Seelenhauch zwischen Himmel und Erde – „Jenseits der Wolken“ von Antonioni und Wenders

Von Bernd Berke

Hinter jedem Kinobild verbirgt sich eines, das der Wahrheit näher kommt. Dahinter steckt wieder eins, nochmals authentischer. Und so fort. Doch die volle Wahrheit hat noch kein Mensch je gesehen. So sinniert ein Regisseur (John Malkovich) in „Jenseits der Wolken“, dem Gemeinschaftswerk von Michelangelo Antonioni und Wim Wenders. Ein akuter Fall von Tiefsinn?

Gelegentlich beschleicht einen der Gedanke, dieses Opus schwebe als körperloser Seelenhauch zwischen Himmel und Erde. Gut vorstellbar, daß dies ein Anteil von Wim Wenders ist, der ja stets den wahren, den kaum noch faßbaren Empfindungen nachspürt. Wenders ist dem Altmeister Antonioni (83), der seit einem Schlaganfall künstlerisch geschwiegen hat, beim Herstellen dieses Vermächtnisses wohl erheblich zur Hand gegangen. Die Buchvorlage freilich stammt von dem Italiener.

Der Film besteht aus vier Episoden, die ein vielteiliges Sinn-Puzzle bilden.Nomadische Phantasie-Streifzüge des besagten Regisseurs führen durchs unwegsame Gelände der Geschlechter.

Zuerst begegnen sich ein Mann und eine Frau im italienischen Provinzhotel. Innig ersehnen sie eine Liebesnacht und meiden sie doch. Erneuter Verzicht, als sie sich zwei Jahre später durch Fügung wiedertreffen: Der Mann, offenbar Vorbote (oder gar Apostel?) einer neuen Keuschheit, nimmt vom Liebeslager Reißaus: Er wolle sich die Gefühle, von denen er nun angefüllt sei, nicht durch schnöden physischen Vollzug rauben lassen. Zuvor hat das umwölkte Paar ausgiebig philosophische Sätze miteinander getauscht. Nun steht sie am Fenster und schaut ihm traurig nach. Im Comic würde es hier heißen: „Seufz!“

Die tiefen Blicke der Vatermörderin

Den unbehausten Regisseur zieht’s in die nächste Stadt: von Ferrara nach Portofino. Dort, vor elegischer Küsten-Kulisse, fasziniert ihn ein Ladenmädchen (Sophie Marceau). Ihre tiefen, tiefen Blicke! Da verrät sie ihm, daß sie vor Jahresfrist ihren Vater ermordet habe. Mit zwölf Messerstichen. Dieser Anzahl, die sich nach dem Empfinden des Regisseurs so unwirklich anhört und doch so verflucht wahrhaftig ist, wird nahezu biblische Bedeutung beigemessen.

Sodann trägt es uns weiter nach Paris. Dort erleben wir ein facettenreiches Rondo der Trennungen und des Findens neuer Partner. Auslöserin ist ein junges Mädchen, das einen Ehemann in mittleren Jahren der Gattin (Fanny Ardant) abspenstig macht. Schließlich geht in Aix-en-Provence ein lebenslustiger Filou einem ätherisch lächelnden Mädchen bis in die Kirche nach. Doch sie muß ihn enttäuschen: Tags darauf wird sie, nur noch eine Braut Christi, als Nonne ins Kloster gehen. Noch so eine keusche Gestalt.

Höhere Sphären der Vergeistigung

An zentraler Stelle wird jene Geschichte von den Indios erzählt, die mitten auf dem Wege verharren, um erst einmal „auf ihre Seelen zu warten“. So wird denn auch die Handlung getragen von melancholischer Verweigerung jeglichen schnellen Zugriffs im Leben. Auch weibliche Nacktheit sieht in solchen Zusammenhängen verletzlich aus, als dürfe sie nur bei Strafe der Trivialität angetastet werden.

