Goethe, Grass und Görner im Rucksack – ein Rundgang durch die Hallen der Frankfurter Buchmesse

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Der Buchmesse-Rundgang gerät an manchen Stellen ins Stocken. Nicht nur, weil die Leute blättern oder einen Schwatz halten wollen, sondern weil Menschenknäuel rund um die Hochprominenz die schmalen Wege verengen. Beispielsweise gestern am Econ-Stand. War Oskar Lafontaine mal wieder da? Nein, nein, nicht immer nur er! Manfred Krug gab sich die Ehre des Signierens.

Schöne Anblicke: Nebenan verteilte eine Dame im Brautkleid Rosen, derweil stehen zwei Nonnen ganz dicht beim „Kommissar Stöver“, der heuer „66 Gedichte“ präsentiert. Von hinten ruft ein Zaungast: „Der sieht aber schlecht aus.“ Nun ja: Krug war nicht eigens „in der Maske“, ihm ist’s warm unter den Scheinwerfern.

Beim Durchzwängen merkt man, wie viele Besucher die unvermeidlichen Rucksäcke tragen. Das kostet Platz. Gewagte Überleitung: In diesen Beuteln steckt oft viel drin, in den Büchern mitunter auch. Beispielsweise im Brockhaus-Lexikon „Multimedial 2000″, das auf drei CD-Rom-Scheiben 89 000 Stichworte bietet und jederzeit übers Internet aktualisiert werden kann. Zu vielen Schlagwortcn bekommt man noch „Links“ (Verbindungen zu anderen Internet-Adressen), wo man beim Durchklicken noch mehr erfährt – weit übers Lexikon hinaus.

Die Belletristik treibt zwar oft die schönsten Blüten am Bücherbaum, doch die meisten Regale sind mit Ratgebern gefüllt. Es findet sich alles, womit man gesund, reich, schön und glücklich werden soll.

Der Sammler hat das Jahrhundert gern „komplett“

Die meisten Verlage haben irgendetwas zum Thema „Millennium“ im Programm, es ist eben die hohe Zeit der Rückblicke. Der Büchersammler hat das Jahrhundert gern „komplett“. Danach sehen und lesen wir weiter. Doch wer einmal mit Sachbüchern Tagesumsatz macht, schmückt sich auch gern mit der schönen Literatur, mit Dichtung „für die Ewigkeit“. Bestes Beispiel ist DuMont. Mit ihrer noch recht jungen belletristischen Reihe zählen sie schon zur Creme.

Wer einen Grass hat, zeigt ihn deutlich vor – in erster Linie Steidl und der Deutsche Taschenbuchverlag. Auch Goethe „zieht“ – zumal bei den „Hörbüchern“: I.utz Görners Gedicht-Rezitationen und der „Faust“ mit Gründgens stehen auf den beiden obersten Plätzen der akustischen Hitliste.

„Picknick mit Eckermann“

Auch Kochbuchverlage sind in diesem Jahr gern „Zu Gast bei Goethe“. Gelegentlich darf’s auch schon mal ein „Picknick mit Eckermann“ sein, Goethes Vertrautem der späten Jahre. Unterdessen bietet der Leipziger Miniaturbuch-Verlag Goethes „Faust I“ im Streichholzschachtel-Format. Das spart etwas von dem Platz ein, den die Rucksäcke kosten…

Manche Verlagskojen wirken traurig. Ein einziger Autor sitzt melancholisch herum. Andere hingegen geben sich triumphal, es sind die großen Gemischtwarenläden, die jedem etwas bieten: Bertelsmann besetzt eine ganze Standlandschaft; die Gruppe Droemer/Weltbild braucht turmartige Lichtsäulen, um all die Verlage zu nennen, die zu ihr gehören. Wer hat, der hat.

Über das Gastland Ungarn, das sich in der Halle 3 gediegen präsentiert, hat der Autor Peter Esterhazy Wesentliches gesagt: Man sei literarisch eine Weltmacht geworden, aber in der so besonderen Sprache eingekerkert. Wohl wahr. Die Übersetzer sind nicht zu beneiden. Bleibt der Rat: Achten Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens auf die Ungarn – auf Namen wie György Dalos, Imre Kertesz, Laszlo Krasznahorkai, György Konrad, Terezia Mora und all die anderen.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. heute (Freitag) nur für Fachpublikum. Samstag/Sonntag (9-18.30 Uhr) für alle zugänglich. Tageskarte 12 DM. Messekatalog mit CD-Rom und allen Adressen 45 DM.




