Bücherberg und Bilderfluten – Peter Greenaways Film „Prosperos Bücher“

Von Bernd Berke

In David Lynchs „Wild at Heart“ wurde ein leinwandfüllendes Streichholz krachend angerissen. Das Feuer kündete von Gewalt. In Peter Greenaways „Prosperos Bücher“ knallt nun – ebenso vollformatig – ein Wassertropfen wie ein Geschoß herab. Eine Art „Antwort“ auf Lynch? Tatsachlich waltet bei Prospero am Ende Gnade vor Rache: Wasser löscht Feuer, Gewaltlosigkeit obsiegt.

Ist es nun „ganz große Oper“ für die Augen oder nur ein gewaltiger Budenzauber? Für seine Shakespeare-Adaption (nach dem Drama „Der Sturm“) hat Greenaway alle Geisterwesen des Himmels, der Erdnatur und des Höllenkreises in Bewegung gesetzt. Zu Hunderten wandeln da faunische Gestalten und Nymphchen, allesamt nackt, durch die Szenerie. Dagegen wirken Fellini-Filme karg.

Als traue Greenaway der Aussagekraft einzelner Bilder nicht mehr, lagert er oft verschiedene Bildkarrees übereinander: Ein Geviert in der Mitte, ringsum ein Rahmen-Geschehen, dazu noch Uberblendungen – alles synchron. Dazu jener Greenaway-typische, unterkühlt registrierende Kamera-Blick aus gleichbleibend weiter Distanz.

Der große alte John Gielgud spielt den Prospero, jenen Intellektuellen, der seine Bücher höher schätzt als ein Herzogtum. Da aber Intriganten ihn einst entmachtet haben, läßt er deren Schiff in einen Sturm geraten und auf einer Insel stranden. Dort lehrt der mit Zauberkraft begabte Prospero, unterstützt von Luft-und Ergeistern, seine Feinde das Fürchten. Doch statt Rache übt er schließlich Gnade – Utopie für den seltenen Fall, daß ein geistiger Mensch zur Herrschaft gelangt.

Greenaway macht aus Shakespeares spätestem Stück einen freischwebenden Vorgang im Kopf des Prospero, der auch sämtliche Texte der anderen Figuren spricht. Zutat des Regisseurs ist die Geschichte jener 24 Bücher Prosperos („Buch vom Wasser“, „Buch der Sprachen“ usw.), die von allen Wissenschaften der Shakespeare-Zeit handeln. Diese Schriften inspirieren Greenaway zu überwältigenden Bildern. So lebendig, endlos wandelbar und in so inniger Verquickung mit den „Elementen“ Feuer, Wasser, Luft und Erde hat man Bücher noch nie gesehen. Es ist ein ästhetisches Erlebnis mit ungeahnter technischer Raffinesse: Computergestützte HDTV-Technik ermöglichte Greenaway die „malerische“ Nachbearbeitung des Zelluloids.

Zwar folgt der Film dem Text (bei uns in der guten alten Schlegel-Tieck-Übersetzung) ziemlich getreu, doch lösen bestimmte Stichworte beispiellose Bilderfluten aus. Dann gerät alles aus den Fugen, manchmal leider auch geschmacklich. Kaum ein Moment ohne antikisierende Architektur-Versatzstücke (Säulen, Portale), dazu puttenhafte Kindergesichter und holde, ranke Jungfrauen im Tanze zu sphärischer Musik. Ein gigantischer Videoclip zu „Shakespeare Superstar“?

Bei allem Respekt vor Greenaways malerischem Sinn: So turmhoch angehäufter Klassizismus wirkt auf Dauer – will man den problematischen „Kitsch“-Begriff beiseite lassen – zumindest ermüdend.

„Prosperos Bücher“. Regie: Peter Greenaway. Mit John Gielgud und vielen anderen. Ab morgen im Kino.




