Und da singen alle: „Gib mir mein Herz zurück…“ – Herbert Grönemeyer in der Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Der Mann muß sein Dortmunder Publikum gar nicht erst erobern, er „hat’s“ vom ersten Moment an. Für Herbert Grönemeyer sind Konzerte im Ruhrgebiet Heimspiele. die er notfalls mit gebremster Kraft gewinnen könnte. Doch in der ausverkauften Westfalenhalle macht er keine halben Sachen.

Kaum hat er mit seiner Band zwei, drei Lieder gespielt, sind die Zuschauer schon mit Leib und Seele dabei. Wo andere Stars eine gewisse An- und Aufwärmphase brauchen, schafft’s Grönemeyer ohne Vorgruppe und gleichsam aus dem Stand. Ein Phänomen. Dabei steigt er in der Dortmunder Arena, „diesem Riesenteil“ (Grönemeyer) gar nicht mal mit seinen allseits bekannten Hits ein, sondern mit neueren Stücken wie „Fisch im Netz“ oder „Grönland“, einem Song, der dafür wirbt, die Ostdeutschen wenn schon nicht zu lieben, so doch wenigstens zu respektieren.

Mehr als nur ein „singender Flugblattverteiler“

Auch wenn er die Rechtsradikalen zur Hölle wünscht oder den ganzen deutschen Spuk am liebsten zertanzen möchte, ist er mehr als nur ein „singender Flugblattverteiler“. Mit derlei Botschaften erzielt er vermutlich mehr Wirkung als alle Politiker zusammen, denn sie sind in mitreißenden, strikt gitarrenorientierten „Geradeaus-Rock“ verpackt. Es ist dies eine unsterbliche Variante der Popmusik, allen ehrgeizigen Experimenten und Auswüchsen zum Trotz.

Grönemeyers Band besteht zwar nicht aus Genies, jedoch aus exzellenten Fachkräften, die sich mit fadem Mainstream nicht zufrieden geben und trotzdem eingängig bleiben. Zudem ist „Herbie“ im Live-Konzert noch besser als auf Platten. Man fragt sich erstaunt, woher er seine immense Wirkung nimmt. Er hat ja kein besonderes Outfit und will auch nicht mit Ausstattungs-Exzessen, eitlem Stargehabe oder Bühnen-Akrobatik imponieren. Alles hat Normalmaß. Vielleicht liegt’s gerade daran: daß er keinerlei Umwege nimmt, nichts vorgaukelt, gleich ganz da ist. Und natürlich kann er auch etwas: Mit seiner kehligen Stimme treibt er. die schnelleren Titel energisch voran und verleiht den Balladen, bei denen er allein am Piano sitzt, den nötigen Schmelz.

Der nötige Schuß Sentimentalität

Grönemeyer wird nie wirklich kitschig. Aber er verwendet doch jene Bruchteile von Sentimentalität, die nun mal dazu gehören, um aus einer bloßen „Nummer“ ein richtiges Lied zu machen. Man ist tatsächlich ergriffen, wenn er seine Liebes-Erlärungen („Laß mich nicht mehr los“) oder auch seine Beziehungs-Widerrufe („Kein Verlust“, „Ich geb‘ ; nichts mehr“) vorträgt. Da kreisen und kribbeln wohl tatsächlich jene kleinen „Flugzeuge im Bauch“.

Als eine Art Medley kommen in der Mitte des gut zweistündigen Konzerts die Ohrwürmer wie „Männer“ und natürlich das Lied über sein geliebtes Bochum. Spätestens jetzt spielt es gar keine Rolle mehr, daß man manchmal nur Textfetzen versteht. Die Fans können eh alles auswendig mitsingen; dann und wann überläßt Grönemeyer ihnen für ein paar Zeilen ganz seinen Part. „Gib mir mein Herz zurück“, singen Tausende mit. Jaja, die alten Liebes-Wunden, die jede(r) mit sich herumträgt. Hier finden sie Ausdruck.

Überhaupt, das Publikum: Grönemeyer, der auch schon mal ein Bad in der Menge nimmt, scheint selbst überwältigt von dieser Begeisterung, die sich in allen möglichen Formen äußert: vom dröhnenden Sport-Schlachtruf „Jetzt geht’s los“ bis zur fröhlichen Menschen-Welle „la ola“, vom Wunderkerzenglanz bis zum tosenden Trampeln. Man muß das erlebt haben…

 




Zartbitterer Scherz – Alan Ayckbourns „Familiengeschäfte“ zeitweise mit Zuschauern auf der Bühne

Von Bernd Berke

Wuppertal. Das Wuppertaler Stadttheater kann sich keine Schauspieler mehr leisten. Also müssen die Zuschauer auf die Bühne kommen und alles selbst machen.

