Im Drahtgeflecht steckt der Protest – Arbeiten des Spaniers Manuel Rivera im Museum Folkwang

Von Bernd Berke

Essen. Die entscheidende Idee für seine Kunst kam dem Spanier Manuel Rivera in einer ganz alltäglichen Situation: beim Blick in ein Schaufenster.

Da schwebten Werkzeuge hinter der Glasscheibe, als hätten sie fliegen gelernt. Von außen konnte man überhaupt nicht erkennen, daß sie drinnen an dünnen Drähten aufgehängt waren. Derlei Sinnestäuschung prägt seither die Arbeiten des 1927 in Granada geborenen Künstlers. Auch dem Material Draht hat er sich seitdem verschrieben. Auf seinen Bildobjekten kehrt es in Form von filigranen Geflechten, Verzweigungen und Spannkräften wieder. Das Essener Folkwang-Museum zeigt jetzt 85 Exponate aus den Jahren 1956 bis 1966, die Rivera selbst für seine wichtigste Phase hält.

Damals herrschte in Spanien die Franco-Diktatur. Es war schon ein Wagnis, als sich Rivera im Jahr 1957 mit anderen Künstlern zur maßvoll oppositionellen Gruppe „El Paso“ (Der Schritt) zusammenschloß. Als sie 1958 bei der Biennale in Venedig Furore machten, wollte Franco sie geschickt als Repräsentanten des Landes vereinnahmen, was 1960 zur Spaltung und Auflösung der Gruppe führte.

Verborgene Strukturen vergegenwärtigen

Rivera und andere begriffen seine abstrakten Objekte als widerständige Kunst. Freilich ist es ein Aufbegehren in Andeutungen, keine offene Rebellion, die damals gefährlich gewesen wäre. Die Serie der „Metamorphosen“ setzt nicht nur im Titel das Prinzip des Wandels jedwedem starren System entgegen.

Diese Kunst verlangt keine Andacht, sondern ganz konkrete, körperliche Schritte. Denn wenn man vor diesen Werken still stehen bleibt, bemerkt man nur die pure Oberfläche. Erst durch Bewegung des Betrachters erschließt sich die eigentliche Qualität. Dann beginnen die voreinander gespannten Metallgitter auf den zumeist verwaschenen Farbfeldern ein seltsames Flirren und rätselhafte Licht-Spiegelungen freizusetzen. Die zweite Langzeit-Serie trägt denn auch den Obertitel „Espejos“ (Spiegel).

Man verspürt vor diesen Arbeiten eine unaufhörliche Unruhe, Ungewißheit, Nervosität. Es sind elastische Bilder, Bilder der Veränderung, nicht der Zustände.

„Damals waren es Schreie…“

Die Draht-Verspannungen lassen zudem vage Gedanken an Zwang, Fesselung oder gar Folter aufkommen. Gelegentlich verdichten sich diese Zeichen zu verqueren Knebelstellen und Knotungen unter Verwendung von Stacheldraht. Spanische Ausstellungsbesucher werden damals wohl geahnt haben, worum es ging. Ein mögliches Lehrstück mithin: Auch abstrakte Kunst, die die Dinge nicht direkt zeigt, sondern ihre verborgenen Strukturen vergegenwärtigt, kann Widerstand sein und vielleicht wecken.

Riveras Anfänge weisen ins Informel zurück, er gehörte jedoch nie der heftig-gestischen Fraktion dieser Richtung an. Der widerspenstige Draht verhindert ein spontanes Sich- Ausleben auf der Bildfläche, er will bedachtsam gebogen und geflochten sein.

Leider verfolgt die Essener Schau, für die das Museum dank Sponsor keine Mark bezahlen muß, das Werk nicht bis zur Gegenwart. Was macht Rivera heute? Er selbst sagt, daß er ähnliche Objekte anfertige wie damals. Und doch gebe es einen großen Unterschied: „Damals waren es Schreie. Heute ist es Gesang.“

Manuel Rivera: „Metamorphosen – Espejos“. Museum Folkwang Essen (Goethestraße). Bis 11. September. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr. Katalog 48 DM.

