Frischer Wind beim Westdeutschen Künstlerbund

Von Bernd Berke

Hagen. Von „Vereinsmeierei“ will man beim Westdeutschen Künstlerbund nichts mehr wissen. Wie der Vorsitzende des in Hagen ansässigen Verbandes, Horst Linn, gestern sagte, seien, die Jahresausstellungen keine gesicherten Felder mehr für altgediente Mitglieder. Im Gegenteil: Der Altersdurchschnitt der beteiligten Künstler sinke. Junge Künstler hätten oft gar keine anderen Ausstellungsmöglichkeiten als beim Künstlerbund.

Für die Ausstellung, die jetzt im Hagener Osthaus-Museum zu sehen ist, hatte man eigentlich ein Leitthema vorgegeben: „Geschichtsbilder“. Doch sei es, daß derzeit einfach zu viel reale Geschichte sich ereignet, sei es, daß die Künstler sich nicht unmittelbar darauf einlassen wollten – es kamen jedenfalls zu wenig Bilder zusammen, die dem Thema entsprachen. Also taufte man die Schau „querbeet“. Das paßt, denn thematisch und stilistisch ist die Auswahl vielfältig.

Über 110 Arbeiten von rund hundert in NRW geborenen oder hier lebenden Künstlern sind zu sehen. Gut, daß es eine offenbar strenge Jurys-Auswahl gab (was für zahlreiche Austritte aus dem Verband sorgte) und daß zudem Gäste eingeladen wurden, die dem Verband nicht angehören, denn dadurch liegt die Ausstellung qualitativ spürbar über dem, was man von anderen Künstlerbund-Schauen kennt.

Die allermeisten Arbeiten sind erkennbar zeitgenössisch; mit bloßem Kunsthandwerk und starrsinnigem Festhalten an längst verblühten Stilen hält sich da niemand mehr auf. Freilich gibt es auch kaum Arbeiten, vor denen man wie gebannt stehenbleibt — und manchmal wird es auch recht oberflächlich, so etwa bei Silke Rehberg, die drei mehr oder weniger edlen Mineralwassermarken vermeintlich passende Türklinken zuordnet — wer das Modewässerchen „XY“ trinkt, hat auch eine moderne Klinke. Wer hätte das gedacht?

Ziemlich simpel auch Bernhard P. Woscheks Arbeit „3 Deutschländer“ — Landkarten-Reliefs aus verschiedenen Materialien. Im dritten Deutschland kann sich der Betrachter spiegeln. Na und?

Doch dann gibt es auch einige formal gelungene und gedanklich durchdrungene Exponate. Stellvertretend für andere seien die Arbeiten von Robert Imhof und Helfried Hagenberg genannt.

Ein Eindruck, den die gesamte Ausstellung nahelegt, ist der einer beschleunigten Beeinflussung: Trends der großen überregionalen Ausstellungen kommen offenbar sehr viel schneller bei einer breiten Menge von Künstlern an als ehedem — wenn auch zuweilen etwas ausgedünnt.

„Querbeet“ (24. Jahresausstellung des WestdeutschenKünstlerbundes). Osthaus-Museum, Hagen. 9. September bis 6. Oktober. Katalog 15 DM.




Augenblicke plötzlicher Leichtigkeit – Graphik von Georges Braque in Münster

Von Bernd Berke

Kann aus ganz wenigen Objekten eine eigene Welt entstehen? Ja, in der Kunst geht das. Wie aus einer äußerst reduzierten Anzahl von Motiven eine im Prinzip endlose Reihe von Variationen hervorgeht, führt jetzt eine Ausstellung in Münster vor Augen: „Georges Braque. Graphisches Werk“.

Die rund 160 Exponate (Radierungen, Holzschnitte, Kupferstiche, Lithographien) stammen – bis auf vier Ausnahmen – aus einer deutsehen Privatsammlung. Der Sammler „C. L.“, der anonym bleiben möchte, hatte die Stücke teilweise schon vor 30 Jahren erworben. Heute sind manche Blätter gut das hundertfache wert. Besonders rare Stücke konnte der Mann kaufen, als er Kontakt zu Braques Drucker bekam. Der rückte auch schon mal Zustandsdrucke (also Dokumente von Zwischenstadien des Werkprozesses) heraus. So kann man nun gleichsam die Ursprünge und allmählichen Fortschritte der Braque-Graphik neben den End-Produkten besichtigen. Obwohl: „Fertig“ sind Braques Arbeiten im Grunde nie, sie bleiben immer offen für weitere Metamorphosen.

Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den nach-kubistischen Phasen (bis 1963). Die Figuren sind also nicht mehr analytisch behandelt, nicht mehr blockhaft zerteilt und wieder zusammengefügt, sondern sie lösen sich zu sehr viel freieren Formen auf; zu verschlungenen Lineaturen, die an eine eigentümliche „Schrift“ erinnern, sich also am Rande der Abstraktion bewegen.

