Wo das Böse gut gedeiht – Mit „Jekyll & Hyde“ will auch Bremen zur Musical-Metropole werden

Von Bernd Berke

Bremen. Das hat man davon: Da will man Gut und Böse auf chemischem Wege voneinander scheiden, um das Unheil ein für allemal aus der Welt zu verbannen – und dann führt es ein so mörderisches Eigenleben wie nie zuvor. Mit dem klassischen Horrorstoff „Jekyll & Hyde“ will nun auch Bremen zur Musical-Metropole werden.

Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Text) haben Robert Louis Stevensons Novelle von 1886 zubereitet. Die Ochsentour begann 1990 in Houston/Texas, seit zwei Jahren hat sich die Chose am Broadway etabliert.

In Bremen gibt’s eine deutsche Fassung, die reicher instrumentiert ist als das US-Original. Auch die Bühne ist größer. Für 45 Mio. DM hat man das ehemalige Zentralbad zum prachtvollen Theater mit 1500 Plätzen umgebaut, die Produktion selbst kostet 20 Mio. DM. Von nichts kommt nichts.

Die Hanseaten begreifen dieses Musical nicht als pure Show, sondern als Ereignis am Saum der Hochkultur. Regisseur Dietrich Hilsdorf und Bühnenbildner Johannes Leiacker, die sonst große Opern in Szene setzen (Essen, Gelsenkirchen), entfalten die Handlung mit großer Sorgfalt und Geduld. Bloße Knalleffekte sind verpönt, Action-Elemente und rasante Tanz-Artistik gibt’s kaum. Manchen Fans des Genres wird die (stock)seriöse Gangart nicht unbedingt zusagen.

Ein Musical mit geistigem Gehalt also: Forschung, die außer Kontrolle gerät; eine verderbte Gesellschaft, in der das Böse unterschwellig gedeiht – derlei Vorgänge rücken hier in den Mittelpunkt.

Mit nahezu operngerechter Stimme gestaltet Ethan Freeman seine Doppelrolle. Filmreif seine ekstatischen Zuckungen, wenn er sich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde verwandelt und den Blutrausch auslebt. Die Todesarten sind so heftig, daß sich mancher Zuschauer mit Grausen abwendet. Romantisch (stellenweise bis zur Kitsch-Demarkationslinie) wird man mit etlichen schmelzenden Liebesweisen besänftigt, denn Jekyll/Hyde steht zwischen zwei Frauen: seiner kreuzbraven Verlobten Lisa (stimmlich nicht stets auf der Höhe: Susanne Dengler) und der verruchten Hure Lucy (Lyn Liechty). Gar manches klingt schön, doch es ist kein wirklicher Ohrwurm dabei.

Ungeheuer aufwendig die Ausstattung: 38 Darsteller führen in 70 Rollen rund 170 viktorianische Kostüme spazieren. Und Johannes Leiacker hat sensationelle Kulissen gebaut. In seinem allseits verspiegelten Tunnel, der kilometerweit in die Bühnentiefe zu führen scheint, kann man sich beinahe verlieren. Und gespalten ist man auch: Der kulturbeflissene Jekyll in einem spendet begeistert Beifall, doch es schnaubt der innere Hyde. Ein wenig rasanter hätte er’s doch gern.

„Jekyll & Hyde“. Achtmal wöchentlich in Bremen, Richtweg (Nähe Hauptbahnhof). Preise von 40 bis 180 DM. Karten: 0180/55 44 321.




Die Erinnerung an das Unrecht ist eine unendliche Aufgabe – Sigrid Sigurdssons Kunstprojekt „Deutschland – ein Denkmal – ein Forschungsauftrag“ in Hagen

Von Bernd Berke

Hagen. Wie können Künstler dem Unfaßbaren Gestalt geben, wie können sie die NS-Zeit und zumal den Holocaust in Erinnerung rufen?

