Was die Walnuß der Eiche erzählt – Botho Strauß und sein Tagebuch „Die Fehler des Kopisten“

Von Bernd Berke

Botho Strauß ist beileibe nicht der erste Autor des Jahrhunderts, der aus der Stadt flüchtet. um innere Einkehr auf dem Lande zu finden. Aber er ist derzeit der Bekannteste. Ihn zog’s aus dem brodelnden Berlin in die Weiten der ostdeutschen Uckermark, eine Gegend „unter dem ärmsten Himmelsstrich“. Dort hat er sich und seinem Sohn Diu ein Haus bauen lassen, dort schrieb er sein neues Buch „Die Fehler des Kopisten“. Ist es das Dokument einer Flucht aus Zeit und Welt?

Also schreibt Strauß, auf einsamer Warte der Natur ansichtig: „Und die Eiche sagt, was das Rauschen der Walnuß ihr eingab.“ Oder auch: „Die Goldammern rasten in der Eiche. Ihr einfältiger Staccatoruf: Wie wie wie / hab ich dich lieb.“ Solche Sätze klingen fast nach Biedermeier und Gartenlaube; als wäre der Autor, der doch wie kaum ein anderer fähig ist zur trennschärfsten Wahrnehmung und Formulierung, selbst gern unterwegs zu einer grandiosen Einfalt angesichts dessen, was von der Schöpfung übrig ist.

Eines Tages kommt die „digitale Magie“

Andererseits sinnt er mit einigem Tiefgang nach über das verwehende Bild des Menschen zwischen Internet und Biotechnologie. Erst von einem nach-technischen Zeitalter erhofft er sich so etwas wie „digitale Magie“. Zwiespalt, Wirrnis oder höhere Weisheit: Einerseits registriert Strauß die (gescheiterten) Ost-Biographien im Dorfe. Sieht er jedoch einen Hirten, ist jener gleich Bote der Mythenwelt.

Nach „Salto rückwärts“ sieht in diesen Tagebuch-AufZeichnungen manche Passage aus. Nicht mit dem bitterernsten Furor seines vielfach mißverstandenen (weil mißverstehbaren) „Anschwellenden Bockgesangs“ predigt er hier die Rückkehr zu Mythos, Ritual und Kulthandlung, sondern manchmal geradezu entspannt, doch mit leiser Dringlichkeît, immer wieder aphoristisch zugespitzt: „Jedes Tabu ist besser als ein zerstörtes.“

Mit dem Papst einer Meinung

Seinen Fimmel für rare Fremdworte („mnemogene Reize“) hätschelt Strauß weiterhin und beschädigt damit seine Sprache. Daß er gern entlegene Lektüre zur geistigen Abgrenzung heranzieht, läßt solch eine Hinleitung ahnen: „Reck-Melleczewen zitiert das von Ortega angeführte Wort Hermann Weyls …“ Das vernimmt vielleicht mancher ebenso ehrfürchtig wie diese Redewendung: „Mit Aristoteles und dem Papst teile ich die Überzeugung, daß …“ Bescheidener und wahrhaftiger klingt dies: „Es ist kein Kunststück, aus jeder Masse Eliten zu züchten. Wohl aber ist es eins, die Verblödung in der Breitenausdehnung zu begrenzen.“

Einschulung führt ins Verderben

Mit dem Papst teilt Strauß übrigens manche Meinung. Schärfste Verwünschungen schleudert er gegen Marx und Brecht. Er geißelt die „pornographische Rundumbetreuung“ des Bürgers, die unweigerlich zu realen Perversionen wie Kindesmißbrauch führe. Seinen kleinen Sohn, der – von Strauß nahezu vergöttert – als bewegendes Zentrum all dieser Notizen fungiert, mag der Dichter nicht im Geiste kritischen Mißtrauens aufwachsen sehen, sondern in Glauben und Gebet.

