Vati bleibt zu Hause und nervt die Familie – Loriots zweiter Kinofilm „Pappa ante portas“

Von Bernd Berke

Herr Lohse ist Abteilungsleiter Einkauf bei einem Großbetrieb. Für einen Mengenrabatt zugunsten der Firma würde er notfalls durchs Feuer gehen. Doch als er eines Tages im Ersparnis-Rausch tonnenweise Schreibpapier ordert – genug für die nächsten 40 Jahre – schickt ihn sein Boß vorzeitig in Pension.

Was macht so ein Mann jetzt? Nun, beruflich deformiert, wie er ist: erst mal im alten Stile weiter. Dabei kreuzen sich berufliches und privates Verhalten. Der Frühpensionär betritt z. B. ein Lebensmittelgeschäft und ruft mit einern Anflug gebieterischer Marktmacht, aber doch schon etwas verunsichert über Theke und Kunden hinweg: „Ich heiße Lohse und will hier einkaufen!“ Auch das mit den Sonderpreisen für Masseneinkauf kriegt er nicht so schnell weg. Ohne mit der Wimper zu zucken, ordert er 150 Senftöpfchen, damit’s im Schnitt ein bißchen billiger wird.

Noch schlimmer ist’s zu Hause. Plötzlich jeden Tag daheim und mit furchtbar viel freier Zeit geschlagen, geht er Frau und Sohn alsbald gewaltig auf die Nerven. Die tagsüber „vaterlose“ Keimzelle der Gesellschaft hat bislang prima funktioniert, doch nun will sich Vati partout privat nützlich machen, sprich: den Haushalt mal so richtig durchorganisieren; Belehrungen für die konsternierte Putzfrau inklusive. Und wie einst die alten Römer in ihrer Bedrängnis entsetzt ausriefen „Hannibal ante portas“ (Hannibal vor den Toren), so nun die Familie Lohse: „Pappa ante portas“! Die Gattin würde ihn am liebsten gleich in den Hobbykeller verbannen. Soll er da doch die Tageszeitungen der letzten Jahre nach Erscheinungsdaten sortieren…

Solche Sachen kann in Deutschland wohl nur einer wirklich zwerchfellerschütternd spielen: Loriot. Sein zweiter Kinofilm ist um keinen Deut schwächer als der herrliche Erstling „Ödipussi“ (1987). Ging es dort um eine irrwitzige Mutter-Sohn-Beziehung, so diesmal um die Kämpfchen eines mittelalten Ehepaares. Doch keine Angst. Loriot behandelt zwar ein „im Grunde“ ernstes Thema, aber mit souveräner Komik. Er ist  und bleibt ein Meister vor allem der verhinderten, verweigerten oder sonstwie scheiternden Kommunikation.

Da ist keine Szene zu lang, keine zu kurz. Da wird kein Gag verschenkt, keiner überreizt. Beim Timing und im szenischen Aufbau stimmt einfach alles, bis hin zu jenen entscheidenden Kleinigkeiten, etwa dieser hier: Weißes Café, alle Leute cremefarben gekleidet, lange schwelgt die Kamera in dieser sterilen Helligkeit. Und dann tapert auf einmal Loriot im grauen Anzug rein. Ein simples, gleichwohl wunderbar inszeniertes Bild dafür, wie umwerfend es sein kann, wenn einer deplaziert ist.

Nicht zuletzt solche Detailversessenheit macht den großen Komiker. Sie gilt auch für die Nebenrollen, die alle ungeheuer „paßgenau“ besetzt sind: Beispielsweise Gerd Dudenhöffer als Kellner, der bei jeder Bestellung verdächtig aufstoßen muß, weil ihm schon beim Gedanken an die Küche seines Lokals übel wird; beispielsweise Hans-Peter Korff und Irm Hermann als verbissen „glückliches“ Ehepaar, das sich „füreinander aufgespart hat“ – und natürlich Loriot selbst, der auch drei kleine Nebenparts selbst übernommen hat. Highlight: ein Poet, dem beim geistigen Höhenflug das Körperliche vermaledeit in die Quere kommt. Mehr wird nicht verraten. Auch nicht über das Ende, das zwar „happy“, aber dann doch irgendwie dissonant ist, und zwar buchstäblich.

Als Loriots idealer Widerpart erweist sich erneut Evelyn Hamann. Ohne sie könnte selbst er nur knapp drei Viertel seiner Wirkung erzielen. Was freilich bequem hinreichen würde, um die meisten seines Metiers weit hinter sich zu lassen.