„Die Wupper“: Düsternis am blutigen Fluß – Frank-Patrick Steckel inszeniert Else Lasker-Schülers Stück in Bochum

Von Bernd Berke

Bochums Schauspielchef Frank-Patrick Steckel streift als Regisseur lieber durchs Gebirge als durch die Ebenen. Meist setzt er Stücke in Szene, die erst mühsam erklommen werden müssen. Da gönnt er sich (und dem Publikum) keinen Ablaß.

Diesmal ist es Else LaskerSchülers 1909 verfaßtes Drama „Die Wupper“, das schon wegen seines raunenden Dialektes etliche Schwierigkeiten birgt. Vor allem aber folgt das Stück nur bedingt der „Logik“ des Theaters, es mischt und legiert seine Themen eher auf lyrische Weise. Das abwechselnd zwischen Fabrikanten- und Arbeitermilieu des Jahrhundertbeginns spielende Drama wurzelt in bodenständigem, ja derbem Naturalismus, hebt aber in Traumgesichte ab. Auch sonst führt es in Zwischen-Welten: Zwischen den Glaubensrichtungen und gesellschaftlichen Schichten verlieren sich die Figuren in unerfüllten Sehnsüchten, seltsam in sich versponnen.

Durch das anfangs äußerst sparsam beleuchtete Bochumer Bühnenbild (Johannes Schütz) windet sich die Wupper als glut- und blutroter Lavastrom. Man sieht im Dunkeln windschiefe Hausfassaden, dahinter eine Überlandleitung von irgendwo nach nirgendwo. Die Menschen, die sich in dieser Szenerie stockend und stammelnd bewegen, wirken verwischt und verhuscht, wie nicht von dieser Welt. Ihr Auftreten ist kein wirkliches Da-Sein, sondern flüchtige Erscheinung, ihre glücklosen Begegnungen gleichen gefährlichen Stromschlägen.

Klassengegensätze ja, Utopien nein

Steckel verschärft gegenüber dem Text, der es meistenteils auf Stimmungswerte anlegt, das bei Lasker-Schüler nur ganz unterschwellige Thema der Klassengegensätze. Da wischt sich das Fabrikantenfräulein angewidert die Hand am Kleid ab, nachdem sie sie einem Arbeitersohn gereicht hat. Auffällig sodann eine Szene, in der vom Streik der Färber die Rede ist. Dem so dahingesagten Vorschlag an die Proletarier. die Herrschaft in der Fabrik an sich zu reißen „wie in Rußland“, folgt langes, dröhnendes Gelächter. Derlei sozialistische Anwandlungen, so könnte man schließen, scheiden derzeit aus. Wir rechnen zusammen: Die Klassen sind noch da, die Utopien aber nicht – ein Grund für die Bochumer Düsternis?

Zutat Steckels auch, daß er familiäre Beziehungen des Stücks in ein inzestuöses Zwielicht setzt. Im mittleren Akt, einer Jahrmarkt-Szene, wird aus dem allseits explosiven Gemisch eine Kirmes der todtraurigen Art, ein grellbunter Reigen der Hinfälligkeit. Diese und einige andere Szenen haben eine Intensität, die freilich nicht durchweg erreicht wird. Auch ist das insgesamt sehenswerte Ensemble nicht völlig homogen besetzt. Herausragend jedenfalls: Ulrike Schloemer, die Tage zuvor beim Lasker-Schüler-Abend die Rolle der Dichterin spielte und die nun die „Mutter Pius“ so vieldeutig anlegt, wie es ihr zukommt.

Nun denn: Einige „Gipfel“ des Stückes wurden erstiegen. Doch man stand ein wenig ratlos droben.




Zwei alte Männer warten auf Sinn und Erlösung – Lars Gustafssons „Nachmittag eines Fliesenlegers“

Von Bernd Berke

Welch eine banale Titelfigur: ein Fliesenleger! Was der schon an einem Nachmittag erleben? Ein Badezimmer vollenden – und dann fertig. Stoff für einen Roman? Aber ganz gewiß doch. Wenn ein Autor wie der Schwede Lars Gustafsson sich des Themas annimmt.