Nüchterne demokratische Erziehung ist Strauß ein Greuel. Dius Einschulung kann aus solchem Blickwinkel nur ins allmähliche Verderben naturhaft-guter Anlagen führen. Strauß als später Nachfahre Jean-Jacques Rousseaus. Viel lieber sähe er seinen Jungen (und also die Welt) mit althergebrachten Formen des Kampfes, der Trauer und des Glücks vertraut. Formlosigkeit, aus der jegliche Gewalt hervorgehe, sei das Grundübel dieser Epoche. Und unser aller Leben? „So viel Vorgeschmack auf die Hölle. So wenig Nachgeschmack vom Paradies.“

Das Elend der Zeitgenossenschaft

Gegen gängiges Psycho-Gewäsch zieht Strauß zu Felde, gegen mediale Verseuchung und Zeitgenossenschaft überhaupt. Und er, der „Ungesellige“, der die Menge („die schnell bewegten Fleischklumpen“) abgründig verachtet, aber schönste Worte für Freude und Leiden im Angesicht einzelner Menschen findet, seufzt über den üblichen Umgang: „Irgendwann wird man der alltäglichen Durchtriebenheit müde.“

Wolkenzug, Tiere und Pflanzen der Uckermark bergen Trost, wecken aber auch brennende Sehnsucht. Vom „Einstweh“ nach Kindheit und Vergangenheit ergriffen, wird der Autor ganz schwebenden Sinnes oder wunderbar hellsichtig. Wie mitfühlend er das Dahinschwinden alter Menschen beschreibt! Als Beobachter und Diagnostiker, der sich bewußt weit außerhalb der Zeitströmung ansiedelt, bleibt Strauß unentbehrlich. Doch seinen Therapie-Angeboten mag man nicht immer trauen.

Botho Strauß: „Die Fehler des Kopisten“. Hanser. 208 S., 34 DM.




Fünf Minuten nach dem Abendmahl ist alles ganz anders – Cappenberg zeigt Kunst aus dem Atelier von Tiepolo

Von Bernd Berke

Selm-Cappenberg. Man muß nur den richtigen Zeitpunkt erwischen. Beispielsweise das biblische Abendmahl einmal nicht in vollem Gange zeigen, wenn Jesus und seine Jünger noch bei Tische versammelt sind, sondern – die Situation fünf Minuten danach. Da ist Bewegung in die sonst so gravitätische Szenerie geraten. Man sieht gerade noch, wie einer aus dem Räume eilt, die Tafel wird derweil bereits abgeräumt und gesäubert.

Domenico Tiepolo hatte diese skurrile Idee anno 1743, als derlei Bilder Leuten von strenger Denkungsart noch als lästerlich gelten konnten. Jener Domenico war einer der begabten Söhne des ungleich berühmteren Spätbarock-Meisters Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770). Dem Venezianer und seinem straff organisierten Atelier, in dem Söhne und sonstige Schüler je nach Auftragslage eingesetzt wurden, ist nun eine bemerkenswerte Ausstellung im Schloß Cappenberg gewidmet.

Kreativer Wirrwarr der Studienblätter

Gezeigt werden 108 Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem Berliner Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die abermals Cappenberg als ihr bevorzugtes „Schaufenster“ in NRW nutzt. Betreut hat die Schau Dr. Hein-Thomas Schulze Altcappenberg, der damit – der Nachname läßt es ahnen – an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt.

Tiepolo, von dem es z. B. in Würzburg und Udine grandiose Deckenfresken gibt, tritt mit den bescheideneren Bildformaten natürlich nicht als Gigant in Erscheinung. Gleichwohl erkennt man den Genius auch in der kleinen Form, so etwa im kreativen Wirrwarr der Studienblätter. Ein Novum in der Kunstgeschichte war seinerzeit, daß der experimentierfreudige Tiepolo seriell arbeitete und bestimmten Motiven Dutzende von Varianten und Ausdruckswerten abgewann. So zeichnete er von der Heiligen Familie nicht weniger als 75 Fassungen. Mal wird das Wunder der Geburt Christi betont, dann wieder die Durchschnittsfamilie hervorgehoben oder gar ein parodistischer Strich riskiert.

