Kunst gefällig? Museen verleihen Meisterwerke – Mit Leasing könnten Institute den Etat aufbessern

Von Bernd Berke

Im Westen. Das „Phantom der Oper“ treibt seit Jahren in den Musical-Palasten der Welt sein Unwesen. Jetzt scheint es auch ein „Phantom der Museen“ zu geben – und es betätigt sich vorzugsweise im Ruhrgebiet. Die Rede ist von einem eigentlich pfiffigen Kunst-Leasing-Projekt, dessen Früchte aber noch nicht so recht sprießen wollen.

Zwei Frankfurter hatten die Idee: Ulrich Schanda und Reinhold Brunner (beide 35) dachten sich, es sei doch schade, daß so viele Kunstschätze in Depots vor sich hin dämmern. Statt dessen könne man sie (gegen Gebühr) an zahlungskräftige Kundschaft ausleihen. Beispiel: Ein Bild hat einen Versicherungswert von 100 000 DM. Will z. B. ein Unternehmer es in seine Geschäftsräume hängen, sind davon jährlich 10 Prozent Leihgebühr fällig, macht also 10 000 DM – je 5000 DM würden an die Vermittler Schanda/Brunner und ihre „ulyssis art broking GmbH“ sowie an das Geber-Museum fließen. Die Transportkosten gehen zu Lasten der Frankfurter Broker.

Eine verlockende Sache, besonders für Kunsthäuser des Ruhrgebiets, die so ihre schmalen Etats etwas aufbesgern könnten. Denn die Gebühren würden als Spenden oder Beiträge deklariert, so daß keine Stadt die Extra-Erlöse ohne weiteres vom Budget abziehen könnte. Kein Wunder also, daß man hierzulande besonders aufgeschlossen war und daß fast die Hälfte der beteiligten Museen im Revier zu finden ist: Das Städtische Museum Gelsenkirchen ist ebenso dabei wie die Kunsthalle Recklinghausen, das Märkische Museum Witten und das Osthaus-Museum in Hagen. Renommierte Häuser in Nürnberg, Mannheim, Hannover und Ludwigshafen vervollständigen die Liste der Interessenten.

Doch die ganze Sache „hakt“. Dr. Michael Fehr, Chef des Hagener Osthaus-Museums: „Die Idee ist ja ganz gut. Doch wir haben seit einem halben Jahr nichts mehr davon gehört. Das Projekt ist offenbar ,gestorben‘.“ Kein einziges Bild habe den Weg zu einem UNternehmen gefunden.

Die gleiche Auskunft bekam die WR bei der Kunsthalle Recklinghausen: „Die Industrie spielt wohl nicht mit.“ Das Sprengel-Museum in Hannover ist sogar „vorübergehend“ aus dem Verleiher-Pool ausgestiegen. Erst wenn sich Erfolge einstellen, will man wieder mitmachen.

Immerhin, hört man aus Hagen, will das „heute-Journal“ im ZDF über das Projekt berichten. Bis jetzt ist der Beitrag zwar noch nicht gelaufen, doch schöpft man neue Hoffnung, nachdem endlich auch der erste Bild-Transfer geklappt hat. Reinhold Lange vom Städtischen Museum Gelsenkirchen meldete Vollzug: Aus „seinem“ Fundus trat das Bild „Fliegende Formen“ des (nicht am Erlös beteiligten) 86jährigen Konstruktivisten Anton Stankowski die Reise nach Berlin an. Es schmückt nun einen Geschäftsraum der Firma Eternit. Lange: „Ein willkommener Zuschuß für uns.“

Vielleicht bleibt es also doch kein „Phantom“. Über 150 Kunstwerke sind mittlerweile im Angebot – mit Versicherungswerten zwischen 15 000 und 900 000 DM (Spitzenpreis: ein Bild von Max Pechstein). Die Quote der Leihgebühren bewegt sich zwischen 7 Prozent für die teuersten und 15 Prozent für die preiswertesten Arbeiten.

Kunst-Makler Reinhold Brunner beteuert unterdessen im Gespräch mit der WR die seriöse Geschäftsgrundlage. Vor einer eventuellen Leih-Aktion schaue man sich die Geschäftsräume der Unternehmer sehr genau an. Man überprüfe Klima-, Licht und Sicherheits-Bedingungen und ermittle, ob in den Zimmern geraucht wird und wann die Sonne durch welches Fenster scheint. Bei ausgesprochen teuren Werken rede man ausführlich über Bewachung und Alarmanlagen. Natürlich werde aus eine Extra -Versicherung abgeschlossen. Brunner: „Und falls die Museumsleute Bedenken haben, bekommen sie Zutrittsrecht“.

