Ein Volksfest für den Dichter aus Bochum – Zum 250. Geburtstag des „Jobsiade“-Verfassers Carl Arnold Kortum

Von Bernd Berke

Bochum. Wann ist ein westfälischer Dichter schon mal so gefeiert worden, wie es Carl Arnold Kortum (1745-1824) jetzt bevorsteht? Rund 150.000 Besucher erwartet Bochum ab Freitag zum großen Kortum-Volksfest in der Innenstadt. Dazu gibt es fünf Ausstellungen, Rundgänge auf Kortums Spuren sowie zahllose Aufführungen und Vorträge – bis in den Herbst hinein. Ist Kortum denn ein zweiter Goethe gewesen?

Das nun nicht gerade. Doch der Mann hat immerhin ein dauerhaftes Buch verfaßt, nämlich „Die Jobsiade“. In volkstümlichen Knittelversen und mit funkelnder Ironie erzählte Kortum die Geschichte des Jobs, Sohn eines Ratsherrn und Bummelstudent der Theologie, der sich lieber geistigen Getränken als geistlichen Exerzitien widmet. Als Jobs zum Examen antritt, heißt es, bewußt holprig und lakonisch: „Über diese Antwort des Kandidaten Jobses / Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes.“

Fundstücke kamen gerade rechtzeitig

Bochum und seiner Stadtwerbung konnte kaum Besseres passieren: Kortums Geburtstag jährt sich just am 5. Juli zum 250. Male, und passend zu diesem Datum sind wertvolle Dokumente zu seinem Leben und Werk aufgetaucht, die z.B. im Keller eines Privathauses lagerten. Der gebürtige Mülheimer Kortum, der in Dortmund das Gymnasium besuchte, praktizierte später als Arzt in Bochum und für das Bergamt in Wetter. In Dortmund, wo sein Onkel eine Apotheke betrieb, erlernte er auch die Grundzüge der Pharmazie. Folglich fanden sich umfangreiche Herbarien im Nachlaß. Die Pflanzen, die er sorgfältig eingeklebt und gezeichnet hat, zeugen von der frühen Flora des damals noch nicht so genannten Reviers.

Außerdem hat Kortum medizinische und philosophische Fachbücher gesammelt, die von unschätzbarem Wert sind. Und auch über Kortums alchemistische Geheimgesellschaft zur Umwandlung von Kohle in Gold (Mitstreiter: ein Arzt aus Schwerte) gibt es Belege. So vielfältig sind die Exponate, daß man sie auf fünf Bochumer Gebäude verteilt: Stadtarchiv, Museum, Medizinhistorische Sammlung der Ruhr-Uni, Bergbau-Museum und Evangelische Stadtakademie.

Innenstadt maskiert sich nostalgisch

Zum Kortum-Volksfest maskiert sich die Bochumer City vom 30. Juni bis 5. Juli nostalgisch: Rund 400 Strohballen werden zwischen Kortumstraße, Husemannplatz und Dr.-Ruer-Platz dekorativ verteilt. Es werden traditionelle Handwerksberufe (Böttcher, Besenbinder usw.) vorgeführt, zudem sollen 60 Künstlergruppen auftreten. Auf „alt“ getrimmte Giebelstände, an denen auch fürs leibliche Wohl gesorgt wird, runden das Bild einer Stadt ab, die sich für ein paar Tage in Kortums Zeiten zurücksehnt.

Übrigens: Am kommenden (Kortum-)Sonntag, 2. Juli, öffnen von 13 bis 18 Uhr sogar eigens die meisten Innenstadt-Geschäfte. Zum Ausgleich müssen die Kaufleute eine Einbuße hinnehmen: Am Samstag schließen sie nicht erst um 16, sondern schon um 14 Uhr. So will’s die Gewerkschaft.

 




Harte Zeiten für Kämpfer – Jürgen Bosse inszeniert Brechts „Im Dickicht der Städte“

Von Bernd Berke

Essen. Schaut nach Mafia-Überfall aus, was sich da in Chicago abspielt: Mit Wortsalven wie aus Maschinengewehren dringen der malaiische Holz-Magnat Shlink und seine Leute in die schäbige kleine Leihbibliothek ein und kujonieren den Angestellten Garga. Ein paar Bücher werden auch zertrampelt. Es ist Kampfeszeit, und Bert Brechts frühes Stück „Im Dickicht der Städte“ ergeht sich in Kampfeslust.

