Bunter war die Mode nie – Dortmunder Ausstellung „Künstler ziehen an“: Avantgarde-Kleidung 1910-1939

Von Bernd Berke

Dortmund. Der Hemdkragen aus blitzendem Aluminium, die Weste papageienhaft bunt, der Anzug mit allerlei farbenfrohen Mustern und lustigen Stoff-Ansteckern. Wäre es nach den Avantgarde-Künstlern gegangen, würden besonders die „Herren der Schöpfung“ nicht so gezwungen grau in grau herumlaufen, wie sie’s meistens tun. Die Dortmunder Ausstellung „Künstler ziehen an“ zeigt Schöpfungen am Schnittpunkt zwischen Alltagsmode und Hochkultur, entstanden zwischen 1910 und 1939.

Metropolen unter sich: Ursprünglich sollte die Schau in der Welt-Modehauptstadt Paris gezeigt werden. Der Plan scheiterte auf höchster politischer Ebene (beim Treffen Kohl / Chirac) an Etat-Fragen. Dann war das New Yorker Metropolitan Museum im Gespräch, konnte aber erst fürs Jahr 2001 zusagen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Ausstellungswesen…

In Dortmund griff man jedenfalls sofort beherzt zu – und erhielt jetzt gar eine auf rund 300 Exponate erweiterte Fassung. Zeitgenössische Originalkleider und später nachgeschneiderte Stücke findet man ebenso wie Stoffproben und zeichnerische Entwürfe. Übrigens: In der Museumsvitrine wird etwa aus der schlichten Hose ganz von selbst ein Kunst-Stück, das man ernsten Sinnes wie eine Skulptur umschreitet.

Ein Extra-Hut für rasante Geschwindigkeit

 

Der durchweg anregende Rundgang durchs Museum am Ostwall beginnt mit den modischen Kapriolen der italienischen Futuristen, die der Kunst rasante Bewegung einpflanzen wollten. Und so entwarf Aldo De Sanctis schicke Kopfbedeckungen nicht nur für Regen- und Sonnenwetter (letztere mit Luftlöcher-Klimazone), sondern auch einen wohl für Autofahrer gedachten schnittigen „Hut der Geschwindigkeit“.

Die metallischen Hemden, deren tapfere Träger auf Dauer vor Schmerzen gejault haben dürften, zeugen gleichfalls von eherner Technik-Begeisterung und einer Art Rüstungs-Bereitschaft. Zur gleichen Zeit zwang Giacomo Balla Grau raus, indem er um 1930 clownsbunte Herrenanzüge aus filzartig aufgerauhter Wolle schneidern ließ, in denen er schon mal selbst einherstolzierte.

Auch dafür, daß sich die Futuristen blindlings mit Mussolinis Faschismus eingelassen haben, findet sich in Dortmund ein Belegstück: Der Anzug, dessen Kolorierung sich aus den italienischen Nationalfarben rot, weiß und grün herleitet, firmiert – scheinbar ganz arglos – als Modell „fascista“. Nichts ist unpolitisch, auch die Mode nicht.

Befreiung und Rückkehr der Zwänge

Diese Erkenntnis gilt auch für die textilen Anstrengungen der russischen Avantgarde, die einen zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bildet (ein dritter ist dem Bauhaus-Umkreis gewidmet). In der russischen Abteilung sieht man z. B. geometrisch bestimmte Kleidungs-Entwürfe von Kasimir Malewitsch und Ljubow Popowa oder Stoffmuster nach Ideen von Alexander Rodtschenko.

Während die italienischen Künstler meist Einzelstücke herstellten, drängte es die russischen nach der Oktoberrevolution auch auf diesem Felde in die industrielle Fertigung. Ihre Visionen einer Bildwerdung des „Neuen Menschen“ sollten möglichst massenhaft produziert werden. Hinter diesem Antrieb lauert freilich die Gefahr des Kollektivismus.

In eine ähnliche Richtung driften die reformerischen Entwürfe des Mannes mit dem Künstlernamen Thayaht: Er dachte sich im Geist der Utopie die „tuta“ aus, ein schlichtes weißes Kleidungsstück, das just für die ganze Menschheit vorgesehen war.

