Ein Roman, so üppig wie tropische Blüten – John Updikes Buch „Brasilien“

Von Bernd Berke

Welch eine unglaubliche Geschichte: Da trifft ein schwarzer Junge aus den Favelas (Elendsvierteln) von Rio ein weißes Mädchen aus reichem Hause an der Copacabana. Sogleich schläft sie mit ihm und verläßt den ganzen gewohnten Luxus, um von Luft und Liebe zu leben. Auf der Flucht vor den brutalen Schergen ihres Vaters, eines hohen Diplomaten, ziehen Tristao und Isabel kreuz und quer durch Brasilien.

Ebenso erstaunlich ist, daß gerade John Updike diese erhitzte Romeo-und-Julia-Variante erzählt. Wollte der vielgerühmte Chronist der USMittelschicht mit seinem Roman „Brasilien“ etwa bewußt eine neue Kennmarke in seinem Werk setzen? Hat ihn einfach die Exotik der Schauplätze gereizt? Oder ist dieses Brasilien gar ein Gleichnis?

Updike treibt sein ungleiches und doch so verschworenes Liebespaar zwischen 1966 und 1988 durch das ganze Riesenland und durch mancherlei Unbill. Stationen des langen Liebes-, Lust- und Leidensweges sind Rio, Sao Paulo, Brasilia, Mato Grosso und entlegene Dschungelgebiete.

Gelegentlich muß Tristao mit einer in der Hosennaht verborgenen Rasierklinge hinlangen, um sich seiner Haut zu wehren. Zwischendurch werden dem Paar zwei Kinder geboren, fast wie die von Herodes verfolgte Heilige Familie ziehen sie da durch die Einöde. Später werden die Kinder von blutrünstigen Indianern geraubt. Unwiederbringlich.

Tristao schuftet als Fließbandarbeiter bei VW do Brasil, versucht sein Glück als Goldgräber und verdingt sich auch schon mal als Disco-Türsteher, während die in Elite-SchuIen erzogene Isabel als Näherin oder Hure tätig wird. Am liebsten aber greift sie für ihre oft extremen Liebesspiele auf Tristaos „Yamswurzel“ zurück. So naturpoetisch benennt Updike das Geschlechtsorgan seines männlichen Heiden. Er läßt sich keine Gelegenheit entgehen, eine seiner großen Stärken auszuspielen: die genüßliche Beschreibung von Sex in seiner Vielfalt.

Keine Lust mehr auf bürgerliche Langeweile

Doch der Autor will natürlich mehr. Er faltet die ganze neuere Geschichte Brasiliens (zwischen Militärregime, studentischem Aufbegehren, wirtschaftlichem Wildwuchs und galoppierender Inflation) vor uns aus. Er sucht auch in die tieferen Schichten der Mentalität vorzudringen und entdeckt darin eine vital-sprudelnde Mischung aus Schwermut und Leichtsinn.

Die Odyssee der bedingungslos Liebenden erweist sich auch als Zeitreise zu den Ursprüngen des Landes. Mysteriöser Scheitelpunkt der Geschichte ist jenes Traumzeit-Ritual, dem sich Isabel bei einem Schamanen im Dschungel unterwirft. Dessen Magie bewirkt, daß sie und Tristao die Hautfarbe tauschen: Sie wird schwarz, ihr Geliebter weiß und damit vollends karrieretauglich. Die uralten Zauber-Praktiken rufen die Vision einer multikulturellen Gesellschaft hervor, in der einer den anderen aus der Erfahrung seines Lebens heraus toleriert oder sogar liebt wie sich selbst.

All das konnte Updike in der Tat schwerlich mit einer US-Story beglaubigen. Er deutet ja an einer Stelle selbst an, warum er sich auf ein ganz anderes Gelände begeben hat: „Die Banalität, die bunt maskierte Langeweile des bürgerlichen Lebens – sie läßt den Geschichtenerzähler verstummen.“

Und verstummt ist Updike hier sicherlich nicht, ganz im Gegenteil: Phantasie, Sprache und manchmal auch ein etwas hohl tönendes Pathos wuchern in diesem Roman so üppig wie tropische Blüten.