Gestritten werden soll ohne Grund und Motiv, es dreht sich alles um taktische Finessen. Brecht war damals ein Anhänger des Boxsports. Doch Jürgen Bosses Inszenierung in Essen kommt uns nicht mit läppischen Anspielungen auf Henry Maske & Co. Sie ähnelt eher einer fernöstlichen Zen-Meditation über Sinn und Sinnlosigkeit des Kämpfens in kapitalistischen Zeiten. Zumal „Shlink“-Darsteller Matthias Kniesbeck, beleibt und kahlköpfig, hier beinahe wie eine Buddha-Figur wirkt.

Die Bühne (Wolf Münzner) ist zumeist in fahles Licht getaucht; dazwischen ein paar Exotika wie jener asiatische Wandschirm, auf dem sich manchmal die Menschen im Schattenspiel abzeichnen. Die Szenen changieren zwischen überscharfen Umrissen und leicht verhuschten Traumgesichten.

Verlöschendes Feuer im Schneegestöber

Das noch glühende, jugendwilde, aber schon erkennbar genialische und oft außerordentlich sprachkräftige Stück setzt einer Inszenierung Widerstände entgegen. Es handelt ja zu allem Überfluß nicht nur vom Kampf, sondern auch von dessen Unmöglichkeit: Denn die Menschen seien einander so entfremdet, daß sie nicht einmal zur Reibungsnähe eines wirklichen Streites sich zusammenfinden können. Der Regisseur läßt Ungereimtheiten gelegentlich einfach stehen und geschehen.

Nicht sonderlich kühn, aber doch einigermaßen beherzt, schlägt Bosse einen großzügig weiten Bogen über den Text. Und er hält einen gewissen Spannungsgrad bis zum Schluß aufrecht.

Achtbare Leistung des Ensembles, das eben nicht kurzerhand „alle Register zieht“, sondern die vielfach aufs absurde Theater vorausweisende Typen-Komödie mit der nötigen Trennschärfe versieht. Sehr plastisch werden vor allem die Wirkungen des listig-bösen Rollentauschs herausgearbeitet: Shlink überschreibt Garga seinen Holzhandel, er will damit dessen Lebenskonzept zerstören, gewohnte Liebes- und Familienbindungen unterhöhlen. Wir sehen nun, wie sich Shlink zum Philosophen der Macht(losigkeit) wandelt und wie andererseits Garga (Michael Schütz) vom fahrigen Underdog zum stolzierenden Hahn wird – einprägsames Körperspiel.

Am Ende ist „das Chaos aufgebraucht“, wie es im Text heißt. Und das letzte Bild wirkt ganz leer und erschöpft: verlöschendes Feuer im Schneegestöber. Der Kampf ist vorbei, der Mensch ganz allein.

 




Im Gasometer Oberhausen die Geschichte des Reviers erleben – Ausstellung „Feuer und Flamme“ mit rund 1000 Exponaten

Von Bernd Berke

Möchten Sie’s erleben, daß Ihnen einmal das halbe Ruhrgebiet zu Füßen liegt? Da gibt es mindestens zwei Möglichkeiten: Hinauf auf den Dortmunder Florianturm – oder mit dem gläsernen Fahrstuhl (nur für Schwindelfreie) zum zehnten Stock des Gasometers in Oberhausen.

Welch ein Fernblick bei klarem Wetter! Noch schöner: Im Bauch dieses stählernen Riesen gibt es – unter dem Titel „Feuer und Flamme“ – die große Ausstellung zur Geschichte der Region.

Die Schau „Feuer und Flamme“ war in fast identischer Zusammenstellung 1994 zu sehen und hat 200 000 Besuche? angelockt. Dann war aus konservatorischen Gründen Winterpause. Und nun ist alles, alles wieder da. Die Ausstellung ist mit rund 1000 Exponaten so umfassend und interessant, daß man sie ausgiebig besuchen sollte.

