Das Leben ist wie ein bleicher Traum – Hamm zeigt Heinrich Vogelers Frühwerk im Umkreis des Jugendstils

Von Bernd Berke

Hamm. „Schöner wohnen – edler leben“. Dieser Slogan könnte für die neue Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum werben. Der umfassende Überblick zum Frühwerk des Heinrich Vogeler (1872-1942), konfrontiert mit Schöpfungen anderer Künstler aus dem Jugendstil-Umkreis, wirkt wie die Feier eines stilvollen, aber auch bis zur Erstarrung stilisierten Lebens.

Vogeler, begütert aufgewachsener Bremer Kaufmannssohn, bewies – als Maler, als Architekt, mit Alltags-Entwürfen – einen Hang zum Komfort. Der hochbegabte Autodidakt betätigte sich als umtriebiger Universalkünstler. Vom Mobiliar bis zum Besteck, von der Buchillustration bis zum Schmuckstück erstreckte sich sein weites Feld.

Der Zeitgeist zur letzten Jahrhundertwende wollte es so: Man verabschiedete sich vom Historismus und griff (statt auf die Geschichte) lieber auf natürliche Formen zurück. Zumal aus dem reichen Repertoire der Pflanzenwelt erwuchsen die typischen Ornamente des Jugendstils. Einem solchen Bildvokabular konnten sich weder Vogeler noch Peter Behrens oder Henry van de Velde ganz entziehen. Die beiden Letzteren fanden freilich, wie die Ausstellung zeigt, alsbald zu funktionaleren Formen.

Auf drei Etagen verteilen sich die rund 300 Exponate in Hamm: Im Erdgeschoß findet man Malerei, im ersten Geschoß „Design“ und ganz oben Belegstücke zum architektonischen Schaffen.

Traumzeit regiert in der malerischen Abteilung: Hier sieht man sich satt an blumig umrankten, oft ätherisch oder gar etwas mondsüchtig dreinschauenden, zarten jungen Frauen. Diese bleichen, beinahe transparenten Wesen blicken in die Welt, als könnte ihre unnennbare Sehnsucht sie im nächsten Moment himmelwärts davontragen.

Märchenhaftes Mischwesen aus Fee und Fisch

Prägnantes Beispiel ist „Melusine“ (um 1910), dreiteiliges, an einen Altar gemahnendes Prunkbild: Ein Mädchen – halb Fisch, halb Fee – thront traumverloren inmitten einer märchenhaften Naturkulisse. Kitschverdächtig monumental, füllt das symmetrisch aufgebaute Gemälde „Sommerabend“ (1905) eine Wand. Hier gefriert weltenthobenes Dasein zwischen Flora und musikalischer Ergötzung zur vollends idyllischen Szenerie.

Mit seinen zwei Ehen hatte Vogeler wenig Glück. Frauen aus Fleisch und Blut konnten schwerlich dem hehren Ideal genügen, das in solchen Bildern aufscheint. Gelegentlich streifte Vogeler weiblichen Modellen gleich ein „Reformkleid“ über, auf daß sie seine Weltsicht rein verkörperten. Eine Männerphantasie, wenn auch eine sanftmütige.

Die schönsten Blüten trieb seine Kunst der Buchillustration. Der mit dem Dichter Rilke befreundete Vogeler schuf vor allem für die Insel-Bücherei wundervolle Zierden und Girlanden rund um die Literatur. Über erstaunlich zweckmäßige, weit weniger verspielte Möbel und Alltagsgegenstände arbeitet sich der Besucher zum architektonischen Rüstzeug Vogelers vor. Regionaler Bezug: Für den Hammer HNO-Arzt Emil Löhnberg, einen Anhänger der Gartenstadt-Bewegung, entwarf Vogeler ein schmuckes Fachwerk-Sommerhaus im sauerländischen Willingen, dessen Grundzüge heute noch als Flügel eines Hotels erhalten sind.

Angesichts der Hammer Schau ist es kaum zu glauben, daß Vogeler in den 30er Jahren nach Moskau zog, wo er zu einem Vorläufer des unsäglichen „Sozialistischen Realismus“ wurde. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Gustav-Lübcke-Museum, Hamm (Bahnhofstraße 9). 25. Oktober bis zum 10. Januar 1999, tägl. 10-18, mittwochs 10-20 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 49 DM.




