudolf Belling), setzte sich die Kunst-Utopie des „Glücks der Masse“ zum Ziel. Eher das reale Unglück der Massen in Gestalt bedrückenden Arbeiter-Elends spricht aus Bildern der „Dresdner Sezession Gruppe 1919″ um Conrad Felixmüller.

Interessant an der mit berûhmtesten Namen glänzenden Abteilung „Bauhaus Weimar“ (kleinere Arbeiten von Klee, Feininger, Kandinsky, Schlemmer) ist besonders, daß man sie hier im Kontext zeitgleicher Strömungen sieht. Das Bauhaus hatte zwar zunächst manche Berührungspunkte mit der Revolution, wurde aber später zu einer Art Design-Werkstatt im Sinne formal fortschrittlich denkender Industrieller.

Aus dem Rahmen fällt der Raum, der „Dada Berlin“ (Heartfield, Grosz, Hannah Höch) gewidmet ist. Hier wird ein Elan spürbar, der respektlos mit allem umspringt und dabei in ästhetische Regionen vordringt, die anderen nicht mehr zugänglich sind. In diesem Kreis wurde denn auch die einzige genuine Kunst-Erfindung jener Jahre geboren: die Foto-Collage.

Zwar sind nicht durchweg Spitzenstücke zu sehen, doch wäre das auch bei einem Ausstellungsetat von nur 200 000 DM – angesichts heutiger Versicherungssummen – beiweitem zu viel verlangt. Die Schau vermittelt jedenfalls intensives Zeitklima.

Und schon kursieren Ideen, den Ruhrfestspiel-Ausstellungen einen Zweijahres-Turnus zu verordnen. Dann könnte man „klotzen“ und noch mehr Aufwand in die Vorbereitung stecken. Doch gehört nicht eine alljährliche Ausstellung zu den Festspielen wie ein Fisch ins Wasser?

Kunsthalle Recklinghausen: Ab heute bis 18. Juni. Tägl. 10-18 Uhr; Katalog 20 DM.