Anekdoten aus dem Leben eines eitlen Bordellfürsten – Wolf Wondratscheks eindimensionaler Roman „Einer von der Straße“

Von Bernd Berke

Sehen wir einmal davon ab, ob Wolf Wondratschek wirklich (wie es kolportiert wurde) gegen Bargeld die Lebensgeschichte eines eitlen Bordellfürsten aufgezeichnet hat, der auch noch in die Literaturgeschichte eingehen wollte.

Schauen wir lieber auf das schriftstellerische Resultat, auf die Romanstory über jenen Gustav Berger, genannt „Johnny“, der zwischen den Ruinen der Nachkriegszeit „wild“ aufwächst, alsbald Kinderbanden leitet, sich später (zur „Halbstarken“- und Rock’n’Roll-Zeit) im Knast gegen übelste Typen sozialdarwinistisch „durchbeißt“ und schließlich eine tolldrastische Zuhälter-Karriere in München und Hamburg macht.

Das alles hätte vielleicht den Stoff für einen Roman über die ‚, Kehrseiten der „Wirtschaftswunder“-Jahre abgeben können. Doch was haben wir da? Eine erzkonventionelle Erzählweise mit einem sogenannten „allwissenden Erzähler“, der aber dann doch manchmal reichlich beschränkt zu sein scheint. Eine markige Anekdote nach der anderen, die stets wie mit beifälligem Grunzen mitgeteilt werden. Fast alles entspricht haargenau den Erwartungen, rastet schnell ein, wirkt schrecklich eindimensional und wie naturwüchis – hauptsächlich, weil der Autor nur flott heruntergeschrieben und weniger nachgedacht hat.

Kaum verhohlen die Bewunderung, mit der hier der schmutzige Aufstieg des Helden begleitet wird. Geradezu bebend vor Respekt stammelt die Erzählstimme: „Mit seinen zweiundzwanzig Jahren war Johnny damit Deutschlands jüngster Bordellbesitzer.“ Jede Schlägerei, die „Johnny“ gewinnt, wird als männliche Tat geradezu jubelnd gefeiert, mit einer Gewalt-Choreographie wie in manchen Videoclips.

Ein kurzatmiger Roman, seiner immensen Überlänge zum Trotz. Der Autor sitzt eben einer naiven Vorliebe für bloße Schauwerte auf. Und irgendwann kann man dann das großsprecherische Gelaber über die Taten von „Finger-Hannes“ oder „Totenkopf-Fred“ dann wirklich nicht mehr lesen,, zumal auch die Sprache dürftig bis schlampig ist.

Von dem einstigen „Rock-Poeten“ und Lyriker Wondratschek („Chucks Zimmer“), der sich hier erstmals als Autor eines längeren Romans versucht hat, durfte man mehr erwarten.

Wolf Wondratschek: „Einer von der Straße“. C. Bertelsmann Verlag. 484 S., 44 DM




Kunst und Moral passen nicht immer zusammen – Münster präsentiert als „entartet“ verfemte Bildhauer

Von Bernd Berke

Münster. Diese Debatte flammt immer mal wieder auf: Gehen große Kunst und Moral unbedingt zusammen, oder können etwa auch ideologisch verblendete Menschen gültige Werke schaffen? Die Antwort ist keinesfalls simpel. Dies zeigt sich einmal mehr bei der Kunstschau „Deutsche Bildhauer 1900-1945 – „entartet'“ im Westfälischen Landesmuseum.

Im Gegensatz zu Berlin, wo derzeit die vielbeachtete Ausstellung über die von den Nazis als „entartet“ verfemten Maler läuft, hat man in Münster erst gar keine Rekonstruktion der bewußt chaotischen NS-Auswahl versucht. Die rund 100 Skulpturen von 41 Künstlern hätten zwar, was Urheber und Machart angeht, 1937 in München präsent sein können, waren es aber zum größten Teil nicht.

Die NS-Machthaber hatten 1937 eine Doppelschau veranstaltet – eine zeigte die erwünschte, die andere die unerwünschte Kunst. Und da beginnen schon die Widersprüche, denn es gab Künstler wie Georg Kolbe und Rudolf Belling, die in beiden Ausstellungen vertreten waren. Kolbes „Stürzender“ mißfiel den Nazis, sein „Streiter“ kam ihnen hingegen zupaß. Zudem war lange Zeit gar nicht ausgemacht, wohin der NS-Kunstgeschmack sich wenden würde. Nicht nur Goebbels favorisierte lange Zeit den später gebrandmarkten Expressionismus.

Derlei Widersprüche will man auch in Münster dokumentieren. Man hat daher nicht nur hehre Widerstandskämpfer der Kunst ausgewählt, sondern auch einige halb oder ganz „Angepaßte“ mit aufgenommen — und siehe da: Man wüßte nicht immer auf Anhieb und beim bloßen Anblick der Werke zu sagen, ob sie nun von integren Künstlern stammen.

Die erwähnte Berliner Schau wurde in Los Angeles vorbereitet. Auch die Münsteraner Veranstaltung ist keine deutsche Produktion, sondern späte Frucht einer Seminarreihe im holländischen Nijmegen. „Keimzelle“ war übrigens die Beschäftigung mit dem Dortmunder Künstler Bernhard Hoetger, bei dessen Biographie den Niederländern manches Licht aufging: Hoetgers Werke galten den Nazis als „entartet““; dennoch war er von 1934 bis zum Parteiausschluß 1938 Mitglied der NSDAP.

Keine generellen Weihen und keine fraglosen „Helden“ also; aber Kunst, die in Münster ganz bewußt auf Sockeln und hinter Glas präsentiert wird — im Gegensatz zur NS-Präsentation, bei der die Skulpturen extra lieblos und diffamierend plaziert wurden.

Die Ausstellung führt durch eine Vielfalt von Stilrichtungen — von ungebrochener Figuration über Expressionismus bis hin zur Abstraktion. Auch wenn man in Münster durch räumliche Zuordnungen und Gegensätze die Ausstellung zu strukturieren sucht, wirkt das ganze doch etwas zusammenhanglos, so als habe man Belege für Seminarthesen gesucht und nicht immer gefunden. Die meisten Einzelwerke aber (darunter Arbeiten von Lehmbruck, Schlemmer, Mataré, Kirchner, Marcks, Barlach, Arp und Kollwitz) sind durchaus sehenswert.

Westfälisches Landesmuseum, Münster (Domplatz). 12. April bis 31. Mai. Katalog 38 DM.