Wenn selbst die Gangster diskutieren – Wim Wenders‘ Film „Am Ende der Gewalt“

Von Bernd Berke

Filmproduzent Mike Max sitzt vor seiner Traumvilla in Malibu – mit wundervollem Blick aufs Meer. Doch er nimmt nichts von all der Schönheit wahr. Er steht unter Streß, es gibt Finanzprobleme. Also hat sich Max mit technischen Apparaten umgeben, ja gepanzert: Handy, Laptop, Fax & Co. umzäunen ihn beängstigend eng.

Selbst Max‘ Trennung von seiner Frau Paige (diesmal ziemlich geziert: Andie MacDowell) erfolgt per Mobiltelefon. Gleichzeitig schießt ihm ein Kindheitsgefühl durch den Kopf: Immerzu hat er sich damals, im Kino wie in der Wirklichkeit, bedroht gefühlt. Und heute? Da ist seine technische Abschottung gegen die sinnliche Welt vielleicht schon ein früher Anfang der Gewalt, weil sie blind macht für Mensch und Natur.

Max (Bill Pullman) ist die Hauptfigur in Wim Wenders‘ Film „Am Ende der Gewalt“. Er managt die Herstellung brutaler Action-Streifen. Zu Beginn hat man gesehen, wie die Stuntfrau Cat (Traci Lind) beim Dreh einer Explosionsszene ganz reale Gesichtsverletzungen erleidet. Und man ahnt schon: Gewalt ist viel mehr als diese eine Wunde auf der Haut, sie tut sich auf wie ein Riß in der Realität.

Geheimer Überwachungsapparat

Und Gewalt richtet sich nun gegen den, der mit ihrer Darstellung Millionen verdient hat: Zwei Ganoven entführen Max und drohen, ihn draußen am Highway zu erschießen. Davor hat Wenders freilich die Debatte gesetzt. Choreographiert wie im Slapstick-Film, läßt er die Gangster über den Sinn des Mordens diskutieren. Anderntags werden die beiden Kidnapper tot aufgefunden, Max hingegen ist spurlos verschwunden. Was ist geschehen?

Die Spur führt zum zweiten Handlungsstrang: Ex-NASA-Mann Ray Bering (Gabriel Byrne) hat fürs FBI insgeheim einen Überwachungsapparat aufgebaut. Kameras sind in allen Winkeln der Stadt installiert, die Infos laufen in einem Observatorium zusammen, in dem Ray einsam vor -zig Bildschirmen sitzt. Er wird seinerseits kontrolliert von zwielichtigen Herren. Warum also verlischt das Monitorbild, als sich Ray die Kidnapping-Szenerie heranzoomen will?

Hat das FBI nur perfekte Verbrechens-Bekämpfung („Das Ende der Gewalt, wie wir sie kennen“) im Sinn? Oder ist diese Utopie pervers, weil sie zur Selbstjustiz führen muß? Hat der „Große Bruder“ die Kidnapper beäugt und durch eine mit Kameras kombinierte Schußanlage gleich eliminiert?

Das Kind, der Singvogel und die sanfte Berührung

Wenders‘ gut zweistündiges Werk bezieht aus diesem Rätsel Spannung. Es ist eine beharrliche, meist gleitend leichte Suchbewegung durch die Sphären der Gewaltsamkeit zwischen Wort und Tat.

Vielfach aber leuchten auch Gegenbilder unschuldiger Friedfertigkeit auf: ein Kind mit Luftballon, ein Singvogel, ein Moment der Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau. Mehr noch: Jener Ray, der eines Tages aussteigen will aus dem Überwachungs-Komplott, wird auf seinem Weg zur Arbeit immer wieder als bescheidener Wanderer gezeigt, der seine Lippen an einem Brunnen hetzt. Wie ein guter Hirte aus antiken Gefilden. Oder wie eine still durch die Zeiten gehende Figur von Peter Handke.