Auch eine Kreuzabnahme zeigt Tiepolo dermaßen gewagt von unten her, daß Jesus hilflos verrenkt aussieht. Es war bereits die Ära der Aufklärung, der dogmatische Glaube begann zu schwinden. Tiepolos Welt ist denn auch nicht mehr felsenfest, sondern – in Scherzi und Capriccios – aus den Fugen geraten. Die vom Philosophen Jürgen Habermas für unsere Zeit diagnostizierte „neue Unübersichtlichkeit“ – es gab sie wohl schon damals. Jedenfalls haben Tiepolos gelegentlich radikale Darstellungen auch Goya beeinflußt.

Schräge Typen im gierigen Venedig

Besonders interessant sind Skizzen und Studien für Tiepolos große Deckengemälde. Der Künstler erprobt hier, fast einem Werbestrategen vergleichbar, ebenso phantasievoll wie rationell die optischen Wirkungsmöglichkeiten, die er später nur noch „abrufen“ muß. Tiepolo zeigt Figuren aus Bibel und Mythologie in extremer, manchmal nahezu abstrakter Untersicht, ganz so, als erblicke man sie mit zurückgelegtem Kopf an der Decke. Früher hat man Tiepolo einmal vorgeworfen, er übertreibe auf diese Weise Nasenlöcher und Fußsohlen seiner Gestalten. Heute schätzt man die kunstvolle Verzerrung. Mit famosem Kalkül plant Tiepolo bei seinen Deckenstudien zudem unfehlbare „Blickfänger“ ein, zum Beispiel geweitete Augen, die direkt auf den Betrachter gerichtet sind.

Ob bei Skizzen oder ausgeführten Arbeiten: Tiepolo erzielt stets eine lichte Plastizität, die verblüfft. Seine Söhne Domenico und Lorenzo sind, wie sich in Cappenberg feststellen läßt, mehr als nur bemühte Schüler. Zumal Lorenzos Karikaturen von schrägen Typen, die damals das polizeistaatlich stickige, aber unterschwellig lust- und lebensgierige Venedig bevölkerten, sind fürwahr kleine Geniestreiche.

„Kalkül und Phantasie“ – Giovanni Battista Tiepolo und sein Atelier. Schloß Cappenberg (Selm-Cappenberg). Bis 22. Juni. Di-So 10 bis 17.30 Uhr. Eintritt frei, Katalog 25 DM.




Auf der Klippe zum Tod – Die Irland-Bilderzyklen von K. H. Hödicke in der Kunsthalle Wuppertal-Barmen

Von Bernd Berke

Wuppertal. Grenz-Erfahrungen haben den Maler K. H. Hödicke von jeher inspiriert. Als Berlin noch in zwei Hälften zerfallen war, hatte der renommierte Anreger der „Neuen Wilden“ ein Atelier in einer Stadtwüstenei direkt an der Mauer, so daß er in den Ostteil blicken konnte. Seit 1981 verbringt er jeden Sommer im geteilten Irland. Dort sind jene Bilderzyklen entstanden, die jetzt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum präsentiert.

Was gibt es in der einsamen zerklüfteten Gegend von Connemara im Nordwesten der Insel zu sehen? Nun, der Motivkanon ist auf eine Weise begrenzt, die das innere Erleben bereichert. Gerade in der faszinierenden Kargheit kann sich der Künstler, nicht abgelenkt durch grelle Vielfalt, um so intensiver mit den Nuancen des Sichtbaren und mit dem eigentlichen Malvorgang befassen.

Die Vielfalt der Schafe

Salopp gesagt: Wer beispielsweise immer wieder Schafe zeigt, kann Schafe immer wieder anders zeigen. Die Tiere treten tatsächlich auf etwa der Hälfte der rund 80 ausgestellten Bilder in Erscheinung. Es scheint so, als habe Hödicke die Schwankungen seiner seelischen Befindlichkeit in den wolligen Wesen dargestellt. Mal trotten die Schafe ruhig als Gruppe daher, mal stehen sie einzeln da wie Monumente, oder ihre Gestalt blitzt nur auf wie eine Karikatur des Kreatürlichen. Andere werden zu Markte gebracht und verkauft, wieder andere als blutige Opfertiere dargebracht. Auf einigen Arbeiten rücken die hohlen Schädel toter Lämmer ganz in den Vordergrund und fügen sich zu düsteren Ornamenten an der Grenze zur Abstraktion.