Gustafssons „Held“ heißt Torsten Bergman. Seit dem Tod seiner Frau ist das Leben des Fliesenlegers gleichsam wie eingefroren, er weiß so gut wie nichts mehr vom Alltagsleben anderer Leute. Sein Leben hat sich seit langem verloren. Seine „gesammelten Werke“, Kachelreste aus allen Nachkriegsepochen, schimmeln im kaltfeuchten Keller vor sich hin.

Nur noch ab und an in Schwarzarbeit tätig, erhält er eines Tages einen telefonischen Tipp: Nach langer Zeit mal wieder ein Auftrag. Mißmutig macht er sein klappriges Uralt-Auto flott und fährt los.

Er gerät in eine durchaus seltsame Situation: das halbverfallene Haus ist gespenstisch leer – wie ein Ort für Geister. Kein Bauherr, kein richtiger Auftrag, gar nichts. Trotzdem macht sich Torsten ans Werk. Wahrend der Routine-Arbeiten gerät seine erinnernde Phantasie in Gang. Mal kommen ihm Gedanken an seine Kindheit und Jugend in den 30er Jahren, an sein Leben, das offenbar mit der Zeit immer schlechter geworden ist; mal ergeht er sich in wildesten Vermutungen über etwaige Bewohner des Hauses (Dealer? Terroristen?). Die völlig unklare Arbeitssituation und die Leere um ihn herum erzeugen eine Art Gedankensog, eine Gedankenreise durchs eigene Leben.

Um neues Material zu sorgen, begibt er sich für kurze Zeit in die „Wirklichkeit“ die letztlich eben auch sehr unwirkliche Realität eines Industriegeländes mit Baumärkten, wo es furchtbar überorganisiert, eilig und geölt-gegenwärtig zugeht. Dort trifft er seinen alten Vetter Stig. Beide reden von der Vergangenheit, über Menschen, die sie gekannt haben – und kehren ins leere Haus zurück, wo sie nun gemeinsam arbeiten. Zwei alte Männer in einem leeren Haus, eine Situation fast wie in Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Warten auf „Erlösung“, Warten auf Sinn – bis eine junge Frau auftaucht, die samt Kindern von ihrem Mann ausgesperrt wurde. Noch so eine Ausgesetzte…

Mehr sei hier nicht verraten. Das sehr unaufdringlich und scheinbar unaufwendig geschriebene Buch hat, wie bisher noch jedes von Gustafsson, eine ganz eigene Atmosphäre: Leise Trauer über allmählich vergehendes Leben, einen melancholischen Anflug von Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit auch. Mitunter konzentriert und verdichtet sich die Geschichte dermaßen, daß in zwei oder drei Sätzen die ganze sanfte Tragik einer Lebensgeschichte aufscheint.

Lars Gustafsson: „Nachmittag eines Fliesenlegers“. Roman. Carl Hanser Verlag. 140 Seiten, 25 DM.




Westdeutsche Autoren um Honorare betrogen – Ehemalige DDR-Verlage manipulierten Auflagen

Von Bernd Berke

Frankfurt. Schätzungsweise 60 bis 80 Prozent des weltweiten Lizenzgeschäftes der Branche werden auf der Frankfurter Buchmesse getätigt. Da trifft es geradezu den innersten Nerv, wenn ruchbar wird, daß womöglich viele wichtige Verlage eines Landes jahrelang Lizenzbetrug begangen haben. Das Land hieß DDR, und am meisten haben sich Verdachts- und Beweislage offenbar beim renommierten „Aufbau“-Verlag und bei „Volk und Welt“, Flaggschiffen der verflossenen Öst-Republik, verdichtet.

So platzte der Saal in der abgelegenen Halle 9 aus allen Nähten, als Elmar Faber in dieser Sache vor die Presse trat. Faber war ab 1983 „Aufbau“-Geschäftsführer, wurde dann kürzlich von der Treuhandanstalt geschaßt, gehört aber der neuen Leitung des seit wenigen Tagen in Westbesitz befindlichen Verlages wieder an.