Max wiederum taucht, nachdem er den Kidnappern entkommen ist und unter Doppelmordverdacht steht, bei einer mexikanischen Einwandererfamilie unter, die ein Inbild gewaltfreier Freundlichkeit abgibt und Max gleichsam damit infiziert. Quellen der Hoffnung.

Der beharrliche, behütende Blick

Und dann ist da noch der fast naiv menschliche Polizist Doc Block (Loren Dean), der unter den Zynismen seiner Kollegen leidet und der an eine Erkenntnis der Teilchenphysik glaubt: Wenn man etwas ganz unverwandt anschaue, könne es sich verändern. Wer weiß, ob nicht auch die Überwindung der Gewalt zunächst eine Frage des „richtigen“ Hinsehens ist.

Einen solch großherzigen Blick, der eben nicht strikt überwacht, sondern im behütenden Sinne wachsam ist, erprobt Wenders am Ende: mit einer sich in die Weltweite ergießenden Kamerabewegung hebt er sich und uns über die Schauplätze hinweg. Eine fast schon göttliche Art des Schauens. Und er sah, daß es gut war? Nein. Aber, daß es einmal gut werden könnte.




Die Kunst braucht eine Seele – Ausstellung über Auguste Rodin und seine Wirkung im Marler „Glaskasten“

Von Bernd Berke

Marl. Das ist Gruppen-Dynamik im ganz elementaren Sinn: Umrundet man Auguste Rodins berühmte Skulptur „Die Bürger von Calais“ (1895), so ergeben sich immer wieder völlig neue, stets aber ausdrucksstarke Ansichten dieser sechs verzweifelten Menschen, die anno 1347 die Schlüssel der Stadt Calais an die englischen Belagerer abgeben mußten.

Von der einen Seite aus sieht man zum Beispiel ein veritables Gebirge von Körperteilen, von einer anderen – höchst filigran – das Spiel einzelner Muskeln.

Das grandiose Jahrhundert-Denkmal hat zahllose Bildhauer beeinflußt und ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen. Im Marler Skulpturenmuseum „Glaskasten“ wird einer von vier tonnenschweren Abgüssen gezeigt, die zu Rodins Lebzeiten entstanden sind. Auch weitere Schlüsselwerke des Franzosen gehören zur teuren Schau, die sich erst ab 50000 Besuchern rentiert. Falls das Ziel nicht erreicht wird, steht der Dortmunder Energiekonzern VEW mit einer sechsstelligen Ausfallbürgschaft für Verluste gerade.

Bis hin zu Bodenplatten und einer versenkten Säule

Konzept der Ausstellung: Rund 60 Skulpturen anderer Künstler (u. a. Lehmbruck, Hoetger, Kollwitz, Giacometti, Hrdlicka) lassen die Kraft- und Wirkungslinien hervortreten, die von Rodins Oeuvre bis in die Gegenwart reichen. Am Schluß des Rundgangs wird deutlich, wie die Skulpturen tendenziell Volumen verlieren und sich schließlich in die flache Ebene ducken. Carl Andre legt nur  noch Bodenplatten aus, Jochen Gerz versenkt gar eine Säule auf Nimmerwiedersehen in einer Erdöffnung. Damit ist wahrlich einNullpunkt erreicht.

Doch zurück zum Ursprung der Moderne und zum Zentrum der Ausstellung: Rodin, der zweimal von der Pariser Akademie abgelehnt wurde und sich daraufhin zugute hielt, dort nie „verbildet“ worden zu sein, durchbrach die herrschende Tradition seelenloser klassizistischer Glätte. Er beseelte das Material. Die Büste „Mann mit gebrochener Nase“, für die ein Stadtstreicher Modell saß, steht bereits für die Auflösung idealer und intakter Körperlichkeit. Figuren wie „Johannes der Täufer“ oder „Adam“ versetzte Rodin in derart expressive Bewegungen, daß die Zeitgenossen geradezu davor erschraken.

