Zorn aufs neue Jahrtausend – Joseph von Westphalens drastischer Roman über die Millenniums-Hysterie

Von Bernd Berke

Hier zitieren wir einen, dem die ganze „Millenniums“-Hysterie mit Zeitzonen-Sonderflügen, Jahrtausend-Babys und maßlos überteuerten Silvester-Feten auf die Nerven geht: „Die Zahl 2000 ekelte mich an. Sie sah aus wie ein häßlicher kurzer Wurm“.

Wenn dieser Mann an den heute anstehenden Jahres-/Jahrtausend-Wechsel denkt, so erfasst ihn „ein seltsamer Schwellenzorn“. Schon der Titel, den Joseph von Westphalen (54) seinem Roman gegeben hat, ist deutlich: „Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbeigeht“. Auf Seite 129 erklärt er die drastische Wortwahl: „Ich mag den Ausdruck. Es ist ein treffendes Bild berechtigter Interesselosigkeit.“

Aus dem „Trend“ Kapital schlagen

Doch der Ich-Erzähler des Romans weiß aus seiner Wut über das – Zitat – „Wichserdatum“ Kapital zu schlagen – und wie! Dieser Schriftsteller macht es sich zunutze, dass die Buchverlage händeringend nach Millenniums-Texten suchen, um den vermeintlichen Trend zu erhaschen. Der fiktive Autor lässt sich ein Projekt nach dem anderen abschwatzen und kassiert vorab satte Garantiehonorare. Auf die Restzahlungen bei Textlieferung („Unbedingt zur Buchmesse ’99“) kann er alsbald kalt lächelnd verzichten.

Wozu schreiben, wenn man auch so kassieren kann?

Denn im Lauf der Zeit kommen nicht weniger als 37 Verträge zustande, flotte 2000er- Broschüren für Zahnarzt- und Bankiers-Verbände inklusive. Das alles zu schreiben, ist natürlich nicht zu schaffen. Also fängt er erst gar nicht damit an, sondern transferiert die ergatterten Millionen lieber schon mal auf diverse Schweizer und Luxemburger Konten.

Juristisch betrachtet, so verrät ihm ein befreundeter Anwalt, sei ihm das Geld nicht mehr zu nehmen. Nun träumt der bislang arme Poet drauflos: Karibik, Palmen, schöne Frauen. Alles zum Greifen nahe. Und er übt bereits die Wonne praller Liebeslust mit jener freimütigen Kenianerin Nadja, die sich lasziv kleidet und bewegt „wie eine Eidechse“. Diese Beziehung, auf Treue zur Freiheit fußend, hat wahrhaft Zukunft. Sie verweist sozusagen schon ins übernächste Jahrtausend.

Die eigenen Pointen erklären

Die Liebesgeschichte grundiert also eine Satire auf den Literaturbetrieb, dessen Agenten lieblos zusammengefledderte Bücher auf den Markt werfen, die schon morgen keiner mehr lesen mag: Titel wie „Liebe 2000″, „Feinschmecker 2000″, ja sogar „Selbstmord 2000″ geraten da ins Angebot. Wie panisch manche Verlagsmanager durch jede Zeitgeist-Kurve mitfahren, zeigt sich gegen Schluss. Auf einmal wollen alle die „2000er“-Titel  stornieren – wegen akuter Übersättigung. Dem Autor, der eh nichts verfasst hat, kann’s recht sein.

Es ist auch eine stellenweise arg heftige Attacke eine stellenweise arg heftige Attacke auf die Macken unserer „Event“-Gesellschaft. Joseph von Westphalen erregt sich gern, man sieht seine Zornesadern geradezu anschwellen, doch dann neigt er wieder zum Erklären der eigenen Pointen – und nicht immer trifft er den passenden Ton. Als er auf die (allemal fragwürdige) gezielte Zeugung von Jahrtausend-Kindern zu sprechen kommt, schweben ihm gleich biblisch bekundete Untaten des Herodes (Bethlehemitischer Kindermord) vor.

Gefühle, die sich nach dem Stichtag richten

Und jene Kleinkrämer, die immerzu darauf verweisen, dass das neue Jahrtausend rechnerisch erst 2001 beginne, werden kurzum als „Faschisten“ gegeißelt. Hier geht’s weit übers läppische Ziel hinaus.

