Joseph Beuys als Leitfigur der Gegenwart – eine nahezu sakrale Schau in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Was Düsseldorf jetzt in Sachen Kunst bietet, dürfte schwerlich zu übertreffen sein. Just haben die Große Düsseldorfer Kunstausstellung sowie eine Renato Guttuso-Retrospektive begonnen, da folgt ein doppelter Paukenschlag mit Retrospektiven auf Werke zweier Leitfiguren der Gegenwart: Joseph Beuys (Kunstsammlung NRW) und Nam June Paik (Kunsthalle, gleich gegenüber). Wenn da die Kunstpilgerfahrt an den Rhein nicht lohnt, lohnt sie nie.

Während Paik die Welt durchs mediale Auge der TV- und Videokunst sieht (die WR wird darauf zurückkommen), verwandelt Beuys die Dinge und ihre Formen in Energie-Felder. Natürlich ist nicht sein komplettes Werk in Düsseldorf zu sehen, dazu war er einfach zu produktiv. Zudem sind viele seiner Arbeiten heute standortgebunden oder aus anderen Gründen nicht verfügbar.

Aber man sieht doch einen namhaften Querschnitt durch das Werk des Mannes mit dem Filzhut. Zeitlich reicht die Auswahl der über 400 Exponate von 1941 (eine aufgeklebte Birkenrinde als erste Arbeit deutet schon auf das große Thema „Natur“ hin) bis 1985. Gezeigt werden Zeichnungen, Aquarelle, plastische Bilder, Objekte und Rauminstallationen sowie „Multiples“ (in höheren Auflagen gefertigte Kleinobjekte).

Der Didaktiker und Sozialutopist Beuys ist zudem mit Aktions-Überbleibseln und schwungvoll beschriebenen Lehrtafeln vertreten. Wenn man diese Arrangements sieht, vermißt man doch die reale Gegenwart des am 23. Januar 1986 gestorbenen Künstlers, der wie kein anderer mit seiner ganzen Person für seine Kunst einstand.

Schon bei der gestern massenhaft frequentierten Pressevorbesichtigung war es zu spüren: Man geht durch diese Ausstellung still, ja ehrfürchtig, denn sie hat einen sakralen Beigeschmack — und welches Werk würde sich dazu besser eignen als jenes von Joseph Beuys – mit seinen hauchfeinen, sich zuweilen fast ins Nichts verflüchtigenden Zeichnungen und mit seinen derart genau austarierten Installationen, an deren Kraftlinien man nichts verändern darf, ohne sie nachhaltig zu stören.

Grandios die Offenheit der Beuys’schen Arbeiten, die nie eine Interpretation aufdrängen, sich aber auch selten im Belanglos-Anekdotischen verlieren. Man lasse sich nicht von Vordergründigem, von Materialien wie Filz oder Fett täuschen. Hinter deren Kombination stehen komplexe Denk- und Erlebens-Muster. Die formale Umsetzung erfolgt mit beispielhafter Ökonomie der Mittel: Ein „Zuviel“ gibt es bei Beuys nicht.

Selbstverständlich ist auch sein Werk der Zeit unterworfen. Beispiel: die Warenregale mit dem Titel „Wirtschaftswunder“, die vor wenigen Jahren noch als Kapitalismuskritik galten. Heute „liest“ man die karge Ansammlung als eine Art Nachruf auf die Ex-DDR.

Joseph Beuys. Natur — Materie — Form. Kunstsammlung NRW. Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 9. Februar. Tägl. (außer montags) 10 bis 18 Uhr. Eintritt 8 DM, Katalog 49 DM.