John Updike: „Brasilien“. Roman. Rowohlt-Verlag. 316 Seiten, 42 DM.

 




Giftiger Wein von den netten alten Damen – „Arsen und Spitzenhäubchen“ im Hagener Theater

Von Bernd Berke

Hagen. Wenn in Hagen, wo sonst Musiktheater und Ballett auf dem Plan stehen, einmal ein Sprechstück gegeben wird. so sind keine Experimente gefragt. Dann muß entweder bürgerlich gediegene Bildung oder leichte Unterhaltungskost her. Die Serienmord-Farce „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Joseph Kesselring erfüllt die zweite Bedingung.

Die beiden liebenswerten alten Damen Martha und Abby Brewster (Erica Pilari, Malwine Moeller) könnten wohl keiner Fliege etwas zuleide tun. Zu schade, daß die zwölf einsamen Herren, denen sie mit vergiftetem Holunderwein „aus Barmherzigkeit“ den Garaus gemacht haben, keine Fliegen gewesen sind. Zwölfe hat auch der Neffe Jonathan (Intendant Peter Pietzsch höchstpersönlich) auf dem Kerbholz, nur daß dieser vierschrötige Kerl mit dem Frankenstein-Gesicht (mißlungene Operation) die Leichen bei einer Hetzjagd um die halbe Welt hinterlassen hat. Daheim, so lernen wir in der Schule des Makabren, ist sogar das Morden am gemütlichsten.

Und auch noch effektiver: Am Ende ziehen die Ladys mit 13:12 Toten an die Tabellenspitze, während Jonathan im Knast schmort. Dessen harmlos verrückter Bruder Teddy (Jean Schmiede), der sich für den US-Präsident Roosevelt hält und im Keller seinen Panama-Kanal gräbt, sowie der nervöse Theaterkritiker Mortimer (Axel Friese) sind weitere Arten im Zoo der Verstörten.

Hier gibt es keine Neudeutung und keine Abgründe

Der Broadway-Erfolg von 1941 ist mittlerweile leicht angestaubt, und in Hagen gibt man sich keine übermäßige Mühe, ihn etwa zu entstauben. Wir sehen, was wir kennen: Schon die herkömmliche, naturalistisch eingerichtete Komödienbühne (Peter Umbach) mit den vielen Türen fürs Hereinplatzen im (un)günstigsten und damit lachdienlichsten Moment, ist von altbackener Solidität.

Regisseur Peter Schütze hat keine sonderlich subtilen Spielchen im Sinn. In absurde Abgründe blickt man da nicht. Wenn man überhaupt erschrickt, dann mit wohligem Schauder. Gespielt wird mit bravem Bemühen. Die Gesten sind nicht immer fein austariert, manchmal wird ziemlich gefuchtelt und gedröhnt, um das Gelächter gleichsam herbeizuzwingen.

Alles in allem war s dennoch eine ganz sympathische Veranstaltung, die mit freundlichem Beifall quittiert wurde. Und niemand mußte grübeln: Was wollten uns die Theaterleute damit sagen?

Unfreiwillige Dreingabe zwischendurch: Zweimal mußte während der Premiere der Vorhang kurz zugezogen werden, weil auf der Bühne die Elektrik ihren Dienst versagte. Und im Programmheft wird einem Optiker für die bloße Leihgabe einer einzigen Brille gedankt. Ist das Theater denn schon so arm dran?

Termine: 30. Januar, 10., 21., 26., 27., 28. Februar. Karten: (02331) 207-3218.




Die Posen des jungen Werther – Joachim Meyerhoff im Einpersonen-Stück nach Goethe

Von Bernd Berke

Dortmund. Leuchtenden Blicks betritt der junge Mann die Bühne. Er schaut aus dem Fenster, labt sich am Anblick der Natur. Später wird die Liebe noch mehr Glanz in seine Augen bringen. Doch am Ende flackert der Wahn in den Pupillen. So sind „Die Leiden des jungen Werther“. Aber sind sie es wirklich?