Vielfach aber spricht einem das Buch aus dem Herzen. Denn dies ist wahr: „Wer seine Stimmung, seine Wünsche, sein Amüsierbedürfnis, seine Gedanken, sein Gedenken, seine Vorsätze an Kalenderdaten bindet, der ist ein Tropf, ein Stichtagssachbearbeiter“. Ganz in diesem Sinne: Prost Neujahr, Potztausend!

Joseph von Westphalen: „Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbeigeht oder: Das Zeitalter der Eidechse“. Roman. Eichborn-Verlag, 160 Seiten, 24,80 DM.




Die große Langeweile mit den Außerirdischen – Anna Badora stemmt Vera Kissels „Die Apokalypse der Marita Kolomak“ auf die Düsseldorfer Bühne

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Es gibt Aufführungen, nach denen sich selbst der glühende Theaterfan fragt, ob er sich in diesen Stunden nicht lieber dem unmittelbaren Leben hätte zuwenden sollen. Einen solchen Abend bescherte jetzt das Düsseldorfer Schauspiel, wo Intendantin Anna Badora ein neues Stück zur Uraufführung brachte oder besser: schleppte.

„Die Apokalypse der Marita Kolomak“ stammt von Vera Kissel (40). Sie hat ein Journalistik-Studium in Dortmund absolviert und im Ruhrgebiet als Redakteurin gearbeitet. Irgendwann entdeckte sie ihre (halbwegs vorhandene) lyrische Begabung – und dann hat sie beschlossen, Dramatikerin werden zu wollen.

Das Handlungsschema der „Apokalypse“ ist rasch erzählt. In einer Dorfkneipe mit dem Namen „Wegsend“ (will heißen: Ende des Weges, will heißen: Verzweiflung am Schlusspunkt der Zeiten) erwartet man zu Silvester bebend die Ankunft eines Ufos (Teil 1), das aber nach der ersehnten Pause denn doch nicht gekommen ist (Teil 2). Vorhang zu und wenige Fragen offen.

Besagte Marita Kolomak (Heidi Ecks) ist die Frau des Wirtes „Jupp“ (Martin Schneider). Sie hat ihr Baby verloren, ist dem seherischen Irrsinn nahe. Nun hört sie „Stimmen“, welche die Ankunft von Außerirdischen ankündigen. Aussicht für alle Geplagten: Dann werde sich das Unterste nach oben kehren und umgekehrt, es werde eine neue Zeit anbrechen. Eine Handvoll anderer Enttäuschter zeichnet Maritas Gestammel („Und morgen und morgen und morgen…“) gläubig auf, fertigt Kopien und heftet selbige für den Tag X in Ordnern ab.

Eigentlich recht simpel: Die vom Leben Gebeutelten richten all ihr Warten und Hoffen auf ein Anderswo, sie projizieren munter drauflos und kompensieren ihre Defizite.

Eierlikör als Trost für Witwe Gisela

Die 17-jährige Juliane (Birgit Stöger) sieht ansonsten keine Zukunft für sich, Maritas Schwester Monika (Anke Schubert) wird ewig den „Mann fürs Leben“ suchen und nicht finden. Die Witwe Gisela (Anke Hartwig) trauert den Zeiten nach, da sie in der DDR noch solide Büstenhalter nähen durfte und wendet sich dem Damentrost Eierlikör zu. Der Student Tobias (Markus Danzeisen) verheddert sich in pseudo-wissenschaftlichem Gefasel. Nur Opa Schlott (Winfried Küppers) hat das Gröbste hinter sich und ist zufrieden, wenn Jupp „noch eine Lage“ Bier und Schnaps bringt. Er braucht keine Außerirdischen.

Die Bühne (Kathi Maurer, auch Kostüme) für dieses Panoptikum sieht aus, als solle Horváth oder Kroetz gespielt werden. Diese beiden, nebst Fleißer und Sperr, scheinen denn auch die Traditionslinie zu markieren, in der dieser Text sich sehen mag. Jene traurige Kneipe, über der der Pleitegeier schwebt, ist mit bunten Glühbirnen und Sternchen rundum dürftig dekoriert. Die farblich jeweils klar zugeordnete Kleidung (Marita in Gelb, Monika in Rot usw.) wirkt schräg, gestrig, ganz schön „daneben“ und lässt die Figuren debil aussehen.