Manche wagen die große Gebärde, wie etwa der Amerikaner Peter Eisenman mit seinem umstrittenen Entwurf für das Berliner Holocaust-Mahnmal. Einen völlig anderen Zugang zum schwierigsten aller Themen sucht Sigrid Sigurdsson. Ihre Ausstellung „Deutschland – ein Denkmal – ein Forschungsauftrag“ ist im Hagener Osthaus-Museum zu sehen.

Die aus Norwegen stammende Künstlerin, deren Vater an den Folgen einer KZ-Haft starb, befaßt sich seit drei Jahrzehnten mit den furchtbaren Fakten der NS-Zeit, besonders mit dem System der Lager. Betritt man die Hagener Ausstellungsräume, so spürt man sofort den Ernst und die Würde der Auseinandersetzung.

Freilich ist die spröde, zurückhaltende Form der Darbietung auch sperrig. Zwei bis drei Stunden wird man aufbringen müssen, um Schneisen zu finden, um sich all den Dingen an den Schnittstellen zwischen Kunst und historischer Forschung zu nähern.

Viele, viele Wahlzettel mit Kreuzen für Hitler

Eingangs sieht man, karg aufgereiht, Dutzende von Titelseiten des „Hamburger Fremdenblatts“ aus den Weltkriegsjahren 1939-1945. Das nüchterne Arrangement läßt an eine ewige Wiederkehr des Immergleichen denken. Höllisehe Gleichförmigkeit. Ähnliches gilt für die Schaukästen mit vielen, vielen Original-Wahlzetteln, auf denen Deutsche 1933 ihr Bleistift-Kreuz für Hitler gemacht hatten.

Der zweite Raum vermittelt eine Aura zwischen Gedenkstätte und Archiv. Tatsächlich kann man hier (anhand von Landkarten, Akten, Forschungsberichten und Büchern) Informationen zum NS-Lagersystem sammeln. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland: Die Karte der Schreckensorte (vom KZ bis zum Arbeitslager) ist mit schwarzen Markierungen übersät – bis in alle Winkel der Regionen hinein. Diese Informationen sind auch im Internet zugänglich (www.keom.de) und können per e-mail (elektronische Post) kommentiert oder um Ergänzungsvorschläge bereichert werden. Die Kunst-Installation wird somit zur Keimzelle eines umfassenden „Forschungsauftrags“, an dessen Verwirklichung sich nach Sigrid Sigurdssons Vorstellung möglichst viele Menschen beteiligen sollen.

Keine Meinung vorgeben, nichts zensieren

Auf Arbeitstischen liegen gebündelte Papiere, es sind vor allem Lebensläufe aus jener Zeit. In Hagen ist schon einiges hinzugekommen. Denn jeder, ob Täter, Opfer, Zeitzeuge oder Nachfahre, kann hier biographische Fragmente oder Konvolute hinterlassen. Eine Zensur findet nicht statt. Überhaupt will sich die Künstlerin „keine Meinung anmaßen“. Jede Belehrung, auch jeden Zwang zum Erinnern möchte sie vermeiden. So lagern sich gleichsam immer mer mehr Sedimente der Erinnerung in ihrer Arbeit ab. Oder soll man sagen: sie wuchern?

Denn auch Beliebiges oder Schlimmeres könnte sich einfinden. Doch selbst wenn alle Zulieferungen der Sache dienlich wären und eine feste Bleibe fänden: Wer wollte noch sichten und ordnen, wenn die Sache eines Tages ins Uferlose gewachsen ist?

Man könnte Sigurdssons Installation der Konzept-Kunst zurechnen. Es zählt also in erster Linie die Idee, die einen Prozeß in Gang setzen soll, der hier im prinzipiell unendlichen „Forschungsauftrag“ besteht. Wichtiger Impuls: Erinnerung ist eine Aufgabe für alle Zeiten, die niemals aufhören darf. Während Eisenmans Holocaust-Mahnmal seine Ausmaße monumental vorweisen würde, wirkt Sigurdssons Arbeit bescheiden, obwohl auch sie gedanklich ins große Ganze ausgreift.

