Was ist echt, was ist falsch? – Vom Unbekannten mit Schlapphut und der Essener „Jawlensky-Ausstellung“

Von Bernd Berke

Essen. Ein richtiger kleiner Kunst-Krimi verbirgt sich hinter der neuen Ausstellung im Essener Folkwang-Museum. Man stelle sich vor: Da tauchte vor Jahren ein anonymer Herr mit tief ins Gesicht gezogenem Schlapphut auf und führte dem deutschen Markt Hunderte von Aquarellen des modernen Klassikers Alexej von Jawlensky (1864-1941) zu. Von der Existenz einer solchen Werkgruppe hatte bis dato auch die Fachwelt nichts gewußt oder auch nur geahnt.

Spurlos ist der „große Unbekannte“ mit dem Schlapphut dann wieder verschwunden – und er hat ein bisher ungelöstes Rätsel hinterlassen: Sind die angeblich zwischen 1906 und 1920 entstandenen Aquarelle echt, oder handelt es sich um raffinierte Fälschungen?

Die Frage konnte nicht einmal naturwissenschaftlich geklärt werden. Stichprobenartige Materialuntersuchungen (Papier- und Farbsorten usw.) ergaben zwar keine Hinweise auf Fälschungen, doch die Herkunft des Riesenkonvoluts von 600 Aquarellen (waren sie in Revolutions- und Kriegswirren versteckt worden?) ist nun einmal höchst dubios. Einige Experten haben die Echtheit heftig bestritten.

Ein Wagnis fürs renommierte Museum

Es bedeutet also ein gewisses Wagnis, wenn jetzt das renommierte Folkwang-Museum diese Dinge ausstellt. Das Unterfangen könnte den guten Ruf ankratzen. Andere Häuser mochten dergleichen nicht riskieren, die Ausstellung hat keine weitere Station.

Museumsdirektor Georg-W. Költzsch sah sich denn auch zu Klarstellungen genötigt: Keinesfalls werde die Schau von Privat-Galerien mitfinanziert, die an einer Aufwertung der Aquarelle interessiert sein könnten. Man wolle selbst an der Klärung mitwirken und sei für alle Thesen empfänglich. Eine hochkarätig besetzte Fachtagung könne womöglich erste Aufschlüsse geben. Im Falle eines Nachweises werde man auch Fälschungen zugestehen. Költzsch: „Wir stellen uns dem Härtetest.“

„Wir wollen es wissen!“ sagt auch Prof. Michael Bockemühl (Kunsthistoriker an der Privatuni Witten/Herdecke), der die Ausstellung maßgeblich mitbetrieben hat und die Bilder für echt hält. Bockemühl: „Bisher gibt es kein stichhaltiges Argument dagegen.“ Man habe einen Briefwechsel zwischen Alexej von Jawlensky und seinem Bruder aufgefunden, in dem von einer Vielzahl von Aquarellen die Rede sei.

Ratlose Parole: „Das Auge ist der Richter“

Die Ausstellung führt eine Auswahl von 37 Ölgemälden (darunter Leihgaben aus dem Hagener Osthaus- und dem Dortmunder Ostwall-Museum), welche unstreitig von Jawlensky stammen, mit 150 der zweifelhaften Aquarelle zusammen. Motto der Auswahl: „Das Auge ist der Richter“. In aller Ratlosigkeit stellt man die Frage nach Original und Fälschung jetzt auch subjektiver Betrachtung anheim.

Es befinden sich ersichtlich einige dermaßen unausgereifte Aquarelle in der Ausstellung, daß sie wohl schwerlich von Jawlensky stammen können. Zugleich sind solche minderen Stücke aber auch ein Argument gegen die Fälschungs-Hypothese. Welcher Nachahmer würde solche Werke in die Welt setzen, wenn er doch den Eindruck erwecken will, sie stammten von einem großen Künstler? Und welcher Kopist würde überhaupt 600 Aquarelle produzieren und damit die Preise per Überangebot wieder nach unten drücken?

Etliche Aquarelle zeugen aber von meisterlichem Duktus, der auf Jawlensky hindeutet. Hier und da weist die Strichführung auf den sicher zugeschriebenen Ölbildern und den motivisch vergleichbaren Aquarellen (Porträts, Mittelmeer-Landschaften usw.) frappierende Ähnlichkeiten auf. Nur: Auch dies könnte auf einen geschickten Fälscher schließen lassen…

Museum Folkwang, Essen (Goethestraße / Tel.: 0201 / 884 53 14). Bis 22. März. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr. Katalog 45 DM.