Trotz alledem ist’s nicht nur fromme Liturgie, sondern auch Kino. Viele (Über)-Empfindlichkeiten gehen wirklich in den Bildern und im sensiblen Spiel der Darsteller auf. So verströmt das Ganze denn doch eine gewisse ruhige Kraft. Sie entspringt wohl höheren Sphären der Vergeistigung. Möglich, daß man sich unbeschwerter fühlt, wenn man hiernach aus dem Kino kommt. Fast wie auf Wolken.




Geschmacklich aufs Glatteis – Streckenweise unsägliches Musical „Asyl“ in Krefeld

Von Bernd Berke

Krefeld. Selten begibt sich ein Theater so aufs Glatteis wie jetzt die Vereinigten Bühnen in Krefeld/Mönchengladbach: Sie spielen zum bitterernsten Thema Asyl – ein Musical.

Es war bestimmt alles bestens gemeint. Man wollte sich an den landläufigen Musical-Boom anhängen und dabei kritische Inhalte „transportieren“. Lag das nicht nah? Doch nach der Krefelder Uraufführung von „Asyl“ (Text: Olaf Baumann, Musik: Stephan Benger) kann man sich fragen: Was hätte ferner gelegen als dies?

Erzählt wird die Geschichte des jungen Schwarzen Manuel Makumba, der aus afrikanischer Bürgerkriegsnot nach Deutschland flüchtet und um Asyl bittet. Mit einer freiheitlich-demokratischen Samba wird er „willkommen“ geheißen, doch dann lernt er den schmutzigen „Behörden-Blues“ kennen.

„Hungersnot und Pestilenz / kosten deine Existenz“

Der Anfang spielt noch in Afrika. Da ertönt der Song „Hungersnot und Pestilenz / kosten deine Existenz“. Unbekümmerter Reim, fürwahr. Satirisch soll es sein, unfreiwillig zynisch ist es geworden.

Natürlich verfallen nachher die deutschen Amtspersonen sofort in militärisches Gehabe. Derlei Klischees drängen sich wie von selbst auf, denn die rockbetonten Liednummern zählen nur zur Pop-Handelsware Klasse B.

Es gibt auch stimmig-grimmige Szenen: jene etwa, in der Makumba amtlicherseits in einen Müllcontainer gepfercht wird, um den sich alsbald die „linken Freunde“ scharen. Stimm- und gesinnungsstark lassen sie „Multikulti“ hochleben. Ins absurde Tänzchen mischen sich auch türkische Müllmänner.

„Dem Asylanten, dem geht’s gut…“

Wenn jedoch die zunehmend faschistischen Sprüche, mit denen Makumba in Deutschland gepeinigt wird, in ebenso schmissige Rock-Rhythmen gegossen werden wie die grundgute Gegenmischung, so wirkt das – wohl oder übel – als Anreiz zum Mitklatschen, dem manche im Publikum prompt erliegen. Auch sie wollen nichts Böses, es hat sie eben mitgerissen: „Dem Asylanten, dem geht’s gut / Den packt nie die Arbeitswut“. Welch ein Hit.

Mit der Figur des Makumba (stimmlich passabel: Dennis Durant) hat man sich zudem einen edlen Vorzeige-Schwarzen zurechtgebogen. Er ist fraglos der beste Mensch weit und breit. Wie zum Lohne sorgen zwei groteske Amor-Putten mit ihren Pfeilen dafür, daß er und die „Vorstadt-Perle“ Katharina füreinander entflammen…

Je engagierter hier gespielt wird, desto näher gerät man durch schiere Innigkeit an den Rand der Geschmacklosigkeit. Am Schluß freilich, wenn die bräunlichen Horden (in Trainingsanzügen und mit am Hintern „festgewachsenen“ Bar-Säuferhockern) in einer schrecklichen Walpurgisnacht „den Neger abfackeln“ wollen, gewinnt die Inszenierung (Matthias David) momentweise etwas von jener Dringlichkeit, die ihr über weite Strecken fehlt.

Weitere Termine: 1., 9., 12., 14., 18. November. Karten: Theater Krefeld (Theaterplatz 3): 021 51/805-1 25.