Zweischneidige Sache also: Wenn Künstler Mode erfinden, so sind sie vielleicht anfangs auf Befreiung von Zwängen und Einschnürungen aus. Doch manchmal kommen die Zwänge hinterrücks wieder.

„Künstler ziehen an“. 8. Februar bis 19. April (Di-So 10-18, Mi 10-20 Uhr). Ausstellung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte im Museum am Ostwall (Ostwall 7 / Infos: 0231/50 26 717). Eintritt 12 DM, Katalog 49 DM.

 

 




Stückeschreiber, Macho, Poet und manches mehr – Bertolt Brecht vor 100 Jahre geboren

Von Bernd Berke

Bertolt Brecht würde am 10. Februar 100 Jahre alt werden. Theater und Verlage würdigen das Gedenk-Ereignis mit zahllosen Neuinszenierungen und Büchern. Stehen wir damit vor einer Wiederentdeckung seiner Werke, oder wird die Fülle der Publikationen jene „Brecht-Müdigkeit“ noch verstärken, die sich in den letzten Jahren bei manchen breit gemacht hat?

Was fällt einem denn zu Bertolt Brecht noch ein? Soll man etwa abermals seine berühmten Theaterstücke („Dreigroschenoper“, „Mutter Courage“ „Galilei“ und all die anderen) herbeten? Soll man wieder einmal die Vitalität seines Frühwerkes („Trommeln in der Nacht“, „Baal“, „Hauspostille“) gegen die ausgefeilten Techniken und Formeln späterer Arbeiten ausspielen?

Soll man gar, wie rigorose Kritiker dies getan haben, behaupten, sein ach so „trockenes“ Lehr- und Verfremdungs-Theater habe sich längst überlebt? Es werde nur ein Teil der Gedichte im Gedächtnis bleiben, befinden diese Skeptiker. Damit würde die einst überlebensgroße Figur der politischen Dichtung plötzlich zu einem Liebeslyriker schrumpfen. Darf das denn wahr sein? Nun, zumindest steht fest, daß Brecht (auch) wundervolle Liebesverse verfaßt hat. Beispiel, gewiß entstanden nach einer schönen Liebesnacht:

„Als ich nachher von dir ging / An dem großen Heute / Sah ich, als ich sehn anfing / Lauter lustige Leute. – Und seit jener Abendstund / Weißt schon, die ich meine / Hab ich einen, schönern Mund / Und geschicktere Beine. – Grüner ist, seit ich so fühl / Baum und Strauch und Wiese / Und das Wasser schöner kühl / Wenn ich s auf mich gieße.“

Laxheit in Fragen geistigen Eigentums

Mag sein, daß Brecht diese tänzelnden Zeilen geschrieben hat, während eine seiner häufig wechselnden Frauen für ihn schuftete; während sie seine Texte ins Reine tippte oder Ideen für ihn ausbrütete, die er hernach „nur“ noch zu formen brauchte – bevor er wieder mit ihr zu Bette ging. Möglich, daß manch ein Einfall in seinem Werk gar nicht von ihm stammt, sondern von der oder jener ausgenutzten „Muse“ – von Elisabeth Hauptmann etwa oder Margarete Steffin.

Brecht, genialer Verwerter traditioneller Vorlagen bis hin zur Bibel, hat derlei Fälle schon mal ganz cool mit dem Eingeständnis seiner „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ beiseite gewischt. Der Kerl mit der Lederjacke war nicht nur als Analytiker, sondern auch als Praktiker ein Kenner der Ausbeutung. Er war ein Macho. Aber davon gab es unzählige – nicht nur in der Literatur. Wenn deren Worte allesamt „erledigt“ wären, so stünde es schlecht.

Natürlich kann sich die Beschäftigung mit einer Jahrhundert-Figur wie Brecht nicht darin erschöpfen. Sie kann nicht den Gegner Hitlers und den politischen Emigranten ignorieren, der sich („öfter als die Schuhe die Länder wechselnd“) über halb Europa bis in die USA durchschlug und listig ein Verhör des Ausschusses für „unamerikanische Umtriebe“ überstand. Man darf ohnehin den stilbildenden Theatermann nicht außer acht lassen. Und man kann seine internationale Wirkung gar nicht übersehen. Welcher andere deutsche Stückeschreiber wird denn weltweit nachgespielt?

