Bilder vom Riß, der durch die Welt geht – Sechs Museen zeigen Werke von Wolf Vostell

Von Bernd Berke

Köln/Bonn. Wolf Vostell hat einen Traum: „Eine ganze Messehalle müßte man einmal mieten und dort mein gesamtes Werk zeigen. Das wäre mein Lebens-Film.“

Doch auch so kann der „alte Kämpe“ der Happening-, Objekt- und Fluxus-Kunst zufrieden sein. Nicht weniger als sechs Museen in fünf Städten haben ihre Kräfte vereint, um jetzt ein wahres Vostell-Festival auszurichten. Nicht Retrospektiven sollen es nach dem Willen des Künstlers und der Museumsleute sein, sondern Zwischenbilanzen, „Einblicke in einen laufenden Prozeß“. Derlei Vorläufigkeit entspricht in der Tat dem Wesen eines Mannes, der zwar im Oktober 60 Jahre alt wird, aber immer noch Kraft zur Provokation hat. Zuletzt sorgte 1987 sein Berliner „Beton-Cadillac“ für bundesweites Aufjaulen.

Die Ausstellungen in Köln, Bonn, Leverkusen (Geburtsort des Künstlers), Mülheim/Ruhr und Mannheim bringen – so Vostell – endlich einmal „Ordnung in mein Werk“. Er fühle sich direkt zu neuen Taten angespornt. Besagte Ordnung darf hier nicht mit Schubladen-Sortierung verwechselt werden. Vostell ist eben kein ein unbändiger Chaot, sondern er verfolgt Themen und Motive sehr hartnäckig und konsequent durch Jahrzehnte. Doch er ist natürlich auch kein Kunst-Buchhalter, dessen Werk sich fein säuberlich und genregerecht auf sechs Museen verteilen ließe. Zwar setzen die beteiligten Museen jeweils Schwerpunkte (Köln etwa zeigt die großen Environments, Bonn Arbeiten auf Papier und bisher fast unbekannte Erotik-Zeichnungen, Mülheim TV- und Videoinstallationen), aber es mischen sich oft genug Materialien und Stilmittel, so daß die Grenzen immer fließend bleiben.

Zerstörung als zentraler Aspekt

Desto mehr fallen nun einige durchgängige Themen und Prinzipien auf. Praktisch immer geht es darum, Kunst ins Leben und Leben in die Kunst zu bringen. Vostells gesamtes Werk ist eine Suche nach bildnerischen Strategien, um diese Ziele zu erreichen. Bevorzugt setzt er sich mit den populärsten zeitgenössischen Gegenständen auseinander: Autos und Bildschirme, häufig innig miteinander verquickt, durchziehen das Werk seit Ende der 50er Jahre. Ein zentraler Aspekt ist dabei vor allem die Destruktion: Zerstörung der Wirklichkeit durch elektronische Bilder, Zerstörung der Lebenswelt durch Automobile. Vielfach gilt diesen Objekten wiederum die Aggression des Künstlers: Elektrisch betriebene Hämmer dreschen auf Fahrzeuge ein, TV-Geräte werden einbetoniert oder beerdigt.

Dazu paßt auch das von Vostell so genannte Verfahren der „Dé-Collage“, die eben im Gegensatz zur Collage nicht verschiedenste Dinge zusammenfügt, sondern durch Zerstörung (z. B. Abriß von Plakat-Schichten) diese Verschiedenheit erst schreiend sichtbar macht. Die Dé-Collage ist sozusagen bildlicher Ausdruck der Risse, die durch die Welt gehen. Ganz grell sieht man dies in Vostells politischen Arbeiten aus der Zeit der Studentenbewegung und des Vietnamkrieges, deren Kontraste (Luxus-Lippenstift gegen schreiende Vietnam-Kinder; tierische Kreatur gegen seelenlose Technik) heute vordergründig wirken mögen, damals aber vielleicht einigen die Augen geöffnet haben.

Ein besonderes Problem dieser Ausstellungen liegt darin, daß viele Zeichnungen nur Vorstudien zu Aktionen, viele Objekte nur Relikte derselben sind, also gleichsam versteinerte Taten. Doch eine Spurensuche entlang des Rheins lohnt allemal.

Köln/Stadtmuseum und Haubrich-Kunsthalle (bis 22. März); Bonn/Rheinisches Landesmuseum (bis 29. März); Leverkusen/Schloß Morsbroich (bis 29. März);  Mannheim/Kunsthalle (bis 26. April) ; Mülheim/Städtisches Museum (bis 22. März). Gemeinsamer Katalog 48 DM.