 




Das Revier soll leuchten – Pläne der Kultur Ruhr GmbH für die nächsten Jahre

Von Bernd Berke

Dortmund. Sage niemand. daß man bei der Kultur Ruhr GmbH keine Visionen hat: „Weltmusik vor der Haustür“, „inszenierte Landmarken“, allerlei Gesamtkunstwerke und zahllose kulturelle „Vernetzungen“ – ja, das alles und mehr hatte die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Gepäck, als sie jetzt im Dortmunder Harenberg City-Center mitteilte, wohin – bis übers Jahr 2000 hinaus – in Sachen Revierkultur „die Reise geht“. Nach rund eineinhalb Jahren Vorarbeit hat sich ein Kern von 18 größeren Projekten herausgeschält. Doch längst nicht alle sind wirklich schon spruchreif.

Prof. Karl Ganser, Aufsichtsratsvorsitzender der Kultur Ruhr GmbH, legt Wert darauf, daß man keine teuren Stars ins Ruhrgebiet einfliege. Vielmehr sollen alle Vorhaben aus der kulturellen Substanz der Region selbst hervorgehen. Subventionierte Häuser und freie Szene arbeiteten dabei endlich einmal Hand in Hand. Kennzeichen etlicher Pläne: Die Industrielandschaft werde direkt ins künstlerische Geschehen mit einbezogen. Und „Vernetzung“ ist (wie so oft) das gängige Zauberwort.

Ein Star kommt doch: US-Künstler Richard Serra („Terminal“-Stahlplastik am Bochumer Hauptbahnhof) soll die Schurenbach-Halde zwischen Essen und Gelsenkirchen als riesige Landschafts-Skulptur gestalten. Die Halde wird nach seinen Vorgaben gepflügt und dann mit einer Walzstahlplastik gekrönt. „Erhabene Ruhe“ soll der Ort sodann vermitteln – Beispiel für „Landmarken“-Projekte.

Dortmunder „U“ – ein „Ort der Ungewißheit, des Stillstands“

Auch Dortmund bekommt etwas ab. Die hiesige „Landmarke“ ist das „Dortmunder U“, weithin sichtbarer Leucht-Buchstabe über dem früheren Gelände der Union-Brauerei. Noch weiß niemand, was mit diesem Innenstadt-Areal geschehen soll. An diesem „Ort der Ungewißheit, des Stillstands“ (Ganser) werden etwa 25 Künstler noch im Sommer 1998 womöglich zukunftsträchtige Zeichen setzen. Hintergedanke: Künftige Investoren sollen animiert werden, mit der bedeutsamen Stätte nicht nur kommerziell, sondern auch kreativ umzugehen. Ähnliche Impulse könnte der künstlerische Zugriff auf den Förderturm der ehemaligen Zeche Königsborn in Unna geben. Hier befindet man sich aber erst in der Ideenphase.

Jede Menge Festivals vor Industriekulissen

Ein weiteres Projekt trägt den neudeutschen Arbeitstitel „Connected Cities“ und soll die Revierstädte mit noch nicht näher bezeichneten Performance- und „Netzaktionen“ virtuell verknüpfen. Umfangreiche Ausstellungen im Essener Ruhrlandmuseum sowie in den Industriemuseen sind gleichfalls vorgesehen. Zur Jahrtausendwende soll hier „ein letzter Rückblick“ auf die unvergleichliche Gestalt dieser Industrieregion gerichtet werden.

Hochfliegende Pläne auch auf dem klingenden Sektor: Ein 1999/2000 anstehendes Festival „Musik-Theater Revier“ soll E-Musik und Industriekulisse auf unerhörte Weise verschmelzen: Wagner-Töne im Gasometer, Kompositionen von Edgar Varèse in einer Kokerei, geistliche Musik in alten Fabriken. Außerdem sollen Stücke für Maschinen geschrieben werden, z. B. eine Sinfonie für Sirenen…

Weitere Projekte der Kultur Ruhr GmbH (Tochter des Kommunalverbands Ruhrgebiet, des Vereins Pro Ruhrgebiet und der IBA Emscherpark) seien im Schnelldurchgang genannt: Festival mit „Weltmusik vor der Haustür“, möglichst bestritten von Revierbewohnern aus allen Ländern, „Jazz-Podium Ruhr“, „Internationales Chor-FestivaI“, „Fortissimo“ (gleichsam schwimmende Musik auf Schiffen, Rhein-Herne-Kanal), ein „Don Quichote“ als vielsprachige Euro-Theaterproduktion und „Ruhrwerk“, ein alle Künste vereinendes Bühnen-Projekt, frei nach einem Einfall von Bert Brecht.

