Sanfte Spiele des Lichts – Münster: Der Neo-Impressionist Paul Signac und sein Einfluß auf die Moderne

Von Bernd Berke

Münster. Der französische Maler Paul Signac (1863-1935) verfocht eine Theorie: Wenn der Künstler die Farben in lauter winzigen Punkten auf die Leinwand setze, so müsse der Betrachter später nur in der richtigen Entfernung vom Bild stehen. Dann würden sich alle Tönungen auf natürlich gemischte Weise zeigen. Die Sache hat nur zwei Haken: Signac selbst hielt sich in der Praxis nicht an seine These – und sie stimmt auch gar nicht.

Anno 1944 hat ein US-Physiologe das Dogma von der „optischen Mischung“ widerlegt. Doch das tut der opulenten Münsteraner Schau über den Neo-Impressionisten Paul Signac und die von ihm beeinflußten Künstler überhaupt keinen Abbruch, im Gegenteil. Denn Signac und die anderen setzten die Vorgaben eben nicht sklavisch um.

Den Realismus hatte damals längst die Fotografie für sich gepachtet. Im Grunde geht es deshalb für die Maler zwischen 1890 und 1910 darum, die Gegenstände hinter sich zu lassen, indem sie die Farbe von der Bindung an dargestellte Menschen und Objekte befreien. Diesem Zweck dient auch der punktuelle Aufbau der Gemälde. Das schiere Flirren der vielen Farbpartikel überstrahlt die Inhalte.

Signac setzt eigentlich gar keine Punkte, sondern strichförmig gerichtete Tupfer. Er verwendet stets die Farben des Prismas, keine verwaschenen Töne. Vielleicht liegt es schon daran, daß seine Bilder unvermischte Freude an der Harmonie hervorrufen.

Jede Schattierung hat ihr Echo

Besonders die an sich schon flüchtigen Erscheinungen, wie etwa vom Nebel eingehüllte Landschaften oder das Spiel des Lichts auf Wasserflächen, erfaßt Signac auf unvergleichliche Art. Immer wieder hat er die Buchten von St. Tropez gemalt. Es ist sanfte Bewegung in diesen Bildern, als ob die Wellen wirklich schaukelten. Auch die Augen des Betrachters finden hier keinen dauerhaften Halt, sie müssen hin und her, kreuz und quer schweifen.

Und wie genau hat Signac seine Farben komponiert! Probe aufs Exempel: Würde man auch nur kleinste Partien der Bilder verdecken, so geriete alles aus dem Gleichgewicht. Jede Farbschattierung hat ihr Echo, ihre Entsprechung.

Die Münsteraner Ausstellung ist, zumindest für Deutschland, eine Pioniertat. Sie wertet das Werk von Paul Signac, der bisher immer etwas hinter seinem Zeitgenossen Georges Seurat verborgen blieb, mit guten Gründen auf und hebt ihn als Anreger gar auf eine Höhe mit Van Gogh.

Im breiten Strom der Kunstgeschichte

Freilich hat man die Einflüsse, die von Signac ausgegangen sein sollen, hie und da doch ein wenig überstrapaziert. Zwar hat auch ein Henri Edmond Cross seine Arbeiten punktförmig aufgebaut, doch neben Signac muß er geradezu als Kleinmeister untergehen.

Die vielleicht schönste Ausstellung des Jahres in Westfalen bietet jedoch Weltkunst en masse: Man will an ausgewählten Beispielen zeigen, daß solche Größen wie Henri Matisse, Maurice de Vlaminck oder André Derain anfangs Anregungen von Signac bezogen haben. Das gelingt auch recht gut, sind hier doch direkte Einflüsse nachweisbar. Signac wird zudem, worauf man nicht ohne Weiteres gekommen wäre, als Anreger auch des deutschen Expressionismus um Heckel, Kirchner und Rohlfs sichtbar. Mittler war der Hagener Mäzen Karl-Ernst Osthaus, der bereits 1901 ein Bild Signacs erwarb.

Schwieriger wird es schon, wenn etwa Werke von Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Piet Mondrian oder des nachmaligen Futuristen Umberto Boccioni von Signac hergeleitet werden. Allerdings: Im breiten langen Strom der Kunstgeschichte hat vieles unterschwellig miteinander zu tun. Genießen wir also die ganze schöne Schau als prachtvolle Schule des Sehens.

