Bilder sind wie Gespräche – Farbfeld-Malerei von Edgar Hofschen in zwei Lüdenscheider Ausstellungen

Von Bernd Berke

Lüdenscheid. Je abstrakter die Kunst geworden ist, desto weniger Menschen haben sie verstanden. Künstler aber wollen verstanden werden. Auch Edgar Hofschen, der jetzt zweifach in Lüdenscheid ausstellt, legt Wert darauf, daß seine gegenstandslosen Bilder „lesbar“ sind.

Auf den ersten Blick scheint es gar nicht so, als könne man hier etwas „lesen“. Wer allzu rasch durch die Städtische Galerie oder die Galerie Friebe eilt, wird eine Kollektion von monochromen (einfarbigen) Bildern wahrnehmen und sich damit selbst Langeweile bescheren. Wer aber länger bleibt, wird Kurzweil haben.

Das Werk wächst ganz allmählich

„Eigentlich müßte man so viel Zeit mitbringen, wie der Künstler zum Malen gebraucht hat“, meint – nicht ganz ernst – Uwe Obier, Leiter der Stadtgalerie. Das dürfte schwerfallen, denn Hofschen benötigt rund vier Wochen für eine Arbeit. Er befaßt sich nie parallel mit zwei Bildern, sondern konzentriert sich jeweils auf ein einziges. So wächst sein Werk nicht allseits wuchernd, sondern Stück für Stuck.

Der 1941 in Taipau (Ostpreußen) geborene Künstler war 1977 documenta-Teilnehmer. Die Galerie Friebe präsentiert ihn schon zum dritten Mal in Lüdenscheid. In Kooperation mit der Stadtgalerie kann man nun einen beachtlichen Überblick zeigen. Ausgesucht ästhetisch die Hängung: Ein Raum erstrahlt in endlosem Blau, der nächste in warmen Rot- und Brauntönen. Vorzeitliche Höhlenzeichnungen sind ein Vorbild, aber nicht etwa deren konkrete Motive, sondern die Spalten und Risse im Felsgestein.

Was also geschieht, wenn man Hofschens Bilder lang genug anschaut? Dann bemerkt man, daß sie eben alles andere als monochrom sind. Gelb ist nicht einfach gelb, rot nicht rot. In den Farbfeldern tauchen vielfache Nuancen auf, und man kann genau verfolgen, wo die Pinselstriche angesetzt haben.

Hofschen nennt seine Bilder „atmende Farb-Körper“ und vergleicht sie mit Gesprächen. Wechsle man nur ein paar oberflächliche Sätze, erfahre man nichts über den anderen Menschen. Spreche man ausgiebig, so merke man, aus welchen „Schichten“ die Ansichten des Gegenübers bestehen.

Pigmente und Gefühle

Ähnlich verhält es sich mit den Farbschichten der Bilder. Sie erzählen vom Verlauf der Herstellung und damit von wechselnden Gefühlslagen, auch wenn Hofschen den emotionalen Aspekt heraushalten möchte. Farbe, das ist für ihn zunächst eine AnSammlung von Pigmenten.

Selbst die zuerst aufgetragenen, also zuunterst liegenden Farbschichten schimmern noch vage durch. Hofschen: „Das ist wie mit der Prinzessin auf der Erbse. Das Winzigste ist noch spürbar.“

Bis 22. September in der Städtischen Galerie Lüdenscheid (Alte Rathausstraße 1, tägl. außer montags 11-18 Uhr) / Bis 4. Oktober in der Galerie Friebe (Parkstraße 54, Mo-Fr 10-12 und 16-18 Uhr, Sa/So nach Vereinbarung. Katalog 20 DM. ~

 




All der furchtbare Kleinkram des Lebens – Marlene Streeruwitz‘ Roman „Verführungen“

Von Bernd Berke

Eine unerbittliche Beobachterin schleichend katastrophaler Verhältnisse zumal zwischen den Geschlechtern ist Marlene Streeruwitz. In Theaterstücken wie „Waikiki Beach“ und „Sloane Square“ hat die österreichische Autorin dies auf beunruhigende Art bewiesen. Nun gibt es ihren Roman „Verführungen“. Und der ist nicht nur stilistisch ein Ereignis.