Ist es wirklich noch Goethes Briefroman, der im Studio des Dortmunder Theaters in einer Ein-Mann-Produktion verkörpert wird? Joachim Meyerhoff firmiert als Regisseur, Bühnenbildner und Solodarsteller. Respekt vor seinem Mut! Er hat wohl weitgehend ohne Widerhall gearbeitet. Oh, einsames Spiel, passend zum Liebesweh…

Werthers unerfüllte Sehnsucht nach der schönen Lotte, die bereits dem braven Albert versprochen ist, hat nicht nur literarisch Epoche gemacht. Damals, im „Sturm und Drang“, wurden seine Stulpenstiefel, die blaue Jacke mit gelber Weste Mode – und auch sein Selbstmord wurde vielfach nachgeahmt.

Betrifft einen das noch? Wenn man je heftig verliebt gewesen ist: Ja. Und wie! Denn es ist ein reicher, ein unerschöpflicher Text. Meyerhoff“ traut Goethe offenbar nicht ganz über den Weg. Tatsächlich kann man den „Werther“ ja nicht mehr bruchlos spielen. Seine Briefe an den fernen Freund Wilhelm gerinnen hier – in sinnvoll gekürzter Form – zu Selbstgesprächen. Per Dia-Projektion wird jeweils ein Kernsatz des kommenden Abschnitts angezeigt. Dann flammt das zuvor erstorbene Licht wieder auf. Es bewirkt ein stetiges Auf- und Abtauchen der Figur.

Ein Herz pulsiert elektrisch

Und so sehen wir diesen „Werther“, wie er sich behutsam (und manchmal mit einem Anflug von Ironie) an die wunderschöne Sprache herantastet, wie er die Worte wägt, Stuhl und Tisch versuchsweise hin und her rückt. Es ist, als überlege er noch, wie er sich zum Text stellen soll. Mal nimmt er probehalber den Gestus eines Kongreßredners ein, mal hängt er sich an die Wand wie gekreuzigt, oder er reitet zitternd auf dem Stuhle. Solche gesuchten Haltungen erstarren leicht zu Posen. Und manchmal wird es seltsam komisch. Wenn Werther sagt, er habe Lottens Auge gesucht, so wühlt er in den Jackentaschen. Doch es gibt auch gelungene Szenen: Der anfangs glückliche Werther etwa, im beseelten Umgang mit den Requisiten, die er spielerisch leicht handhabt.

Man darf sich aber den „Werther“ leidenschaftlicher vorstellen, drängender, fiebriger. Gewiß: Auch der Dortmunder Werther zeigt eine Leidensmiene vor, windet und krampft sich in sich selbst hinein, spricht verzweifelt dem Rotwein zu. Doch das meiste scheint eher vom kühlen Hirn gesteuert zu sein, nicht so sehr vom heißen Herzen. Ein solches hängt nur als knallrotes Dekorationsstück in der Luft und pulsiert elektrisch.

Weitere Termine: 30. und 31. Januar. 3., 4., 16. und 17. Februar, jeweils 20 Uhr. Karten: 0231 / 16 30 41.




Ruhrfestspiele: Theaterzauber zum Jubiläum – Mit Piccoli, Robert Wilson, Peter Brook

Von Bernd Berke

Hamburg/Recklinghausen. Mit berühmten Namen lockt Hansgünther Heyme, künstlerischer Leiter der Ruhrfestspiele, zur Jubiläumssaison 1996. Wenn die Festspiele 50 Jahre alt werden, kommen u. a. Bühnen-Koryphäen wie die Regisseure Robert Wilson und Peter Brook sowie der Schauspieler Michel Piccoli nach Recklinghausen.

Heyme selbst sorgt für die große Eigeninszenierung (Shakespeares „Was ihr wollt“) und spielt dabei gar selbst den Haushofmeister „Malvolio“. Nach dieser Premiere (4. Mai) wird zur rauschenden Ballnacht gebeten.