 




Zorn und Gelächter – Feuilletons von Eckhard Henscheid

„Die Wolken ziehn dahin, sie ziehn auch wieder her.“ Grandios einfach und irgendwie tröstlich, diese kleine Zeile. Sie war das Prägemuster für den Titel von Eckhard Henscheids neuem Buch. Es ist eine Sammlung seiner Zeitschriftenbeiträge aus den 70er, 80er und beginnenden 90er Jahren.

Die meisten Sachen sind im Satiremagazin „Titanic“ erschienen. Präzise Erscheinungsdaten muß man sich leider mühsam im Anhang zusammensuchen, warum stehen sie nicht direkt beim jeweiligen Artikel? Solche Details tun dem Inhalt keinen Abbruch, erschweren aber die Handhabung ganz unnötig.

Es ist ein Mißverständnis oder gröbliche Vereinfachung zu behaupten, daß Henscheid („Der Mann, der Böll beleidigte“) lediglich Deutschlands Chef-Zyniker sei, der politische und kulturelle Peinlichkeiten gnadenlos geißele, zuweilen auch persönlich beleidigend, unter der Gürtellinie.

Vom ästhetischen Fußball bis zur SPD-Humorkultur 

Das alles kann er auch – den laufenden Schwachsinn entlarven wie kaum ein Zweiter. Doch oft wird sein Zorn, wie diese Zusammenstellung zeigt, schlicht und einfach von Enthusiasmus und Zuneigung befeuert – etwa für den ästhetischen Fußball (das Höchste für ihn: Eintracht Frankfurt zu Grabowskis Zeiten), dessen Zusammenhänge mit literarischer Kultur er in einem herrlichen Aufsatz darlegt, oder für die Oper, die er flammend gegen Mätzchen des Regietheaters verteidigt.

Henscheid .„beackert“ ein großes Themenspektrum: Über die (ihm zufolge kaum vorhandene) „SPD-Humorkultur“ äußert er sich ebenso pointiert wie über pseudo-linke „Betroffenheits“-Duseleien, das Gebaren von Fernsehpfarrern, Sedlmayrs Leben und Tod, sprachlichen Nonsens wie „Disco-Deutsch“, die erbärmliche Unfähigkeit praktisch aller deutschen Literaturkritiker (geschenkt!) usw., usw.

Ob Lotti Huber, Herbert Wehner oder Herbert von Karajan – in der manchmal auch bewußt ungerechten Personenbeschreibung (sein Dauer-Feldzug gegen Hanns-Dieter Hüsch) ist Henscheid Meister so ziemlich aller Klassen. Geradezu maßstabsetzend sind seine knappen „Humorkritiken“, die mancherlei vermeintlichen Lach-Stoff sezieren und erlesene Empfehlungen (Dostojewski als einer der größten Humoristen) geben.

Eckhard Henscheid: ..Die Wolken ziehn dahin“. Feuilletons. Haffmans Verlag. 393 Seiten, 39 DM.




Es kommen weder bessere noch schlechtere Zeiten – Botho Strauß und seine „Beginnlosigkeit“

Von Bernd Berke

Es dürfte das Buch mit den erlesensten Fußnoten der Saison sein – derart entlegene Werke zitiert Botho Strauß. Und bei manchen seiner Fremdworte helfen nur Spezialhandbücher. Aber sind das schon Qualitäten, Zeichen eines „Sehertums“ gar?

Strauß hat neueste naturwissenschaftliche und kosmologische Forschungen zur Kenntnis genommen – und will, daß daraus Konsequenzen für Literatur und Leben gezogen werden. Sein Befund: Die Zeit der Dialektik (jenes diskussionsfördernden Dreischritts aus These, Gegenthese und vorläufiger „Versöhnung“) sei vorbei. Vorbei auch die Ära des Fortschritts, der Logik, der Ideologien und des „Prinzips Hoffnung“ eines Ernst Bloch (den Strauß ohne Namensnennung als „Roßtäuscher“ bezeichnet).

Immer schon da und ewig verweilend

Was haben wir statt dessen? Den „Steady state“ (letztlich gleichbleibender Zustand), den Strauß aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen herleitet und den er so skizziert: „Nichts beginnt, alles schwebt und weilt.“ Daraus folgt für ihn ungefâhr dies: Paradies wie Hölle sind immer schon dagewesen und bleiben ewig, es kommen weder bessere noch schlechtere Zeiten. Auch gibt es niemals eindeutige Gründe und Folgen, daher ist das Leben kein Fortschreiten, sondern ein stetes Auf und Ab, ein allseits zerstreutes Hin und Her, dessen Unübersichtlichkeit man gelten lassen und nicht durch „Begradigung“ aussichtslos bekämpfen muß. Also: formloser Fleck statt gerader Linie (daher der Untertitel des Buches).

