„Darüber reden“: Julian Barnes schickt drei Menschen auf den Markt der Liebe

Von Bernd Berke

Ein Mann heiratet. Dann spannt ihm sein bester Freund die Frau aus und ehelicht sie seinerseits. Kein weltbewegendes Geschehen, wenn man es kühl betrachtet.

Doch kann ein solcher Vorgang bekanntlich die größten Bestürzungen auslösen. Dann wird man vielleicht fieberhaft dies tun: „Darüber reden“. So heißt das neue Buch von Julian Barnes, einem Autor, der seit „Flauberts Papagei“ und „Eine Geschichte der Welt in zehneinhalb Kapiteln“ auch bei uns immer stärker beachtet wird.

Auf 263 Seiten breitet Barnes die Liebeswehen seiner Figuren aus. Alles in direkter Rede, so als sprächen die handelnden/erleidenden Personen den Leser direkt an, als bäten sie ihn um „objektive“ Zeugenschaft und Beistand. Oder wenden sie sich gar an eine Art „höhere Instanz“, die ein Urteil sprechen soll? Jedenfalls fühlt man sich sofort aufgenommen in den kleinen Kreis, man wird sogleich ins Vertrauen gezogen.

Barnes weiß eben sehr, ja beinahe zu gut, wie man Leser ködert. Er schreibt hinreißend, überrollt einen geradezu mit seinem Stil, der gleichsam perlt und prickelt. Da erzählt einer ebenso „süffig“ wie etwa John Irving.

Die drei Hauptpersonen: Stuart, ein stocksteifer Bankmensch; sein Freund Oliver, genialischer Hallodri – und das Objekt ihrer gemeinsamen Begierde, die Gemälde-Restauratorin Gillian. Barnes deutet an: So wie Gillian verborgene Schichten alter Bilder sichtbar macht, so kehrt die Liebe nach und nach immer andere Schichten der Persönlichkeit hervor.

Alle drei reden ganz verschieden und wandelbar. Stuart wirkt zunächst tapsig und naiv, dann kommen seine unterdrückte Wut und sogar Durchtriebenheit zum Vorschein. Oliver steigert sich eingangs in selbstverliebte Sprachräusche, wird aber kleinlaut, als er sich in Gillian verliebt. Und Gillian redet am Anfang ganz knapp und nüchtern, bevor sie sich zunehmend erhitzt.

Der Leser weiß immer etwas mehr als dieses Trio (zumal weitere Personen ihn mit Zusatzinformationen versorgen) und kann mit einer Mischung aus Besorgnis und Vergnügen ihre seelischen Irrungen und Wirrungen verfolgen: Drei Helden des Alltags, gesegnet und gepeinigt mit dem ganzen Plunder des menschlichen Innenlebens. Auch wenn rings die Computer blinken und alles voraus“ berechnen – in der Liebe ist ja bisweilen jede(r) hilflos wie ein Kind.

Ein Buch ohne „Moral“. Zwar dreht es sich auch um solche Fragen: Was kann die Ehe heute noch bedeuten? Ist wirkliche Liebe zu dritt oder viert möglich? Wie steht es mit dem Verhältnis von Liebe, Sex und Geld? Doch das ganze Geschehen „dreht“ sich halt wie ein Karussell, spielerisch und bunt. Wenn man denn schon Essenzen aus diesem Buch ziehen will, so könnten sie etwa so lauten: Weder gegen die Liebe noch gegen ihren Verlust vermag man etwas.

Endlos könnte man eben „darüber reden“, wie sie einen gnadenlos erwischt und verläßt. Zu Zeiten hitzig – und doch im Grunde tief ernüchtert. Denn offenbar folgen ja all unsere‘ Gefühle nur den grausamen Konkurrenz-Gesetzen eines Marktes…

Staunenswert die Übersetzung. Hier hat man den nicht gar so häufigen Fall, daß ein fremdsprachig verfaßtes Buch so frisch klingt, als sei es gleich auf Deutsch geschrieben worden.