Umfassendes, wenn auch begrenztes Anwachsen prägt eine weitere Abteilung. Hier hat Sigrid Sigurdsson (unter dem Titel „Die Architektur der Erinnerung“) Hunderte ihrer Zeichnungen zu Themen-Folianten gebündelt. Hundert mal hundert (also 10000) Blätter sollen es einst werden, fertiggestellt sind 25 Hunderter-Mappen, aus dreien sind jene rätselvollen Bilder der Gewaltsamkeit entnommen, die an den Wänden hängen.

Ging es bis hierhin um Fakten, so nun um die oft alptraumhaften Emotionen. Denn natürlich hinterläßt eine solch einläßliche Beschäftigung mit der NS-Zeit tiefste Spuren in der Seele.

„Deutschland – ein Denkmal – ein Forschungsauftrag“. Osthaus-Museum, Hagen“ (Hochstraße). Bis 4. April. Di-So 11-18, do 11-20Uhr.




Der traumhaft richtige Tonfall der Sheryl Crow – Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle 2

Von Bernd Berke

Dortmund. Auch mit jetzt kürzeren Haaren sieht die Rockmusikerin Sheryl Crow so verdämmt gut aus, daß man ihr statt einer Kritik am liebsten allerlei Komplimente darreichen würde. Aber so geht’s natürlich nicht.

Nüchtern also: In der nicht ganz ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle 2 lieferte sie mit ihrer Band ein hörenswertes Konzert, dem freilich die geschliffene Dramaturgie fehlte. Auf Länge gesehen, schien der Mix aus ihren drei bisherigen Alben („Tuesday Night Music Club“, „Sheryl Crow“, „The Globe Sessions“), trotz etlicher starker Titel, von Monotonie bedroht. Vielleicht lag’s nur an der Reihenfolge. Jedenfalls vermißte man ein wenig die Wechselspiele harter und sanfter Songs, jene Steig- und Fallhöhen der Gefühle, die einen mitreißen.

Sheryl Crow, aus einer Kleinstadt in Missouri stammend, geht offenbar am liebsten immer die gleiche Straße entlang. Die allerdings wurde einst von Bob Dylan gepflastert (der ihr seinen Song „Mississippi“ überließ) und hat sich noch stets als Königsweg erwiesen. Damit ist die Ex- Background-Sängerin Michael Jacksons (die längst selbst in höhere Grammypreis- und Verkaufsregionen vorgedrungen ist) von Grund auf gut unterwegs.

Auch trifft ihre Stimme traumhaft den richtigen Tonfall – etwas aufgerauht, nicht gefällig, aber eingängig. Und wo sind die jüngeren Männer aus der Garde der Sänger/Songwriter die solchen Frauen-ebenbürtig wären: Suzanne Vega, Michelle Shocked, Shawn Colvin – oder eben Sheryl Crow? Ihre Kompositionen wie „Leaving Las Vegas“, „My Favourite Mistake“, „It don’t Hurt“ oder der Hit „All I Wanna Do“ gehören zum besten Bestand der 90er.

Mit ein paar Brocken Deutsch gerüstet („Guten Abend – Danke schön“), verzichtet Sheryl Crow auf Anbiederung beim Publikum, sie legt alle Energie in den musikalischen Vortrag. Ausgesprochen kraftvoll gibt sich die allzeit grundsolide InstrumentalBasis: zwei Gitarren, Baß, Keyboards/Synthesizer, dazu ganz apart elektrisch verstärkte Violine und Cello. Aus dieser Gruppierung könnte man mitunter mehr differenzierte Varianten herausholen.