Weltanschauliche Kraftakte?

Gleichwohl, so Strauß, bedürfe die formlose Natur hin und wieder auch der Zähmung durch „Linien“ – und es könne ja in einem künftigen, allgegenwärtigen Reich neuester Techniken auch Engelhaftes verborgen sein…

Strauß‘ Formulierungen sind – wie von ihm nicht anders zu erwarten – stets hochveredelt. Auch sind seine Thesen diskussionswürdig. Aber er scheint zu wollen, daß man sie hinnimmt. Gelegentlich jedenfalls verfallt er in den Ton eines „Gesetzgebers“ à la Friedrich Nietzsche. Möglich, daß man da noch einmal Botho Strauß‘ großartiges Buch „Paare Passanten“ von 1981 zur Hand nimmt, als er Ernst Blochs zeitweiligen Mitstreiter Theodor W. Adorno noch als „prunkenden Denker“ hervorhob. Möglich auch, daß man sich fragt, ob Strauß aus den außerordentlich hellsichtigen Beobachtungen bundesdeutschen Alltags nun in weltanschauliche Kraftakte geflüchtet ist.

Botho Strauß: „Beginnlosigkeit – Reflexionen über Fleck und Linie“. Hanser Verlag, München. 134 Seiten, 28 DM.




Ernst Jandl: Auch das Obszöne ist bodenlos traurig

Von Bernd Berke

Wenn Ernst Jandl zu öffentlichen Lesungen erscheint, kommen Zuhörerscharen wie sonst nur bei Popgruppen oder Opernstars. Es wird „Kult“ mit ihm getrieben.

Dem scheint er sich mit seinem neuen Gedichtband „Stanzen“ (Bezeichnung einer Strophenform) zu entziehen. Der Umschlag ist sinnigerweise in der Mitte gelocht, also ausgestanzt. Die Texte muß man sich, einem Wörterverzeichnis zum Trotz, erst einmal erarbeiten. Jandl hat seine Vierzeiler in einer – dem Niederösterreichischen entlehnten – Kunst-Sprache verfaßt, die abermals eher vorgesprochen als still gelesen sein will. Kostprobe samt Übertragungs-Versuch:

de schritt im fuazima / woan ned fun dia / glei bina aussä / s woitat kaana zu mia

(die schritte im Vorzimmer / waren nicht die deinen / gleich bin ich hinaus / doch es wollte keiner zu mir).

Dies Beispiel ist im Original noch relativ gut zu verstehen, bei anderen tut man sich schwerer. Dennoch ahnt man schon hier. welch einen Sprachverlust jeder „Übersetzung“-Versuch zwangsläufig bedeutet. Diese Differenz kennzeichnet Jandls Gedichte zugleich als wahrhaftige Sprach-Kunstwerke. Ohne Form ist hier der Inhalt nichts.

Jandl bewegt sich auf grenznahem Pioniergelände der deutschen Sprache. Er nutzt dabei eine volkstümliche Form für zuweilen derbkomische, im Grunde aber gar nicht so „volkstümliche“ Mitteilungen. Es geht nämlich unterschwellig fast immer um Alter,  Einsamkeit, körperliche Hinfälligkeit, Todesnähe. Verzweiflung ist der Grundton.

Selbst die auf den ersten Blick läppischen Sexual- und Anal-Scherze sind in diesem Zusammenhang bodenlos, auch das Obszöne kann hier jederzeit in Depression und Bitternis umschlagen. Der Kunst-Dialekt bewahrt gleichermaßen das dumpfe Brüten, ja die Brutalität der Mundart, aber auch ihren schlagenden Witz.

Das alles ist, um paradox mit einem Titel von Thomas Bernhard zu reden, „einfach kompliziert“, also scheinbar simpel und in Wahrheit schwierig. Dann und wann mischen sich auch hochdeutsche und englische Sprachbrocken hinein. Jandl mischt Elemente von Jazz und Rock, Rap-Gesang, Volksmusik und Bauerntheater. Er deutet dies im Anhang an, wenn er sein Verfahren erläutert – ein Umstand übrigens, der zeigt, wie sehr Jandl auf das Handwerkliche der Sprachgestaltung Wert legt. Er hat da nichts zu verbergen und braucht keine wolkige Geheimnistuerei.

Ernst Jandl: „Stanzen“. Luchterhand Literaturverlag. 150 Seiten, 48 DM (limitierte Auflage).