Julian Barnes: „Darüber reden“. Aus dem Englischen von Gertrude Krueger. Haffmans Verlag. 263 Seiten. 36 DM.




Kirchenkunst: Gottes Bild wurde immer menschlicher – Prunkvolle Ausstellung „Imagination des Unsichtbaren“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. „Du sollt dir kein Bildnis machen.“ Ein ehernes Gebot aus früher Christenzeit. Wie prunkend sich später die Katholische Kirche darüber hinweggesetzt und der menschlichen Bilderlust nachgegeben hat, zeigt die Ausstellung „Imagination des Unsichtbaren“ in Münster.

Anlaß der durch Fülle und Pracht überwältigenden Schau ist das 1200-jährige Stadtjubiläum Münsters. Präsentiert werden rund 700 religiöse Kunstwerke, die seit der Zeit des ersten Münsteraner Bischofs Liudger (Amtsübernahme im Jahr 805) für das Bistum entstanden sind. Vielfach handelt es sich um sonst unzugängliche Leihgaben aus den Schätzen westfälischer Pfarreien. Doch das wohl kostbarste Exponat, das Stundenbuch der Katharina von Kleve (um 1440), kommt aus New York.

Aus dem religiösen Kontext gelöst, wird alles Augenschmaus: Kreuze aus purem Golde, wundervolle Altarbilder und Heiligen-Statuen, reich verzierte Handschriften, liturgische Gerätschaften, Monstranzen, Reliquien-Behältnisse und allerlei sonstiges Ornat.

Gleichsam im Zeitraffer läßt sich der Wandel des Gottesbildes in der Kunst nachvollziehen. In der Romanik wurde Christus noch als unnahbarer Weltenrichter dargestellt, in der Gotik betonte man seine Leidensgeschichte, wodurch auch irdisch-menschliches Mitgefühl ins Spiel kam. Im Barock ging es dann vollends sinnlich zu. Viele Künstler sahen Jesus nun als schönen, ja athletischen Mann, was zugleich als Ausdruck geistiger Vollkommenheit galt. War die Vorstellung von Gott bis dahin allgemeingültig, so wich sie in späteren Jahrhunderten einem bunten Pluralismus. Gott sah so aus, wie das Individuum es wollte.

Man findet in dieser Ausstellung nicht nur Kunst aus Westfalen. Auch auswärtige Künstler, etwa aus Augsburg oder Nürnberg, bekamen kirchliche Aufträge aus dem Bistum Münster. Die Westfalen wiederum nahmen Einflüsse aus Flandern oder Brabant auf. Wo so reger Austausch herrscht, stellen sich Phasen der Kunstblüte ein. Ausstellungsleiter Dr. Géza Jászai ist überzeugt, daß Westfalen sich in Sachen religiöser Kunst nicht hinter Zentren wie Prag oder Salzburg verbergen muß.

Wer zählt die Stücke, nennt die Namen? Man sollte keine Hierarchie der Werke aufstellen, es kommt hier vornehmlich auf ihr Zusammenwirken an. Regionalgeschichtlich ist sicher die Muttergottes aus Lünen (St. Marien-Kirche, um 1250) interessante, aber wer wollte sie einem Borghorster Kreuzreliquiar (um 1050), einem kunstvoll ornamentierten Münsteraner Taufbecken (um 1345) oder Heinrich Brabenders letzter Skulptur (Apostel Petrus und Paulus) vorziehen?

Selbst Atheisten dürfte hier so etwas wie Andacht anwandeln. Und auch wer nur noch in Zahlen denken kann, mag sich immerhin klarmachen, daß christliche Werte zumindest in materieller Hinsicht nicht geschwunden sind.

„Imagination des Unsichtbaren“ – 1200 Jahre Kunst im Bistum Münster. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster (Domplatz). 13. Juni bis 31. Oktober. Tägl. außer montags 10-18 Uhr. Eintritt 6 DM, zweibändiger Katalog 60 DM.