„Farben des Lichts“. Paul Signac und der Beginn der Moderne von Matisse bis Mondrian. Westfälisches Landesmuseum, Münster (Domplatz). 1. Dezember 1996 bis 16. Februar 1997. Di-So 10-18 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 48 DM.

 




Schaubude des Unglücks – Nicky Silvers „Zwillingsbrut“ als deutsche Erstaufführung in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Was kommt heraus, wenn man bitterernste psychologische Fälle in die Form einer Seifenoper gießt? Nun, zum Beispiel so etwas wie Nicky Silvers US-Stück „Zwillingsbrut“, das jetzt als deutsche Erstaufführung (Regie: Harald Demmer) im Dortmunder Schauspielstudio gegeben wird. Das populäre Genre wird boshaft-lustvoll bedient und zugleich entlarvt.

Bernadette ist eine hysterische Schreckschraube, quasselsüchtig zum Steinerweichen, als nahezu niedliche Neurotikerin gespielt von Wiebke Mauss. Ihr Zwillingsbruder Sebastian (wie von Woody Allen erdacht: Michael Fuchs) betritt als erfolgloser und hochverschuldeter Ostküsten-Intellektueller die bonbonbunte Bühne der Beschädigten.

Bei Mutters Begräbnis, der ein von der Brause katapultierter Duschkopf den Garaus gemacht hat, begegnen sich die Geschwister. Im nervösen Pingpong der Fix-und-Fertig-Dialoge à la TV-Comedy zeigt sich hartnäckiger Hang zum Unglück. Bloß kein beschauliches Leben führen, es wäre ja wohl nicht zum Aushalten, oder?

Ausbruch zwecklos: Bernadettes Mann Kip (Thomas Gumpert), der nicht mehr Zahnarzt, sondern Maler sein und nackend-naturnah in Afrika leben will, ist eine hüftsteife Lachnummer. Für Sebastian hat der ganze Wahn beim Kindergeburtstag mit dem tristen Frohsinnsterror seines Miet-Clowns begonnen; damals, als sich Bernadette die Haare anzündete, weil sie den sengenden Geruch mochte. Jetzt, seit dem elf Jahre zurückliegenden Aids-Tod seines Freundes Simon, hat der schwule Sebastian keinen Menschen mehr richtig berührt. Nur der Briefwechsel mit einem Mörder im Knast (Christoph Schlemmer) hält sein Interesse am Leben halbwegs wach. Lockung des Abgrunds.

Verstorbene Mutter erscheint in Engelsgestalt

Sodann blitzen die Messer: Sebastians erbärmlich einsame Psychologin (Ines Burkhardt) sticht sich in einem Anfall von Gottsuchertum die Augen aus und vegetiert als zerlumpte Büßerin dahin. Ein geldgieriger Stricher schneidet Sebastian beim Oralsex beinahe das Kostbarste ab. Prompt erscheint die verstorbene Mutter in Engelsgestalt dem verwundeten Sohn und enthüllt: Sebastian ist bei einer Vergewaltigung gezeugt worden. Grelle Effekte in dichter Staffelung.

Ein Panoptikum von Schuld, Sühne und Selbstverstümmelung. Schaubude monströsen Unglücks, Verzweiflungs-Comic. Ganz recht also, wenn man das rasierklingenscharfe Stück in Dortmund auch mit den Mitteln der Schmiere ins Schrille schraubt. Beachtliche Schauspieler, die dies vollbringen, ohne daß es peinlich wird.

Und dann gibt es noch jene Traumspiel-Einschübe, in denen die Phantome eines besseren Daseins herumgeistern. Wenn sich Bernadette am Ende von ihrem Mann lossagt, um mit ihrem Baby und Sebastian eine Dreifaltigkeit zu bilden, kann man sich dies freilich nur als minimalen Glücks-Rest vorstellen: als endgültige Flucht in die Regression, in den seelischen Embryonalzustand. Solches Weh erfaßt keine handelsübliche Seifenoper.

Termine: 30. Nov., 1., 5. und 6. Dez., Karten: 0231/16 30 41.