Das erste demokratische Denkmal

Auf die Spitze getrieben hat Rodin das dynamische Prinzip im vielfältigen Zusammen- und Widerspiel jener „Bürger von Calais“, die zugleich als erstes demokratisches Denkmal gelten. Denn sie erheben sich nicht mehr auf einem Ehrfurcht gebietenden Sockel. Der Betrachter, Bürger wie die Dargestellten, soll die Plastik „von gleich zu gleich“ anschauen.

Rodin verfuhr zwar konsequenter als andere, aber er war nicht etwa der radikalste Neuerer seiner Ära. Medardo Rosso („Konversation im Garten“, um 1896) löst die redenden Gestalten bereits fast zur Unkenntlichkeit auf. Die Skulptur wird zur zerklüfteten Landschaft, auf der sich das Licht impressionistisch brechen und streuen kann. Für die damalige Zeit eine unerhört abstrakte Schöpfung.

Der Rundgang führt an etlichen Kleinoden vorbei. Vom sonst nur als Maler bekannten Edgar Degas sieht man (posthum gegossene) Tänzerinnen-Figuren, von Henri Matisse zwei weibliche Akte. Die Leiber sind so geformt, als wären sie im Nu aus einem einzigen Block hervorgegangen.

Ganz anders das Verfahren von Auguste Rodin: Der hat vor den „Bürgern von Calais“ einzelne Kopf- oder Handstellungen erprobt, die er hernach In die Gruppe „einbaute“. Zudem hat er die Figuren erst nackt modelliert, bevor er sich an den Faltenwurf der Gewänder wagte. Auch so entsteht also Avantgarde: Schritt für Schritt.

Auguste Rodin – Werk und Wirkung. Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl (Creiler Platz). Bis 1. März 1998. Di-So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Eintritt 10 DM, Katalog 40 DM.




Von Weltwundern und zerbrochenen Eiern – Jan Hoet bringt Spitzenstücke aus Gent in den Kunstverein Schwerte

Von Bernd Berke

Schwerte. Dieser Kontakt erweist sich als wahrer Segen: Der Belgier Jan Hoet, 1992 Chef der Kasseler documenta, ist seit Jahren gern gesehener Freund und Gast beim Kunstverein in Schwerte. Nun arbeitet Hoet als Direktor des Genter „Museum van Hedendaagse Kunst“. Und er hat für Schwerte in die Genter Schatzkiste gegriffen.

Mit rund 20 Kunstwerken ergibt sich ein Querschnitt durch die famose Genfer Sammlung. Und wann hat man in Schwerte oder auch nur in der näheren Nachbarschaft schon mal einen echten Francis Bacon oder einen Magritte bewundern dürfen?

Wer jetzt freilich euphorisch in die Ausstellung stürmen will, wird erst einmal optisch gebremst: Eine Art Senkblei baumelt von der Decke herab und versperrt den direkten Weg. Die Vorrichtung markiert den Anfang der Schau. Sie heißt „Universal Plumbob“ und stammt von Royden Rabinovitch. Das Werk erinnert an eine physikalische Versuchsanordnung, strahlt aber vor allem kontemplative Ruhe aus und bereitet einen vor auf das Eintauchen in die Welt der Kunst, auf die innigere Art des Schauens.

Der strenge Geruch der verströmten Zeit

So eingestimmt, nähert man sich beispielsweise Gerhard Richters „Pyramide“ (1966). Das ägyptische Weltwunder ist bewußt völlig „unscharf“ gemalt, es erhebt sich wie hinter einer Nebelwand. Eine Erscheinung von halluzinatorischer Kraft. Im selben Raum leuchtet alarmrot eine Platte, auf die Marcel Broodthaers „289 Eierschalen“ (Titel, 1966) geklebt hat, allesamt an der Spitze aufgebrochen. Aus scheinbar banalen Einzel-Elementen erwächst eigentümliche Suggestion. Aufs Ei kommt auch Guillaume Bijl zurück. Er hat ein kleines Nest mit Gelege aus drei Billardkugeln gebaut. Schlichter Titel: „Sorry“. Eine Abbitte an düpierte Vögel?