Typisches Zitat: „Der Tierarzt bestand nicht mehr auf Einschläfern. Frau Sprecher war glücklich. Der Kater hatte Leberkrebs. – Die Kinder hatten Osterferien. Hélène hatte nicht frei. Ihre Schwester wollte Barbara ins Waldviertel mitnehmen. Zu Bekannten. Mit Kindern. Auf einen Bauernhof.“

Stakkato aus atemlosen Sätzen

In einem solchen Stakkato äußerst knapper, atemloser Sätze oder Satzfetzen ist praktisch der ganze Roman verfaßt. Was auf den ersten Seiten noch gewöhnungsbedürftig ist oder gar etwas unbeholfen wirken mag, erweist sich mit wachsender Lesestrecke als angemessenes Kunstmittel. Denn Marlene Streeruwitz schildert den allmählich zerbröselnden Alltag einer alleinerziehenden Frau mit zwei Töchtern. Diese Wienerin namens Hélène gerät tatsächlich zusehends außer Atem. Und sie erleidet ihr Unglück wie in gestochen scharfen Einzelbildern und Nahaufnahmen.

Der ganze Kleinkram ihres Lebens türmt sich angsterregend auf. Einzelteile des anschwellenden Unglücks: Der ziemlich miese „Mädchen-für-alles“-Job in einem etwas zwielichtigen Werbebüro, das sich für obskure Heilmittel stark macht. Der ständige Ärger mit dem Macho-Chef, mit der fiesen Schwiegermutter. Die unabweisbaren Bedürfnisse der Kinder. Die daraus entspringende Zeitnot. Die Erinnerungen an den Vater, der Hélène geschlagen hat. Das nur noch haßerfüllte Verhältnis zum Ehemann, der Hélène verlassen hat und keinen Schilling herausrücken will. Die finanzielle Bedrängnis.

Ein angeblicher Pianist als Phantom

Und schließlich Helenes Sehnsucht nach Geborgenheit. Von Zeit zu Zeit trifft sich sich mit einem Schweden, angeblich Pianist mit Tournee-Verpflichtungen (den sie aber nie am Klavier zu Gesicht bekommt), der von großer Liebe redet, sich ihr freilich immer wieder wochenlang ins Unerreichbare entzieht, plötzlich doch wieder fordernd auf der Türschwelle steht und dann erneut nach Italien abtaucht. Ein Phantom.

All diese Verletzungen nimmt der Roman mit gnadenloser Präzision unter die Lupe, er zeigt sozusagen jeden Haarriss. So wird ein vermeintlich „gewöhnliches“ Leben buchstäblich bemerkenswert.

Die Menetekel mehren sich

Was der Handlung zudem Spannung verleiht: Es kommt, kaum unterbrochen von seltenen Glücksaufwallungen, eine immer bedrohlichere Stimmung auf; es mehren sich die Menetekel: Helenes Freundin kollabiert im Tablettenrausch, Ex-Ehemann Gregor entwickelt gefährlichen Jähzorn. Mal denkt die so vielfach heimgesuchte Hélène an Selbstmord, dann hegt sie nach außen gerichtete Gewalt-Phantasien. Auch dies – neben der sexuellen Lust – meint der Titel „Verführungen“.

Es herrscht in dem Buch eine ungeheure, stets sprungbereite Wachsamkeit gegen kleinste Anzeichen männlicher Machtausübung. Doch zum einen sind diese Passagen oft mit erschreckender Folgerichtigkeit entwickelt, und zum anderen gelangt Marlene Streeruwitz weit über begrenzt feministische Positionen hinaus. Sie spricht vom Glück, das allen Menschen zusteht.

Marlene Streeruwitz: „Verführungen“. Roman. Suhrkamp-Verlag. 295 Seiten. 38 DM.