In den besten Momenten klingen die Worte des Stückes nach lakonischen Volksweisheiten. Es ist viel Angelesenes und Angehörtes, hernach kaum verdautes und sprachlich nur zugerichtetes Zeugs drinnen. Knappe, oft lyrisch gedrechselte Sätze prägen den Stil: „Hab‘ sie weg“ heißt es statt „Ich habe sie weggegeben“. Es hört sich arg manieriert an.

Anna Badora lässt die Konfusion brav vom Blatt spielen. Treibende Konflikte gibt es im Grunde nicht, nur die beständige Erwartung einer Ankunft. Das Stück deshalb mit Samuel Beckett („Warten auf Godot“) verkuppeln zu wollen, wie es im Programmheft geschieht, ist sternenweit zu hoch gegriffen.




Unsagbares Leiden am Verlust der Tugend – Werner Schroeter inszeniert Racines „Phädra“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Grau in Grau dunkelt der karge Raum; vielleicht ein Wartesaal in alle Ewigkeit, eine Gruft, eine Einbunkerung. Hier, so scheint es, können keine Leidenschaften mehr glühen, hier gibt es nur noch die Asche. An solch einer Stätte lässt der Regisseur Werner Schroeter seine Bochumer Inszenierung der „Phädra“ (1677) von Jean Racine (in Schillers Übersetzung von 1804) spielen.

Alle Personen betreten die Bühne zugleich. Fortan gibt es keine Auf- und Abgänge mehr. Wer nicht spricht, bleibt dennoch da, setzt sich auf jene umlaufende Bank am Bühnenrand, mit unbewegter Miene. Alle Gestalten befinden sich stets auf der Szene. Gerade deshalb wirken sie, als seien sie nur geisterhaft vorhanden. Hören wir etwa einem Gespräch der toten Seelen zu?

Verbotene Liebe: Phädra begehrt ihren Stiefsohn Hippolyt. Als die Nachricht vom vermeintlichen Tod ihres Gatten, des Königs Theseus, eintrifft, offenbart sie ihre inzestuösen Gefühle. Hippolyt (Andreas Pietschmann) weist sie ab, denn er liebt Aricia (Annika Kuhl), die aus feindlichem Geschlechte stammt. Noch so eine „unmögliche“ Leidenschaft.

Theseus aber hat seine Kriegsabenteuer doch überlebt und kehrt heim. Die verwirrte Phädra erliegt den Einflüsterungen ihrer Vertrauten Oenone (Eva-Maria Hofmann) und lässt es zu, dass diese den Spieß umdreht und Hippolyt beim Vater anschwärzt: Sein Sohn habe Phädra verführen wollen.

Der Rest ist Verdammung, ist Tod im Wasser (Oenone), durch ein Ungeheuer (Hippolyt) und durch Gift (Phädra).

Beschwörung in abgezirkelten Sätzen

Auf der Bühne geschieht derweil nicht viel, es wird alles nur – in abgezirkelten Sätzen beschworen. Schroeter hat eine einleuchtend strenge Form gefunden, die ein wenig an japanisches Traditions-Theater erinnert. Ein Gong und anderlei leichtes Schlagwerk begleiten die Sprech-Akte. Die Nebenfiguren balancieren mit Stangen oder pflanzen sie neben sich auf, als gelte es, ein Samurai-Ritual zu bestehen.

Der Boden ist gläsern, wirft gespenstische Spiegelungen zurück, von unten dringt Licht herauf. Auf solch unsicherem Geläuf werden die Schritte zumeist vorsichtig gesetzt wie auf zu dünnem Eis. Deutliche Kontrapunkte zu allem, was man „Bochumer Spaßtheater“ zu nennen beliebt.

Eine Glaskugel rollt über den Glasboden

Spannend ist es zu verfolgen, wie die Sprache das Regiment übernimmt, wie die Personen die Schwellen zu ihren vielfach fälligen Liebes- und Schuld-Geständnissen überwinden. Freilich gibt es ein paar „verlorene“ Regie-Ideen, die sich im Kontext nicht recht erschließen wollen: Mit Kreide wird das Wort „gern“ an die Wand geschrieben. Zwischendurch rollt eine Glaskugel über den Glasboden. Selbstgenügsame poetische Zeichen?