„Ich bin kein Brandstifter“: Gespräch mit Martin Walser – über seinen Roman und seine Friedenspreis-Rede

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit seinem Roman „Ein springender Brunnen“ hat Martin Walser (71) einen grandiosen Erfolg erzielt. Lesepublikum und Presse waren beeindruckt von dieser stark autobiographisch geprägten Geschichte einer Dorf-Kindheit in der NS-Zeit.

In die politische Diskussion geriet Walser durch seine am 11. Oktober gehaltene Frankfurter Rede zur Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels, in der er sich gegen allzu eingefahrene Wege der „Vergangenheitsbewältigung“ und gegen die „Instrumentalisierung von Auschwitz für gegenwärtige Zwecke“ wandte. Daraufhin warf ihm Ignatz Bubis (Zentralrat der Juden in Deutschland) „geistige Brandstiftung“ vor. Jetzt las Walser im Dortmunder Harenberg City-Center (Mitveranstalter: Westfälische Rundschau und Buchhandlung Krüger) aus seinem Roman. Bei dieser Gelegenheit sprach die WR mit ihm.

Haben Sie mit derart barschen Reaktionen auf Ihre Frankfurter Friedenspreis-Rede gerechnet?

Martin Walser: Natürlich nicht. Mit so etwas kann man nicht rechnen. Solche Wörter können einem ja vorher nicht einfallen, mit denen man da beworfen wird. Wenn mich jemand als „geistiger Brandstifter“ bezeichnet, dann ist das seine Sache. Ich kann das gar nicht kommentieren, weil ich es auch nicht verstehen kann. Und mich mit Rechtsradikalen wie Frey und Schönhuber zu vergleichen, weil die angeblich „auch nichts anderes sagen“… Da habe ich ein anderes Sprachverständnis.

Sind Sie verbittert?

Walser: Verbittert nicht, aber entsetzt. Ich bin doch kein Dauerobjekt für Beleidigungen! Zum Glück gab es ja auch unendlich viele andere Reaktionen, so wie noch nie. Das Thema hat sich noch lange nicht erledigt. Die Affäre wird in der Entwicklung dieses Themas in diesem Land eine Wirkung haben – welche, das bleibt abzuwarten.

Ihr Roman ist fast durchweg begeistert aufgenommen worden. Waren Sie erstaunt?

Walser: Mh. Das darf mich nicht erstaunen. Es hat mich unheimlich gefreut. Ich habe noch nie so rasch so viele briefliche Leser-Reaktionen bekommen. Ich war mir ja beimSchreiben des Romans eines gewissen Risikos bewußt. Es hat mich gerührt, daß die meisten meine Auffassung teilen, daß man auf diese Art über „damals“ schreiben kann.

Ein paar wenige Rezensenten haben moniert, Sie hätten die Schrecken des NS-Regimes nicht erwähnt.

Walser: Ja. Das ist absurd. Dieses NS-Regime kann auch auf andere Weise vorkommen, ohne daß das Stichwort „Auschwitz“ fallen muß. Wer das zu einem Pensum macht, zu einer Pflichtaufgabe, der muß damit rechnen, daß er nur Lippenbekenntnisse bekommt. Die meisten haben aber begriffen, daß in meinem Text die NS-Zeit präsent ist, so wie sie aus der Perspektive des Kindes Johann präsent sein konnte.

Was bedeuten Lesereisen für Sie? Eher eine Last oder eine Chance, vom Publikum etwas zu bekommen?

Walser: Ich mache solche Reisen vielleicht zu oft. Ich werd s sicher nicht mehr sehr lange machen, aber diesmal schon noch. Ich probiere den Text eben gerne in Sälen. Man weiß ja nie so genau, wie die Leute reagieren. Ich hatte es mir diesmal sehr schwer vorgestellt. Meine bisherigen, oft neurotischen Romanhelden habe ich pointiert dargeboten. Das hat den Leuten eingeleuchtet, da haben sie sich wiedererkannt. Jetzt hab ich diesen fünfjährigen Johann im Jahr 1932. Da war ich nicht so sicher, ob das überhaupt vorzulesen ist. Doch es geht, sehr gut sogar. Ich muß sagen: Die Leute in diesem Land sind einfach fabelhaft. Da redet man immer vom Fernsehen – und dann kommen Abend für Abend viele hundert Menschen zu den Lesungen und hören zu und reagieren unheimlich lebendig. Toll! Es gibt noch eine literarische Gesellschaft. Das hat kein bißchen abgenommen. Wer das Gegenteil behauptet, hat keinen Kontakt mit der Wirklichkeit.