NRW-Kulturministerin IIse Brusis war jedenfalls von der Ideenflut beeindruckt. Das alles werde dem Revier „neuen drive“ geben, befand sie.




„Götter Helden + Idole“: Eröffnungsschau in der völlig umgebauten Ludwig Galerie Schloß Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Welch ein verwirrender Empfang im Museum. Wer jetzt den Hauptflügel des Schlosses Oberhausen betritt, steht gleich vor einer Buddha-Figur. Das wird wohl eine Ostasien-Ausstellung sein, könnte man denken. Doch gleich hinter der ehrwürdigen Skulptur lächelt, achtfach vervielfältigt, Andy Warhols knallbunte Marilyn Monroe. Daneben wiederum zieht Warhols doppelter Elvis Presley zwei Colts. Buddhismus, weiblicher Eros und Rock’n’Roll. Ja, worum geht es denn hier eigentlich?

Auflösung folgt sogleich: Die Premieren-Schau der für 10,7 Mio. DM gänzlich umgebauten Ludwig Galerie im Schloß heißt „Götter Helden + Idole“. Solche Gestalten, die die Sehnsucht nach übermenschlichen Vor-Bildern stillen sollen, hat es eben zu allen Zeiten gegeben. Als religiöse Bildnisse diese Bedürfnisse nicht mehr befriedigten, haben die Stars aus Film und Pop-Musik das Erbe angetreten.

Die Ausstellung, größtenteils aus den weltweit verteilten Beständen der famosen Ludwig-Sammlungen bestückt, vereint somit ebenso kontrast- wie aufschlußreich Idole aus allen Kulturen und Epochen: Antike Heldenporträts stehen neben christlichen Heiligenfiguren und furchtlosen Rittern. Man bestaunt den Totem mit übergroßem Gemächt, Picassos Mischformen aus Mensch und Stier (Minotauren) sowie das vollends erkünstelte Idol Michael Jackson. Von Filmplakaten herab überwältigen entrückte Schönheiten wie Sarah Bernhardt oder Marlene Dietrich durch superbe Erotik. Und eines der rissigen Bilder von Anselm Kiefer zeigt, daß man auch mit architektonischen Pathosformeln Eindruck schinden kann.

Geschichte der Imponier-Gebärden

Der Rundgang soll nicht in erster Linie kunstgeschichtliche Kenntnisse vertiefen, sondern spontane Assoziationen hervorrufen. Man erfährt eine Menge über die bildlichen Strategien, mit denen Menschen optisch in Bann geschlagen und zur Ehrfurcht gebracht werden sollen, ja man könnte respektlos von einer „Kulturgeschichte der Imponier-Gebärden“ sprechen.

Es fällt auf, daß praktisch alle Idole, seien es indische oder afrikanische Gottheiten, seien es Rockstars, dem Betrachter frontal gegenübertreten. Manche Figuren haben geschlossene Augen, sie beachten einen nicht; andere starren herausfordernd oder furchterregend. Vielleicht haben die Idole selbst Angst, daher müssen sie uns Respekt einflößen. Gelegentlich ist dazu überhaupt kein Gesicht nötig, es reicht die Körperhaltung eines Torsos, um Macht und Würde auszudrücken.

Aggression oder unendliche Ruhe

Zwei Grundsorten von Idolen scheint es zu geben: Die einen legen es auf aggressive Bezwingung des Betrachters an, bei den anderen steckt in unendlicher Ruhe die überlegene Kraft. Allen gemeinsam ist, daß sie nichts Individuelles mehr ausstrahlen. Genau deshalb wirken sie überirdisch.

Eine weit ausgreifende Schau also zum Start des in eineinhalb Jahren völlig umgestalteten Museums, das am Sonntag von Ministerpräsident Johannes Rau und Peter Ludwigs Witwe Irene eröffnet wird. Vor den historischen Baukörper hat der Düsseldorfer Architekt Prof. Fritz Eller eine filigrane Glas-Stahlkonstruktion gesetzt. Effekt: Sonst stehen Vitrinen im Museum, hier scheint es fast, als sei das Museum einer riesigen Vitrine einverleibt worden. Durchs feine Entrée wurde auch mehr Platz für die Kunst geschaffen. Kurz und gut: Das Revier hat eine neue Attraktion.

Ludwig Galerie Schloß Oberhausen. Konrad-Adenauer-Allee 46 (über A 42, Abfahrt OB-Zentrum). Eröffnungs-Ausstellungen über „Götter, Helden + Idole“ (Katalog 38 DM) sowie zur Geschichte der Micky Maus (Nebengebäude), jeweils bis 13. April. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Eintritt 8 DM.