 




Wenn man dem Glück gar nicht entrinnen kann – Wuppertal stellt den populären Künstler Otmar Alt vor

Von Bernd Berke

Wuppertal. Otmar Alt (53), vielleicht der populärste deutsche Künstler, hat nichts ausgelassen. Er hat praktisch alle Techniken erprobt, mit jedem denkbaren Material gearbeitet und seinen bunten Kosmos in vielerlei Richtung wuchern lassen. Ist er etwa ein Allerwelts-Schöpfer?

Kaum einer seiner Kollegen versteht auch so ausgiebig über die eigenen Arbeiten zu sprechen wie der Mann aus Hamm-Norddinker, dem das Wuppertaler Von der Heydt-Museum jetzt eine Retrospektive widmet. Von der landläufigen Kunstkritik fühlt sich Otmar Alt offenbar verkannt, also muß er sich wohl selbst deuten: „Ich bin keine Märchentante!“ ruft er all jenen entgegen, die sein farbig-fröhliches Kunst-Universum unter dem Etikett „naiv“ abheften wollen. Er selbst sieht sich lieber in der Nachbarschaft eines Paul Klee und eines Joan Miró. Er halte sich ans „positive Denken“, wolle Lust und Freude bei den Menschen wecken.

Bilder und Objekte sehen dich an

Seine Bilder, Skulpturen und Objekte sind dazu angetan, einen mit sprühender Freude zu überfallen. Vielfach sind sie mit Augen oder augenähnlichen Öffnungen versehen, die – so Otmar Alt – „den Kontakt zum Betrachter suchen.“ Nicht nur der Besucher sieht die Bilder, die Bilder „sehen“ auch den Besucher. Mithin: Der Wille zum Glück verfolgt einen sozusagen bis in den letzten Winkel des Museums, man kann ihm gar nicht entrinnen.

Der Rundgang führt durch eine Welt der frohen Fabelwesen, man ist umstellt von Tieren und Clowns, von blühender Vegetation und blühender Phantasie. Von seinem eigenen kleinen Heimzoo (90 Tiere) läßt sich Alt ebenso inspirieren wie von einer Reise nach Bali. Er bemalt Gegenstände aus seinem Leben und überführt sie in die träumerische Kunstwelt: einen Rasierpinsel des verstorbenen Vaters, einen Mörser aus der Apotheke seiner ersten Ehefrau. Alts Kunst lebt nicht von allmählicher Reduktion zum Wesentlichen, sondern aus Wachstum, steter Addition und Zusammenfügung. Auch das ist ein Weg.

Keine nachdrückliche Entwicklung

Die ausgestellten Arbeiten stammen aus den letzten 30 Jahren. Trotz dieser großen Zeitspanne gibt es keine nachdrückliche Entwicklung. Es scheint, als seien die Grund-Elemente ganz plötzlich, etwa ab Mitte der 60er Jahre vorhanden und als seien sie seither vornehmlich in alle Windrichtungen getrieben worden.

Otmar Alt scheut auch nicht vor Massenprodukten zurück. Zu sehen sind etwa Telefonkarten, Schlipse, Aschenbecher, Uhren und CD-Platten, auf denen seine unverkennbaren Motive prangen. Kunst für Millionen.

Otmar Alt spricht Menschen an, die sich nicht verstören lassen wollen. Vielleicht lockt er auch Leute ins Museum, die sonst Schwellenangst haben. Das wäre eine recht ehrenwerte Rolle im Kunstbetrieb, der sich sonst oft arrogant über Alltagsbedürfnisse hinwegsetzt. Und noch etwas zeichnet ihn aus, was den meisten gefallen dürfte: Er legt allergrößten Wert aufs Handwerk. Ganz gleich, ob er Siebdrucke, Radierungen, Lithographien oder Kunst aus Glas und Stahl entwirft – stets arbeitet er eng mit Meistern der jeweiligen Zünfte zusammen.

Am liebsten hat er es. wenn man seine Werke betastet und allseits berührt. Doch das ist im Museum eine heikle Sache. Gern stellt Otmar Alt deshalb auch unter freiem Himmel aus – in der nächsten Woche (ab 27. Juni) beispielsweise im Dortmunder Westfalenpark. Ein passender Ort für sonnige Kunst.