Vielleicht sind Sie eine rühmliche Ausnahme?

Walser: Nein, nein. Drei meiner vier Töchter schreiben ja auch. Sehr verschieden voneinander – und keine wie ich. Eine von ihnen schreibt sogar viel schöner, poetischer und schwieriger als ich. Und doch macht sie bei Lesungen ähnlich gute Erfahrungen.

Eine erstaunliche Familie. Haben Sie Ihre Töchter Johanna, Alissa und Theresia als Kinder zum Schreiben angehalten?

Walser: Um Gottes Willen, nein. Nicht einmal zum Lesen. Es ist halt so gekommen. Außerdem ist die Sache nicht so heiter, wie sie klingt: Ich kenne den Preis des Schreibens. Man schreibt nicht, weil es einem gut geht. Im Gegenteil.

Eigentlich wollten Sie ja keine Interviews mehr geben.

Walser: Nun ja, diese Kommentierungs-Funktion wird einem „über“ – daß man immer seine eigenen Sachen auslegen soll. Im Gegensatz zum Interview kommt beim Roman keine bestimmte Meinung heraus. Ein Roman bewegt sich schwebend und landungsscheu…

 




Wer die Faust des Würgers küßt – Dimiter Gotscheff inszeniert Pinters „Asche zu Asche“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. „Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt“, hat der von Verweltlichung angewiderte Dostojewski einmal geschrieben. Der britische Dramatiker Harold Pinter sieht die Sache etwas anders: In einer gottlosen Welt, so Pinter in seinem Stück „Asche zu Asche“, sterbe die Fußballkunst aus. Wieso dies?

Dann werde England gegen Brasilien vor völlig leeren Rängen im Wembley-Stadion spielen. In solch gespenstischer Stille werde das Match ewig dauern, es werde immerzu Nachspielzeit geben und trotzdem beim torlosen Unentschieden bleiben. Wahrlich eine schreckliche Vision vom unaufhörlichen Ende der Historie…

Dimiter Gotscheff hat Pinters Zweipersonendrama jetzt in Bochum inszeniert, und irgendwie geht auch diese Partie 0:0 aus. Ein Kern ist die Schilderung jenes sadomasochistischen Erlebnisses durch Rebecca (Henriette Thimig): Ein Mann habe sie einst gezwungen, seine geballte Faust zu küssen, mit der anderen Hand habe er sie gewürgt. Noch wenn Rebecça dies erzählt, mischen sich Todesangst und Geschlechtslust in ihrem Mienenspiel. Ihre Stimme schwankt derweil zwischen Party-Tonfall und dem Herauswürgen eines Traumas.

Der ominöse Mann, so sagt sie weiter, sei eine Art Reise-Führer gewesen, aber auch ein gefürchteter Fabrikdirektor. „Führer“ also, Fabrikant des Todes? So unabweisbar mächtig sei er gewesen, daß auf sein schlimmes Geheiß Tausende wie die Lemminge ins Meer gesprungen seien und Frauen ihm ihre Babys ausgehändigt hätten. Doch wer er wirklich war, wann und warum er die Frau drangsaliert hat, erfahren wir nicht. Auch Devlin (Heiner Stadelmann) bringt es nicht heraus. Ja, man fragt sich sogar, ob er vielleicht selbst jener Mann sei.

Leiden an der Welt in Zeitlupe

Das etwa einstündige Stück über den furchtbaren Sog der Macht spielt möglicherweise auf Handlanger der Diktatur an, vielleicht auf KZ-Kommandanten. Pinter hat es verfaßt, als er die Biographie des Hitler-Architekten Albert Speer gelesen hatte. Doch gewiß ist nichts, und so spürt man denn auch ein eher ort- und zielloses Weh.