Spröder Charme und Lockung des Geldes – Impressionen aus Europas Kulturhauptstadt Stockholm

Aus Stockholm berichtet
Bernd Berke

Man stelle sich vor: Ein Theater, das auf seinen sieben Bühnen bis zu 1400 Aufführungen im Jahr abliefert und von morgens 10 Uhr bis zum späten Abend in Betrieb ist. In dem Gebäude herrscht schon tagsüber ein Kommen und Gehen wie in einer deutschen Großstadt-Fußgängerzone am Samstag. So etwas gibt s vielleicht nur in Stockholm, der neuen „Kulturhauptstadt Europas“.

Stockholms „Stadsteater“, einst mit sozialistischer Zielsetzung städtisch gegründet und künstlerisch meist im Schatten des königlichen „Dramaten“, befindet sich im riesigen Glas- und Beton-Kasten „Kulturhuset“ am „Sergels Torg“ inmitten der Stadt.

Melancholie am Saum des Kontinents

Nein, schön ist dieses Zentrum der schwedischen Hauptstadt nicht. Man erschrickt über Architektursünden sonder Zahl. Eine Internationale Bauausstellung, die einige Scheußlichkeiten hatte mildern können, wäre im Kulturjahr keine üble Sache gewesen. Immerhin gibt’s eine Fachkonferenz zum Thema.

Es lastet zu dieser Jahreszeit immer noch eine fast durchgehende Dämmerung auf der Stadt. Derlei Düsternis hat wohl schon manchen Winter-Touristen mit sanfter Melancholie erfüllt. Die Schweden trösten sich mit der Vorfreude auf helle Mittsommerwochen.

Besucher der Euro-Kulturhauptstadt, die mit rund 1200 Veranstaltungen lockt, tun jedenfalls gut daran, sich vor allem die Altstadt rings ums königliche Schloß anzusehen. Hier spürt man den (spröden) Charme dieser Kapitale. In besagtem Schloß verrichtet König Carl XVI. Gustav nur noch seine Amtsgeschäfte, ansonsten residieren er und seine Gattin Silvia draußen vor den Toren der Stadt – im idyllischen Schloß Drottningsholm.

Bestens erhaltenes Barocktheater

Auf dem gleichen Areal erhebt sich auch das 1764-66 erbaute, wohl besterhaltene Barocktheater der Welt mit einer fabelhaften Illusionsbühne und funktionierender Maschinerie. Hier gibt es im Sommer Ballett und Musiktheater vor historischer Kulisse, in diesem Jahr z. B. Opern von Gluck. Für König und Königin sind zwei Zuschauersessel in der ersten Reihe reserviert.

Peter Wahlqvist, Intendant des Stadsteater, hofft mit allen Veranstaltern der „Kulturhauptstadt“, daß Schweden nun ein wenig aus seiner kulturellen Randlage in Europa herausfindet. Umgerechnet rund 120 Mio. Mark stehen zur Verfügung, mit rund 60 Ländern in aller Welt kooperiert man. Bereits der famose Auftakt war außereuropäisch: Ein japanisches Feuerwerk zauberte tausend Farben an den Himmel über Stockholm.

Robert Wilson, Peter Brook und Pina Bausch gastieren

Mit gutem Geld lassen sich Berühmtheiten des Welttheaters in die von Ostsee-Schären umsäumte Millionenstadt holen. Beispielsweise Robert Wilson, Robert Lepage, Peter Brook und – erstmals seit über 16 Jahren in Schweden – Wuppertals Tanztheaterchefin Pina Bausch. Wilson inszeniert August Strindbergs „Ein Traumspiel“, Lepage führt im Stockholmer E-Werk bei Fernando de Rojas „Celestina“ Regie, Brook zeigt Mozarts „Zauberflöte“, Pina Bausch unter anderem „Café Müller“.

Die bekanntesten Kulturschaffenden Schwedens steuern gleichfalls Neues bei: Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman sorgt für die Uraufführung von Per Olov Enquists Stück „Bildermacher“, der Dramatiker Lars Noren hat sein Drama „Personenkreis 3:1″ für die Bühne eingerichtet (zu neuesten Querelen zwisehen Noren und Bergman siehe Meldung auf dieser Seite).