Gemach, gemach. Ganz so schlimm ist es noch nicht. Doch im Zeichen allfälliger Kultur-Sparmaßnahmen hat das Ensemble zur Premiere von Alan Ayckbourns Komödie „Familiengeschäfte“ schon mal eine Zukunftsschau gewagt: Regisseur Hans-Christian Seeger betrat eine fast ratzekahle Bühne und bat vielmals um Entschuldigung. Doch eine Ausstattung könne man halt nicht mehr bezahlen. Sprach’s und holte – Rolle für Rolle – dreizehn verdutzte Leute aus dem Publikum auf die Bretter. Die sollten nun gefälligst spielen…

Natürlich war’s nur ein zartbitterer Scherz. Die ins Rampenlicht gezogenen Zuschauer durften sich wieder hinsetzen, denn es gab doch noch echte Schauspieler. Und die Techniker durften nun auch das Bühnenbild hereinschieben. Sie trugen übrigens T-Shirts mit Sponsorenaufdruck.

„Ehrlich sein kann doch jeder Idiot“

Das mit 20 Minuten eine Spur zu länglich geratene Vorspiel auf dem Theater war freilich schon der bessere Teil des Abends. Nicht alle Darsteller schlüpften hernach mühelos in ihre Rollen. Ayckbourns launig-sarkastisches Stück handelt von einer mittelständischen Möbelfirma, deren Fundus vom ganzen Familienclan freihändig geplündert wird. Jeder macht seinen Schnitt, denn (Zitat): „Ehrlich sein kann doch jeder Idiot.“ Nur Jack McCracken (Gerd Mayen) spielt anfangs den Moralapostel und verfolgt jede Verfehlung der Familienbande, wie etwa den Ladendiebstahl der Tochter – bis auch er im Morast landet und sogar den Vertuschungs-Mord an einem Detektiv billigt.

Vielschreiber Ayckbourn flaniert auf dem Boulevard. Um im Straßen-Bild zu bleiben: Der Weg führt zwar nicht an luxuriösen Auslagen vorbei, jedoch an einigen attraktiven Sonderangeboten. Allerdings hat das Stück etliche Hohlräume, und es ist ein bißchen geschwätzig. Boulevard Beo, sozusagen.

Man ist in Wuppertal vielleicht nicht zynisch genug, um den Abgründen des Stücks vollends gerecht zu werden. Selbst die Hausfrau als Freizeit-Domina wirkt hier wie eine „Barbie“. Langweilig ist’s nicht gerade, doch die Sache kommt selten über die Puppenstuben-Harmlosigkeit der in vier Zimmerchen geteilten Bühnenaufbauten hinaus. Der Zuschauerblick wandert immer kreuz und quer in diesem doppelstöckigen Karree.

Schwer ist das: Diese Zimmer mit simultaner Komik zu füllen, wo doch meist nur in einem gesprochen wird. Ein Glücksspiel mit gewissen Leerstellen. Im einen Moment gelingt’s, im nächsten weniger.

Nächste Vorstellungen: 6., 10. und 21. April (immer um 19.30 Uhr)




Ein Nomade zwischen Gut und Böse – Bodo Kirchhoffs Somalia-Frontbericht „Herrenmenschlichkeit“

Von Bernd Berke

Es hat einen eigenartigen Beigeschmack, wenn deutsche Dichter wieder unseren Soldaten quer durch die Welt nachreisen. Bodo Kirchhoff („Infanta“) betätigt sich in seinem Buch „Herrenmenschlichkeit“ als Frontberichterstatter aus Somalia, wo die Bundeswehr ihre weltpolitische Jungfernschaft verloren hat.

Mit einem Pulk von Journalisten war Kirchhoff als literarischer Pionier im Sommer ’93 am Horn von Afrika: Mal sehen, was die Truppe so treibt. Und schon ist der deutschen Nachkriegsliteratur ein neues Genre geboren.

Natürlich schaltet Kirchhoff, der seinerzeit als linker Möchtegern-Unterwanderer zum „Bund“ gegangen war, in Somali all seine sensiblen Antennen auf Empfang. Doch eine unwirkliche und unübersichtliche Welt bleibt ihm der Krieg. Über das große Ganze könne man keine Wahrheiten sagen. Also widmet man sich lieber dem eigenen Ich samt seinen Leistenschmerzen.