„Pappa ante portas“ (Deutschland). Buch/Regie: Loriot. Mit Loriot, Evelyn Hamann, Ortrud Beginnen, Hans-Peter Korff u. a. Ab 21. Februar im Kino




Das millionenschwere Geschäft mit Klassik – ein hämisches Buch aus der „Spiegel“-Sprachwerkstatt

Von Bernd Berke

Man kennt das vom „Spiegel“. Manchmal gehen mit den Blattmachem des Hamburger Nachrichtenmagazins einfach die Pferde durch. Dann liegen unter Bergen von sprachlichem Brimborium grad mal ein paar Körnchen Informationsgehalt verborgen.

„Spielgel“-Kulturredakteur Klaus Umbach hat ein Buch über die millionenschweren Machenschaften im Geschäft mit der klassischen Musik geschrieben. Er bedient sich dabei über weite Strecken dermaßen exzessiv des „Spiegel“-Stils, daß es zuweilen ärgerlich wird. Man liest und liest und erfährt dabei vor allem, daß der Autor sich selbstgefällig in den Formulierungen seiner Gag-Schreibe „spiegelt“. Beispiel für viele:

„Jahrhundertelang lag das flache Land unter hohem Himmel in tiefem Frieden. Als Diogenes schon in der Tonne hauste, Cäsar nach Cleopatra grabschte und Nero die Christen zerfleischen ließ, kurzum: als das Abendland langsam seine wahre Bestimmung erkannte, da war an der Waterkant nur der Bär und nichts als der Bär los. Galt schon die ganze zottelfellige Germania bei den alten Römern als Blinddarm des europäischen Kulturrumpfes, so lag Holsatia, dieses Holstein ganz da oben, geradezu am Arsch der Welt: finster und windig, ein Loch in der Landkarte“.

Eine tolle Flut von Adjektiven. Erraten, worum es da gehen könnte? Um den laut Umbach idyllischen, weil praktisch musikfreien Zustand, bevor Justus Frantz den Nordlichtern sein Schleswig-Holstein Musik-Festival bescherte. Mit dem zitierten Absatz leitet Umbach ein ätzend-bissiges Kapitel über Frantz ein. Der umtriebige Pianist und Intendant ist eines von Umbachs Lieblingsobjekten. Doch auch Karajan und Bernstein bekommen posthum jede Menge Häme ab, wenn es gilt, die Geldscheffler des Gewerbes anzuprangern. Nicht verschont bleiben auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter (anzügliche Kapitelüberschrift: „Edelstrich der Nation“), die Pianisten Ivo Pogorelich, Friedrich Gulda und Wladimir Horowitz, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, die Sänger Luciano Pavarotti und Peter Hofmann, der Komponist Karl-Heinz Stockhausen sowie einige andere.

Natürlich bekommt man auch viele Einblicke, die wahrhaft erschaudern lassen. Besonders die Passagen über monopolistische Praktiken von Konzert-Agenturen oder Gigantenkämpfe zwischen Plattenkonzernen sind lesenswert. Doch in erster Linie bedient Umbach routiniert (und manchmal hundsgemein unter der Gürtellinie) das Tratschbedürfnis im Kultursektor.

Der Ordnung halber gesteht er seinen „Opfern“ jeweils in aller Kürze gewisse musikalische Qualitäten zu, um dann desto ausführlicher und erbarmungsloser ihre Geldgier anzuprangern. Da werden Könige reihenweise vom Thron gestoßen. Der Autor vergißt dabei nie, seine über allem schwebende Kennerschaft ins Licht zu rücken und so zu tun, als sei er bei jedem Finanzdeal live dabeigewesen. Jedenfalls: Der gewiß gleichfalls nicht übel bezahlte Umbach steht hernach immer als strahlender, moralischer Sieger da.

Überhaupt lebt dieses Buch zum einen von unser aller Neid und Schadenfreude, zum anderen von der moralischen Fallhöhe, sprich: der Kluft zwischen hochveredeltem Gestus der Klassik-Szene und der zuweilen wirklich schamlosen Gier ihrer Weltstars. Fazit: Da wird im Grunde abgezockt wie im Rock-Business, allerdings unter dem Mäntelchen von unantastbarer Hochkultur.

In die normalen Niederungen des Musiklebens hat sich Umbach freilich nicht begeben. Dort herrscht erheblich weniger Luxus. Dennoch erweckt das Buch manchmal den falschen Eindruck, als werde die gesamte Musik im Übermaß subventioniert.

