Lebensgeschichten im Taxi – Jim Jarmuschs Film „Night on Earth“

Von Bernd Berke

Verblüffend einfache und nahezu geniale Idee: einen ganzen Film praktisch nur in Taxis spielen zu lassen. Es gibt ja nicht viele Gelegenheiten auf dieser Welt, bei denen der Mensch mehr von sich preisgibt, als eben bei längeren nächtlichen Taxifahrten.

Jim Jarmusch erzählt in seinem Film „Night on Earth“ fünf Taxi-Episoden, die zwischen später Nacht und Morgengrauen in fünf Metropolen spielen: Los Angeles, New York, Paris, Rom und — Gipfel aller Exotik — Helsinki. Zunächst findet die Kamera jeweils den Ort auf der Landkarte, zeigt eine Uhr mit der Weltzeit und fängt dann nächtliche Impressionen der Städte ein. Irgendwann biegt dann ein Taxi um die Ecke, und es kommt (immer in Originalsprache mit Untertiteln) zu jenen seltsam intensiven Begegnungen zwischen Fahrern und Fahrgästen.

Rein inhaltlich scheinen die Episoden ziemlich banal zu sein: In Los Angeles will eine Hollywood-Agentin ihre total „abgerissene“ Taxifahrerin zum Weltstar machen, doch die lehnt ab. Die bizarrste Story gibt’s in New York: Ein aus Dresden übergesiedelter Taxifahrer (Armin Müller-Stahl), der mit seinem Wagen überhaupt nicht klarkommt, tauscht mit dem farbigen „Yo-Yo“ kurzerhand die Plätze und läßt sich staunend durchs wilde Brooklyn chauffieren. In Paris beschimpfen zwei Schwarze ihren gleichfalls schwarzen Fahrer als „Buschneger“, hernach steigt eine geheimnisvolle Blinde ein. In Rom — einzige geschmackliche Entgleisung des Streifens — versetzt der Mann am Lenker mit einer wüsten Sex-Beichte einen Geistlichen im Fond den Herzinfarkt. In Helsinki läßt sich ein derbes Trinker-Trio von der Lebensgeschichte des Fahrers zu Tränen erweichen.

Man muß es halt nicht nacherzählen, sondern sehen und erleben: In den von der Dunkelheit allseits umfangenen, geschützten Gesprächen zwischen Vorder- und Rücksitzen glimmen kometenhaft ganze Schicksale auf — und verlöschen danach, als sei fast nichts gewesen. Der Fahrpreis wird beglichen — und vorbei ist’s: Die Menschen sind buchstäblich wieder Ausgesetzte. Einige Momente lang fragt man sich noch, was nun aus den verlorenen Existenzen wird, wie ihr Leben wohl weitergeht. Doch dann folgt schon die nächste Geschichte.

„Night on Earth“. Regie: Jim Jarmusch. Mit Winona Ryder, Gene Rowlands, Armin Müller-Stahl, Béatrice Dalle u. a. Ab heute In einigen Programmkinos (z.B. „Roxy“, Dortmund).




Himmel und Hölle des Bildschirms – Nam June Paik in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Einerseits ist diese Ausstellung die schiere Medienhölle: Da dröhnt es aus ungezählten Lautsprechern, da gibt es ein wahnsinniges Bildergewitter auf hunderten von TV-Geräten, da flirren irrwitzige Großprojektionen über die Wände. Hier kann man wirklich einmal testen, wie lange man dem elektronischen Terror standhält.

Andererseits findet man sich in Zonen der Ruhe und der Meditation wieder, die von den selben Medien erzeugt werden: Eine Buddha-Figur „betrachtet“ göttlich-geruhsam ihr eigenes Erscheinungsbild; eine Kamera nimmt ein Ei auf, dessen perfekte Form synchron auf verschieden große Bildschirme übertragen wird. In einem abgedunkelten Raum erstreckt sich sodann ein Garten mit echtem Grün, dessen „Blüten“ freilich aus lauter Video-Farbbildern bestehen.

All dies sind Werke von Nam June Paik, dem großen Anreger der Video- und Fernseh-Kunst. Der Koreaner, heute in New York lebend, aber seit jeher auch der Düsseldorfer Szene eng verbunden, setzt mit diesen Medien sozusagen Himmel und Hölle frei, man erfährt Qualen, aber auch Wohltaten der künstlichen Bildwelten. Die Installationen in der vollverkabelten Düsseldorfer Kunsthalle sind mal Huldigung, mal Fluch.

„This is a Heimspiel for me“

„This is a Heimspiel for me“, soll Paik auf Anglo-Deutsch über diese Ausstellung gesagt haben – Anspielung auf alte, glorreiche Zeiten der rheinischen Kunstszene in den 60er Jahren, auf damals noch provozierende Kunstaktionen, die Paik gelegentlich auch mit Joseph Beuys gemeinsam veranstaltete, dessen Werk jetzt gegenüber in der Kunstsammlung NRW gezeigt wird (die WR berichtete).

Es dominieren Bildschirm-Arbeiten, die auch Leute ins Museum locken könnten, die sonst wenig mit Kunst am Hut haben. Kennzeichnend für Paik ist unter anderem die gegenseitige Durchdringung von Natur und Elektronik, so in besagtem „Fernseh-Garten“, aber auch bei einem Werk wie „Video Fish“: Aquarien mit lebenden Zierfischen stehen vor laufenden TV-Geräten. Die Videos laufen gleichsam „unter Wasser“.

Fernsehen und der christliche Kreuzweg

Paik knüpft mit seinen Arbeiten nicht nur an Naturformen an, sondern auch an die Kunstgeschichte: Den wohl stärksten Eindruck der Ausstellung hinterlassen jene 13 gotischen Schreine, in die der Kunst-„Ketzer“ Paik Femsehapparate montiert hat. Hintergrund: Ursprünglich sollten sich 14 Schreine auf die Stationen des christlichen Kreuzweges beziehen. Station heißt auf Englisch bekanntlich „station“, dies Wort steht auch für Fernsehkanäle – und 13 Stations-Schreine wurden es dann, weil es friiher einmal in New York diese Zahl von Fernsehsendern gab. Siehe da: Die Geschichten hinter den flimmernden Bildern können ganz schön vertrackt sein.

Nam June Palk. Retrospektive. Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 12. Januar 1992. Tägl. außer montags 10 -18 Uhr. Katalog 42 DM.