Ein Brocken fürs Theater ist es allemal. Gotscheff läßt das umfassende Rätsel bedrohlich aufragen und richtet schmerzlich insistierende Blicke aufs minimale Geschehen. Viele Szenen schnurren wie in Zeitlupe ab. Das wirkt geradezu feierlich. Man könnte sich dieses Stück anders (z. B. leichthin verplappert) vorstellen.

Zu Beginn verdämmert das Licht im Zuschauerraum nur zögerlich, die Musik (Willi Kellers) verzerrt sich ganz allmählich. Es ist, als gleite man auf einer schiefen Bahn ins Stück hinein. Alsbald leuchtet im Hintergrund eine Art Hecken-Labyrinth auf, in dem Gevatter Tod unendlich langsam wandelt. Am Schluß wird dieser heimliche Herr des Verfahrens wiederkehren.

Zwischendurch vollziehen sich surreale Licht-Erscheinungen, in denen sich Rebecca seltsam verfängt. Sie und Devlin stürzen in „Zeitlöcher“, in denen sie verdammt zu sein scheinen, alles zu wiederholen.

Wie Musik, Licht und Darsteller diese irreale Atmosphäre und eine Ahnung des Un-Faßbaren heraufbeschwören, das ist schon faszinierend. Manchmal wirkt dieses Duo, das vielfach durch die verbalen (Un)-Tiefen des Banalen watet, wie die pechschwarze Version eines Loriot-Ehepaares. Komik am Saum des Todes.

Termine: 22. und 31. Okt., 21. Nov. Karten: 0234/3333-111.

 




Ein dämonischer Gigant – zum Tod des großen Schauspielers Bernhard Minetti

Von Bernd Berke

Wenn Bernhard Minetti die Bühne betrat, war alles gleich wie verwandelt, wie in ein anderes Licht getaucht. Selbst mittelmäßige Aufführungen bekamen dann einen Abglanz von Theaterzauber. Es gab keinen anderen, der so eigen spielte: eigensinnig, eigenwillig, faszinierend eigenartig.

Diesem großen Dämon des Theaters mit den ungeheuer blitzenden Augen huldigten Publikum und Bühnenwelt: „Der König der Theaterkunst ist tot“, sagte gestern der Regisseur Claus Peymann.

Kaum hatte Minetti, der gestern mit 93 Jahren gestorben ist, die Schauspielschule absolviert, da gehörte der gebürtige Kieler ab 1930 zum Spitzenensemble am Berliner Staatstheater unter Leopold Jeßner, Gustaf Gründgens und Heinrich George. Der Kritiker Herbert Jhering drang gleich zum Wesenskern vor: „Ein neues Gesicht. Nicht der glatte Typ. Feurig und kalt zugleich. Ein knapper, aufbegehrender, glühender Schauspieler.“

Fast 70 Jahre Theatergeschichte hat Bernhard Minetti maßgeblich mitgestaltet. Wollte man alle seine weit über 300 Rollen aufzählen, so müßte man etliche Kapitel des Schauspielführers abdrucken. Unter den vielen großen Regisseuren, mit denen er arbeitete, war Jürgen Fehling wohl der entscheidende. Der trieb Minetti die letzten Anflüge von Deklamation aus, hielt ihn zum gezügelten und dadurch noch intensiveren Spiel an.

Während der NS-Zeit ist Minetti nicht aus Deutschland emigriert, sondern hat beim geschickt lavierenden Gründgens weiter gewirkt. Er hat später zugegeben, er sei damals feige gewesen. Politische Feigheit aus Leidenschaft fürs Theater. Das Spielen hat er gebraucht wie tägliches Brot. Ein Bedürfnis, das in finsteren Zeiten fatal sein kann.

Famoses Dreigestirn mit Claus Peymann und Thomas Bernhard

Minetti hat sich jedoch nicht nach dem Gusto der NS-Machthaber gerichtet, sondern – wie Gründgens – die Kunstausübung vor dem direkten Zugriff der Diktatur bewahrt. Freilich hat er (schlimme Ausnahme) 1944 ein Stück des braunen Dramatikers Hans Rehberg inszeniert.