Heyme stellte das Programm in Hamburg vor und brachte dem Chef des Deutschen Schauspielhauses, Frank Baumbauer, zwei mit Schleifchen versehene Briketts als Gastgeschenk mit. Denn im Austausch zwischen Ruhr und Alster hatte vor einem halben Jahrhundert alles mit dem schwarzen Gold begonnen.

Es begann in einem harten Winter

Der Gründungsmythos: Unter großem persönlichen Risiko (Verstoß gegen Vorschriften der britischen Militärregierung) lieferten Recklinghäuser Bergleute im Winter 1946/47 den frierenden Hamburger Schauspielern wärmende Kohle. Die Mimen revanchierten sich mit Vorstellungen im Revier, und daraus erwuchsen allmählich die Ruhrfestspiele. Ein umfangreiches Buch und eine Sonderbriefmarke sollen ebenso an die glorreiche Festspiel-Historie erinnern wie ein von Alfred Biolek moderierter Abend in Recklinghausen.

Von seinem Jubiläumsprogramm ist Heyme so überzeugt, daß er tollkühn „allen schwachsinnigen Musical-Produktionen“ zwischen Bochum und Duisburg den Kampf ansagt. Immerhin hat er mit dem Bertelsmann-Verlag einen neuen Sponsor gewinnen können. Als absolutes Highlight stellte Heyme „La malade de la mort“ (Die Krankheit Tod) heraus. Der US-Theaterzauberer Robert Wilson wird dieses Stück von Marguerite Duras in Szene setzen, Kino-Berühmtheit Michel Piccoli spielt jenen alternden Mann, der sich für einige Nächte ein Mädchen kauft.

Gar nicht heimliche Liebe zu Lausanne

Lausanne scheint Heymes gar nicht mehr so heimliche Lieblingsstadt in Sachen Theater zu sein. Nicht nur Wilsons Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Théâtre Vidy-Lausanne, sondern auch Peter Brooks Deutung der „Glücklichen Tage“ von Samuel Beckett sowie zwei weitere Heyme-Inszenierungen: Goethes „Iphigenie auf Tauris“ (wird nahe der Recklinghäuser Zeche König Ludwig in einem Zeit gespielt, anschließend gibt’s Erbsensuppe beim Schein von Grubenlampen) und Sophokles‘ „Antigone“ als Wiederaufnahme.

Und nochmals Lausanne als Quellgebiet: Maurice Béjart kommt mit seiner Truppe zur Welt-Uraufführung des Tanzstücks „Messe für die heutige Zeit“. Vorgesehene Gastspiele beim „Europäischen Festival“ (Motto diesmal: „Kunst ist der Motor jeder Kultur“): Schillers „Don Carlos“ (Regie: Anselm Weber, Deutsches Schauspielhaus), George Taboris Inszenierung seines Stücks „Die Massenmörderin und ihre Freunde“ aus Wien, ein Fassbinder-Projekt aus Strasbourg und „Fura dels Baus“ aus Barcelona mit dem Stück „Manes“ um Geburt, Sex und Tod.

Komplette Programme, Kartenbestellungen (ab sofort): Ruhrfestspiele. Otto-Burrmeister-Allee 1. 45657 Recklinghausen. (023 61) 91 84 40.




Stets ritterlich zu den Schriftstellern – Gesammelte Kritiken und Essays von Sigrid Löffler

Von Bernd Berke

Schon oft hat uns Sigrid Löffler Genugtuung und manchmal auch Vergnügen bereitet, wenn sie mit ironisch oder beleidigt gekräuselten Lippen den Herrschaften Reich-Ranicki und Karasek im „Literarischen Quartett“ des ZDF klug Paroli bot. Nun sind ihre Zeitungs-Kritiken, Glossen, Porträts und Essays als Sammelband erschienen. Gleichfalls ein geistiges Vergnügen?