Interessant auch die Flächen um die eigentlichen Motive herum. Beispiel: Braque hat die Einfassungen seiner Bilder zu Hesiods „Theogonie“ (in Versen geschriebene Schöpfungsgeschichte des frühgriechischen Dichters) gleichsam als Ur-Chaos gestaltet, aus dem sich dann die Götter erheben.

Häufigstes Motiv aber ist der Vogel in konsequent vereinfachter Gestalt. Die besten Vogelbilder sind herrliche Studien über Freiheit (Flug) und ihre Begrenzung (Rahmen); es sind – so paradox das klingen mag – streng komponierte Augenblicke der Leichtigkeit.

„Georges Braque. Graphisches Werk“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Münster, Domplatz (bis 27. Oktober). Di-Fr 10-18 Uhr. Katalog 70 DM.




John Heartfield – eine fragwürdige Umwertung zum Ästheten und „Romantiker“

Von Bernd Berke

Vor Wochenfrist eröffnete in Düsseldorf die Max Ernst-Werkschau, nun ist Bonn mit einer Retrospektive auf John Heartfield (18911968) an der Reihe. Beide Künstler entstammten demselben Jahrgang, Anlaß der Ausstellungen ist jeweils der 100. Geburtstag.

Heartfield (bürgerlich: Herzfelde) wurde besonders mit antifaschistischen Fotomontagen bekannt. Beispiel: jenes Hitler-Bild mit dem Spruch „Millionen stehen hinter mir“. Doch nicht Menschenmassen sind gemeint, sondern Millionen Reichsmark, die der „Führer“ von der Industrie bekam. So eindimensional, nur als Ausbund des Kapitalismus, kann man die Nazi-Zeit schon längst nicht mehr erklären. Doch falsch ist der Aspekt auch nicht. Zudem heiligte der Zweck plakative Mittel.

Die Bonner Ausstellung (zuvor Berlin) zielt auf eine teils fragwürdige Neubewertung des John Heartfield ab. Die 1988, also noch in der Vor-„Wende“-Zeit mit der (Ost)Berliner Akademie der Künste eingefädelte Schau soll belegen, daß Heartfield über alle politischen Bestrebungen hinaus ein Ästhet gewesen sei. Rettungsversuch für nach-sozialistische Zeiten?

Willkürlich ist die Wahl des Katalogtitelbildes: ein 1947 von Heartfield gefertigter Buchumschlag-Entwurf mit Nachthimmel, Mond und Vogelfeder – so ziemlich das einzige Bild dieser Art, das man aufbieten kann. Doch auch gewisse Katalogtexte deuten darauf hin, daß man ihn als eine Art „Romantiker“ verkaufen will. So will man denn plötzlich auch den Blick auf „malerische“ Farbtonwerte der Montagen lenken.

Doch es hilft nichts. Heartfield läßt sich nicht stiekum entpolitisieren. Auch diese Ausstellung kommt ja gar nicht ohne die ätzend-satirischen Inhalte aus – und natürlich nicht ohne den zeitlebens gläubigen Kommunisten Heartfield, der auch vor einfältiger Propaganda nicht zurückschreckte (gleichwohl aber – nach der Rückkehr aus dem Exil – in der früheren DDR zeitweilig dem Vorwurf des „kleinbürgerlichen Formalismus“‚ anheimfiel).

Nun präsentiert man zwar die Originalentwürfe der Collagen und Montagen samt schriftlicher Satz- und Schnittanweisungen des Künstlers, doch diese wirken nun gerade nicht wie hehre Ästheten-Kunst, sondern durchaus desillusionierend, werkstatthaft, auf Tageswirkung hin berechnet.

Wahr bleibt, daß Heartfield in der Wahl seiner Mittel seinerzeit zur Avantgarde zählte, auch indem er kein noch so triviales Fundstück verschmähte, wenn es denn Wirkung versprach. Wahr bleibt auch, daß er ein treffliches Bild-„Vokabular“ zur Demaskierung von Mächtigen entwickelt hat. Sobald Heartfield f ü r etwas Stellung bezog, etwa für den Sowjetkommunismus, war er auch ästhetisch deutlich schwächer.

Diskussions- und Anschauungsstoff liefert die Ausstellung mit ihren über 400 Exponaten also allemal – und auch ein paar Premieren in Gestalt vollständig rekonstruierter Ausstellungs-Situationen aus den 20er Jahren.

Rheinisches Landesmuseum, Bonn (Colmantstraße). Bis 3. November. di/do 9-17 Uhr, mi 9-20 Uhr, fr 9-16 Uhr, sa/so 10-17 Uhr. Katalog 49 DM.