Nach dem Krieg als „unbelastet“ eingestuft, begann er in Kiel von vorn. Erst in den 60er Jahren kam er wieder dauerhaft nach Berlin, und zwar ans Schillertheater, das 1993 geschlossen wurde – eine kulturpolitische Katastrophe, die Minetti nicht verwunden hat. Seit Ende 1994 gehörte er dem Berliner Ensemble (BE) an, seine letzte Rolle übernahm er in Brechts „Ozeanflug“ (Regie: Robert Wilson).

Legendär sein Bühnen-Zweikampf mit Martin Held in Neil Simons „Sonny Boys“. Der Kritiker Friedrich Luft genoß Minetti als „wunderbar streitbares altes Aas“. Minetti wurde zum Spezialisten für zynische, gebrochene Charaktere, zumal in Stücken von Beckett, Genet und Dürrenmatt. Als Greis Krapp hielt Minetti in Becketts Einpersonendrama „Das letzte Band“ bittere Lebens-Rückschau. Auch da war er unnachahmlich. Doch unter Intendanten wie Boy Gobert und Heribert Sasse sah sich Minetti an seiner Stammbühne vielfach unterfordert.

Da traf es sich, daß ihn die Heroen des Regietheaters als überragende Figur entdeckten und zu Gastspielen einluden. Hier war einer, der ihre Ideen souverän unterlief und junge Ensembles allemal mitriß. So erlebten es Claus Peymann, Dieter Dorn und Klaus Michael Grüber, der Minetti 1985 an der Schaubühne die Wunschrolle des wahnhaften „König Lear“ gab.

Famos jenes Dreigestirn, das Minetti mit dem Autor Thomas Bernhard und dem Regisseur Claus Peymann bildete. 1980 war Minetti in Bochum Bernhards unverbesserlicher „Weltverbesserer“ 1984 brillierte er am selben Ort in „Der Schein trügt“, und mit „Minetti“ widmete ihm Bernhard gar ein Stück, in dem sich der Mime selbst verkörpern konnte.

Unvergeßlich seine mal hintersinnig singende, mal maulend mahlende, alles im Nu zermalmende Weltverachtungs-Stimme, sein stechender Bussard-Blick, aus dem hin und wieder listige oder gar kindlich-heitere Funken sprühen konnten. Dann war – für Momente – diese tödliche Komik nicht mehr gar so knochig, fahl, bedrohlich.

Verstörung, letztlich aber immer Verehrung erzwang er auch mit grandioser Anmaßung: „Gegen das Publikum spielen“ wolle er, hat er einmal gesagt. Und das Lachen wolle er ebenso herstellen wie zerstören. Er war auch ein Monument der Un-Gemütlichkeit.




Die Räume der Literaten – Interview mit der Fotografin Herlinde Koelbl

Von Bernd Berke

Herlinde Koelbl zählt zu den renommiertesten Fotografinnen weit und breit. Zur Frankfurter Buchmesse, wo die WR mit ihr sprach, hat sie den aufwendigen Band „Im Schreiben zu Haus“ (Knesebeck-Verlag, 98 Mark) veröffentlicht. Sie hat dafür in den letzten Jahren 42 wichtige deutschsprachige Schriftsteiler daheim besucht – von Handke bis Simmel, von Walser bis Ernst Jünger, von Rühmkorf bis Elfriede Jelinek. In Bildern und Gesprächen spürt sie der Frage nach: Wie und wo entsteht unsere hohe Literatur?

Sie haben unter den Autoren Tag- und Nachtmenschen getroffen. Solche, die stets rastlos auf Reisen gehen, und solche, die lieber seßhaft sind?

Herlinde Koelbl: Ja, das sind gewisse Trennlinien. Und dennoch scheinen alle etwas gemeinsam zu haben, das schwer zu benennen ist. Schreiben als eigentliches Zuhause. Es sind jedenfalls drei Generationen von Schriftstellern. Die Älteren schreiben oft noch mit Bleistift oder Füllfederhalter, wie etwa Sarah Kirsch. Martin Walser benutzt Kugelschreiber, die auch kopfüber funktionieren, seit er einmal einen Bandscheibenschaden hatte und im Liegen schreiben mußte. Er schnürt seine Manuskripte mit Bindfäden zusammen. Und Ingo Schulze, ein jüngerer Autor, umarmt auf dem Foto seinen Computer. Es ist wie eine Liebesbeziehung zum Schreibgerät.

Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Koelbl: Ursprünglich wollte ich nur Hände fotografieren. Schriftstellerhände. Die drücken sehr viel aus. Sehen Sie sich zum Beispiel die Hände von Ernst Jünger oder Hermann Lenz an. Sie vermitteln eine Ahnung von Großbürgerlichkeit, wie es sie heute nicht mehr gibt. Bei Peter Handke hatte ich mir ganz feingliedrige Finger vorgestellt, dabei hat er richtig männliche Hände – mit deutlichen Spuren der Gartenarbeit… Aus der Idee mit den Händen hat sich alles Weitere entwickelt. Die Handschriften, der hand-werkliche Aspekt des Schreibens…

Sie haben die Schreib-Zimmer fotografiert, die Schreibtische. Gibt es Entsprechungen zwischen diesen äußerlichen Situationen und den Werken?

Koelbl: Wahrscheinlich ja. Das Zimmer von Friederike Mayröcker ist über und über angefüllt mit Papierbergen. Andererseits gibt es ganz karge, leere Schreibtische, beispielsweise bei Reiner Kunze. Peter Handke hat verschiedene Schreibzimmer, eines wirkt tatsächlich wie eine Mönchs-Zelle. Wahrscheinlich hat dies einiges mit der Arbeitsweise und dann auch mit dem Werk zu tun.

Etliche Autoren sagen, daß sie eigentlich gar nicht gern schreiben.

Koelbl: Die meisten Bücher entstehen unter großen Qualen und schmerzlichen Umwegen. Und doch gibt es bei allen Schriftstellern immer wieder dieses ungeheure Glücksgefühl, das alle Qualen vergessen läßt, wenn das Werk gelungen ist.

Manche Schriftsteller, beispielsweise Sten Nadolny oder der inzwischen verstorbene Jurek Becker, haben Ihnen sehr viel über sich verraten. Über ihre Antriebe und Hemmnisse. Auch über Depressionen und Ängste.

Koelbl: Ja, das waren zwei besonders intensive Gespräche. Vielleicht kann ich recht gut zuhören. Und vielleicht braucht man den „sechsten Sinn“, die richtige Mischung aus Denken und Fühlen. Genug davon. Das ist ja eine Erfahrung, die auch viele Schriftsteller gemacht haben: Wenn man zu sehr über die Mechanik seiner Fähigkeiten nachdenkt, gehen sie eventuell verloren –  wie bei dem Ballettänzer, der seine Schritte erklären will und sie dann nicht mehr ausführen kann.




„Meine Figuren sollen nicht lange leiden“ – Interview mit der Krimiautorin Ingrid Noll

Von Bernd Berke

Ingrid Noll (63) ist die mit Abstand erfolgreichste Krimi-Autorin Deutschlands. Mit Büchern wie „Der Hahn ist tot“, „Die Apothekerin“ und „Kalt ist der Abendhauch“ stand sie jeweils Monate lang auf den Bestsellerlisten. Auch ihr neuer Roman „Röslein rot“ (Diogenes, 39 DM) schaffte wieder den Sprung auf Platz zwei – gleich hinter Donna Leons „Sanft entschlafen“. Ein famoser Doppelerfolg für den Züricher Diogenes-Verlag, der beide Krimi-Ladies unter Vertrag hat. Die WR traf Ingrid Noll auf der Frankfurter Buchmesse.

Sie haben erst im Alter von 55 Jahren mit dem professionellen Schreiben begonnen und erzielen Spitzenauflagen. Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?

Ingrid Noll: Ich habe einfach Spaß am Schreiben. Das teilt sich den Lesern offenbar mit.

Haben andere Autoren denn keinen Spaß an ihrer Tätigkeit?

Noll: Viele quälen sich fürchterlich und haben Angst vor dem leeren Blatt Papier. Das Gefühl kenne ich überhaupt nicht. Wenn mir nichts einfällt, schreibe ich eben nicht.

Warum werden in Ihren Büchern eigentlich so viele Männer zur Strecke gebracht?