Seltsames Zusammentreffen: Am Montag war die Veräußerung des Verlages von der Treuhand bestätigt worden. Just an diesem Tag kam es auch zu einer großangelegten Polizeiaktion, zur staatsanwaltschaftlich verordneten Durchsuchung beim „Aufbau“-Verlag und in den Privatwohnungen seiner früheren Chefs.

Elmar Faber betätigte die in der ehemaligen DDR gängige Praxis sogenannter „Plus-Auflagen“: Bücher, deren Lizenzen man im Westen erworben habe, seien vielfach in größerer Stückzahl gedruckt worden als vertraglich vereinbart. Den Lizenzgebern und nicht zuletzt den Autoren wurde also Geld vorenthalten, um es gelinde zu sagen.

Vom SED-Staat angeordnet

Faber, der von dieser üblen Praxis nach eigenem Bekunden seit seinem Verlagseintritt anno 1983 Kenntnis hatte („Darüber wurde hinter verschlossenen Türen ganz offen geredet“), sprach von „Staatskriminalität“, denn die „Plus-Auflagen“ seien staatlich verordnet gewesen, und das damalige Kulturministerium habe auch sämtliche Gewinne abgeschöpft, um so andere Kulturbereiche wie Theater und Büchereien zu subventionieren.

Grund des Vorgehens sei zum einen der chronische Devisenmangel der DDR gewesen. Ideologisch erwünschter Nebeneffekt des Auflagen-Schwindels: Der Bedarf an Westliteratur habe sich auf diese Weise künstlich herunterrechnen lassen. Beträge und konkrete Auflagenhöhen mochte der mit allen Wassern des Verlagsgeschäftes gewaschene Faber nicht nennen, es sei aber „nicht um Millionen“ gegangen, sondern um Zahlen „nach menschlich faßbaren Maß“. Außerdem hätten West-Verleger von den „Plus-Auflagen“ gewußt und sie stillschweigend in Kauf genommen. Ein im Saal anwesender westdeutscher Verleger bestätigte dies sogleich für seine Person.

Wahnsinniger Appell kroatischer Autoren

Anwesend war auch der prominente „Aufbau“-Autor Christoph Hein, der gleichsam zwischen zwei Stühlen saß: Zum einen protestierte er scharf gegen den Polizeieinsatz, andererseits könne er nicht ungerührt zusehen, wenn Autoren um Honoraranteile geprellt würden. Hein: „Und ich dachte bisher immer, nur wir DDR-Autoren seien betrogen worden.“

Ein erschütterndes Lehrbeispiel für die Ohnmacht, ja für das gänzliche Verstummen der Literatur in Kriegszeiten gab es an anderer Stelle der Buchmesse, bei einer Veranstaltung mit slowenischen und kroatischen Autoren (Vorsitzende der PEN-Zentren und der Schriftstellerverbände). Sie bekannten allesamt, derzeit nicht mehr schreiben zu können. Auch sei der Dialog mit den serbischen Autoren praktisch abgerissen und dann riefen die kroatischen Schriftsteller die Intellektuellen ihres Landes auf, zu den Waffen zu kommen. Das Leben sei das Mindeste, was man dem Vaterland opfern könne. Der deutsche Schriftsteller Arnfrid Astel sprach wohl den meisten Nicht-Kroaten aus dem Herzen, als er entsetzt feststellt, ein solcher Appell zum kollektiven Autoren-Selbstmord sei „einfach wahnsinnig“.




Ostverlage fühlen sich über den Tisch gezogen – Lamento beherrscht deutsch-deutsche Buchszene

Von Bernd Berke

Frankfurt. Die ehemaligen DDR-Verlage fühlen sich im deutschen Einigungsprozeß mächtig „über den Tisch gezogen“. Hatte die vorige Frankfurter Buchmesse noch mit gewissen Blütenträumen just am Tage der Vereinigung (3. Oktober 1990) begonnen, so mehrten sich jetzt bei einer Diskussion an gleicher Stelle die enttäuschten Stimmen.