Klaus Umbach: „Geldscheinsonate. Das Millionenspiel mit der Klassik“. Ullstein-Verlag, 296 S., 39,80 DM.




Das Ziel der Kunst kann die Reklame sein – Wuppertaler Retrospektive des Konstruktivisten Walter Dexel

Von Bernd Berke

Wuppertal. Reklame war für ihn kein Anhängsel der Kunst, sondern beinahe ihr Ziel: Wie so viele Künstler der ersten Jahrhunderthälfte, hat auch Walter Dexel (1890-1973) mit seinen Arbeiten ins Alltagsleben hineinwirken wollen. Für die Stadt Frankfurt entwarf er gar eine ausgefeilte „Reklame-Ordnung“, die allerlei werbliche Aussagen zum Stadtbild komponieren sollte.

Dexel, an den jetzt mit einer breit angelegten Retrospektive in Wuppertal erinnert wird, war von Haus aus Kunst-Wissenschaftler und zeitweise selbst Ausstellungsmacher mit besten Kontakten zu „Szene“. Es mag sein, daß ihm all sein Hintergrundwissen bei seiner Entwicklung als bildender Künstler zuweilen im Wege gestanden hat, denn der Autodidakt Dexel folgte bis in die 30er Jahre so getreulich den aktuellen Strömungen der Kunst, daß man ihn fast einen ordentlichen Sachwalter der Moderne nennen könnte. Der Eindruck, daß es ihn existentiell zum Schaffen gedrängt hätte, stellt sich nicht ein.

Irgendwann Anfang der 20er Jahre hatte sich sein Werk – beeinflußt von der holländischen De Stijl-Bewegung – auf geometrische Abstraktion und Konstruktivismus „eingependelt“. Es herrschten klare Farben, es dominierten Rechtecke und Quadrate, in immer neue Proportionen und Verhältnisse zueinander gebracht. Dexel entwickelte ein souveränes, hernach schon geradezu routiniertes Raum- und Formverständnis.

Wie fatal solche Verselbständigung der Form sein kann, zeigt sich besonders deutlich anhand einer Porträtserie aus dem Jahr 1933. Diese Prominenten-Köpfe, Gesiechter in Kürzelsprache, sind aus geometrischen und graphischen Elementen aufgebaut. Ganz unterschiedslos und ohne jede erkennbare Emotion hat Dexel z. B. Hitler, Lenin, Brüning, Pressezar Hugenberg und einen Rabbi nebeneinander gesetzt. Alles egal, sobald es nur künstlerische Form angenommen hat? Weit weniger „Bauchschmerzen“ verursachen Dexels Formfindungen, wenn er etwa mit typographischen Elementen arbeitet und einzelne Buchstaben gleichsam zu figürlichen „Hauptpersonen“ von Bildern macht.

Hochinteressant auch seine Bühnenbildentwürfe (u. a. für Bert Brechts „Mann ist Mann“), seine Werbeprojekte („Persil bleibt Persil“), seine auf Breitenwirksamkeit angelegten Vorzeichnungen für Straßenwegweiser oder Planungen für Straßenbeleuchtung. Auch als Plakatgestalter, der ausschließlich mit Schrift arbeitete, überzeugt der gebürtige Münchner.

Bis heute rätselhaft ist das abrupte Abbrechen seiner Produktivität sofort nach 1933. „Vorsichtshalber“ gleich Mitglied der NSDAP, geriet Dexel einige Zeit später doch in deren Visier und wurde 1935 als „unzuverlässig“ aus der Partei ausgeschlossen. Ausgerechnet seine recht maßvoll verfremdete Arbeit „Die Lokomotive“ war dann 1937 Bestandteil der Ausstellung „Entartete Kunst“; erstaunlich, weil solch ein Bild den Nazis kaum zu Denuziationszwecken dienen konnte.

Nach dem Krieg alsbald als NS-„unbelastet“ eingestuft, begann Dexel erst wieder in den 60er Jahren Bilder zu malen. Es sind dies nur noch recht laue Arbeiten, nicht mehr getragen von einer breiten Bewegung wie noch in den 20er Jahren.

Walter Dexel: Bild – Zeichen – Raum. Wuppertal, Von der Heydt-Museum, Turmhof 8 (Elberfeld). 3. Februar bis 17. März. Katalog 38 DM.