Große Namen: Von Francis Bacon sieht man das fratzenhafte Bildnis eines Kardinals(1955), von Panamarenko ein gekacheltes Terrarium mit drei Krokodil-Figuren (1967), von Bruce Nauman einen Videofilm über Gewalt, von Joseph Beuys die in einen Schrank gesperrten Kunst-Stoffe „Butter und Bienenwachs“ (1975), welche mittlerweile strengen Geruch absondern. Der Duft der verströmten Zeit…

Ab 16. Dezember wird dann noch als absolutes Spitzenstück „Manets Balkon“ (1950) hinzukommen, auf dem René Magritte die menschlichen Figuren durch Särge ersetzt hat.

In jedem Raum der Ausstellung finden sich jene nüchternen Schwarzweiß-Fotos von Zoe Leonard: Sie zeigen, immer wieder, eine Vagina in quasi gynäkologischer Frontalansicht. Doch die Künstlerin hat genau das Gegenteil von Pornographie im Sinn. Sie will zu einer unverstellten, noch nicht von Phantasien besetzten Körperlichkeit zurück.

Kunstverein Schwerte (Kötterbachstraße 2). Eröffnung heute um 20.00 Uhr mit Ansprache von Jan Hoet. Bis 18. Januar 1998. Di.Fr 16-19 Uhr, So 15-18 Uhr, Eintritt frei.




Rainer Fetting sieht in Willy Brandt den aufrechten Charaktermenschen

Von Bernd Berke

Dortmund. Ideale Ergänzung zur mit Spannung erwarteten Uraufführung der Willy-Brandt-Oper „Kniefall in Warschau“: Die WR präsentiert im Foyer des Dortmunder Opernhauses eine Ausstellung von Rainer Fetting.

Der Künstler hat sich bildnerisch intensiv mit dem 1992 verstorbenen Altbundeskanzler befaßt. Vor der ausverkauften Opern-Premiere (20 Uhr am kommenden Samstag) wird um 18 Uhr die Schau mit rund 80 Arbeiten eröffnet. Zu sehen ist auch eine kleinere Vorstudie zu jener Brandt-Skulptur, die den Eingangsbereich der SPD-Parteizentrale in Berlin beherrscht. Im Kleinformat wirkt Brandt beinahe ein wenig introvertiert oder zumindest sehr nachdenklich, während die größere Statue eher den Visionär zeigt.

Zur erlesenen Dortmunder Auswahl gehören auch malerische Arbeiten zum Themenkreis Brandt, außerdem einige Berlin- und Mauer-Bilder sowie originelle Variationen zu einem noblen Thema aus der Kunstgeschichte: Fetting löst Diego Velazquez‘ berühmte „Infantinnen“ aus der Haupt- und Staatsaktion heraus und stellt sie als Individuen dar.

Rainer Fetting weilte gestern mit seinem Berliner Galeristen Werner Tammen in Dortmund, um die Anstellung aufzubauen. Anschließend besuchte er die WR-Redaktion. Fetting: „Willy Brandt hat mich schon immer sehr interessiert.“ Allerdings nicht in erster Linie als politische Figur, sondern als aufrechter Charakter – und als visuelle Aufgabe. Auch hier also die Blickrichtung aufs Individuelle, ein vorwiegend emotionaler Zugang. Künstlerisch läßt sich ein solcher Ansatz nicht reibungslos und glatt umsetzen. Rainer Fettings Brandt-Figur wirkt denn auch zerklüftet und schrundig.

Natürlich wird der Künstler zur Premiere der Oper kommen. Ohne die Partitur von Philipp Kochheim zu kennen, verrät Fetting seine eigene Präferenz: Er würde Willy Brandt am liebsten Musik von den „Rolling Stones“ oder von Jimi Hendrix zugesellen. Und er könnte sich durchaus vorstellen, zu dieser Oper selbst einmal ein Bühnenbild zu entwerfen.