Ein 69 Meter langer Mythos der Seefahrt

Das meistbesuchte Museum der Stadt heißt „Vasa Museet“. Hier kann man das erst 1961 geborgene, 69 Meter lange Kriegsschiff „Vasa“ fast im Originalzustand bestaunen. König Gustav II Adolf hatte es anno 1625 in Auftrag gegeben. Der Größenwahn des Monarchen, nachträglich eine weitere Kanonen-Etage obenauf setzen zu lassen, brachte die Dimensionen des Schiffs völlig aus der Balance. Schon bei der Jungfernfahrt im Jahre 1628 vor Tausenden von Zuschauern, kenterte und sank der „stolze“ Dreimaster – in Schweden ein Mythos von „Titanic“-Ausmaßen. Just vor diesem Schiff sollen im Rahmen des Kulturjahres die Berliner Philharmoniker spielen. Das werden erhabene Momente sein.

Programme der Euro-Kulturhauptstadt sind (in englischer Sprache) erhältlich über: Box 16398, SE-10327 Stockholm, Schweden (Tel.: 0046 8-698 1998).




Das beruhigende Gefühl in der Dunkelheit – Die asketischen Arbeiten des Rolf-Gunter Dienst in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Lauter schwarze Bilder. Gut, daß wenigstens die Wände weiß sind. Denn ansonsten werden Besucher im Bürgersaal des Von der Heydt-Museums ringsum von Finsternis umfangen.

Doch Rolf-Gunter Dienst (55), der diese großformatigen düsteren Tafeln schuf, meint es nicht als Ausdruck der Bedrohung. Im Gegenteil: Er jedenfalls fühle sich im Dunkeln wohl, er fühle sich aufgehoben. Auch habe das Dunkel etwas „Egalitäres“ an sich, es mache alle und alles gleich.

Gedichte des irischen Nobelpreisträgers Seamus Heaney dienten als Inspiration zur dreizehnteiligen „Schwarzen Serie“, die erstmals das Atelier des Künstlers verläßt. In Heaneys Lyrik, so findet Rolf-Gunter Dienst, könne man die Dunkelheit oft mit Händen greifen. Zitat-Probe: „Aus schwarzem Rachen / Des Torfes zieht sich die scharfe Weide / freundlich zurück…“ Auch von „Höhlendunkel“ oder „Dämmersonnen“ ist in jenen Versen die Rede, die die Phantasie des Künstlers angeregt haben und die auch dem Besucher als vage Assoziations-Hilfe dienen könnten.

Bei näherer Betrachtung der Bilder ist die Schwärze vielfach mit verhalten farbigen Streifen durchsetzt, die wiederum aus feinsten Webmustern bestehen. Mal schimmert es violett, mal erdbraun durch. So entstehen nicht nur belebte Farbflächen, sondern auch imaginäre Räume. Ein einziges grünes Bild hängt noch im zentralen Raum der Ausstellung. Es wirkt, nach der Masse von Schwarz besehen, wie ein blitzheller Schock.

Jede Farbe erzeugt ihre eigene Welt

Die etwas ungünstig auf drei Etagen verteilte Schau zeigt ferner, wie der Künstler seine Ideen auch mit anderen Farbwerten durchgespielt hat. Mal hält er sich im „Bleistiftgebiet“ (Reihentitel) auf, und die winzigen Strukturen flimmern Grau in Grau, dann wieder gibt es Zwölfer-Serien von Aquarellen in Rot, Gelb, Blau und Grün. Jede Farbe erzeugt ihre eigene Welt.

All das aus kleinsten „Zellkernen“ bestehende Gewimmel erinnert an dichten Maschendraht oder an Ansichten unter dem Mikroskop. Die zahllosen gleichförmigen Bild-Elemente von Hand aufs Blatt zu bringen, so denkt man, könnte den Künstler bis dicht vor den Rand des Wahnsinns getrieben haben.

Sind es vielleicht Bilder, die auch aus einem Gefühl von Langeweile und Leere entstehen – oder aus unendlicher meditativer Geduld? Jedenfalls steckt in diesen Arbeiten viel mehr Mühe, als man zunächst vermutet. Und der Künstler selbst versichert, daß er keineswegs mit kühlem Herzen zur Sache geht, sondern sich durchaus von Emotionen tragen läßt.

Im Zeitungsfoto lassen sich diese kargen und asketischen Bilder jedenfalls kaum adäquat wiedergeben, man sollte sie sich schon in Wuppertal ansehen. Es ist übrigens nicht egal, in welcher Stimmung man dies unternimmt: Dem Ruhigen werden diese Bilder zusätzliche Ruhe spenden, den Unruhigen werden sie wohl noch nervöser machen.

Rolf-Gunter Dienst. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. 11. Januar bis 22. Februar im Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld), Turmhof 8. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 30 DM.