Häufig wiederkehrende Motive in dieser raun (und übrigens völlig frauenlosen) Welt sind auch die Vegetation – und Kneipenszenen, freilich nicht aus touristischem Blickwinkel gesehen, sondern stets existentiell verdichtet. Die Bilder aus den Pubs wirken seltsam dumpf und bedrückend. Hödicke zeigt triste Ansichten des Trunks: Von Wind und Wetter, Lebenssorgen und Alkohol gegerbte Gesichter, einsam aufragende Gläser, eine Anzahl von Beinen auf Barhockern, unter denen ein Hund vor sich hin stiert.

Feuerrote Fuchsien

Ein in seiner ganzen Gestik unterschwellig aggressives Musikanten-Bild aus diesem Zyklus greift – lautmalerisch verballhornt – einen irischen Werbeslogan gegen Alkohol auf, der auch zum Ausstellungstitel wurde: „Havapaintamilkaday“, entzerrt und übersetzt etwa: Trinke täglich einen Pint (ca. einen halben Liter) Milch. Vertrackte Anspielung: „Pint“ wird von den Iren etwa wie wie „Paint“ ausgesprochen – und das wiederum heißt malen. Das tägliche Bild – ein Lebens-Mittel des Künstlers.

In der westirischen Pflanzenwelt haben es Hödicke besonders die feuerroten Fuchsien angetan. Mit ihnen und mit roten Lampions feiert er wahre Orgien glühender Farbigkeit. Eingefaßt in bedrohliches Schwarz, werden die Blüten zu Fanalen eines Lebens auf der Klippe zum Tode. Einer leuchtenden Fuchsienhecke gibt er den Untertitel „Wo sind die Heckenschützen?“ Ganz so, als sei die Naturschönheit durch den (nord)irischen Konflikt vergiftet.

Des weiteren sehen wir Grenzzäune und Pfosten, Stacheldraht, einen bildfüllenden tiefbraunen Torf-Abstich oder zwei Männer, die ein Boot tragen. Einfache Dinge, einfaches Tun. Fast wie in archaischen Zeiten.

K. H. Hödicke – „Havapaintamilkaday“ – Irland-Bilder 1981-1996. Kunsthalle Wuppertal- Barmen, Geschwister-Scholl-Platz. 20. April bis 1. Juni. Di-So 10-17 Uhr. Katalog 39 DM.




Neugierige Leute in fremden Badezimmern – Max Goldts erzkomische Kolumnen unter dem Buchtitel „Ä“

Von Bernd Berke

Mit eminent komischen Kolumnen im Satireblatt „Titanic“ ergötzt Max Goldt allmonatlich jene Leute, die er gern liebevoll als „Lesefröschchen“ anredet. Das Buch mit dem ergreifenden Titel „Ä“ versammelt Goldts neuere Beiträge.

Mit dem inflationär verwendeten Begriff „Kult“ sollte man vorsichtig sein. Aber Max Goldt wird es sich gefallen lassen müssen, daß man seiner Schreibe dieses Etikett aufpappt. Für solche blitzenden Nebenbei-Beobachtungen, die Goldt hundertfach zufallen, muß man eben wahre Muße und wachen Geist besitzen: daß im deutschen Fernsehen für alles geworben wird, aber nimmer für Salz; daß kein Mensch mal die Courage hat, die übliche Dekorations-Ananas am Frühstücksbüffet im Hotel aufzufuttern; daß ökologisch behauchte Schickis gern zum Edel-Bio-Türken gehen und sich dort mit „Grüß dich, Mehmet“ anbiedern.