Die letzte Gala-Nacht der „TeleStars“

Von Bernd Berke

Im Recklinghäuser Süden scheint ein Nest zu sein, aus dem gelegentlich Fernsehprominenz schlüpft. Als am Samstag im Kölner Edelhotel „Maritim“ die begehrten „TeleStar“-Preise von ARD und ZDF verliehen wurden, gab es kraftvolles Lokalkolorit aus der Stadt der Ruhrfestspiele.

Fußballreporter Werner Hansch, zur allgemeinen Verblüffung Preisträger in der Sparte Information/Dokumentation (mit seinem wie gewohnt kernigen Bericht vom siegreichen Schalker UEFA-Cup-Finale), war in der weitläufigen Atriumhalle des Hotels mit einem TeleStar-Gewinner ganz anderen Zuschnitts ins Gespräch gekommen: Heinrich Breloer, Autor und Regisseur von „Das Todesspiel“, jenes bewegenden Dokumentar-Dramas über den „Deutschen Herbst“ des Jahres 1977. Hansch: „Wir haben festgestellt, daß wir beide die Marienschule in Recklinghausen besucht haben – unter dem selben Rektor.“ Hört, hört! Vielleicht sollte man hoffnungsvollen TV-Nachwuchs künftig sofort an dieser Lehranstalt rekrutieren.

Breloer bekam gleich dreifach bescheinigt, daß er für das wohl nachhaltigste Fernsehereignis des Jahres gesorgt hat. Nicht nur er selbst wurde für „Das Todesspiel“ ausgezeichnet, sondern auch Produzent Ulrich Lenze und Hauptdarsteller Hans Brenner, der den von der RAF entführten und dann ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer ungeheuer nuanciert gespielt hatte. Brenner bewies auch in seinen Dankesworten Einfühlungsvermögen: „Für diese Rolle einen Preis zu bekommen, ist nicht unproblematisch.“

„Ich faß‘ es nicht. Wunderbar!“ gluckste hingegen Evelyn Hamann, als sie zur besten Seriendarstellerin („Adelheid und ihre Mörder“) ernannt worden war. Dieter Pfaff wurde derweil zum besten männlichen Serienhelden für seine Rolle des „Bruder Esel“ gekürt.

Entzückendes Tigerkleid

Was keinen mehr wunderte: Harald Schmidt durfte sich natürlich auch in Köln seinen Preis (in der Sparte Unterhaltungs-Moderation) abholen. Großes Gelächter gab’s im Saale, als Schmidt sich linkisch wie ein Pennäler gab und die Wahl „eine Überraschung“ nannte. Jedenfalls dürfte sein Pokalschrank allmählich gefüllt sein. Und man fragt sich, was für die nächsten Jahre noch bleibt.

Auf Länge gesehen (gestern im ZDF gab es nur Ausschnitte), erwies sich das Verfahren der Preisvergabe als etwas eintönig. Moderator Kai Böcking besorgte die Überleitungen, dann kamen die Lobredner (Hera Lind, Ulrich Wickert, Didi Hallervorden, Roger Moore und Co.) jeweils durch einen wabernden Trockeneis-Nebel auf die Bühne, öffneten schließlich den Umschlag mit dem Namen des Gewinners – und es folgte das meist herzlich belanglose Bitteschön-Dankeschön-Ritual.

Da ließ sich der allgemeine „Bussi Bussi“-Reigen der TV-Prominenz zur nachfolgenden Schlacht am Buffet schon entspannter an. Und Roswitha Schreiner (ehedem Martin Lüttges zierliche Mitstreiterin am Düsseldorfer „Tatort“) trug ein ganz entzückendes Kleid mit getigertem Muster, das die Fotografen in Scharen anlockte…

Im nächsten Jahr wollen ARD und ZDF die „TeleStars“ zumindest mit den „Goldenen Löwen“ von RTL zusammenlegen. Auch SAT.1 soll mitmachen, ziert sich aber noch. Kai Böcking wandelte den Werbespruch Senders ab: „SAT. 1 – Ich drück mich…“




„Königsberger Möpse“ und die Dichtkunst – Sprachpreis an Zyniker Harald Schmidt

Von Bernd Berke

Die ehrwürdige Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) feiert ihren neuen Preisträger: Der Mann habe außerordentliches Gespür für die „extensive Nutzung der unterschiedlichen sprachlichen Möglichkeiten“. Seine Texte zeugten von „geistiger Freiheit und politischer Widerborstigkeit“, er stehe in der Tradition von Dichtern wie Joachim Ringelnatz und Christian Morgenstern. Doch kein Belletrist wird hier gepriesen, sondern Harald Schmidt.