Charakter-Komödien mit Huhn und Schwein – Helme Heines liebenswerte Bilderwelt in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Hühner, Hühner, Hühner. Und dann und wann ein Hahn. Federvieh hat’s dem Zeichner Helme Heine (55) offenbar besonders angetan. In seinem bekanntesten Bildband („Freunde“) erlebte ein stolzes Hähnchen mit Maus und Schwein allerliebste Abenteuer. Das Buch wurde weltweit millionenfach verbreitet und ist – so Heine – „meine Rentenversicherung“. Jetzt stellt er in Dortmund über 100 Originalblätter und 35 Objekte aus.

Man erlebt hier einen sehr vielseitigen Helme Heine, der nicht nur witzig-bunte Bildergeschichten für Kinder erfindet, sondern z. B. auch mit Theaterregie, Design oder Werbung reüssiert. Kunst geht nach Brot.

Der gebürtige Berliner, selbst übrigens kinderlos, hat vor vielen Jahren in der Nachbarschaft des legendären Fernseh-Zoologen Bernhard Grzimek gewohnt. Liegt’s etwa daran, daß Heine ein solches Faible für alles Animalische samt zugehöriger Komik entwickelt hat? Seine Hühner gibt’s inzwischen auch als Stofftiere, die – es weihnachtet bald – in einem eigens neben die Ausstellung gerückten Shop feilgeboten werden. Außerdem hat Heine einige der Knuddelviecher in (echte) Legebatterien gesteckt. Geht’s denen nun gut – oder wie?

Auf einer Schautafel verknüpft Heine die Hühner-Gestalt ironisch mit diversen Nationalcharakteren. Das französische Huhn trägt ein Baguette unter dem Flügel und pafft eine Selbstgedrehte. Das deutsche Huhn kommt krachledern daher, das amerikanische mit Mickey-Mouse-Öhrchen. Hühner dieser Welt – es ist wirklich zum Gackern! Auch von den Salzburger Oster-Festspielen gibt es was zu berichten. Gegeben wird die erschütternde Tragödie der Saison: Ein Huhn liegt gemeuchelt auf der Bühne, ein anderes küßt leidenschaftlich den Hasen und im Gestühl hält die fein gefiederte Gesellschaft den Atem an.

Alle Haltungen werden vor dem Spiegel erprobt

Auch wenn sich Helme Heine gelegentlich dem Kitsch geradezu wild entschlossen an die Brust wirft (Bau eines Schäfchenbettes), wird er doch nie platt. Eine gewisse, gleichsam frohen Mutes hingenommene Brüchigkeit ist seinen sämtlichen Schöpfungen eigen. Liebenswert bleiben sie immer.

Alle seine Figuren – ob Mensch, ob Tier – agieren mit genau beobachteter und feinsinnig wiedergegebener Körpersprache. In Heines Atelier steht ein großer Spiegel, vor dem er sämtliche Haltungen erprobt. Alles muß stimmen, muß „sitzen“. Seine Figuren und die knappen Texte entstehen also im Sinne einer Theater-Inszenierung. Charakterkomik, wenn man so will.

Ökologische Positionen sind vage zu erschließen (eitle Bärin trägt Stola mit Menschenkopf; Reh stakst auf Gewehrläufen statt Beinen), doch Heine ist kein Agitator. Selbst seine zunächst etwas verstörend wirkenden Kreuz-Installationen (Damenschuh ans Kreuz genagelt; grinsendes Gebiß wächst aus einem Balken) sind als Gruppierung halb so schlimm. Der Mann, der lange in Afrika lebte und heute ein Domizil in Irland hat, ist offenbar zu abgeklärt und weltweise, um sich noch im Übermaß zu erregen.

Helme Heine: „Der schöne Schein – Eine Reise durch seine Welt“. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastraße 3 (Führungen 0231/50-26028). Bis 9. Feb. 1997. Di-So 10-17Uhr. Eintritt 4 DM. Katalog 49,80 DM.




Kindheit mit Lederhosen und flotten Seifenkisten

Von Bernd Berke

Ja, genau! So hat es ausgesehen, das Gesicht jener Jahre. So haben wir damals als Kinder dreingeschaut: reichlich brav, höchstens mal verhalten frech – und noch ganz bescheiden gekleidet. Kein Gedanke an Markenware. Die kurze robuste Lederhose war schon ein ziemlicher Luxus. Wie hat man sie später gehaßt. Und irgendwann denkt man dann doch mit einem Anflug von Rührung an solche Zeichen der Dürftigkeit.