Halsbrecherische Überleitungen

Wer, außer eben Max Goldt, wagt es schon, aus den Untiefen des täglichen Leben geschürfte Wahrheiten so gelassen auszusprechen: „Fast jeder, der in einer fremden Wohnung aufs Klo geht, macht das Badezimmerschränkchen auf und guckt, was drin ist.“ Und dann, diskret ins Naßraum-Detail gehend: „Resttröpfchengetränkte Klofußumpuschelungen sind nicht sehr hübsch.“

Goldt, der mit zuweilen halsbrecherischen Überleitungen durchs Gelände seiner Einfälle kurvt, hat ein feines Gespür für verschrobene Alltags-Komik. Von gängigen Meinungen läßt er sich dabei nie beirren. Und er schreibt gleichsam das intime Kollektiv-Tagebuch- seiner Generation mit: Wer, der heute so etwa zwischen 30 und 50 ist, hätte als Schüler denn etwa nicht die wöchentlichen Hitparaden („bis Rang 50″) in seine Schulhefte gepinnt? Aber kaum einer gibt‘s zu. Und bei folgenden Sätzen zu den tiefen Gräben von damals, ja, da weht einen doch das ganze Pennäler-Elend wieder an: „Ich war katholisch-Pelikan-Nesquick. Bei Kindern, die evangelisch-Geha-Kaba waren, roch es anders…“

Das Verhalten von lästigen Fetengästen weiß Goldt so trefflich zu skizzieren wie die gelangweilte Art des Personals in „Szene“-Kneipen. Die „Beschriftung der Bevölkerung“ (Texte auf Jacken und T-Shirts) entgeht ihm ebenso wenig wie der Witz am Warensortiment von Aldi. Wer je im ländlichen Schwaben war, wird vielleicht diese üble Übertreibung genießen: „Aus jedem Fenster blickt eine gute Hutzelantin mit kartoffelverdreckten Händen, die Arme auf ein Sofakissen gelagert. Im Hintergrund…ein Kanarienvogel oder sonst ein Zwitschikus…“

Wie man Deutsche in Paris erkennt

Gerade in Klischees stecken, wenn man sie so umstülpt wie Max Goldt, leuchtende Erkenntnisse. Was schwatzen die Leute denn schon im Internet? Mutmaßlich so etwas: „Was ist deine Levis-Größe? – 32/32 – Toll, ich habe auch 32/32, da können wir uns doch treffen, wenn du mal in Lüdenscheid bist.“

Und woran erkennt man deutsche Touristlnnen in Paris? Meistens „daran, daß sie sich um die Straßenmusikanten am Centre Pompidou scharen, mit dem Kopf wackeln und mit um den Po gebundenenPullovern ekstatisch tanzen… Die Deutschen müssen immer zeigen, wie unverkrampft sie sind, und ihre Ich-bin-die-Desirée-aus-Tübingen-und-habe-soviel-Körpergefühl-wie-der-gesamte-Senegal-Show abziehen.“ Ertappt!

Max Goldt: „Ä“. Kolumnen. 204 Seiten, 32 DM.




Wo man trinkt, da läßt sich’s dichten: „Wasser genügt nicht“ – Gasthausgedichte von Johannes Kühn

Von Bernd Berke

Seltsam, daß ein Ort, an dem so viel Freizeit hingebracht wird, nicht mehr poetische Texte hervorruft. Die Kneipe ist hierzulande nahezu dichtungsfreies Gelände.

Wo ist sie geblieben, die Tradition sinnenfroher Trinklieder? Ein Ire würde über derlei verbale Abstinenz nur den Kopf schütteln. Doch jetzt scheint endlich Abhilfe zu nahen: „Wasser genügt nicht“ nennt Johannes Kühn seinen Band mit Gasthausgedichten.