Noll: Ja, das glauben die meisten. Wenn Sie mal in allen Bänden durchzählen, stimmt das gar nicht. Die Morde an Männern und an Frauen halten sich ungefähr die Waage.

In „Röslein rot“ erzählen Sie die Geschichte der frustrierten Ehefrau Annerose, die durch Familie und Hausarbeit beruflich viel zu kurz gekommen ist. Sie selbst haben drei Kinder und haben viele Jahre lang Ihrem Mann in der Arztpraxis geholfen. Ist diese Annerose etwa ein Selbstporträt?

Noll: Nein, nein! Ich bin nicht „zu kurz gekommen“. Ich habe drei Kinder, und alle waren keine „Pannen“. Im Gegenteil: Sie waren und sind mir viel wichtiger als meine Bücher.

Die Ehe dieser Annerose zerbröselt zusehends – bis hin zu Mordgedanken. Sehen Sie die Ehe als Schlachtfeld?

Noll: Ich selbst bin seit 39 Jahren verheiratet – und es geht immer noch gut. Allerdings war ich oft Beichtschwester für Bekannte und Freundinnen. Was ich da so gehört habe… Und auch mein Mann hat einiges aus seiner Praxis erzählt. Gerade Frauen, die man für glücklich hielt, zeigten ihm ihre blauen Flecken. Übrigens verwende ich so etwas nicht in meinen Büchern. Höchstens indirekt, verfremdet.

In „Röslein rot“ geschieht nur ein einziger Mord. Früher ging‘s reihenweise zur Sache.

Noll: Ach, ich war das viele Blut ein bißchen leid. Das heißt aber nicht, daß es beim nächsten Mal wieder so kommt. Ich lasse mich da ungern festlegen…

Mordaufklärung kommt bei Ihnen so gut wie nie vor, so als gäbe es gar keine Polizei, keine Kommissare…

Noll: Das interessiert mich auch nicht so sehr. Ich habe mich jetzt mal in einem Polizeipräsidium umgesehen. Ich fand es ziemlich langweilig. Die saßen ja alle nur an Computern.

Gibt Ihnen Ihr Mann schon mal Tipps in Sachen realistischer Morde?

Noll: Selbstverständlich. Ich frage ihn bei allen Todesarten. Auch weil ich will, daß die Figuren nicht so leiden müssen, sondern schnell tot sind. Manchmal sitzen wir ganz idyllisch in unserem Garten und überlegen, wie man Menschen um die Ecke bringt.. .(lacht).

Empfinden Sie Genugtuung über den Erfolg?

Noll: Dafür bin ich ein bißchen zu alt. Es steigt mir nicht mehr so zu Kopf. Ich stell’s mir schlimm vor, wenn jemand mit 20 schon ganz viel Erfolg hat. Denken Sie an Sportler oder Sänger. Und wenn die 30 sind, kräht kein Hahn mehr danach. Die verfallen dann in Depressionen, sind selbstmordgefährdet. In meinem Alter ist man dagegen gefeit. Dann weiß man: Herrgott, so was Besonderes bist du nun auch wieder nicht. Und irgendwann interessiert sich auch wieder keiner mehr für dich. Ich wäre nicht trübsinnig, wenn’s aufhört. Das ist nur ein kleiner Aspekt in meinem Leben – und nicht der zentrale.




Schwarze Messe der Entfremdung – Dortmunder Uraufführung: Thomas Strittmatters Fürstendrama „Gesualdo“

Von Bernd Berke

Dortmund. Bloß gut, daß kein Kanzler so spricht wie dieser italienische Renaissance-Fürst Gesualdo: Er sei nichts weiter als „der Herr über ein Loch, gefüllt mit Schlamm und schmutzigem Wasser“. Das Regieren ist ihm eben zuwider. Lieber will er sich den Künsten widmen. Der zerrissene Mensch ist Titelfigur in Thomas Strittmatters Stück „Gesualdo“, das jetzt unter Wolfgang Trautweins Regie am Dortmunder Schauspiel uraufgeführt wurde.