„Ich tauge nicht für die Wirklichkeit“ – Gespräch mit Renan Demirkan, nicht nur über ihren neuen Roman

Von Bernd Berke

Frankfurt. Länger nichts mehr von der Schauspielerin Renan Demirkan gesehen oder gehört? Kein Wunder: Die film- und fernsehbekannte Frau, die von 1982 bis 1984 zum Dortmunder Theaterensemble gehörte und jetzt bei Köln lebt, hat sich eine Zeit lang ihrem zweiten Beruf gewidmet und ihren dritten Roman geschrieben.

Nach „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“ und „Die Frau mit Bart“ erschien jetzt bei Kiepenheuer & Witsch die durchaus nicht problemfreie Liebesgeschichte „Es wird Diamanten regnen vom Himmel“. Die WR traf Renan Demirkan am Verlagsstand bei der Frankfurter Buchmesse.

Warum muss Ihre Heldin, die allein erziehende Tanztherapeutin Rosa, in ihren Vierzigern ausgerechnet einen Porschefahrer lieben lernen? Und hat diese Frau autobiographische Züge?

Renan Demirkan: Ich komme drin vor in der Rosa, aber ich bin es nicht. Von autobiographischen Momenten können Sie bei mir immer ausgehen. Auch ich bin beispielsweise allein erziehend, bin in diesem Alter. Zentrales Thema des Romans ist die Sehnsucht. In meinem Alter wird der Alltag zum absurden Hindernisrennen auf dem Weg zum Glück, weil die Verpflichtungen so enorm gewachsen sind – durch Kinder, durch den Job. Und und und.

Und dieser Rick, der Mann mit dem Porsche?

Demirkan: Ich wollte zwei ganz unterschiedliche Charaktere haben. Rosa, die Moralistin, die Engagierte – und Rick, der Oberflächliche, der Zyniker. Doch die Sehnsucht der beiden ist dann doch die gleiche. Mich hat interessiert: Wie begegnet man sich ab einem bestimmten Alter? Wie sehen solche Anfänge aus? Ich bin jetzt fast 20 Jahre Schauspielerin. Was mich am Leben gehalten hat und die Lust bewahrt hat, ist, dass ich immer wieder neu anfangen wollte. Egal, wie schmerzlich die persönliche Situation war.

Gibt es denn immer nur Neubeginn? Nichts von Dauer?

Demirkan: Bitte fragen Sie mich diese Frage nicht! Ich kann immer nur vom Scheitern berichten. Ich bin immer weggegangen. Immer. Ich habe es nicht geschafft. Sonst würde ich nicht über Sehnsucht schreiben. Dieses verdammte Glück, dieser Ausnahmezustand. Ich musste mich sogar zwingen, das Buch halbwegs hoffnungsvoll enden zu lassen.

Wollen Sie vom Schauspielberuf Abschied nehmen?

Demirkan: Nee, nee. Es gibt da ein Fernsehspielprojekt mit dem WDR. Für mich ist von der Bühne zum Schreiben kein sehr großer Sprung. Beides gehört zu meiner schlimmen Sehnsucht nach inszenierten Welten. Ich tauge nicht besonders für die „wirkliche“ Wirklichkeit. Ich brauche größtmögliche Freiheit. Als Schauspielerin darf ich alles sein und bin doch innerhalb des Stückes durch die Rolle geschützt. Auch das Schreiben habe ich für mich entdeckt als eine Form des Beschütztwerdens, des Aufgehobenseins.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Zeit am Dortmunder Theater?

Demirkan: Oh ja! Ich weiß noch gut, wie ich gewohnt habe: Saarlandstraße, Ecke Ruhrallee, unterm Dach, 90 Stufen hoch jeden Tag. Ich weiß noch genau, was ich gespielt habe. Am schönsten war Tschechows „Onkel Wanja“, da war ich die „Sonja“. Und Adolf Winkelmann hat mich da für meinen ersten Kinofilm „Super“ geholt. Es war eine wichtige Zeit. Ich hab‘ nur gute Erinnerungen.