Fast alle Privatisierungen ostdeutscher Verlage seien – als Rücküberführungen in West-Besitz – nach dem „Übernahme-Modell“ gelaufen, beklagte Elmar Faber, bis vor wenigen Tagen Geschäftsführer des Aufbau-Verlages (Berlin/Weimar). Der soeben von der Treuhandanstalt bestätigte Aufkäufer des „Aufbau“-Verlages, ein (kunstsinniger und mit Buchmarktexperten zusammenarbeitender) Frankfurter Immobilienmakler, wird Faber vermutlich wieder einstellen.

Die West-Verlage, so etwa Reclam (Stuttgart) bei Reclam (Leipzig), mußten also in den meisten Fällen nur noch zugreifen, wobei besagtes Kooperationsmodell dem Leipziger Part immerhin noch eine gewisse Eigenständigkeit beließ. Insgesamt aber, so der Rostocker Verleger Konrad Reich, habe es seit der Vereinigung eine „grandiose und groteske Wettbewerbsverzerrung zugunsten des Westens“ gegeben. Millionenkredite seien hauptsachlich „an alte Seilschaften geflossen“. Damit seien nur „Zusammenbruchskonzepte“ finanziert worden, echte Chancen zu vernünftigen Weiterführungen im Rahmen der Marktwirtschaft hätten da kaum bestanden.

Zudem, so Stefan Richter, bis vor kurzem beim Leipziger Zweig des Reclam-Verlages, hätten die Verlage aus den alten Bundesländern ostdeutsche Buchhändler mit einer unübersehbaren Flut dort kaum verkäuflicher Titel überschwemmt – offenbar nur, um ihre übervollen Lager zu leeren. Doch auch der Nachholbedarf in Sachen westlicher, Trivialliteratur (Konsalik & Co.), so Stefan Reich, sei im Osten spätestens seit Weihnachten 1990 erschöpft. Nun könnten sich Ost-Verlage mit eigenständigen Programmen wieder besser profilieren. Im Westen allerdings könne man wohl erst auf lange Sicht Verkaufserfolge erzielen.

Empörung sowohl bei dieser Diskussion mit ostdeutschen Verlagsleuten als auch bei der Buchmesse-Pressekonferenz des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) erregte ein anderer, zumindest denkbar unsensibel getimter Vorgang: die staatsanwaltschaftlich angeordnete Durchsuchung des „Aufbau“-Verlages (Berlin) ausgerechnet zum Buchmesse-Auftakt.

Auflagenschwindel zugegeben

Der VS-Vorsitzende Uwe Friesel mochte sich nicht zum Anlaß (Lizenzbetrug) äußern, wohl aber zu Zeitpunkt und Form der Aktion, die mit rund 25 diskret bewaffneten Beamten doch reichlich überzogen gewesen sei. Dem Protest des „Aufbau“-Autorenrates (unterzeichnet u. a. von Christa Wolf und Christoph Hein) schließe sich der VS „vollinhaltlich“ an, man sei „sehr beunruhigt“ über den Vorfall.

Am Abend gab dann allerdings der bisherige Geschäftsführer des Aufbau-Verlages, Elmar Faber, zu, daß bei Lizenzverträgen mit westlichen Verlagen höhere Auflagen verkauft wurden als vereinbart. Solche Praktiken habe es auch in anderen Verlagen gegeben. Faber: „Von Betrug kann in keiner Weise die Rede sein, vielmehr handelte es sich um eine Art von Staatskriminalität.“ Die sogenannten Plus-Auflagen seien vom Staat sanktioniert, die dabei gewonnenen Devisen vom Ministerium für Kultur eingezogen worden. Westlichen Autoren und Verlagen seien Schäden zugefügt worden.

Zum ThemaAusladung iranischer Verlage durch die Buchmesse bekräftigte Uwe Friesel erneut seine Position, diese schade mehr den iranischen Oppositionsautoren als dem Regime, dessen Kulturpolitik sich übrigens jüngst liberalisiert habe. Noch während Friesel seine Ausführungen machte, wurden Flugblätter des bayerischen Landesverbandes und der Übersetzer-Sparte im VS verteilt, die die Nichtteilnähme Irans für richtig befanden, solange der Mordbefehl gegen Salman Rushdie nicht widerrufen sei.