Schöpfungsgeschichte der ewigen Eifersucht: Roma-Theater Pralipe spielt Shakespeares „Othello“

Von Bernd Berke

Mülheim. Über die ganze Bühne verstreut liegt Herbstlaub. Vergänglichkeit der Natur. Doch auf den Blättern kauert – wie zu Zeiten biblischer Schöpfung – ein nackter „Adam“. Später zieht er sich an und schminkt sein Gesicht weiß. Als Zivilisationsmensch mit der „richtigen“ Hautfarbe taugt er fortan zu schmutzigen Intrigen: Sein Name sei Jago. Unter dem Laub liegen anfangs die Opfer Othello und Desdemona. Sie wühlen sich daraus hervor, tollen wie die jungen Hunde miteinander. Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer.

Das Roma-Theater „Pralipe“, das eine feste Heimstatt m Mülheim gefunden hat, spielt Shakespeares „Othello“ (Regie: Rahim Burhan) – in Roma-Sprache. Als Zuschauer sollte man also vorher das Stück (wieder) gelesen haben.

Besagter Jago (Sami Osman) also richtet sich hier den ungeschminkten Othello (Nedjo Osman) gleichsam als Spielfigur zu, die er nach Belieben lenken und in Eifersuchts-Wahn treiben kann. Und wenn „Othello“ in seinem Furor einmal nachzulassen droht, haucht Jago ihm sozusagen neuen Odem ein.

Überhaupt verquickt man das Drama mit der Schöpfungsgeschichte. Das verleiht der Sache etwas Naturwüchsiges, Unausweichliches. Verführer Jago reicht seinen Mitspielern knallrote Sünden-Äpfel. Wenn er das gleichfalls rote Tuch in die Hand bekommt, mit dem er den Schein-Beweis über Desdemonas angebliche Untreue führen kann, läßt er es schlangengleich wedeln. In ihm steckt offenbar ein teuflisches, seit Anbeginn der Welt herrschendes Prinzip.

Manches Bild wird durch Auf- und Abblenden nur kurz angerissen, wie eine flüchtige Erscheinung. Szenen, die auf Gesellschaft hindeuten, werden weitgehend ausgespart. Als Mitwelt der drei Hauptpersonen tauchen immerhin schon mal Figuren mit Hüten auf, die den Kriminalfilmen der „Schwarzen Serie“ entstiegen sein könnten. Ohne Kino-Vorbilder ist denn auch manches nicht denkbar, besonders der höchst gekonnte Umgang mit Licht und Schatten gemahnt an Filmästhetik.

Ansonsten konzentriert sich „Pralipe“ ganz auf die Zweipersonen-Auftritte. Diese Konflikte spielt man mit einem Nachdruck und einer Emphase, die uns fremd geworden ist. Vielfältig die Bewegungsformen: Mal wird das Fassen und Lassen zwischen Othello und Desdemona ballettös und in quälender „Zeitlupe“ dargestellt, mal grundieren kultische Handlungen und Ding-Magie das Geschehen. Zeichen aus einem anderen Kulturzusammenhang. Soll man sie nach unseren Maßstäben beurteilen?

Das Gesten-Repertoire ist hingegen ziemlich fest umrissen, ja standardisiert. Sehr schwer zu sagen, ob es sich da um Begrenztheit der Mittel oder um bewußte Stilisierung handelt. Doppelgesichtig auch das Bühnengeschehen insgesamt. Da gibt es ergreifende, oft weit in die Bühnentiefe gestaffelte Bilder. Doch solche Momente sind stets absturzgefährdet. Links lauert bodenloser Tiefsinn, rechts flacher Kitsch. Es ist eine Gratwanderung.

Zudem findet kaum Entwicklung statt. Statt einer Tragödie, die sich ja irgendwie entfalten müßte, sehen wir eher eine Art Wehklage von Anfang an. Schon sehr bald bebt Othello mächtig vor Zorn – früh verschenkte Kraft. Es folgt ein ständiges Auf und Ab zwischen Erregung und Beruhigung, das wellenförmig durch die ganze Aufführung hindurchgeht.

Freundlicher Beifall des (theaternahen) Publikums.