Manche Titel fräsen sich zum Schluß in scheppernde Krach-Orgien hinein. Andere, in denen man geradezu schwelgt, brechen unvermittelt ab, als habe Sheryl Crow die Lust verloren. Dabei klingen doch die Anfänge der Songs und die Verläufe meist so wunderschön entspannt…

Dem Gemäkel zum Trotz: Wer nicht da war, hat etwas versäumt. Sheryl Crow ist zwar kein Rockgenie (wer wäre das heute auch schon?); sie gehört aber zu den wenigen, die diese Musik lebendig halten. Wer bietet mehr?




Das Geld frißt alle anderen Werte auf – Carl Sternheims Komödie „Die Kassette“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Carl Sternheims böse Komödie „Die Kassette“ hat nicht nur bei der Berliner Uraufführung 1911 für einen Skandal gesorgt. Noch 1960 wurde Rudolf Noelte wegen seiner Inszenierung fristlos entlassen. Jetzt ist die dramatische Zeitbombe auch in Dortmund geschärft worden.

Es geht um die zerstörerische Macht des Mammons. Jene Wertpapiere über 140 000 Mark (damals ein noch viel größeres Vermögen), die in der ominösen Kassette liegen, verätzen jede Liebesbeziehung und unterminieren die bürgerliche Wertordnung samt kulturbeflissener Verbrämung.

Oberlehrer Heinrich Krull (wohlbeleibter Bilderbuch-Spießer: Gerhard Fehn) wird zwischen weiblichen Fronten zerrieben. Seine zweite Frau Fanny (zwischen Domina-Attitüde und Nervenschwäche: Stephanie Japp) verlangt, er möge die betagte Elsbeth Treu (Helga Uthmann) niederhalten. Doch Elsbeth ist die Erbtante, besitzt die Kassette – und somit die Macht, den gierigen Krull wie alle anderen zu nasführen. Ein rechtes altes Aas, nutzt sie dies weidlich aus.

Die Mechanik zwischen den Figuren

Regisseur Harald Demmer gewinnt dem Text etliche groteske (und ein paar alberne) Facetten ab. Manchmal wirkt’s etwas arg exaltiert, aber unterhaltsam ist’s schon. Seelenvolle Menschen erlebt man hier nicht, wohl aber die Mechanik, die zwischen ihnen herrscht. Durchs Bühnenbild (Oliver Kostecka) weht ein Hauch von 50er Jahren und frühem „Wirtschaftswunder“. So rückt uns das Thema noch ein Stück näher.

Besonders Krulls Tochter Lydia (Wiebke Mauss) tut sich als naive Göre hervor – mit schriller Blockflöte, gesanglichen Mißtönen und drolligen Hopsern. Doch schließlich steht sie als graues, von Migräne geplagtes Häuflein Elend herum, geschwängert vom Fotografen Seidenschnur (Michael Masula), der es mit jeder treibt und sogar sein Foto-Stativ wie eine Erektion aufpflanzt.

Fast allen ergeht’s hier ähnlich wie Lydia: Ihre anfangs geschwollenen Selbstbehauptungs-Gesten knicken immer mehr ein, schnurren kläglich in sich zusammen. Fanny stakst am Ende so gebrochen daher, als führe ihr Weg geradewegs in die Psychiatrie.

Sichtbar wird das Gewaltpotential der Geldgeilheit. Jede lüsterne Bewegung kann sich plötzlich ins Rabiate wenden. Im einen Moment lasziv geherzt, im nächsten brutal zu Boden gestoßen. Wie Marionetten zappeln sie zwischen Geld und Eros. Liebster Bettgenosse ist aber stets die Kassette.

Die mal plüschigen, mal stählernen Floskeln wilhelminischer Zeit, die Sternheim so gezielt eingestreut hat, quellen in grandioser Lächerlichkeit hervor. Am Schluß wird’s liturgisch wie bei einem Gottesdienst des Geldes. Diese Meßdiener hole der Teufel!

Herzlicher Beifall für ein beachtliches Ensemble.

Termine: 14., 26. Feb., 12., 25. März.Karten: 0231/50 27 222.