Zunächst einmal erfährt man aus ihrem Buch einiges übers österreichische Innenleben, von der bedrohlich rechtslastigen „Verhaiderung der Republik“ bis hin zum allffälligen „Kulturkampf“ um Burgtheaterchef Claus Peymann sowie – bester Text im ganzen Buch – dessen im Zorn aus Wien geschiedenen Schauspielerstar Gert Voss.

Autoren wohnen meist sehr schön

Doch damit hat es längst nicht sein Bewenden. Denn Frau Löffler unternimmt etliche schöne Reisen, um ihre Lieblingsautor(inn)en in Augenschein zu nehmen. Sie sucht den empfindsamenKünder Peter Handke in dessen Pariser Domizil auf, jettet zur „Meinungsmaschine“ Susan Sontag nach New York, stattet den Schriftstellerinnen Antonia S. Byatt und Ruth Rendell Visiten in England ab. Beneidenswert.

Gemessen an solchem Aufwand, wirken die Resultate zuweilen etwas brav. Sigrid Löffler will den Verehrten eben nicht wehtun. Einfühlsam schildert sie schon die jeweiligen Wohnungen, so als erwäge sie, sich selbst dort niederlassen. Die etwas geduckte Haltung droht den kritischen Blick zu trüben.

Andererseits entstehen aus der Sympathie einige Porträts, die uns die Autoren wirklich näherbringen. Mehrmals nimmt man sich bei der Löffler-Lektüre fest vor: Von dem oder jener müßtet du doch mal (wieder) etwas lesen. Umso besser, wenn die Ansätze originell sind – wie beim Aufsatz über Martin Walser, der im professionellen und familiären Verhältnis zu seinen vier Töchtern (zwei Schauspielerinnen, zwei Schriftstellerinnen) ungewohnte Seiten zeigt.

Gelegentlich widmet sich Sigrid Löffler auch den vom Literaturbetrieb „vergessenen“ oder sonstwie randständigen Gestalten wie W. G. Sebald oder auch Peter Hacks, der seit der „Wende“ allgemein totgeschwiegen wird, weil er sich höchst verwegen zur alten Ulbricht-DDR bekennt und die Honecker-Ära schon als Niedergang des wahren Sozialismus begreift.

Auf der sicheren Seite

Gern nimmt Frau Löffler Autoren gegen das Gros der bösen Kritik in Schutz, z. B. Günter Grass und Peter Handke. In solchen Fällen wirkt sie geradezu ritterlich. Beinahe unnötig zu sagen, daß sie politisch immer den Aufrechten angehört. Maßvoller Linksliberalismus. der jeden mißverständlichen Zungenschlag sensibel meidet, dazu eine Spur von unverfänglicher Frauenbewegtheit. Mit solchen edlen Grundhaltungen steht sie stets auf der sicheren Seite, ist aber nicht durchweg gegen Anflüge gepflegter Langeweile gefeit. Es fehlt hier und da eine Prise von Provokation, die hellhörig machen würde.

Sprachlich fällt dies auf: Hat sie einmal einen vermeintlich besonders treffenden Ausdruck gefunden, so verwendet Sigrid Löffler ihn hartnäckig und unverwandelt weiter, auch wenn es dann schon mal unschön scheppert. So beharrt sie auf der Charakterisierung „intellektueller Pop-Star“ für Susan Sontag oder reitet auf Lieblingsworten wie „zugange“ und „angesagt“ herum.

Vor Klischees ist sie nicht immer sicher: Da nennt sie Wolfgang Kresnik kurzum einen „Tanz-Berserker“ und verknüpft – in einer Tirade gegen Wegwerf-Journalismus – das Wort „Blattmacher“ sogleich mit „Plattmacher“. Am Zeitmangel lag es nicht: Sie hat die Beiträge fürs Buch überarbeitet.

Doch alles in allem: Sie schreibt meist einen recht lockeren, eingängigen und verständlichen Stil. Das ist bei Kritikern ihres seriösen Ranges wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit.

Sigrid Löffler: Kritiken – Portraits – Glossen. Deuticke-Verlag. 271 Seiten, 39,80 DM.