Der Kultur-Hochstapler und sein „Feenpalast“ – Wedekind-Uraufführung „Ein gefallener Teufel“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Das hat man nicht alle Tage: die Uraufführung eines Stückes von Frank Wedekind. Für diesen Klassiker der Moderne haben einige Feuilletons jüngst eine „Renaissance“ ausgerufen. Jedenfalls erscheinen nun endlich Werkausgaben, und zwar gleich mehrere.

Im verstreuten Wedekind-Nachlaß fand man denn auch den halbwegs ausgefeilten Stückentwurf „Ein gefallener Teufel“, den direkten Vorläufer des „Marquis von Keith“, jener 1901 uraufgeführten Hochstapler-Komödie. Also ist’s bestenfalls eine halbe Uraufführung, denn den Stoff kennt man schon, wobei das Thema im „Teufel“ noch etwas klarer und simpler wirkt, noch nicht so überwuchert, aber auch noch nicht so umfassend.

Eine interessante Fallstudie für Germanisten und Dramaturgen – aber fürs Theater? „Der Marquis von Keith“ bleibt das stärkere Stück. Wedekind hat schließlich den Entwurf nicht grundlos umgearbeitet.

Die Geschichte bleibt so ziemlich gleich. Es geht hier wie dort um jenen windigen Herrn Marquis von Keith. Wenn zu Hause kein Geld für Brot da ist, dann will er halt im Spitzenhotel speisen. So einer ist das. Mit einem Luxus-Kulturprojekt namens „Feenpalast“ (sollte es da etwa Ähnliches in unserer Region und Gegenwart geben?) erleidet er Schiffbruch, wahrend sich die große Geschäftswelt souverän der Idee bemächtigt.

Zudem geht’s um Konflikte zwischen Moral und schrankenlosem Lebensgenuß. Das ist in die Farce getriebener Ibsen mit einigen Prisen Nietzsche und zynischen Aphorismen. Zum packenden Ereignis wird diese Mixtur in Münster nicht. Es ist eine redliche, bemühte Theater-Arbeit mit Betonung auf Arbeit.

Gespielt wird Dietrich W. Hübschs Inszenierung – zweieinviertel Stunden lang ohne Pause – auf einer kreisrunden, von Neonröhren eingefaßten Scheibe, die schräg zum Zuschauerraum geneigt ist, passend zum Schlußsatz: „Das Leben ist eine Rutschbahn“. Grelle Auf- und Abblendungen des Lichts stellen fast alle Szenen niveaugleich nebeneinander. Widersprüche werden so eingeebnet, wirkliche Zerrissenheit sieht man kaum.

Für Teile des Ensembles gilt das Sportlermotto: Was an Spieltechnik fehlt, will man durch Kampfgeist wettmachen. Wenn hier jemand Schmerz verspürt, tobt er gelegentlich über Tische und Stühle oder wirft sich theatralisch hin. Überhaupt geht man häufig zu Boden. Viele Szenen sind eine ständige Abfolge von Treten und Getretenwerden; Man könnte Herrschaftsverhältnisse auch subtiler und damit desto schärfer zeigen:

Komik wird auch aus dem Text entwickelt, mehr aber noch den Figuren aufgesetzt, Schrille Kleidung, groteske Körperhaltungen und sprachliche Absonderlichkeiten tun Wirkung, bleiben aber etwas an der Oberfläche. Münsters Kaufmannsgilde wird es schließlich gern sehen, daß der steinreiche Konsul Casimir Kramer-Gassmann (Friedhardt Kazubko) als seelenruhiger Vernunftmensch auftritt und kaum Spott abbekommt. Man ist hier am Ende ganz konservativ froh, daß er sich den „Feenpalast“ unter den Nagel reißt und nicht der unseriöse Keith (Michael Holm). Die stärksten Eindrücke hinterlassen eine schön chaotische Festivitäts-Szene im Mittelteil und der Schauspieler Michael Marwitz als „Ernst Scholz“, der eine herrlich stocksteife Absurdität ins Spiel bringt. .