Es war die Zeit, in der so viele Jungen noch Klaus, Peter oder Wolfgang hießen – und die Mädchen vorzugsweise Barbara, Petra, Gisela oder Monika. Die einen wurden noch zum Höflichkeits-„Diener“ angehalten, die anderen trugen Zöpfe oder Pferdeschwänze und machten artige Knickse. Wie lang ist das her, eine versunkene Lebenswelt. Es waren die 50er Jahre, deren biographische Verarbeitung in letzter Zeit eine ganze Bücherflut ausgelöst hat. Immer mehr Mosaiksteinchen werden zum Bild der Adenauer-Ära zusammengesetzt.

Auf schwer beschreibbare Weise hängt man ja, wenn man damals aufgewachsen ist, mit etlichen Herzfasern an all diesen Anblicken und Gestalten, eben am Repertoire jener Jahre. Mit Erich Borrmanns Bildband „Kindheit im Ruhrgebiet in den 50er Jahren“ rückt einem dieses ganze Inventar noch näher, weil einem eben auch noch die Gegend vertraut ist.

Keinerlei Zeitkritik, nur pure Nostalgie

Nun gut, nicht alle Bilder haben die gleiche Qualität, aber sie vermitteln durchweg Zeitgeist. Man hätte sich zudem etwas weniger altbackene Begleittexte gewünscht, sie entstammen wirklich noch dem muffigen Geist der Fünfziger. Keine Spur von gedanklicher Durchdringung oder gar von Zeitkritik, nur pure Nostalgie und Idyllik. Trotz allem: Man hätte das Buch gern mindestens doppelt so dick, denn es läßt sich nun mal darin schwelgen.

Als Kind (Jahrgang‘ 52) habe ich noch ein paar Zipfel jener Zeit erlebt. Und es kommt mir vor, als hätte ich all diese Gesichter und Momente in dem Buch schon mal gesehen – den kleinen Kohlenschaufler mit Vaters übergroßem Hut auf dem Kopf; die Schulklasse, die in braven Zweierreihen ins Gebäude trottet und sich dort hinter die schäbigen Bänke mit den Tintenfäßchen klemmt; die Turnstunde mit diesen latschigen Gummisohlen-Sportschuhen; die Abschiedsszenen mit Eltern bei der Kinderlandverschickung (ja, so hießen damals gewisse Ferienfahrten); die barfüßigen Mädchen beim Seilchenspringen, andere beim Tausch von glitzernden Kleebildchen; die kleinen Schumis von damals in ihren tollen Seifenkisten. Und und und.

Seltsame Vorstellung, daß alle diese Kinder heute zwischen 40 und 50 Jahre alt sind. Sieht man solche Bilder, so ahnt man vage, was Menschen dieser Generation unterschwellig miteinander verbindet. Eine aus gleichen Erfahrungen gewachsene Art von Verstehen, über etliche individuelle Unterschiede hinweg. Heute verläuft die ganze Sache wohl ungleich diffuser.

Abenteuer zwischen Ruinen – Übung fürs Konsumleben

Der Weltkrieg war noch nicht allzu lang vorbei. Auf den Straßen sah man noch so viele Verwundete und Versehrte, denen Arme oder Beine fehlten. Wir tobten derweil, bis in die frühen 60er Jahre hinein, auf Trümmer- und Ruinengrundstücken herum. Und die Baustellen des Wirtschaftswunders wurden gleich fröhlich mit in Beschlag genommen. Welch ein Abenteuer!

In diesem Buch begegnen sie einem wieder: Kinder, die in Schutt und Asche der Revierstädte von Unna bis Bottrop spielten – anfangs ganz ohne industriell gefertigte Hilfsmittel und daher notgedrungen einfallsreich. Schon der Tretroller war ja ein begehrtes Ding. Auch Fernsehen hatte kaum jemand, das kam erst ein Paar Jährchen später. Also ging’s nach der Schule zum Straßenfußball auf dem Kopfsteinpflaster. Heute bin ich Uwe Seeler – und ihr?

Das Ruhrgebiet, auch dies kann man den Fotos entnehmen, war damals einerseits noch viel ländlicher, andererseits deutlich von der Schwerindustrie geprägt. Eine ganz spezielle Mischung, wie es sie sonst nirgendwo gab.