Der „Zyniker der Nation“ ist bekanntlich viermal in der Woche mit seiner Nacht-Show beim Privatsender SAT.1 im Programm. Er hat in diesem Jahr schon etliche Auszeichnungen kassiert: Ein Adolf-Grimme-Preis wurde ihm angetragen, und RTL beeilte sich, ihm einen „Goldenen Löwen“ zu verleihen. Im Vorübergehen nahm er eine „Bambi“-Figur mit, und am nächsten Wochenende könnte noch ein „TeleStar“ hinzukommen. Da mochte auch die in Wiesbaden ansässige Gesellschaft für deutsche Sprache nicht hintanstehen und vergab ihren „Medienpreis für Sprachkultur“ an „Dirty Harry“.

Spaßeshalber hat sich die WR daraufhin gestern von SAT.1 noch einmal eine Liste mit Schmidt-Sprüchen besorgt. Wir zögern nicht, daraus zu zitieren.

Beispiel eins: „Kennen Sie den Unterschied zwischen Panzerotti und Pavarotti? – Panzerotti sind gefüllte Nudeln und Pavarotti ist gefüllter Sänger…“ Beispiel zwei: „US-Präsident Bill Clinton läßt für ein gutes Footballspiel jede Sekretärin liegen“. Und wie definiert man den Exorzisten? Das ist einer, „der seinen Job macht auf Teufel komm raus“. Nicht sonderlich subtil. Auch jene „Königsberger Möpse“ in einem von Schmidt ersonnenen Erotik-Kochbuch sind eher rasch verderbliche Kicher-Ware.

Lassen wir also Ringelnatz und Morgenstern mal ganz beiseite, denn die haben mit der Sprache nicht gejuxt, sondern gezaubert. Konzentrieren wir uns auf Schmidt selbst, der ja übrigens auf Texte einer großen Schar von Gagschreibern zurückgreift und diese dann unnachahmlich präsentiert.

Die meisten seiner Scherze sind keine Sprachspiele, sondern blitzartige Witze, die ihre Einschlagwirkung aus dem aktuellen Hintergrund, dem Ritual des Vortrags und gezielten Tabubrüchen beziehen. Außerdem waltet das Lach-Gesetz der Serie, denn Schmidt greift sich Lieblingsopfer wie Model Claudia Schiffer oder Fußballer Lothar Matthäus immer wieder heraus.

So richtig werden sich wohl all jene über die Jury-Entscheidung ärgern, die Schmidt für einen Ausländerfeind (Polen-Witze) halten. Für diese und für die Gegenpartei haben wir noch einen gutnachbarlichen Spruch: „Prinz Wilhelm Alexander der Niederlande sucht eine Frau. Die Frau hat ein tolles Leben vor sich, sie wird die Herrscherin über acht Millionen Wohnwagen..“

 




Ist die Haut der Dinge schon die Botschaft? Ahlen präsentiert Italiens Top-Designer Alessandro Mendini als Maler

Von Bernd Berke

Ahlen. Sie ist vielleicht typisch deutsch – die strikte Trennlinie zwischen E- und U-Kultur, zwischen hochheiligem Ernst und Gebrauchswert. Die meisten Aussteller scheiden hierzulande streng die freie von der angewandten Kunst. In Ahlen will man jetzt diese Grenze überspringen, indem man das (bislang meist verborgen gebliebene) malerische Werk des italienischen Top-Designers Alessandro Mendini vorstellt.