Jede Generation erlebte ihn anders

Mit Bert Brecht hat jede Nachkriegs-Generation eigene Erfahrungen gesammelt bzw. zunächst versäumt. Wer nämlich bis in die frühen 60erJahre hinein, zu Zeiten der Adenauer-Republik, in Westdeutschland Pennäler war, kannte ihn vielleicht nur als böses Gerücht. Als ostzonalen Kommunisten eben, der sich – man wußte nicht so recht, wie – mit dem SED-Regime gemein gemacht haben soll. Auf unseren Bühnen und in den Schulen kam er damals nur in Einzelfällen vor. Man ließ dort lieber Idylliker wie Carossa und Bergengruen lesen…

Im Laufe der 60er änderte sich das gewaltig. Besonders im Vor- und Umfeld der Revolte von 1968 gehörte Brecht, als einer der wenigen Schriftsteller überhaupt, zum Pflichtprogramm. Obwohl man damals den „Tod der Literatur“ ausrief: Seine bunten Bände aus der Edition Suhrkamp standen neben denen von Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und Karl Marx. Und wie gut paßten einem, wenn man damals jung gewesen ist, etwa die sinnreichen „Geschichten vom Herrn Keuner“ ins Lebenskonzept: Jemand, der diesen „Herrn K.“ nach vielen Jahren wiedersieht, sagt ihm ins Gesicht, K. habe sich aber gar nicht verändert. Was anderen als Lob gilt, läßt diesen K. nur erbleichen. Ja, diese Verlegenheit hat man verstanden. Verändern wollte man sich und alles. Möglichst täglich.

Um die Mitte der 70er Jahre stellte sich die seither vielbeschworene „Brecht-Müdigkeit“ ein. 1978 glaubte Hellmuth Karasek feststellen zu müssen, Brecht sei „mausetot“. Im Zeichen einer „Neuen Subjektivität“ wurden linke Autoren wie Franz Xaver Kroetz abgewertet, während ein subtiler Einzelfall-Beobachter wie Botho Strauß plötzlich höchste Weihen genoß. Parallel dazu ließ man Brecht links liegen und holte Rilke wieder hervor.

Man kann wohl den Rückschluß wagen: Wer immer wieder so gründlich „umgewertet“ worden ist wie Brecht, dessen Werk muß eben genügend Wert und Substanz besitzen, um verschiedenste (Miß)-Deutungen zuzulassen.

Andererseits könnte man argwöhnen, man habe mittlerweile jeden denkbaren Aspekt in Brechts Oeuvre diskutiert, so daß man die Gesamtausgabe gleich in die Regale mit der vermeintlich folgenlosen Klassik stellen kann.

In diesem Gedenkjahr wird es aber dermaßen viele Neuinszenierungen seiner Stücke geben, daß Akzent-Verschiebungen nicht ganz auszuschließen sind. Wer weiß. Vielleicht entdecken wir hier und da doch noch einen „anderen“ Brecht! Und vielleicht kommt man ja eines Tages doch noch auf den Satz zurück, den sich der Mann mit der Zigarre einst als Grabinschrift gewünscht hat: „Er hat Vorschläge gemachte Wir / Haben sie angenommen“.

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Brecht-Zitate: „Erst kommt das Fressen…“

Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

Der Radwechsel

Ich sitze am Straßenrand
Der Fahrer wechselt das Rad
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?

Dauerten wir unendlich
So wandelte sich alles
Da wir aber endlich sind
Bleibt vieles beim alten.

Alle Künste tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst.

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Wenn die Irrtümer verbraucht sind / Sitzt als letzter Gesellschafter / Uns das Nichts gegenüber.

Wenn Deutschland einmal vereint sein wird – jeder weiß, das wird kommen, niemand weiß wann – wird es nicht sein durch Krieg.

Der junge Alexander eroberte Indien. / Er allein? / Cäsar
schlug die Gallier. / Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist /
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt1

Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höh’res Streben
Ist ein schöner Zug.