Der Dortmunder Verkehrskindergarten, in dem Fahrräder und Tretautos streng regelgerecht herumkurvten, war hingegen schon ein Vorbote kommender Motorisierungs-Konjunktur. Es muß ungefähr die Zeit gewesen sein, als die Jungen das Autoquartett entdeckten. Exakt so hitzig vertieft wie diese drei, die auf Erich Borrmanns Foto die PS-Zahlen und Höchstgeschwindigkeiten gegeneinander ausspielen (kleine Übung fürs spätere Konsumentenleben), müssen wir wohl auch dagehockt haben. Da fühlt man sich fast, als wäre man im Bild drinnen – und kommt sich nach diesem Augenblick der imaginären Verjüngung ein kleines bißchen älter vor.

Erich Borrmann: „Kindheit im Ruhrgebiet in den 50er Jahren“. Wartberg Verlag, 34281 Gudenberg-Gleichen, 64 Seiten Großformat, Schwarzweiß-Fotos, 29,80 DM.

In gleicher Ausstattung im selben Verlag: Erich Borrmann „Dorfleben am Hellweg in den 50er Jahren“. 29,80 DM.

(Der Beitrag stand in der Wochenendbeilage der Westfälischen Rundschau)




Aus dem Würfel wächst das Bild der idealen Stadt – Messing-Werkgruppe von André Volten in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Der Würfel ist ein stets gleichförmiges Ding mit ebenmäßigen Kantenlängen. Das gilt im Alltag. Doch wenn ein Künstler ins Würfel-Spiel eingreift, wird alles anders. Erst recht, wenn es sich um eine Größe wie den niederländischen Staatspreisträger André Volten (71) handelt.

Volten hat viele Zeichen im öffentlichen Raum der Städte gesetzt. Den Duisburgern bescherte er einen Stahlbrunnen, den der Volksmund „Waschmaschine“ getauft hat. Volten ist darüber nicht etwa verbittert: „Was einen Namen trägt, ist akzeptiert, ist lebendiger Besitz.“ Nun richtet ihm Duisburgs Lehmbruck-Museum bereits die zweite Retrospektive aus – eine Würdigung, die bisher nur ganz wenigen Künstlern zuteil wurde.

Als Material für seine Würfelkunst wählte Volten das sonst höchst selten verwendete Messing. Der fast bleischwere Stoff wirkt erstaunlich leicht, seine Oberfläche ist empfindlich wie dünne Haut. In unpoliertem Zustand sendet Messing einen seidig-matten Schimmer aus, der die gesamte Ausstellung durchpulst und ihr beinahe etwas Mystisches verleiht.

Doch Volten ist alles andere als ein haltloser Mystiker. Seine Kunst erwächst aus Rationalität und Präzision. Der passionierte Schachspieler und Bach-Hörer (beides deutet auf logisch-mathematische Neigungen hin) baut penible Holzmodelle, bevor er sich an die millimetergenaue Verfugung der Messing-Barren begibt. Kennt man Voltens Vorlieben, so denkt man unwillkürlich an J. S. Bachs Komposition „Die Kunst der Fuge“. Es ist wohl nicht nur ein Wortspiel…

Der Würfel dient, einem philosophischen Grundsatz oder chemischen Element vergleichbar, als Regelmaß aller Dinge. Dieses Basis-Motiv wird in rund 60 mehrteiligen Arbeiten variiert – durch Spaltungen, Schnitte, berechnete „Wucherungen“, Auftürmungen, fragile Balancen.

Museumsdirektor Christoph Brockhaus will zeigen, daß all diese Formen zur lebendigen Vielfalt der Natur zurückführen. Deshalb präsentiert er zum Vergleich einige Mineraliensteine. Tatsächlich: Die Verwandtschaft der Strukturen ist kaum zu leugnen.

Voltens Würfel-Konstruktionen addieren sich zum subtilen Inbild einer idealen Stadt, die Freiräume läßt und bewohnbar wirkt. Der großen Klarheit wächst unversehens etwas Spielerisches zu. Äußerst konzentriert wirkt diese Kunst, wie von allem Überflüssigen entschlackt – und mehr noch: in einem fast religiösen Sinne rein.

André Volten: Konstruktion und Struktur – Messingskulpturen 1965-95. Lehmbruck-Museum, Duisburg (Düsseldorfer Straße 51). Bis 5. Januar 1997. Di.-Sa. 11-17 Uhr, So. 10-18 Uhr. Katalog 25 DM.