Nur wenn beim Schießen einmal eine Pause eintritt, macht sich Langeweile breit, unerträglich und unheilschwanger: „…wünsche mir, fürchte ich, daß es kracht“, bricht es da aus Kirchhoff hervor. Der Autor führt eben nach eigenem Bekunden ein „Nomadendasein zwischen Gut und Böse“. Er pfeift auf laue politische Korrektheit, bleibt schmerzhaft ehrlich und hegt nicht nur friedliche Gedanken, sondern verspürt gelegentlich schaudernd eine seltsame „Ästhetik der Vernichtung“.

Doch Kirchhoff zeigt auch die Schrecklichkeit etwa der medizinischen Versorgung. Tausende Somalier warten vor dem Zaun des deutschen Camps, womöglich versehen mit auf dem Schwarzmarkt gekauften Behandlungs-Sçheinen. Sie werden von Soldaten in Schach gehalten, und nur die allerschlimmsten Fälle haben eine Chance auf sofortige Versorgung. Nicht von ungefähr kommen Kirchhoff Gedanken an fürchterliche Selektion. Überhaupt seien hier Menschen aus Europas satter Überlebens-Kultur gekommen, die sich wohl oder übel zu Herren über eine Leidens-Kultur aufschwingen – „Herrenmenschlichkeit“.

Über allen freilich schwebt Bodo Kirchhoff. Nicht mal so sehr über den Soldaten, die nach seinem Eindruck recht brav und wohlmeinend ihren prekären humanitären Auftrag wahrnehmen. Von Ausnahmen abgesehen, liege ihr enger Horizont allerdings zwischen „Saarbrücken, Schalke, Mallorca, Gottschalk“. Schlimmer aber findet Kirchhoff die Journalisten. Die pflanzen überall Satelliten-Antennen auf und warten auf Action. Und während die Zeitungsleute alle stolz ihre Blätter nennen können, schreibt Kirchhoff – noch eine Spur stolzer – angeblich „für niemanden“. Höchstens, daß es dann nachher im Suhrkamp-Verlag erscheint…

Besondere Pikanterie bekommt Kirchhoffs etwas eitle Unternehmung noch dadurch, daß er seine Somalia-Aufzeichnungen im Sterbezimmer einer Frankfurter Klinik zu Papier bringt – „zum üblichen Pflegesatz“, wie er versichert. Derweil droht er schon damit, daß dies alles nur Notizen für einen großen Roman seien. Gnade!

Bodo Kirchhoff: „Herrenmenschlichkeit“. Suhrkamp. 67 Seiten (Paperback). 24,80 DM.




„Tegtmeier“ lebt nicht mehr – Ruhrgebiets-Komiker Jürgen von Manger mit 71 Jahren in Herne gestorben

Von Bernd Berke

Für alle Auswärtigen war er die idealtypische Verkörperung des Ruhrgebiets-Kumpels: Jürgen von Manger, der mit 71 Jahren in Herne gestorben ist, erfand 1962 seine Figur „Adolf Tegtmeier“ – und verschmolz nahezu mit dieser Rolle.

Landauf landab verbinden die Menschen das Revier mit seinen Auftritten und glauben zu wissen, wie die Leute hierzulande reden. Was „Tegtmeier“ von sich gab, war allerdings niemals echtes Revier-Deutsch, sondern ein Kunstdialekt.

Tegtmeier war jener „kleine Mann“ von der Straße, der sich freilich bildungsbeflissen gab, sich möglichst gepflegt ausdrücken wollte – und dabei immer wieder in arge Sprachnöte geriet. Komischer Kontrast: Gerade wenn ihm eigentlich die Worte fehlten, war dieser Tegtmeier höchst mitteilungsfreudig. Und er hätschelte seine gesammelten Vorurteile, als seien es Weltweisheiten.

Mit Schiller trieb er besonders viel Schabernack

Besonders am hohen und pathetischen Ton eines Friedrich Schiller konnte sich dieser Tegtmeier regelrecht aufreiben. Unvergessen sein Bericht von einer „WaIlenstein“-Aufführung („Dat is von dem, der auch Schillers Räuber geschrieben hat“). Ähnliche Wirkung erzielte er mit eigenwilligen Deutungen von „Maria Stuart“ und ..Wilhelm Teil“.