Beim längeren Aufenthalt empfiehlt es sich, den 117 Meter hohen Giganten mit passender Kleidung zu betreten: Ist es draußen eine Zeitlang kalt gewesen, friert man drinnen erst recht. Also: Jacke mitnehmen. Umgekehrt ist es bei einer Wärmeperiode. Dann heizt sich das Innere des Gasometers alsbald mächtig auf.

Und was gibt es zu sehen? Man kann beispielsweise einen Streifzug durch das Revier von vorgestern unternehmen, als es noch Wald- und Wiesenlandschaft war. Eine komplette Bahnfahrt von Dortmund bis Oberhausen per Videofilm ist ebenso möglich wie das Schwelgen in der Vereinshistorie von Schalke 04 und des gerade überschwenglich gefeierten neuen Deutschen Meisters Borussia Dortmund.

Im Mittelpunkt steht aber die schwerindustrielle Phase mit Kohle, Stahl und Eisenbahn. Hier überwältigt nicht nur die Einzelgröße mancher Ausstellungsstücke, sondern auch die Gruppierung: Da sieht man eben nicht nur einen Preßluft-Abbauhammer, sondern gleich ein ganzes „Rudel“. Selbst ein so banales Ding wie ein Ascheeimer wird zum ästhetischen Ereignis, wenn man 250 Exemplare so arrangiert findet wie hier.

Auch die „Klassenkämpfe“ (Titel einer Sektion) im Revier werden breit dargestellt – von den großen Bergarbeiterstreiks um Lohn und Brot bis zur Entschärfung der Lage durch Konsum für breitere Schichten.

Weitere Abteilungen zeigen Dokumente aus beiden Weltkriegen, zur NS-Zeit und zur Judenverfolgung im Ruhrgebiet. Besonders erschütternd ist es zu sehen, was in vertrauter Nähe geschehen ist. So zeigt ein heimlich aufgenommenes Foto jüdische Bürger, die auf dem Dortmunder Eintracht-Sportplatz zur Deportation zusammengetrieben wurden.

Rund um den Gasometer, nahe den Gestaden von Emscher und Rhein-Herne-Kanal, läßt sich der zuweilen brachial betriebenen „Umbau“ des Reviers idealtypisch besichtigen. Da gibt es einerseits weitläufige und schäbige Industriebrachen, andererseits wird hier mit erheblichem Aufwand die umstrittene „Neue Mitte Oberhausen“ aus dem Boden gestampft. Und im Schatten des Gasometers liegt die vorbildlich erhaltene Grafenbusch-Siedlung. Die Bewohner dieser Straßenzüge leiden allerdings unter dem Andrang der Ausstellungsbesucher. Daher sollte man auf jeden Fall die ausgeschilderten Parkplätze ansteuern und sich nicht noch näher mit dem Wagen an den Gasometer heranpirschen wollen.

________________________________________________

Tips und Informationen zum Gasometer

  • „Feuer und Flamme – 200 Jahre Ruhrgebiet“ im Gasometer Oberhausen (unübersehbar an der A 42. Abfahrten OB Osterfelder Straße oder OB-Zentrum). Kostenloser Parkplatz Am Kaisergarten, Essener Straße; weiterer Parkplatz am Gasometer kurz vor der Fertigstellung. Haltestelle Schloß Oberhausen).
  • Ausstellung bis 15. Oktober, täglich 10 bis 20 Uhr. Eintritt: Erwachsene 9 DM (ermäßigt 6 DM), Familien 15 DM. Katalog 29,80 DM – Infos über Telefon 0208 / 63 35 38 (Ausstellungsbüro am Gasometer).
  • Auch in der direkten Umgebung des Gasometers kann man etwas unternehmen: Im Kaisergarten (schräg gegenüber; rund um das sehenswerte Schloß Oberhausen, das regelmäßig Kunstschauen bietet) läßt es sich herrlich spazieren. Auf diesem Gelände befindet sich auch ein Tiergehege. Aber man muß nicht einmal die Straßenseite wechseln: Ein Biergarten am Gasometer lädt zum Verweilen ein, und ganz in der Nähe gibt es ein idyllisches Bootshaus, man gleichfalls Erfrischungen zu sich nehmen kann.