Sprachphilosophie aus der Bauernstube – Brian Friels Stück „Translations“ zum englisch-irischen Konflikt in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Anno 1833 in einem irischen Dorfe. So weltfremd sind die Leute, daß sie nur Gälisch reden und als Erwachsene lieber lateinische und griechische Brocken hinzulernen, als sich die Sprache der englischen Kolonisatoren anzueignen. Oder ist dies schlaue Verweigerung?

Brian Friel hat seinem Stück „Translations“ (Übersetzungen) auch eine quasi politische Dimension gegeben. Doch darüber hinaus entwirft der Text eine staunenswert vielschichtige Reflexion über Sprache – und dies anhand von Dialogen in einer bäuerlichen Stube. Leider müssen wohl etliche Nuancen des englisch-irischen (Sprach-)Konflikts im Deutschen verlorengehen.

1991 spielte man in Freiburg den Text des irischen Autors unter dem interpretierenden Titel „Sprachstörungen“. In Essen (Regie: Katharina Kreuzhage) bleibt es beim Original „Translations“. Ort der Handlung ist besagte Dorfschule, in der der versoffene Hugh (liebenswert knorrig und knarzig: Berthold Toetzke) auch Knechten und Mägden die antiken Sprachen beizubiegen sucht. Hei, wie quietschen da die Griffel auf den Schiefertafeln!

Verbale Vorzeichen der Gewalt

Doch das seltsame, eigentlich schon verstörte Idyll der rückständigen Verschrobenheit wird bedroht, wenn zwei Engländer als Landvermesser auftauchen. Sie machen sich, als militärischer Vortrupp, die Gegend nicht nur kartographisch untertan, sondern erobern sie auch sprachlich, indem sie die urtümlichen gälischen Kehllaute der Orts- oder Flurnamen durch hier eher platt und geschäftlich klingende englische Neuschöpfungen ersetzen. Sprache als Enteignung, als „Entsorgung“ von Geschichte und Herkunft, als Vorbotin künftiger Gewalt.

Während der englische Leutnant Yolland (Michael Schütz) dabei gelinde Skrupel verspürt, hat sich der Ire Owen (Axel Holst) dem Zeitenwandel anbequemt. Der Mann, der den Engländern als Übersetzer assistiert, bleibt freilich wortkarg, wenn das Eigentliche gesagt werden müßte. Er täuscht seine Landsleute über ihre desolate Lage hinweg. Sprache als Lüge.

Eine unsagbare Liebe

Schon eingangs hat man gesehen, wie die junge Irin Sarah (Katrin Brockmann) ihren Namen hersagen soll und sich jeden einzelnen Laut abringen muß. Schmerzlich erfährt sie die Sprache als Zwang. Und als sich zwischen Yolland und Maire (Marie Therese Futterknecht), die einer des anderen Sprache nicht reden, eine englisch-irische Liebe anbahnt, sind sie ganz auf ihre hilflosen Gesten zurückgeworfen. Buchstäblich unsagbar ist diese Liebe – in der quälenden Szene mischen sich Komik und Verzweiflung.

Am Ende wird die Sprache in wahnhaftes Gebrabbel ausufern. Sie ist nun gleichsam geisterhaft allgegenwärtig, doch ihre herkömmliche Bedeutung ist zerstört, denn inzwischen haben die Engländer mit soldatischer Gewalt gedroht. Im Bühnenhintergrund lodert schon das Feuer.

Gottlob hat die Regie der Versuchung widerstanden, die sprachliche Kolonisation etwa auf west-ostdeutsche Verhältnisse umzumünzen. Überhaupt enthält sich die konzentriert zu Werke gehende Inszenierung aller Mätzchen. In einem schlichten, just spieltauglichen Bühnenbild (Wolf Münzner schuf einen grünlich schimmernden Raum mit himmelwärts weisender Leiter) stellt sich das homogene Ensemble ganz in den Dienst des Textes. Beachtliche Vergegenwärtigung einer lohnenden Vorlage.