Der Beifall war freundlich, aber rasch verrauscht.




Menschheits-Beglücker sind nur noch komische Vögel – Ingomar von Kieseritzkys Roman „Der Frauenplan“

Von Bernd Berke

Wie so manches Phänomen der Kultur, ist auch der Schriftsteller Ingomar von Kieseritzky heftig dabei, eine Kult-Figur zu werden. Sein Verlag hat das ganz richtig erkannt und nennt ihn gar nicht mehr bei vollem Namen, sondern nur mit dem Markenzeichen „Kieseritzky“ – nur wo das draufsteht, ist auch Kieseritzky drin…

In der Tat: Seine Schreibweise gleicht in bestimmten Sinne einem erprobten Markenartikel, sie ist schon nach wenigen Zeilen erkenn- und unverwechselbar. Geschenkt, ob er der „deutsche Woody Allen“ (Verlagswerbung) ist oder ein Nachfahre etwa von Jean Paul. Allein die Art jedenfalls, wie er aus allerlei Verschrobenheiten des Alltags seltsamsaukomische Schein-Systeme sprießen läßt oder wie er erlesenste Fremdworte und Autorennamen unversehens mit Gassenjargon durchmischt, ist ziemlich unnachahmlich.

Fremdwörterbuch und Autorenlexikon kann man bei der Lektüre trotzdem getrost beiseite lassen. Der Autor bedient sich besagter Wendungen nicht im Sinne von Bedeutsamkeit, er setzt sie als „Signale“ für eine erzkomisch wirkende wissenschaftliche Ernsthaftigkeit, Aufklärungs- und Fortschrittsgläubigkeit älterer Bauart.

Mit solcher Wissenschaftlichkeit schickt sich in „Der Frauenplan“ ein Erzähler namens Goff (Berufe u.a.: Friedhofsgärtner, Fotograf, Callboy, Literaturagent] an, die weibliche Welt zu klassifizieren, als wolle er Schmetterlinge sortieren. Da geht es etwa um Kritierien wie „dreieckige Nasenlöcher“, die auf „Andacht im Bett“ hindeuten.

Doch natürlich kommt dem absurd-ausgeklügelten „Frauenplan“ immer wieder die unberechenbare Wirklichkeit in die Quere, woraus Kieseritzky, Autor des heimlichen Bestsellers „Das Buch der Desaster“, erneut seine Spezialität, die allerschönsten Katastrophen-Szenen nämlich, destilliert. Immer wieder erfährt man nebenbei, wie Gurus und vermeintliche Bescheidwisser groteske Tode sterben, die ihren Theorien Hohn sprechen.

Alle Menschheits-Beglücker sind nur noch komische Vögel, jedes Lebens-Rezept ist Quark, alle Planung Schwachsinn. Auch Goffs Theorie der systematischen Annäherung ans andere Geschlecht, seine Pläne zur Erzeugung „bedeutsamer Augenblicke“ geraten da immer mehr zu einer Theorie des Rückzugs, der Fluchten im Zeichen totaler „Streßvermeidung“ – bis hin zur freiwilligen und völligen Bewegungslosigkeit.

Kieseritzky vermag es immer wieder, einprägsam wahnsinnige Figuren zu schaffen, so etwa jenen Coburn, der mit lauter mißlungenen Selbstmordversuchen nervt; jenen schrulligen Buchhändler Lambert, der an seinen eigenen unerbittlichen Ansprüchen (Leben und Denken wie Goethe!) aufs Bizarrste scheitert; jenen versoffenen Prediger, der fiebrig an einer Sammlung definitiver Flüche herumdichtet. Auch Kleinigkeiten wie etwas die Verselbständigung einer Sofortbildkamera geraten hier zu mehr als nur Kabinettstücken.

Ingomar von Kieseritzky: „Der Frauenplan. Etüden für Männer“. Roman. Klett-Cotta Verlag, 326 Seiten, 38 DM.