Otmar Alt. Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Turmhof 8 (Elberfeld). Ab Sonntag, 26. Juni, bis zum 14. August (Di-So 10-17, Do 10-21 Uhr), Eintritt 6 DM, Katalog 49 DM (Neu: mit VRR-„Ticket 2000″ halbierter Eintritt).

 




Schlimme Nachrichten dringen bis in den Elfenbeinturm – Zwischen Prosa und Lyrik: Sarah Kirschs Tagebuch „Das simple Leben“

Von Bernd Berke

„Das simple Leben“ nennt Sarah Kirsch ihr neues Buch. Doch dieses Dasein ist ganz und gar nicht einfach.

Das Leben der Dichterin spielt sich, unterbrochen von gelegentlichen Lesereisen, ganz bewußt in Klausur ab. Aus ihrem Prosa-Tagebuch mit lyrischem Grundton erfährt man, wie sie sich in ihr Werk versponnen hat, sich am stürmischen Nordseestrand, wo er noch nicht von Touristen erobert ist, verschließen will vor der Welt. Dort geht sie – ein nur scheinbares Idyll – mit ein paar getreuen Menschen, mit Schafen und Bobtail, Katz‘ und Esel um, läßt sie sich beim Anblick der Wolkenspiele in lyrische Stimmungen treiben.

Ganz ohne Ironie spricht sie von „meinem Elfenbeinturm“ und mokiert sich über die Alltags-Spießer ringsum. Doch derlei Anflüge von Hochmut können bei ihr entsetzlich rasch umschlagen, auch in akute Depression. Häufig erwähnt sie die (Seelen-)Wetterlage: „Herrschte das feinste Selbstmörder-Wetter wie ich es liebe“.

Suche nach rettenden Momenten

Die Gedanken sind unfrei. Sie werden überfallen und gefangen von den Nachrichten des Tages, die die friedliche Abgeschiedenheit immer wieder schmerzhaft aufreißen: Da sind die langfristigen Nachwirkungen von Tschernobyl, die Kriege am Golf und auf dem Balkan, Enthüllungen über Untaten der Stasi, das ganze deutsch-deutsche Getöse, die allseits geschundene Natur. Alltägliche Apokalypse.

Die Schreibende fühlt sich diesem schlimmen Weltgetriebe hilflos ausgeliefert. Sie sucht Rettung, indem sie das Private unter die Lupe nimmt und die große Politik gleichsam im umgedrehten Fernglas betrachtet. Dann erscheint beides gleich groß. Doch auch das Dichten im einsamen Gehäuse fällt zur Last: „Meingott es wird auch immer schwerer. Man erhascht ein Splitterchen vor alles versinkt.“

Articul und Akwareller

Sarah Kirsch bleibt, auch wenn sie ein Prosa-Tagebuch wie dieses schreibt, Lyrikerin. Die Wortfolge – freischwçbend ohne Satzzeichen – nähert sich jener von Gedichten, auch Zwischentitel deuten auf solche Herkunft. Und die hauchzarten Gefühlswerte ließen sich manchmal wohl überhaupt besser in Einzelzeilen gießen als in epischen Text.

Ein Besuch im elend verfallenden Greifswald löst Tränen aus. Ein übriges tun die seinerzeit (als sie gegen Biermanns Ausbürgerung sich auflehnte und fortging aus dem Osten) über Sarah Kirsch angelegten Stasi-Akten, die sich für sie jetzt lesen wie ein Schundroman. Gegen solch finstere Realität stellt Sarah Kirsch verzweifelt ihre eigene kleine Welt wie ein Märchen, in dem die Dinge etwas andere, zauberische Namen haben: Sie schreibt einen „Articul“, malt „Akwareller“, fährt auf eine „Insul“, trinkt jede Menge „Koffie“ – und macht sich auf solch beinahe sprachmagische Weise empfänglich und durchlässig etwa für die Geisterstimmen von im Meer Ertrunkenen. Spökenkiekerei?

Es bleibt der schwachen Menschin nur, der Natur im Kleinen ein wenig aufzuhelfen. „Schafe drehn“ heißt eine der letzten Zwischen-Überschriften: Einige Tiere sind in matschige Kuhlen geraten und können sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten. Hier kann sie beistehen. Sonst scheint alles vergebens, wie ein Anrennen gegen Windmühlenflügel oder Vulkane. Letzter Satz des Buches, bedrohlich genug: „Der Ätna speit“.