Kühn ist Stammgast in einem saarländischen Dorfausschank. Vom Ecktisch aus, den Stoß Papier vor sich, beobachtet der Lyriker das tägliche Treiben in diesem sozialen Biotop. Sein Gedichtband beginnt mit litaneihaften Einladungen des Wirtes, doch bitteschön an Tisch oder Tresen Platz zu nehmen. Ein therapeutisches Angebot mit pekuniären Triebkräften, denn verdienen will er auch, der gute Mann. Den Durst der Kundschaft würde er am liebsten herbeihexen:

„Seid ihr zu kurz gekommen / im Leben? Tretet ein bei mir! / Ich habe Gläser aus Kristall / mit langen Stielen. / Und was hineinkommt, das stammt / aus Weinbergen, / in die im Sommer / die rasenden Sonnentage springen, / die Trauben unter Blättern zu beglühn. / Sie blasen Flammen über jede Dolde.“

Zeilen von bezwingender Rhythmik und satter Sprachkraft, weit über den unmittelbaren Anlaß hinaus. Und es sind ja auch keine bloßen Kneipenlieder, sondern es ist der Blick auf die Welt aus besonderer Perspektive, gleichsam die optisch Brechung des großen Ganzen in jenem Glase, das vor dem Dichter steht. Denkt man an Oden von Friedrich Hölderlin, liegt man nicht so falsch. Den nämlich verehrt Kühn als Lehrmeister. Und in seinen allerbesten Momenten kommt er ihm nah.

Im Verlauf des Bandes wird das zuweilen komische, zumeist jedoch tragische Typen-Panoptikum vorgeführt, das sich im Wirtshaus einfindet. Wir hören von elend lauten Schwätzern, Sturzbetrunkenen, einsam vor sich hin sabbernden Gestalten. Manches gerinnt zur Genre-Szene wie auf alten Gemälden.

Ohne ein Wort Dialekt zu schreiben, vermittelt Kühn den anheimelnden, im Grunde aber stets etwas stumpfen und herb-säuerlichen Geschmack einer Region, die offenbar von wachsender Armut geprägt ist. Die Rest-Idylle dieses abgelegenen Winkels, in dem gelegentlich noch Schafhirten den Weg kreuzen, ist allzeit bedroht. Es ist, als seien manche Menschen, die hier auftauchen, die letzten ihrer Art, und als wolle der Dichter auch sie bewahren, indem er gegen das rasche Dahinschwinden von Natur, Geborgenheit und Heimat anschreibt. Angesichts gefällter Dorfbäume heißt es resignierend:

„Was brauchen wir? / Nur die Maschine, / die Sägemehl / zurückstanzt / zu einem Prachtbaum… Keinen Grashalm kann der Mensch bis heut erschaffen.“

Auch im Gasthaus entgeht man, allen Beschwörungen des Wirtes zum Trotz, nicht immer den Gedanken an die Ungastlichkeit der Welt. Und doch spendet die Kneipe als ein Ort der Zuflucht Hoffnung

„Zufrieden wird man nicht mit Morden, / doch mit Bier.“ Wie wahr, wie wahr.

Johannes Kühn: „Wasser genügt nicht“. Gasthausgedichte. Hanser Verlag. 132 S., 26 DM.

 




Marilyn Monroe und die Liaison mit dem Unglück – Neuer Deutungsversuch über ihre Ehe mit Arthur Miller

Von Bernd Berke

Es gibt diese exorbitanten Beziehungen, in denen Gefühlslagen ihrer Zeit in Liebesdingen zum Ausdruck kommen und dann von vielen, vielen Menschen nachgeträumt werden. Auch dann, wenn es eigentlich Alpträume sind. Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, John Lennon und Yoko Ono hatten solch beispielhafte Verhältnisse – oder auch Marilyn Monroe und Arthur Miller.

Aus exemplarischen Verbindungen zwischen berühmten Männern und Frauen bestreitet Rowohlt Berlin eine ganze Buchreihe. Jetzt ist Christa Maerkers Band zur Liaison Monroe/Miller erschienen.

Schon die Zeitgenossen, allen voran die Presse, sehen in der Verbindung zwischen dem Hollywood-Star und dem Dramatiker („Tod eines Handlungsreisenden“, „Hexenjagd“) eine geradezu mythische Qualität und bringen es auf die gemeine Formel: „Kopf heiratet Körper“. Die Autorin Christa Maerker sucht dies (wie so manche Biographen vor ihr) zu entkräften, wo sie nur kann. Sie schildert Marilyn Monroe als hypersensible junge Frau, die als Kind zwischen wechselnden Pflegeeltern und Heimen hin und her geschubst wurde.