Es ist der große Abend der Margit Carstensen, die aus dem insgesamt sehr inspirierten Ensemble herausragt. Sie ist eine höchst zerbrechliche Phädra, unsagbar leidend am Verlust der Tugend, aber wohl auch am heraufziehenden Alter und dem Verlust erotischer Vorzüge. Eine gespaltene, schwankende, wahrlich geisterhafte Gestalt, ganz in Weiß und schon dem Tod anheimgegeben.

Theseus (Ralf Dittrich) erscheint hier moralisch fragwürdiger und gewissenloser als Phädra – in seinen verblendeten Zorneslaunen, die sich wechselweise gegen Götter, Sohn und Gattin richten. Auf seinen Feldzügen verübte er stets (sexuellen) Frauenraub, doch duldet er selbst keine Untreue. Wer da nicht zum „Feministen“ wird…

Langer Beifall, etliche Bravos für Regie und Darsteller.

Termine: 11., 14., 17., 23.12. Karten: 0234/33 33-111




Aus dem Baukasten der modernen Kunst – Dortmunder Ostwall-Museum zeigt die „Sammlung Hoh“

Von Bernd Berke

Dortmund. Da musste selbst Ingo Bartsch, der Direktor des Ostwall-Museums, passen. Eine ganz Reihe von Künstlernamen aus der Sammlung des Fürther Ehepaares Hoh war ihm vormals nicht geläufig. Die offenkundig begüterten Leute, über deren finanzielle Hintergründe nichts verlautet, lassen sich bei ihren Kunstkäufen weniger von berühmten Namen als von Marktlage und Geschmacks-lmpulsen leiten.

Nicht immer beweisen sie dabei eine glückliche Hand. Wie man jetzt anhand von rund 100 Exponaten am Ostwall überprüfen kann, enthält die Sammlung auch etliche kraftlosere Stücke aus der „zweiten Reihe“ der Moderne. Es gibt wenige Gipfel, eher die Mühen der Ebene.

Man sieht also Werke von weniger bekannten, gelegentlich, auch weniger begabten Konstruktivisten, Futuristen, Expressionisten, Surrealisten und so weiter. Böswillig könnte man sagen, dass die Kollektion Beispiele fast aller stilistischen „-Ismen bis zur Mitte des Jahrhunderts wie Kraut und Rüben versammelt. Eine sinnvolle Hängung war gewiss nicht einfach. Sie ist aber erstaunlich gut geglückt und stiftet den einen oder anderen Zusammenhang zwischen den Bildern und Skulpturen.

Freiraum für „Entdeckungen“

So wird aus dem Sammelsurium denn doch ein lehrreicher Baukasten der Moderne. Hier lässt sich manche bildnerische Essenz des Jahrhunderts noch einmal nachvollziehen. Doch vieles ist nur ein fernes Echo der eigentlichen Beweger. Nun gut, nicht jeder kann ein Picasso sein.

Da die Sammlung erst ab Mitte der 80er Jahre entstanden ist, muss man zudem berücksichtigen, dass absolute Spitzenwerke der Klassischen Moderne seither so gut wie unbezahlbar sind. Auch kommt nicht immer alles nach Belieben auf den Markt. Es bleibt abzuwarten, welche Schwerpunkte sich mit den Jahren in dieser Sammlung entwickeln. Sie ist im Werden. Dies ist spannender als eine allseits „abgesicherte“ Auswahl.

Nicht den neuesten Moden nachhecheln

Sympathischer Zug, dass die Sammler nicht den neuesten Moden der Westkunst nachhecheln. Gut auch, dass sie die Aufmerksamkeit sonst weniger beachteten Ländern wie Schweden, Dänemark, Ungarn oder Mexiko widmen. Vor allem aber: Gerade der Umstand, dass sie sich abseits der ausgetretenen Pfade umgesehen haben, öffnet den Blick des Betrachters für Nebenwege. Hie und da kann man seinen Horizont erweitern.

Rings um das eine oder andere Nebenwerk der Prominenz (Feininger, Hoetger, Jawlensky, Kirchner oder Morgner, Zadkine) bleibt also viel Freiraum für „Entdeckungen“.