Konsalik, die Droge und der Fremdenhaß – zum Roman „Die Ecstasy-Affäre“

Von Bernd Berke

„Haben Sie schon mal einen Konsalik gelesen?“ fragte kürzlich süffisant die Frankfurter Allgemeine Zeitung, als es um den Streit über geplante WDR-Verfilmungen einiger Bestsellerromane ging. „Faschistoid“ lautet ein gängiger Vorwurf gegen den Fließbandschreiber Heinz G. Konsalik, dessen rund 150 Bücher schlankweg als trivial gelten. Was ist dran? Um das festzustellen, muß man ihn eben doch lesen. Zum Beispiel sein neues Produkt „Die Ecstasy-Affäre“.

Ecstasy also. Der Routinier Konsalik greift ein aktuelles, mutmaßlich medienwirksames Thema auf. Mit 75 Jahren wohl nicht der ideale Gewährsmann für diese Materie, schildert er die Glücks- und Ausdauer-Droge, die bei durchtanzten Nächten der Techno-Szene modisch wurde, als Ausgeburt schierer Dämonie. An diesen Pillen, so muß man hernach meinen, wird „unser ganzes anständiges Deutschland“ schändlich zugrunde gehen.

Gymnasiast lernt Bardame kennen

Konsalik zimmert sich eine hanebüchene Geschichte zurecht: Der pianistisch begabte, aber äußerst schüchterne Münchner Gymnasiast Robert Habicht (18) begegnet im Freibad der bildschönen Ulrike Sperling (33). Es kommt bald, wie es bei diesen Namen kommen muß: Habicht und Sperling vögeln, was das Zeug hält. Ulrike erweist sich als Bardame. die sich noch dazu als Chefin eines Ecstasy-Händlernetzes anheuern läßt, den armen Robert als Dealer einspannt und ihm vor gemeinsamen Bettspielen die mörderischen Aufputschpillen yerabreicht…

Dabei will der brave Junge Ulrike nur aus dem Bordell-Milieu retten, kommt er doch aus einer guten deutschen Familie: Vater bayerischer Regierungsrat und Briefmarkensammler, Mutter brave Hausfrau. Fassade, Fassade. Mit äußerst begrenzten Stilmitteln sucht Konsalik nun die Hölle zu entfesseln: Eine vietnamesische Mafia bemächtigt sich der gesamten Ecstasy-Infrastruktur, nachdem sie die polnische Konkurrenz bestialisch liquidiert hat. Dagegen, so Konsalik, seien selbst die deutschen Kriminellen nur arme Würstchen – ganz zu schweigen von der Polizei.

Um Logik und glaubhafte Charaktere schert sich Konsalik wenig. Es ist geradezu lachhaft, wie sich hier – oft von einer Buchseite zur anderen – die Leute wandeln, weil es dem Autor gerade in den Kram paßt. Er verteilt seine An- und Absichten mit der Zufalls-Gießkanne auf die Personen.

Erschöpfung nach der Botschaft

Es geht ihm ja auch offenbar um etwas anderes: Ecstasy dient lediglich als Anlaß, einen starken Staat zu fordern, der sich entschieden gegen „die“ Ausländer wehrt, die hier niemals als Normalbürger, sondern ausschließlich als Mafiosi jedweder Nation auftreten. Um seine Meinung (oder soll man sagen: seine paranoiden Ängste?) in die Handlung einzuschleusen, denkt sich Konsalik einen Kommissar namens Reiber aus, den er – mehr oder weniger geschickt – als Sympathieträger einführt und den er dann öffentliche Vorträge halten läßt.

Dieser Reiber zieht heftig gegen fremdländische Elemente, vom Leder und unterstellt der Politik pauschal, sie „streichele“ die Ausländer nur. Die ganze Hetze reicht mühelos für die Lufthoheit über den Stammtischen. „Faschistoid“? Wahrscheinlich bloß noch eine Definitionsfrage.

Daß bei den Tiraden einiges wirr durcheinander gerät, daß er Kriminalitäts-Statistiken gewaltsam zurechtbiegen muß, versteht sich fast von selbst. Nachdem Konsalik den Lesern immer und immer wieder eingehämmert hat, woran die deutsche Nation kranke, scheint er freilich zusehends das Interesse an seiner Story zu verlieren. Nach und nach läßt er fast alle Hauptpersonen umkommen und führt die ganze Affäre lieblos zu Ende. Seine „Botschaft“ hat er ja bereits dutzendfach ausposaunt.

Heinz G. Konsalik: „Die Ecstasy-Affäre“. Roman. Lübbe-Verlag. 477 Seiten. 39,80 DM.