Rilke-Lektüre in den Drehpausen

Ihr Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, die Mutter war dauerhaft psychisch krank. Sarkastisch gesagt: Allerbeste Voraussetzungen für eine negative Muster-Biographie, für fortwährendes Unglück, das sich in der Ehe mit dem etwas unterbelichteten Ex-Baseballstar Joe DiMaggio Bahn bricht.

Die darstellerisch überaus begabte Marilyn (bürgerlich: Norma Jeane Mortenson), die sich völlig verwandelt, sobald sie nur in ein Kameraauge blickt, liest in den Drehpausen z. B. Rilke-Gedichte und straft damit das Klischee vom blonden Dummchen offenbar Lügen. Oder ist es nur ein Fall von verzweifelter Ambition, gar von Persönlichkeits-Spaltung? Im Gefolge der Psychologin Alice Miller entdeckt Christa Maerker in Marilyns Lebenslauf jedenfalls das „Drama des begabten Kindes“.

In Hollywood zählt vor allem Marilyns leiblich-weibliche Erscheinung. Dabei will sie eben kein Kurvenstar sein, sondern unbedingt ernsthafte Rollen spielen. Welch eine Schmach, daß ausgerechnet der sonst so stockseriöse Laurence Olivier sie beim ersten Augenschein ein „süßes kleines Ding“ nennt und sich sofort verknallt. Auch er also…

Der ideale Ersatzvater?

Sie sehnt sich danach, das Star-Gehabe abzulegen und – es sind die 50er Jahre – endlich für einen Mann kochen, putzen und waschen zu dürfen. All den Rollen-Zwiespalt bekämpft sie mit Alkohol, Tabletten, flüchtigen Liebschaften.

Geradezu magnetisch bewegen sich alsdann die Lebenslinien von Marilyn und Arthur Miller aufeinander zu. Miller schien, so befindet Christa Maerker, der ideale Ersatzvater für Marilyn zu sein, sie habe ihn „Daddy“ genannt. Freilich wird das frische Eheglück schon 1956 getrübt, weil (so die Deutung) beide „zu hoch geträumt“, weil sie zuviel Erlösung voneinander erwartet hätten. Bis 1962 quälen sich die zwei dahin, Marilyn tröstete sich mehr schlecht als recht mit Yves Montand, mit John F. Kennedy und anderen.

Vor lauter Liebe das Atmen vergessen

Christa Maerker kann gar nicht umhin, sich aus vorhandenem Material zu bedienen, zumal aus Millers Autobiographie „Zeitkurven“ und Donald Spotos Marilyn-Biographie. Man kann es ihr kaum verübeln, daß sie parteilich aus Frauenperspektive schreibt (im Zweifel immer für Marilyn) und Arthur Miller jede klitzekleine Verfehlung vorrechnet.

Gelegentlich stochert Frau Maerker etwas ratlos in den Quellen herum und kramt diverse psychologische Erklärungsmuster hervor, dann wieder gibt sie sich allwissend, als sei sie stets dabei gewesen. Über Marilyns erste Begegnung mit Miller schreibt sie: „Als Marilyn seine Hand berührt, vergißt sie zu atmen… Marilyn Monroe hält die Luft an, schüchtern, ängstlich, hoffnungsvoll und beseelt, und Arthur Miller stößt sie in einem Erleichterungsseufzer aus.“

Trotz Solcher Schwächen versteht es Christa Maerker, das Interesse an ihrer Darstellung wachzuhalten. Kein Wunder. Von vielfältig schillernden Phänomenen wie Marilyn Monroe wird man noch sehr lange reden und raunen.

Christa Maerker: Marilyn Monroe / Arthur Miller (Reihe „Paare“). Illustriert mit Schwarzweiß-Fotos. Rowohlt Berlin. 186 Seiten, 34 DM.