Einen starken Eindruck hinterlassen beispielsweise die Arbeiten von Walter Gramatté (1897-1929). Besonders sein Einsamkeits-Bildnis „Mann im Schlitten“ (1920) übt einen ungeheuren Sog aus, aber auch „Der Abschied“ (1920) kündet nachhaltig von Wärme- und Kältezonen einer Liebesbeziehung. Das Selbstbildnis des Dietz Edzard (1893-1963), mit Palette und wie zur Abwehr eines Angriffs erhobenem Malpinsel, hat gleichfalls bannende Kraft.

Es fällt auf, dass motivische Vorlieben das Sammlerinteresse prägen. Gleich dreimal sind (in unterschiedlichster Ausprägung) paradiesische Szenen mit Adam und Eva vertreten. Auch die melancholischen Momente der Liebe kehren auf einigen Bildern wieder.

Sammlung Hoh. Museum am Ostwall, Dortmund. Bis 13. Februar 2000. Di-So 10-17 Uhr. Eintritt 4 DM, Katalog 39 DM.




Wilhelm Busch: Ernste Kunst blieb seine Privatsache – Oberhausen zeigt Gemälde des berühmten Humoristen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Wenn einem der Ruf des Humoristen anhaftet, gibt es hierzulande schwerlich die höheren Weihen der Kunst. Diese Befürchtung hegte auch Wilhelm Busch, der volkstümlich berühmte Urheber von Comic-Vorläufern wie „Max und Moritz“ oder „Hans Huckebein“. Ernsthafte Tafelmalerei betrieb er daher nur ganz privat.

In Oberhausen kann man jetzt eine breite Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen betrachten. Das Wilhelm-Busch-Museum zu Hannover wird umgebaut, daraus ergab sich die solche Chance der umfangreichen Ausleihe.

Zeitlebens ist Wilhelm Busch (1835-1908) mit diesem Teil seines Werkes nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Heimlich, still und leise hat er geübt, hat zahllose Bleistift-Skizzen und Ölbilder gefertigt. Man nimmt an, dass es schließlich 2000, vielleicht auch 4000 Arbeiten gewesen sind. die er hortete – in Wiedensahl bei Hannover, weit abseits der Kunstmetropolen.

Die „Dornröschen“-Szenen von 1855 atmen noch den Geist lieblicher Märchen-Romantik. Aber dann! Es ist unverkennbar, dass um 1870 Anstöße von den alten niederländischen Meistern kamen, besonders Frans Hals ist zu nennen. Auf einem Selbstbildnis zeigt sich Busch als Holländer; auch der „Mann in Tracht mit Glas“ gehört in diesen Kontext. Sogar „Prügelszenen“, die man thematisch den humoristischen Bilderbögen zuordnen würde, kommen in altmeisterlicher Manier daher. Die Farbpalette könnte von Rembrandt stammen.

Abgeschottet vom damaligen Kunstbetrieb

Einerseits bekam er in der Provinz kaum Rückmeldung aus der „Szene“, andererseits musste Busch hier keine öffentlichen Ansprüche bedienen (es war die Zeit der monumentalen Historien-„Schinken“), sondern konnte lustvoll experimentieren. So kam es, dass die ungeheure, schon „filmreife“ Dynamik seiner Bildergeschichten sich als moderner Impuls auf die Malerei übertrug. Die Rasanz der Pinselschläge bekam zunehmend Eigenwert, die Farben verselbstständigten sich als Ausdruck von Stimmungen. Eine Landschaftsskizze wie „Durchblick“ (1890/95) gerät bereits an den Saum der Abstraktion.

Freilich wird man in Oberhausen auch durch diverse Übungs-Stadien geführt. Winzige Skizzen (Busch nutzte noch den letzten Rest vom Bleistiftstummel für derlei Etüden) werden in großmächtigen Rahmungen vorgeführt – ein Effekt, den Busch selbst gewiss bizarr gefunden hätte. Natürlich zeigt die Ludwig Galerie auch etliche Bilderbögen, jene dramaturgisch treffsicheren Klassiker boshaften Witzes. Gerade heraus gesagt: Hierin war Busch wirklich ein Genie und seiner Zeit voraus. Als Maler war er gleichfalls gut, jedoch nicht einzigartig.

Ludwig Galerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). 4. Dez. 1999 bis 19. März 2000. Tägl. außer Mo 11-18 Uhr. Eintritt 8 DM, Familie 15DM, Katalog 38 DM.