Der sprachlich achtbare Text stammt aus dem Nachlaß des 1995 mit 33 Jahren verstorbenen Autors. Der hat keine Etüde über die Spätrenaissance verfaßt, sondern jene unruhige Epoche als Gleichnis unserer gegenwärtigen, so gerne „postmodern“ genannten Phase aufgefaßt. Zu Gesualdos Zeiten dominierte der Manierismus, oft als Verfalls-Erscheinung begriffen und als wirre Mixtur aus Wahnwitz und Stillstand angefeindet. Erkennen wir uns darin wieder?

In Dortmund blickt man in einen schwarzen Tunnel. Vielleicht ist’s ein Zeit-Kanal für rasante Epochen-Reisen (Bühnenbild: Thomas Gruber). Anfangs ertönen Geisterstimmen, dann gleiten die Figuren seitwärts auf Rollen herein, als seien sie bereits technisch gezeugte Wesen jenseits des Naturzusammenhangs.

Um Naturferne geht s denn auch: Kunst als geradezu wider-natürliche Zumutung, die nicht dem prallen Leben abgewonnen, sondern dem Dasein barsch entgegengesetzt wird – das ist Strittmatters Thema. Bizarres Bild dafür: die Geburt eines „vom Teufel gezeugten“ Lamms mit fünf Köpfen, das für Gesualdos fünfstimmige Madrigal-Kompositionen (seinerzeit eine unerhörte Neuerung) steht.

Nachvollziehbar, daß in dieser Inszenierung keine Renaissance-Musik verwendet wird. Die Münchner Formation „Engel wider Willen“ hat Bruchstücke aus besagten Madrigalen elektronisch „gesampelt“, verfremdet, mit anderem Material versetzt und in tendenziell endlose Tonschleifen überführt. Aparte Verbindung: Dazu erklingt die helle Stimme eines Countertenors (Florian Mayr). Eine gewisse Verwandtschaft zur TechnoMusik ist dennoch kaum zu verkennen. Hört. hört!

Angewidert von „Unzucht“ und Zerstreuung

Gesualdo (1560-1613) ist also der Kultur innig zugetan. Am Hofe gehen – Strittmatter zufolge – ruhmreiche Künstler ein und aus. Zum Beispiel der auch durch Goethes Stück (passend: Dortmunder Premiere am 17. Oktober) bekannte Dichter Tasso (Niklaus Scheibli) und der Maler Caravaggio (Michael Masula). Beim Musiker Nenna (Jürgen Uter) lernt der Fürst Lautenspiel und Komposition. Ringsum aber herrschen Suff, Inzucht (Kathrin Irion als verhurte Ehefrau des Pächters Pinci) und geldgeile Bigotterie (Günter Hüttmann als Padre, der gegen Ablaßgebühr Beichtstunden hält). Und Wüstling Caravaggio ist hinter Knaben her.

Angewidert von all dem, begibt sich der Fürst (zwischen Todernst und Groteske: Thomas Dehler) für ein Jahr in strenge Klausur, um im einsamen Unglück endlich den Gipfel der Kunst zu erklimmen. Seine Gattin (zwischen Edelfrau und Hure: Sandra Fehmer) will keine 365 Tage aufs Vergnügen warten. Sie betrügt Gesualdo mit Nenna. Die Rache des Fürsten wird fürchterlich sein, wenn er aus seinem Eremiten-Dasein wiederkehrt: Laut Historie hat er die beiden abschlachten lassen, im Stück fuchtelt er mit einem Messer, beläßt es aber bei ewiger Verbannung…

Die Dortmunder Umsetzung darf als interessanter Versuch eines gut eingespielten Ensembles gelten, sich dem schwierigen Stück zu nähern. Sie gibt sich hochartifiziell, zuweilen etwas gespreizt. Über weite Strecken wirkt die Veranstaltung wie eine „Schwarze Messe“, eine Liturgie entfremdeter Posen.

Der eine oder andere kleine Klamauk gesellt sich hinzu. Das sorgt für Lacher. Doch es ist ein seltsames Wechselbad. Der Kälte-Wärme-Haushalt dieser Inszenierung stimmt nicht immer. Zudem könnte die Musik – der Handlung gemäß – verstörender, weniger eingängig sein. Doch wer will schon mit allzu gewagten Mißtönen Zuschauer vergraulen?

Termine: 22. Okt, 13. und 14. Nov. – Karten: 0231/50 272 22.