„Kabale und Liebe“ als Bühnen-Schachspiel – Hansgünther Heyme inszeniert Schiller in Mülheim
Von Bernd Berke
Mülheim. Immer wieder werden Stühle über die Bühne getragen. Bevor und während sie reden, nehmen die Figuren so neue Positionen ein, im ständigen Wechsel, fast wie beim „Königlichen Spiel“: Bühnen-Schach, Gefühls-Schach. Es geht um Sieg und Niederlage, um Macht – und weniger um Liebe als um die gute Partie.
Als zermürbenden Stellungskampf der Figuren führt uns Hansgünther Heyme Schillers „Kabale und Liebe“ vor. Heyme, zeit seines Theaterlebens Schiller zugetan, läßt diesmal niemanden mit dem Motorrad auf die Szene rasen (wie einst im „Tell“), und auch schrille Brechungen à la Goethes „Faust“, wo Heyme Gretchen mit der Rockgitarre antreten ließ, unterbleiben. Statt dessen: Posen und Posituren, überdeutlich herausgestellte Gefühle bis hin zur (bewußten) „Schmiere“, große Gesten für kleine (und schnell wandelbare) Regungen. So werden auch bereits jene Momente vergiftet, in denen einmal wahres Fühlen durchbrechen will.
Bekanntlich geht’s um die bürgerliche Musikus-Tochter Luise Miller, die es zum adligen Ferdinand hinzieht – eine anno 1784 (Uraufführung) „unmögliche“ Liason. Die Verbindüng wird denn auch von der Vätergeneration, insbesondere durch blaublütige Intrigen (also „Kabale“) aufs Teuflischste hintertrieben. Effekt: Vor den Vätern sterben die Kinder, von Limonade aus eigener Mischung vergiftet.
Der zeitgebundene Anteil des Themas, der Konflikt zwisehen Adel und Bürgertum, ist für uns weit, weit weg. Dem trägt auch Heyme Rechnung: Einzige Möblierung ist ein überlanger Tisch, dessen Enden nur durch Beleuchtungswechsel als kaum wesentlich verschiedene Adels- und Bürger-Sphäre markiert werden. Man bewegt sich letzten Endes im selben Element der Uneigentlichkeit und der Unfahigkeit zu Gefühlen.
Darauf legt Heyme den Akzent, er „verbrechtet“ nicht und läßt auch nicht seine sonst so häufig eingesetzten „braunen Horden“ aufmarschieren, obgleich er (im Programmheft) das Stück stocknüchtern als „deutsches Material“ bezeichnet und sogleich Nietzsches fatalen „Übermensehen“ sowie Paul Celans „Todesfuge“ („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) herbeizitlert.
Auf Länge gesehen, wirkt besagte Künstlichkeit allerdings doch etwas uninspiriert, auch hemmt mitunter eine Art von Langsamkeit das Spiel, die dem Geschehen keinesfalls mehr Binnenspannung verleiht. Heftigere Emotionen treten eigentlich nur in zwei Situationen hervor: beim Adel, wenn’s so richtig ans Intrigieren geht, beim Bürgervater Miller, wenn er einen Geldhaufen fast anbetet. Nur Macht und Mammon machen hier sinnlich, Liebe ist nur Traum oder Mittel zum Zweck.
Wolf Münzners Bühnenbild läßt sehr viel Spielraum, der vornehmlich zur Distanzierung der Figuren voreinander genutzt wird. Die Kostüme (gleichfalls von Münzner) haben fast durchweg einen leichten Stich ins Exaltierte, was die Künstlichkeit des Geschehens noch steigert. Das Ensemble spielt insgesamt passabel, aber nie mitreißend. Das meiste Interesse für die Geschichte seiner Figur weckt noch Wolfgang Robert als Miller.
Recht knapper Beifall und vereinzelte Buhs für Hansgünther Heyme, der bei den Proben unglücklich in den Orchestergraben gestürzt war. Als Schauspielchef ist er nicht gestürzt, im Gegenteil: Er bleïbt bis 1995 in Essen, und zwar „gerne“, wie er versichert.
Bis Herbst 1990 ohne taugÏiche Spielstätte in Essen, ist Heyme mit dieser Premiere nach Mülheim ausgewichen. Die Produktion firmiert schlau unter dem Etikett „Kooperation Essen/Mülheim“, denn dafür gibt es Extra-Zuschüsse vom Land.