Diese besondere Art der Zuneigung – „Nelly & Monsieur Arnaud“ von Claude Sautet

Von Bernd Berke

In den neueren Filmen von Claude Sautet geht es um das knappe Scheitern der Liebe. Das Augenmerk gilt dem Prozeß, in dessen Verlauf Mann und Frau einander um Haaresbreite verfehlen. Unerbittlich ist dabei die Zeit: Eben wäre es vielleicht noch die Liebe gewesen, jetzt ist es ein anderes, ganz eng verwandtes (aber eben verwandeltes) Gefühl. So ging es in „Ein Herz im Winter“, so geht es in „Nelly & Monsieur Arnaud“.

Die beiden Hauptpersonen sind eine junge Frau, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hat, und ein älterer Herr, vormals Richter in den französischen Kolonien, der seit längerem allein wohnt und nun biographische Bilanz ziehen, aufs Wesentliche zusteuern will: Er möchte seine Memoiren als Buch herausbringen.

Arnaud ist also drauf und dran, sich an die Welt zu wenden, während Nelly gerade in sich geht und ihr Seelenleben zu ordnen sucht. Zwei Lebensmomente mit Schnitt- und Kreuzungspunkten. Das folgende Spiel aus Näherung und Distanz ist hier schon im Keim angelegt. Nelly (die berückend schöne Emmanuelle Béart) hat Schulden und sucht einen Job, Arnaud (Michel Serrault) ist vermögend und braucht eine Schreibkraft, die seine Erinnerungen tippt. Wie passend! Also gibt er ihr schon mal 30 000 Francs extra und engagiert sie gegen weitere Bezahlung. Ein leiser Hauch von Prostitution umweht diesen Tauschakt im Café, jenem beliebten Ort der Balance zwischen Öffentlichkeit und Intimät.

Zunächst sind es Arbeitstreffen, nachmittags in Arnauds gediegener Wohnung. Aber wer könnte einer Nelly lange widerstehen? Schon ihr Augenaufschlag, wenn sie an Arnauds Computer sitzt – auch Maler wie Vermeer oder Renoir hätten sich wohl in diesen Anblick verliebt.

Nach und nach rinnt also in die tägliche Gewohnheit ein beiderseits anschwellendes Interesse aneinander, untergründige Erotik Inbegriffen. Auch als Zuschauer empfindet man es bald als grob und störend, wenn die anderen Menschen in diese sich mehr und mehr verwebende Zweisamkeit hereinplatzen – ob nun besuchsweise oder am Telefon.

Der noble Herr wird plötzlich richtig eifersüchtig

Als Nelly gar vom Verleger, der Arnauds Erinnerungen herausbringen soll, recht irdisch umworben wird, ziehen Wolken auf: Arnaud mag sich zwar keine Eifersucht eingestehen, er strengt sich an, eine lebenslang eingeübte noble Haltung zu bewahren. Doch dann bricht es – für einige Augenblicke – umso heftiger aus ihm hervor.

Die Beziehung, so mag es scheinen, bleibt ungelebte Möglichkeit. Oder sollte sie sich doch schon kostbar erfüllt haben, auch und gerade ohne sexuelle Vollbringung? Es bleibt in der Schwebe. Am Ende jedenfalls begibt sich Arnaud mit seiner wieder aufgetauchten Frau auf eine jahrelange Weltreise.

Wir sehen noch, wie Nelly und er erstmals wieder verschiedene Wege gehen. Sie tragen ihre „ganze Geschichte“ noch sichtbar als töricht-schöne Verwirrung in den Köpfen, halten noch einmal inne und sind schon bleibender Erinnerung gewiß. Dann schreiten sie zögernd ins „Leben danach“.

Sautet läßt sich völlig auf die Gesichter und Gesten seiner Schauspieler ein, die Kamera erfaßt jede zuckenden Mundwinkel in Großaufnahme. Dabei entsteht ein psychologisch feinstens gesponnener, geradezu zärtlicher Film, der allen Nuancen einer besonderen Zuneigung innig nachspürt.