Zum Tod von Ulrich Wildgruber: Ein Berserker, der uns sprachlos machte

Welch ein tragisches, nahezu theatralisches Ende: Einsam aufgefunden am Strand von Westerland auf Sylt, mit verwehtem Sand bedeckt. Nur einen Rucksack hatte er bei sich, darin steckten Geld und persönliche Papiere. Höchstwahrscheinlich hat der seit langem herzkranke Schauspieler Ulrich Wildgruber den Freitod gewählt.

Der Flensburger Staatsanwalt Helmut Kanzler kleidete es gestern in die Sprache der Behörden: „Wir wissen, dass er suizidale Absichten hatte“. Später bestätigte er die Existenz eines Abschiedsbriefes, den Wildgruber seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Martina Gedeck, in Berlin hinterlassen habe.

Die Berliner Schaubühne ließ verlauten, man habe keine Depressionen bei dem 62jährigen bemerkt. Seine Bühnenpartnerin Eva Mattes meinte, Wildgruber sei zuletzt sehr erschöpft gewesen.

Über die Hintergründe wissen wir also nichts Genaues. Aber eins ist wahr: Wir sind traurig. Der Kritiker Gerhard Stadelmaier hat Wildgruber den einzigen wirklich revolutionären Darsteller genannt, den dieses Land nach dem Kriege hervorgebracht habe.

In der Tat ist er ein Berserker, ein machtvoller Anti-Schauspieler gewesen. Die Bühne betrat er nicht einfach, sondern er stürmte, fegte, watschelte fahrig darüber hinweg, offenbar ziellos gegen imaginäre Begrenzungen anrennend, mit wirrem Haar und glühendem Blick, so dass man erschrak. Er schien geistig so abwesend und war doch grellwach, war sofort leibhaftig ganz und gar da.

Nach herkömmlichem Verständnis konnte er weder artikuliert sprechen noch differenziert spielen. Viele Figuren überwältigte er auf gleiche Weise, das übliche Handwerk verweigernd: feist, schwitzend, nuschelnd, die Worte achtlos hinwerfend. Doch er zerbröselte Rollen und Texte so, dass in der Asche oft etwas Tieferes aufglomm: dunkelste Triebkräfte des Seins und Handelns. Dieses Wunder bewirkt man nicht mit traditioneller Deklamation. Das Brecht-Wort „Glotzt nicht so romantisch!“ hätte als Motto zu Wildgrubers Tun gepasst. Was er anfasste, wusste er zu verfremden. In seine Charaktere konnte man sich nicht „einfühlen“, man sah sich ihnen sprachlos gegenüber.

Wildgruber hat auch mit Regisseuren wie Hans Neuenfels, Claus Peymann und Peter Stein gearbeitet. Doch auf einen solch monströsen, in den 70er Jahren bitter notwendigen Stückezerstäuber hatte vor allem Peter Zadek gewartet: 1974 spielte Wildgruber bei ihm Shakespeares König Lear, 1977 den „Hamlet“ – beides in Bochum, beides unvergessen. 1976 war er der Hamburger „Othello“, ein „Mohr“, dessen schwarze Schminke nach und nach zerfloss und auf andere Figuren abfärbte.

Enzensbergers „Menschenfeind“ (nach Molière, 1979), Bernhards „Theatermacher“ (1990) Becketts Krapp in und „Das letzte Band“ (1997) waren weitere prägende Rollen. Jüngst spielte er in Zadeks „Hamlet“ an der Berliner Schaubühne (Titelrolle: Angela Winkler) den Polonius.

Seine wüste, tapsige, gelegentlich unsagbar komisch wirkende Körperlichkeit (ein „Riesenkind“ nannten ihn viele) trieb unverhofft gläsern zarte Nuancen hervor. Dann konnte er schwerelos über die Bretter tänzeln und geradezu durchsichtig wirken.

Der am 18. November 1937 in Bielefeld geborene Wildgruber lief auch biographisch kreuz und quer. Kurz vor dem Abi verließ er die Schule, hernach wich er von vorgezeichneten Wegen ab – bis er ans Wiener Reinhardt-Seminar kam. Seine Mitstudenten hießen Franz Xaver Kroetz, Hans Neuenfels, Elisabeth Trissenaar und Libgart Schwarz. Ein legendärer Jahrgang.

                                                                                                                           Bernd Berke