Frank Sinatra: Hymnen aus dem Herzen von Amerika

Von Bernd Berke

Dortmund. Seine Stimme ist etwas brüchig geworden. Doch er hat’s noch: Feeling für den Swing. Ausstrahlung. Draht zum Publikum. Frank Sinatra gab in der nicht ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle ein bewegendes Konzert zum Auftakt seiner wohl letzten Deutschland-Tournee.

Wer die Halle sonst eher durch Rockkonzerte kennt, sieht es mit Staunen: Die Seitenwandungen sind mit weißem Tuch verhüllt, die Ordnungskräfte bleiben so gut wie unsichtbar. Tumulte muß bei dieser Gala niemand fürchten. Die Leute (von 20 bis 70, mit Schwerpunkt bei mittleren Semestern) haben sich extra fein gemacht und benehmen sich respektvoll, wie es einem älteren Herrn gebührt.

Wer aber hat nur vorher das häßliche Gerücht aufgebracht, der 77 jährige Sinatra werde gleichsam auf die Bühne getragen und dann am Barhocker festgeschnallt? Nichts da! Er bestreitet fast seinen gesamten 75-Minuten-Auftritt im Stehen. Hilfe nimmt er nur für sein Gedächtnis in Anspruch. Wer will es ihm ankreiden? Auf Bildschirmen laufen die Texte in großer Schrift mit. Auch ist Sinatra schon mal der Name eines Komponisten oder Arrangeurs entfallen. Da hilft der Chef der Big Band – niemand anderes als Sohn Frank Sinatra junior – gerne mit Zurufen aus.

Noch einmal „Strangers in the Night“

Doch wie „Frankie-Boy“ seine immer noch virile Stimme einsetzt, wie er mit sparsamen Gesten gewisse Zeilen unterstreicht und in der Riesenhalle intime Nachtbar-Atmosphäre aufkommen läßt, das macht ihm so keiner nach.

Natürlich singt er seine Millionenseller, allen voran die ganz großen Drei: „Strangers in the Night“, „New York“ und, als Schlußtitel, „My Way“. Jeder Song eine Hymne für sich. Amerika pur, unverdünnter Whisky, reine Goldnuggets. Bei „Mack the Knife“ (Mackie Messer) von Brecht/Weill legt er sich ins Zeug, daß man beinahe Angst bekommt. Und wenn „The Voice“ Melodien von Cole Porter anstimmt, wird auch dessen Geist lebendig.

Nicht zu vergessen diese lakonischen Ansagen und Bewegungen eines Mannes, der alle Höhen und Tiefen erlebt hat und nun nicht mehr viele Worte machen muß. Wenn Sinatra sich auf der Bühne eine Zigarette anzündet, ist das eine kleine Festlichkeit, beiläufiges Zitat zur eigenen Legende. Andere brauchen gigantische Lightshows, um über die Rampe zu kommen. Sinatra braucht hin und wieder nur ein Feuerzeug.

Starker Rückhalt ist die Big Band, die das Publikum zu Beginn mit dem eminent begabten Jazz-Gitarristen und Sänger John Pizzarelli einstimmt. Auch Sinatra kann sich dann auf die 24 Musiker in jeder Sekunde verlassen. In der diesmal sehr ordentlichen Akustik der Halle kommen etwa die Bläsersätze glasklar, schmetternd und schneidend an. Da bedauern es manche nur, daß sie so still eingepfercht sitzen müssen bei solch tanzbarer Musik.

Sinatra lobt die Halle. Er kenne kaum eine bessere Konzert-Arena. Besonders wichtig: ringsum gebe es viele „Saloons“. Das Publikum lobt zehnfach zurück. Immer wieder gibt es standing ovations. Am Schluß, als er die Bühne verläßt wie für immer, stehen besonders einigen „Ladies“ die Tränen in den Augen. Wie singt Frankie doch: „I got you under my Skin“. That’s it. Ein Abschied, der unter die Haut geht.