Im Land der erloschenen Seelen – Zwei Einakter von Tennessee Williams in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wenn Figuren von Tennessee Williams die Bühne betreten, sind ihre Lebens-Hoffnungen meist schon erloschen, und wir erleben nur noch das Nachglimmen ihrer versengten Seelen. „Etwas Unausgesprochenes“ (Stücktitel) lastet dann bleischwer auf den Gemütern.

In Wuppertal hat Regisseur Holk Freytag diesen Einakter mit „Plötzlich letzten Sommer“ verknüpft – ein seit der Doppel-Uraufführung (1958) gängiges Verfahren. So gerät auch der Übergang zwischen beiden Dramen wundersam fließend. Auch das karge, atmosphärisch stimmige Bühnen-Arrangement im Foyer (mit knarzigen Korbstühlen und einer hell angestrahlten Rose) bleibt gleich.

Im Kerzenlicht beginnt „Etwas Unausgesprochenes“, jene Einsamkeits-Etüde für zwei Personen und ein Telefon. Es scheint, als müßten Miss Cornelia Scott (Rena Liebenow) und Grace (Eike Gercken), die seit 15 Jahren zu zweit unter einem Dach wohnen, einander so vertraut sein wie innere Stimmen.

Doch in Wahrheit herrscht knisternde Befremdung zwischen ihnen. In der Schwebe bleibt, ob Cornelia sich einst eine lesbische Beziehung zu Grace erträumt hat. Das ganze Verhältnis ist derart unklar, daß sich all das Verschwiegene in einer nur mühsam gebändigten Aufgeregtheit der beiden Frauen Bahn brechen will. Die eine wirkt dabei burschikos, die andere zerbrechlich wie Glas, doch beide sind nervlich zerrüttet.

Die zwei Schauspielerinnen tupfen das alles sozusagen nur hin, wozu große Disziplin gehört. Nichts wirkt exaltiert, man ahnt nur andeutungsweise die Halbschatten der Seele, die ungesunde Selbstbeschränkung dieser Menschen, die immer etwas ganz heiß herbeiwünschen, es aber zugleich hartnäckig leugnen und verbergen.

Rena Liebenow spielt auch eine Hauptrolle in „Plötzlich letzten Sommer“. Nun ist sie Mrs. Venable, Mutter des verstorbenen Dekadenz-Lvrikers Sebastian, mit dem sie an den elegantesten Orten „wie Skulpturen gemeißelte Tage“ erlebt hat. Sie glaubt zumindest fest daran.

Dramaturgie aus dem Dampfkessel

Das mit den Skulpturen könnte von Rilke stammen, doch ansonsten ist es schwächerer Williams: hitzige Sprachbilder, überfrachtete Psychologie, Dramaturgie im Dampfkessel.

Mrs. Venable ist jedenfalls zutiefst verletzt, weil Sebastian die letzte Sommerreise seines Lebens nicht mit ihr, sondern mit der jungen Catharine (Eike Gercken) gemacht hat. Nun will sie Catharine die Schuld am Tod des Sohnes anlasten, sie sodann für verrückt erklären lassen und einer gefährlichen Hirnoperation bei Dr. Cukrowicz (Hans-Christian Seegcr) zuführen. Schrecklich genug.

Doch was die junge Frau im Diagnose-Gespräch dem Arzt erzählt, ist mindestens ebenso schlimm: Sebastian habe in den Armutsvierteln der Knabenliebe gefrönt und sei am Ende von einer Jungenschar geradezu kannibalisch zerfetzt worden. Ist es Fieberwahn oder Wahrheit?

Die Regie setzt Musikuntermalung (bis hin zur Gregorianik) und schließlich auch Halleffekte ein, um die Weite des Seelenlandes zu ermessen. Sinnfällig wird gezeigt, wie die Figuren auseinanderdriften, jede auf ihren eigenen Stern. Großartig Eike Gercken, deren Schilderungen auch ohne tonale Zutaten bedrückend bildkräftig im Raum stehen.

Termine: 11., 17., 25. Januar, jeweils 19.30 Uhr. Karten: 0202/563 44 44.