Sarah Kirsch: „Das simple Leben“. Deutsche Verlagsanstalt (DVA), Stuttgart. 100 Seiten. 26 DM.




Glück des Gleichgewichts und „geistbewegende Pflanzen“ – Jan Meyer-Rogge und Pablo Amaringo im Osthaus-Museum

Von Bernd Berke

Hagen. Der Künstler Jan Meyer-Rogge will „Sicherheit und Unsicherheit zugleich wecken“. Wie macht er denn das?

Mit empfindlichen Balancen, mit Spielen des Gleichgewichts möchte er die Wirkung erzielen. Sogar Informatiker der Uni Dortmund sahen sich kürzlich nicht in der Lage, die physikalischen Grundlagen dieser Kunst ohne weiteres zu kalkulieren. „Erfahrung, nicht Berechnung“ liegt denn auch jenen Arbeiten zugrunde, die Jan Meyer-Rogge (Jahrgang 1935) jetzt im Hagener Osthaus-Museum zeigt.

Ganz gleich, ob es sich um Ringe, Scheiben, Zylinder oder Vielecke handelt – es würde zumeist ein kleiner Stips genügen, um sie stürzen zu lassen. Auf den Punkt genau sind die labilen Objekte ausgelotet. Es sind Kippfiguren, stets dicht davor, umzuschlagen in etwas anderes, vielleicht Chaotisches. Festgehalten wird der schmale Augenblick des Gelingens. Meyer-Rogge selbst hält angesichts solcher Equilibristik zuweilen den Atem an, „als wenn ich einen Bogen spanne“. Ihn fasziniert der meditative Moment des endlich erreichten und doch schon wieder bedrohten Gleichgewichts, eben jener Moment zwischen Sicherheit und Unsicherheit. Sehr gefährdet erscheint solche Art von Kunst.

Visionen aus dem Regenwald

Gänzlich anders das zweite Projekt, mit dem das Hagener Museum zugleich aufwartet. Geboren ist es nicht aus dem europäischen Geiste der Physik, sondern aus Schamanentum. Der Peruaner Pablo Amaringo hat seine Visionen aus dem bekanntlich gefährdeten Amazonas-Regenwald in Bilder einfließen lassen. Um seine Wahrnehmung in Einklang mit der Natur zu bringen, hat er sich des Saftes einer Lianenpflanze namens Ayahuasca bedient, aus dem man eine Art Droge gewinnen kann – im Umkreis der dortigen Kultur eine völlig andere, mit Tradition und Ritualen unterfütterte Sache, nicht vergleichbar etwa mit Haschisch-Konsum in unseren Breiten. Im Hagener Museum hört man das Wort „Droge“ folglich gar nicht gern, man spricht lieber von „geistbewegenden Pflanzen“.

„Die Pflanze als Lehrer“ heißt die Amaringo-Ausstellung. Sie ruft Vorstellungen von gegenseitiger Beeinflussung von Menschen und Gewächsen wach, in die sich ein Mitteleuropäer wohl nur schwer einfühlen kann.

Nun ist das alles gewiß ethnologisch und kulturgeschichtlich interessant. Zudem ist der Schamanismus durch Joseph Beuys auch in unserer Kunst etwas heimischer geworden. Und schließlich gibt es eben mehr Rätseldinge zwischen Himmel und Erde, als trockene Schulweisheit sich träumen läßt. Doch das künstlerische Ergebnis ist im Falle Pablo Amaringos nicht überwältigend. Die überaus bunten Bilder ähneln letztlich doch jenen naiv in Farbverschlingungen vibrierenden „psychedelischen“ Postern vom Ende der 60er Jahre. Es strömen und fließen die diffusen Energiefelder. Derlei Berauschung ist noch keine große Kunst.

Jan Meyer-Rogge/Pablo Amaringo. Osthaus-Museum, Hagen. Beide Ausstellungen bis 31. Juli. Tägl. außer Mo 11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog Meyer-Rogge 30 DM. Katalog Amaringo 130 DM.