Szenenwechsel: Von einem „geordneten Nebeneinander“ der Frankfurter and der Leipziger Buchmesse war in Frankfurt bei einer gemeinsamen Pressekonferenz beider Messeleitungen die Rede. Auf gut Deutsch bedeutet diese Formel, daß Frankfurt die Weltmesse bleiben will und Leipzig sich mit Frankfurter Hilfe (sprich: Börsenverein des Buchhandels) Nischen zu suchen hat.




So leicht ist „Warten auf Godot“ – jedenfalls in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Im Museum steht ein mit Kinogestühl möblierter Kasten. Darin sitzen zwei schwatzende, brabbelnde Herren. Die Zuschauer nehmen das anfangs durch eine Scheibe wahr, die einer der beiden Männer eifrig glasklar wienert: Keine Unklarheiten also!

Die Herren heißen Wladimir und Estragon, bilden mithin jenes Duo, das in Samuel Becketts Stück so sinn- und endlos auf „Godot“ wartet – eine Tätigkeit, die längst zu einer Vielzahl von (Theater)-Witzen geronnen ist. Zudem hat „Warten auf Godot“ in seiner leerlaufenden Logik gewisse Parallelen zu Komikern vom Schlage eines Karl Valentin. Warum also Beckett nicht als Hochkomiker spielen, statt als Tiefgründler?

So geschieht es in Wuppertal, wo Hans-Christian Seeger das Stück im Forum des Von der-Heydt-Museums inszeniert hat – mitten in der gerade eröffneten Ausstellung „Denk-Bilder“. Szenische Denk-Bilder gibt es auch bei Beckett, doch Seeger hat sie leicht genommen, so leicht wie den berühmten dürren Baum im sonst üblichen Bühnenbild, der hier nur noch ein winziges Bonsai-Exemplar ist. Sieht man etwa auch nur einen Bonsai-Beckett?

Wo nur irgend Komik sich im Text verbergen könnte, wird sie in Wuppertal sogleich ergriffen und rasch ausgespielt. Lachnummern entstehen hier nicht, wie es bei diesem Stück durchaus denkbar ist, aus tiefster Verzweiflung an der Existenz, sondern sind sofort da, Instant-Komik sozusagen. Von Warten kann in dieser Hinsieht keine Rede sein, auch kaum von Tiefsinn.

Doch dann gibt es eine Szene (besser: deren Verweigerung), die nur auf den ersten Blick läppisch wirkt. Nach der Hälfte des Stückes ziehen sich Wladimir und Estragon stumm zurück und lassen die Zuschauer… warten. Und warten. Und warten. Viele Minuten lang. So erfährt jeder einige Momente unerfüllten Wartens — es wirkt womöglich tiefer als bloßes Nachdenken.

Und wie füllen wir heute die Wartezeit, also die Existenz – vielleicht, indem wir uns als Dauer-Konsumenten „zu Tode amüsieren“? Genau darauf könnte die Beendigung der quälenden Wartepause abheben: Regisseur Hans-Christian Seeger, der auch den Wladimir spielt, wird auf einmal zum Muntermacher, verteilt Zeitungen und Getränke an die Zuschauer (beides ist im Eintrittspreis mit drin). So leicht, beinahe wie Äffchen, lassen wir uns also beruhigen?

Der zweite Teil, in dem ja ganz Ähnliches geschieht wie im ersten, wird dann ganz bewußt nur noch wie ein Zitat heruntergespielt. Eigentlich könnte man das ganze Stück zehnmal hintereinander abschnurren lassen, es würde sich nichts ändern am Zustand der Figuren.