Doch was heißt hier eigentlich Malerei? Ausstellungsmacher Peter Weiß hat den Begriff, ganz in Mendinis Sinn, sehr weitherzig ausgelegt. Für den 1931 geborenen Mailänder sind nämlich bereits in kreativer Absicht kolorierte Kannen oder Vasen keine Gebrauchsgegenstände, sondern just „Gemälde“. Auch die Farbe auf einem Haus, so findet er, sei nicht mehr Element der Architektur, sondern Malerei.

Man könnte den Verdacht hegen, daß hier ein Mann, dessen Design-Schöpfungen – trotz gelegentlicher Kühnheit – letztlich dem (Luxus)-Alltag verhaftet bleiben, ein Stückchen näher an die Hochkunst und somit an die „Ewigkeit“ heranrücken will. Wer aber diese Grenze gar nicht gelten läßt, wird besonderes Vergnügen an der Ausstellung haben.

Die Ahlener Retrospektive mit rund 110 Arbeiten setzt 1972 ein und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart. Gleich zu Beginn dieser Zeitspanne hat Mendini eine Kommode mit einem Farbmuster nach Art von Wassily Kandinsky überzogen. Das noble Zitat aus der Kunsthistorie wird zur schieren Oberflächenerscheinung, die den Gegenstand freilich veredelt.

Ein Sessel mit zahllosen Farbpunkten

Ist also die Außenhaut der Dinge bereits die Botschaft, verbirgt sich nichts Höheres oder Tieferes dahinter? Ähnlich wie mit der Kommode verhält es sich, wenn Mendini einen „Proust-Sessel“ – zum Gedenken an den französischen Schriftsteller – ganz und gar mit flirrenden Farbpunkten übersät. Das Möbelstück (Kostenpunkt: rund 20 000 DM) mutiert so zum dreidimensionalen pointillistischen Bildzitat. Marcel Proust selbst, so der Hintergedanke, hat sich mit (zweitklassigen) impressionistischen und pointillistischen Bildern umgeben.

In dieser Ausstellung begegnet man allerdings einer solchen Vielfalt von Gestaltungsweisen, daß man den Urheber gar nicht recht fassen und festlegen kann. Ist dies alles wirklich einem einzigen Geiste entsprungen? Wahrscheinlich ja einem Geist der Postmoderne: Alles geht, alles ist möglich – das schwarzgelbe Schachbrettmuster, die mit Sand und Steinchen gefüllten Plexiglas-Stühle, die mit Standardmustern versehene Rauminstallation, der an Vergänglichkeit mahnende Tisch mit Totenkopf-Motiv auf der Platte.

Vielfach scheint der Künstler die Schablone anzulegen: Hat er einmal gefällige oder sonstwie bemerkenswerte Formen gefunden, beispielsweise eine stilisierte Schlangenfigur, ein Auge oder eine Art Schmetterlingswesen, so tauchen diese in etlichen Zusammenhängen immer wieder auf – mal als Teppichmuster, mal als Motiv eines Tafelbildes, mal als Bild-„Tapete“. Schlange hier, Schmetterling da. Und manches Gemälde erscheint mit seinen künstlich-cremig wirkenden Farben wie direkt vom Çomputerbildschirm kopiert. Der menschliche Genius zieht sich eben früh zurück, doch die einmal gefundene Form besteht weiter und führt ein Eigenleben.

An eine solch universelle (Wieder-)Verwendung von Bildelementen könnten sich geradezu philosophische Gedanken über Unendlichkeit knüpfen. Sie liegen dem gewieften Theoretiker Mendini, der auch als Zeitschriftenmacher für seine Ideen und Kreationen stritt und der in Gruppierungen wie „Alchimia“ viele Jünger um sich scharte, tatsächlich nicht fern.

Alessandro Mendini – „Entworfene Malerei. Gemalte Entwürfe“. Bis 1. Februar 1998. Di / Do 15-18, Mi / Fr 15-19, Sa / So 10-18 Uhr. Mo geschlossen. Kunst-Museum Ahlen, Weststraße 98. 02382 / 91 83 20. Eintritt 8 DM, Katalog 38 DM.