Tegtmeier hatte natürlich auch das Patentrezept gegen jeden Bildungsballast parat: „Bleibense Mensch'“ empfahl er stets. Mit anderen Worten: Nur nicht zu weit abheben, alles halb so hoch hängen. Und das war nun wiederum ganz nach Art des Menschenschlags im Ruhrgebiet.

Jürgen von Manger stammte jedoch gar nicht aus dem Revier, er wurde am 6. März 1923 in Koblenz geboren. Seine Schulzeit erlebte er dann allerdings bereits in Hagen, wo er das Humanistische Gymnasium besuchte und im Jahr 1941 Abitur machte. Der Sohn eines Staatsanwalts studierte von 1954 bis 1958 in Köln und Münster Rechtswissenschaften, hatte aber zuvor schon erste Bühnenerfahrungen gesammelt, zunächst als Statist.

Nach einer soliden Schauspiel- und Gesangsausbildung wirkte er an den Bühnen in Hagen (bis 1947), Bochum (1947 bis 1950) und Gelsenkirchen (1950 bis 1963). Dabei spielte er auch unter dem legendären Bochumer Theaterchef Saladin Schmitt.

Die Markenzeichen gepflegt

Jürgen von Manger bekam im Theater zwar mitunter einige ernste Rollen, war aber schon bald als Spezialist für das Fach „Charakter-Komik“ gefragt.

Wie jeder bekannte Komiker, so pflegte auch Jürgen von Manger seine Markenzeichen. Da waren Schnauzbart und Kappe (die er angeblich wegen seiner „Maläste mitte Ohren“ trug), der immer irgendwie schiefgestellte, die Buchstaben geradezu genüßlich-quälerisch mahlende Mund, der so recht ahnen und mitfühlen ließ, wie Tegtmeier nach Worten rang, wenn er uns Gott und die Welt nach seinem Strickmuster erklären wollte; da war das listige Blinzeln unter den buschigen Augenbrauen, und da waren schließlich die immer wiederkehrenden Formeln und Floskeln wie das berühmte „Also äährlich!“

Hinter der etwas biederen Maskierung entfalteten sich manchmal ganz schön makabre Gedanken, zum Beispiel, wenn Jürgen von Manger einen seiner bekanntesten Sketche zum besten gab: den vom „Schwiegermuttermörder“. Dieser Mörder („Da hab‘ ich se gesäächt“) war weder teuflisch noch reumütig, sondern schilderte ganz beiläufig die Einzelheiten seiner Tat, so als gehe es um das Selbstverständlichste von der Welt. Es war übrigens eines der allerersten „Stücksken“ von Manger, mit dem er eigentlich nur die Wirkung beim Publikum testen wollte. Sie war durchschlagend, und er kam von der Figur nicht mehr los.

Makabre und peinliche Situationen

Manger ließ Tegtmeier fortan in alle möglichen und unmöglichen peinlichen Situationen geraten – von der Fahrschulprüfung („Hier hat die Omma Vorfahrt“) bis ins Eheinstitut (wo er eine Dame „mit dicke Oberaahme“ suchte), von der Delinquentenzelle bis in den Lehrgang für Unteroffiziere: „Womit wäscht sich der Soldat? – Mit Seife, Herr Unteroffizier! – Nein, mit nacktem Oberkörper.“ Tegtmeier geriet jedenfalls immer vom Regen in die Traufe, stolperte von einer Kalamität in die nächste. Doch er wurstelte sich immer irgendwie durch.

Großen Anklang fanden nicht nur Mangers insgesamt zwölf Langspielplatten, sondem auch seine Fernsehreihen wie zum Beispiel „Tegtmeiers Reisen“ mit gelegentlich hintersinnigen Plaudereien an den Orten des Massentourismus, wo er auch schon mal einen besonders schönen Kartoffelsalat und Übernachtungen in Jugendherbergen empfahl.

Im August 1985 erlitt Jürgen von Manger einen schweren Schlaganfall und war seither halbseitig gelähmt. Auch das Sprachzentrum wurde in Mitleidenschaft gezogen. Tapfer kämpfte er gegen die Krankheit an und hatte sogar schon bald wieder Pläne für neue Auftritte. Doch er mußte die Pläne aufgeben. Er hat sich nie wieder ganz erholt. Zuletzt lebte der Opern- und Antiquitäten-Kenner sehr zurückgezogen mit seiner Frau Ruth in Herne.