Visionen für die „documenta“ – Jan Hoet präsentierte in Kassel 186 Namen und ein vages Konzept

Von Bernd Berke

Kassel. „documenta“-Macher Jan Hoet ist schon ein seltener Mensch. Kaum einer vermag sich und andere so für das Abenteuer Kunst zu begeistern wie er, doch auch kaum einer redet sich dabei dermaßen ins Ungefähre und Vage hinein.

Der Belgier hat beinahe Qualitäten eines Erweckungs-Predigers: Mag man auch manchen Satz für abwegig halten, so fühlt man sich doch mitgerissen. Man weiß nur nicht so recht, wohin. Jan Hoet hätte denn auch gestern – statt seiner Visionen für die Weltkunstschau – ebensogut die „Merseburger Zaubersprüche“ vortragen können. Nicht nur die in großen Mengen nach Kassel geströmten Journalisten dürfen immer noch rätseln, wie „es“ denn in den 150 Tagen bis zur Eröffnung gedeihen wird.

Und das ist auch gut so, denn das wirkliche Ereignis ist ja die Begegnung mit der Kunst, nicht das vorschnelle Gerede darüber. Hoet verriet, daß jedem documenta-Gebäude eigenes Recht widerfahren solle. So werde etwa das altehrwürdige Fridericianum, das die „Potenz der Vergangenheit“ verkörpere und „männliche“ wie „weibliche“ Bauteile in sich vereinige, mit entsprechender Kunst bestückt. Bruce Nauman zum Beispiel werde dort für das „maskuline Element“ der Kunst einstehen, während Marisa Merz und Louise Bourgeois für „femininen“ Kontrast sorgen. Die neue documenta-Halle (Ersatz für die Orangerie) gleiche hingegen einer Kirche. Die Halle, die am 28. Februar endgültig eingeweiht wird (ein religiöser Begriff, der hier trifft), soll also offenbar ein geheiligter Kunst-Ort sein.

Am liebsten schwärmt Jan Hoet: von der neuen „Akropolis“ (sprich: documenta-Halle) oder auch vom Kasseler Königsplatz, der nunmehr herrlich rund in der Mitte des vereinten Deutschland liege. Es blieb anderen vorbehalten, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. So machte Kassels Oberbürgermeister Wolfram Bremeier einen (so wörtlich) „wahlkampfergebnis-gefährdenden“ Gestaltungsstreit um eben jenen Königsplatz aus. Er ließ auch durchblicken, daß die Spendierwilligkeit der Politik schon auf die Probe gestellt worden sei. Immerhin beträgt der Etat der 9. documenta 15,6 Mio. DM (davon 6,6 Mio. DM Zuschüsse), die documenta-Halle hat rund 23 Mio. DM gekostet. Vor fünf Jahren reichten noch 10,2 Millionen DM. Einen Teil der Kosten will man vom 13. Juni bis 20. September durch verdoppelte Tages-Eintrittspreise (20 statt 10 DM) wieder „einspielen“.

Jan Hoet legte immerhin die komplette Liste der 186 documenta-Künstler vor. Man wird zwar nicht Namen, sondern Werke beurteilen müssen, doch ein paar Dinge fallen auf: viele weniger bekannte Namen, was die Sache spannend macht; mit den ehemals „Wilden“ hat Hoet überhaupt nichts im Sinn, zudem sind recht wenige Osteuropäer vertreten. Außerdem: Da Größen wie Ulrich Rückriem, Sigmar Polke, A. R. Penck und Gerhard Richter dabei sind. fällt das Fehlen zweier deutscher Namen um so mehr auf: Georg Baselitz und Anselm Kiefer. Befragt, welchen Grund es für Kiefers Nichtteilnahme gebe, beschied Hoet lakonisch: „Meinen Grund!“

Es wird die erste documenta „nach Beuys“ sein. Hoet dazu: „Ich habe keinen neuen Beuys gesucht. Aber fast alle beteiligten Künstler sind durch Beuys‘ Gedanken hindurchgegangen“. Insofern sei der Verstorbene doch höchst präsent. Im Verlauf der Pressekonferenz kam es zu zwei kleinen Zwischenfällen: Ein Hamburger Künstlerduo knallte im Namen einer „neuen Freiheit“ mit Schreckschußpistolen in die Luft, ein weiterer Hanseat legte Hoet einen hochhackigen Schuh hin und orakelte: „Hätte van Gogh Damenschuhe gemalt, wäre er nicht verrückt geworden.“ Wann hat man schon einmal so ein großes Presseforum…

Zum guten Schluß gab Jan Hoet der deutschen Kunstkritik noch einen Denkzettel mit: Hierzulande fahre man auf den vielen Autobahnen meist geradeaus. Ähnlich stehe es mit der Beurteilung von Kunst. Auch da wolle man immer gleich zum Ziel.