Am Lebensabend ist die Illusion zerstoben – B. S. Johnsons erstaunliche Altenheim-Geschichten aus neun verschiedenen Perspektiven

Von Bernd Berke

Ein Autor, der in Deutschland immer noch „entdeckt“ werden kann (und sollte), ist der Engländer B. S. Johnson (1933-1973). Verdienstvoll, daß der Schneekluth-Verlag eine Werkausgabe in sieben Bänden ediert. In diesem Zusammenhang ist nun auch der Prosaband „Lebensabend. Eine geriatrisehe Komödie“ erschienen. Und das ist ein phänomenales Buch.

Johnson läßt uns die inneren Monologe einiger Altenheim-Insassen miterleben. Die acht Greise und Greisinnen sinnen alle über den selben Zeitabschnitt des selben Tages nach, von dem man also nacheinander aus acht verschiedenen Perspektiven erfährt.

Es beginnt mit einem Essen und offenbar nervtötender Heimarbeit, die die Alten für die Hausmutter ausführen müssen (sie kleben Knallbonbons zusammen), findet einen vorläufigen Höhepunkt in einer lächerlich optimistischen Senioren-Hymne, die die Greise zu singen haben – und mündet in „Ertüchtigungs“-Spielchen (z. B. ein bizarres Rollstuhl-Wettrennen) oder einen läppisch-schlechten Scherz rund um ein Päckchen, in dem sich Hundekot befindet. All‘ das schält sich aber erst ganz allmählich aus den zumeist stockend vorgetragenen Monologen heraus.

Am Schluss redet die resolute Hausdame

Johnson zeigt nun nicht nur, wie grundverschieden die acht alten Menschen das teilweise bedrückend groteske Geschehen erleben, wie ihre Gedanken in diverse Vergangenheiten und auch Verrücktheiten abschweifen. Jeder Figur gibt der Autor genau 21 Seiten. Und er benennt vorher – wie in einem ärztlichen Bulletin – ihre geistigen und körperlichen Gebrechen. Bei einem etwas verwirrten alten Mann etwa bildet sich der Gedankengang in lauter Sinnsprüngen oder gar in großen weißen Lücken auf den Seiten ab.

In jedem Abschnitt aber erfährt man vor allem, gleichsam aus intensiver „Innenansicht“, etwas von den Leiden des Alters, von verlorenen Illusionen und zerstobenen Lebensträumen. Das Buch weitet sich zu einer ebenso tiefgründigen wie leicht vorgetragenen Studie zum Prozeß des AIterns überhaupt.

Ein weiterer Clou kommt am Schluß. Da läßt Johnson als neunte Person die Hausdame reden, die all jene Spielchen und Arbeiten veranlaßt hat und die bereits die ganze Zeit als beängstigende Figur durch die Monologe der alten Leute gegeistert ist.

Erst hier erfährt man, wie obszön ihre Veranstaltungen wirklich waren und welche Theorien über Leben, Tod und Alter sie sich dazu zurechtgelegt hat. Am Ende fragt sich der Leser durchaus irritiert: Ist sie nun eine Wohltäterin mit reichlich derben, aber erprobten Methoden – oder ist sie eine Fürstin der Vorhölle?

B. S. Johnson: „Lebensabend – Eine geriatrische Komödie“. Schneekluth Verlag. 204 Seiten. 34 DM.




Zwischen Duschvorhängen und Ententüchern – Max Goldts Glossen aus dem schrägen bundesdeutschen Alltag

Von Bernd Berke

„Seltsam, daß er nie mit diesen knochigen, verbiesterten Squash-Spieler-Typen mit ihrem Ringelpiez-Humor und ihren Kater-Garfield-Duschvorhängen konfrontiert wurde, die (…) ihre solariumsverkokelten Hände falteten und altjüngferlich flöteten: Also, ich kann auch ohne Alkohol fröhlich sein …“ – Jawohl. Man sieht sie leibhaftig vor sich, diese Leutchen!

Derlei Beobachtungen gelingen Max Goldt in seinen Glossen häufig. Der Mann ist Kolumnist des Satireblattes „Titanic“ und hat sich mit „Onkel Max‘ Kulturtagebuch“ seine Fangemeinde erschrieben. Kennzeichen an der Oberfläche: fröhlich-kreatives Chaos. Doch Goldt kann erzkomisch und ernsthaft sein, manchmal im raschen Wechsel, manchmal gar beides zugleich. Hinter jeder Satzbiegung kann es wieder um was ganz anderes gehen. Das macht die Sprache geschmeidig. Dabei denkt und schreibt er wohltuend unaufgeregt, jedem Getue abhold. Und sehr oft, besonders, wenn er sich mit „Szene“-Moden befaßt, denkt man: „Da sagt’s mal einer!“

Man lese und genieße: Wie er die allgegenwärtigen „Kulturschnorrer“ erledigt; was er über die Polit-Plänkeleien von Kabarettisten oder über die in Talkshows herumgereichten „Meinungsnutten“ denkt; wie er nervtötende Selbstdarstellungs-Rituale schwuler „Subkultur“ brandmarkt, was er z. B. von englischen Rocktexten, Silvesterfeiern, Rauchern, Volksfesten, Quittenfrüchten, schwatzhaften Kinobesuchern oder gar von „Ententuch-Matronen“ hält…

Und dann jene kleinen Pfennigs-Wahrheiten. Zitat: „Wer hat nicht schon mal in einer fremden Stadt im öden Hotelzimmer gelangweilt im Telefonbuch geblättert, um nachzuschauen, ob da vielleicht Leute mit unanständigen Nachnamen wohnen? Natürlich nur, um anschließend entrüstet zu sein über diese Bürger, die keine Anstalten machen, das behördlich ändern zu lassen.“

Auch viele Splitter ergeben ein Bild, es herrscht hier nicht das schiere Chaos. Ja, Max Goldt erscheint gar als Mann von früher Weisheit und von Grundsätzen. Er ist nicht der total „abgedrehte“ Freak, für den man ihn beim monatlichen Überfliegen seiner „Titanic“-Kolumne halten könnte.

Er läßt öfter mal durchblicken, daß er sich alles ein bißchen ruhiger, höflicher, gelassener wünscht auf der Welt. Wenn es auf dieser befriedeten Erde so kurzweilig zuginge wie in seinen Glossen, dann wäre es mächtig in Ordnung.

Max Goldt: „Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau“. Haffmans-Veriag, 302 Seiten, 28.50 DM.