Die Darsteller agieren sehr dicht an den Zuschauern; viele Sätze im Stück werden denn auch nach Komiker-Art umgemünzt zur direkten Ansprache ans Publikum. Hans-Christian Seeger und Günther Delarue (Estragon) sind herrlich genau aufeinander eingespiel, man merkt das an vielen Kleinigkeiten, besonders in Slapstick-Szenen. Furios auch Adalbert Stamborskis Auftritt als auf Befehl Pozzos (Gerd Mayen) drauflos „denkende“ Knechtsgestalt Lucky, mit professoral vorgetragenem Schwachsinn.




Kunst im Dienst der Revolution – Werkschau über die Russin Ljubow Popowa

Von Bernd Berke

Die jahrelangen Vorbereitungszeiten für Kunstausstellungen haben manchmal seltsame Folgen: So wird ausgerechnet jetzt im Kölner Museum Ludwig einer „Tochter der russischen Revolution“ die Ehre erwiesen. Damit steht man natürlich quer zu allen Entwicklungen.

Die Künstlerin Ljubow Popowa (1889-1924) ist seit den 20er Jahren nicht mehr mit einer Einzelausstellung gewürdigt worden. Also gibt es eine praktisch unbekannte Größe zu entdecken, die im Umkreis von Berühmtheiten wie Malewitsch, Archipenko und Tatlin gewirkt hat.

Ljubow Popowa ist höchst empfänglich für Anregungen und Vorbilder. So orientiert sie sich – nach frühen, hochtalentierten Naturstudien – zunächst am Impressionismus, dann an Cézanne, sodann an Kubismus und Futurismus, schließlich am vollends abstrakten „Suprematismus“ eines Kasimir Malewitsch. Nicht immer findet sie dabei zu gänzlicher Eigenständigkeit, auch wenn sich die Farbigkeit ihrer kubistischen Bilder (fernes Vorbild: russische Ikonen) von Picasso und Braque deutlich abhebt.

Am interessantesten ist sicher Popowas abstrakte Phase, die etwa 1916 beginnt. Erstaunlich die Dynamik, die sie auf der Bildfläche mit ihren „Raum-Kraft-Konst-Konstruktionen“ erzielt. Sie hat solche durchaus beachtlichen Form-Errungenschaften alsbald ganz in den Dienst der Revolution und kommunistischer Propaganda gestellt. Da erweist sich die Tendenz zur Abstraktion vom Menschenbild denn manchmal auch im schlechten Sinne als Über-Formung. Besonders deutlich wird dies anhand ihrer Entwürfe für Schauspielerkostüme, die nicht nur für die Bühne, sondern fürs ganze Leben gedacht waren und sehr stark an Uniformen gemahnen.

Andererseits sind gerad Popowas Bühnenbildentwürfe (vor allem zu Inszenierungen von Wsewolod Meyerhold) bemerkenswerte Belegstücke der Theatergeschichte. Hier wird Abstraktion in Gestalt von Gitter- und Rippenmustern sowie maschinenförmigen Aufbauten ganz real wirksam. Man kann sich gut vorstellen, wie hier die gesamte Theatermaschinerie entfesselt wurde, um den „neuen Menschen“ gleichsam auf der Bühne zu erzeugen. Diese Kunst hat etwas grandios Vorwärtsdrängendes und Zukunftsgewisses, sie entspricht eben dem damaligen Revolutionsoptimismus.

Am Ende ihres sehr kurzen Lebens (Stalins Drangsalierung avantgardistischer Kunst erlitt sie nicht mehr) wandte sich die Popowa völlig von der Tafelbildmalerei ab. Kunst, so damals nicht nur ihr Bekenntnis, mußte mitten im Leben wirken, mußte „Produktionskunst“ werden. Hierfür stehen abstrakte Stoffmuster-Entwürfe für eine „Mode der Zukunft“, die in Fabriken massenhaft angefertigt werden sollte.

Ljubow Popowa. Malerin der russischen Avantgarde. Köln, Museum Ludwig. 1. Oktober bis 1. Dezember, di-do. 10-20 Uhr, fr.-so. 10-18 Uhr. Eintritt 8 DM. Katalog 45 DM.