Trost für die sündige Welt – Der Künstler Thomas Grochowiak und sein Bilderzyklus zu Mozarts „Requiem“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Ich bin aufgeregt wie ein Primaner“‚, verrät Thomas Grochowiak. Was kann den mittlerweile 86-jährigen Altmeister der Ruhrgebietskunst noch dermaßen in Wallung versetzen?

Erstmals wird sein neuer, aus 14 großen Tafeln bestehender Bilderzyklus gezeigt, zu dem er sich von Mozarts „Requiem“ inspirieren ließ. Die „echte Uraufführung“ (Grochowiak) in der Kunsthalle Recklinghausen, ergänzt um einige Spanien-Bilder, die Grochowiak selbst nicht ganz so wichtig nimmt, geht mit Lampenfieber einher: Wie werden die Werke im Museum wirken, die bis dato im Atelier gestanden haben?

Schon der Dirigent „zeichnet“ die Musik

Unzählige Male hat Grochowiak Mozarts berühmte Totenmesse gehört; vor dem Malen, dabei und danach. Auch hat er eine Reihe von Orchesterproben besucht, um Feinheiten der Komposition für sich auszuloten. Dirigent war Michael Gielen und dessen Bewegungen, die gleichsam Töne in die Luft zeichneten, kamen Grochowiak bereits wie der Beginn einer grafischen Annäherung vor.

Himmelhohes Jauchzen und tiefste Trübsal hat der Künstler beim Hören verspürt, das Flehen um Vergebung aller Menschheitssünden und die Hoffnung auf göttliche Gnade hat er vernommen. Persönlicher Hintergrund: Der frühe Tod seiner Tochter brachte Grochowiak zur Beschäftigung mit dem religiösen Geist des Mozart-Werkes.

Nur: Wie soll man das zeitlich gestaffelte Auf und Ab der Musik in Bilder überführen, auf denen ja alles gleichzeitig zu sehen ist? Grochowiak: „Wenn man jeden Moment der Musik malerisch erfassen will, dann läuft sie einem davon.“ Seine Schlussfolgerung: „Ich kann nicht die Musik malen, sondern nur meine Empfindungen beim Hören der Musik“.

Im nicht hierarchisch geordneten, aber keineswegs chaotischen Bildaufbau bedrängen viele Sinneseindrücke den Betrachter zugleich. Man meint das Schwellen und Schwinden der Tonfolgen, das Wechselspiel der  Rhythmen nachgebildet zu sehen. Hell und dunkel getönte Flächen verweisen auf Stimmungen, welche die Musik auslöst – mal schwermütig, mal licht und leicht.

Aschfahl oder verdüstert liegt die sündige Welt darnieder, doch alsbald leuchtet – zunächst noch zaghaft – ein überirdisch schimmerndes Goldgelb als „Ewiges Licht“ der Verheißung hervor.

Höllenfeuer und christliches Kreuz

Überhaupt verblüfft an vielen Stellen die schwebende Transparenz der Farben, eine Durchsicht wie auf ein besseres Jenseits. Grochowiak hat mit Farbtusche auf Fabriano-Karton gearbeitet und zwischendurch Wasser aufgesprüht. Beim Aufsaugen der Nässe wellt sich dieser spezielle Malgrund, die Bilder gewinnen eine zusätzliche Raumtiefen-Dimension.

Manche Passagen der Musik verdichten sich zu Farbwolken, andere lagern sich als feine Verstäubungen oder bis zum Platzen gefüllte Farbblasen ab. Die klanglichen Grundlinien und das festere Bassfundament kehren im Bildgefüge als Liniengitter oder Horizonte wieder, die den farbigen Kosmos zusammenhalten, aber nie einschnüren. Zuweilen blitzen – mitten in der abstrakten Formenlandschaft – erkennbare Figurationen auf: der bedrohliche Schlund der Posaune beim Jüngsten Gericht, das lodernde Höllenfeuer, die Gestirne, das christliche Kreuz, das auf allem Sein ruhende „Auge Gottes“.

Eine Kunst, die gar viele Abgründe und Höhen durchmisst und sich von schlimmster Verzweiflung bis zur Ahnung eines umfassenden Trostes erhebt. Starke Akkorde in Grochowiaks Alterswerk.

Thomas Grochowiak: Bilderzyklus zu Mozarts „Requiem“ / Spanien-Bilder. Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Bis 16. April. Katalog (zur Retrospektive in Rastatt) 25 DM, Postkartensatz mit Mozart-Bildern 15 DM.




Jackie Leven: Die Geister des Lebens beschwören

Von Bernd Berke

Bochum. Schön verrauchte Club-Atmosphäre in der Bochumer „Zeche“, lauter Eingeweihte sind da: „Single Father“ ruft einer. Alle wissen es zu deuten.

Gemeint ist der traurige Song vom allein erziehenden Mann. Ein Thema, das wirklich nicht jeder besingt. Aber der Schotte Jackie Leven tut’s.

Seine voll tönende, von Folk, Blues und teils bitterer Lebenserfahrung (zwei gescheiterte Ehen, überwundene Heroinsucht) gesättigte Stimme kommt aus einer Brust von Pavarotti-Umfang. Wär’s nötig, so reichte sie wohl übers Meer.

Die harten, die messerscharf bedrohlichen Seiten des Lebens sind in diesen eisheißen Liedern ebenso aufbewahrt wie schwebend poetische Seelenzustände am Rande der Trance. Auch Levens Gitarre spricht all diese Sprachen, sie wird zum lebendigen Wesen, das von Schwermut und Hoffnungen weiß.

Die meisten Songs stammen aus den neueren Alben „Forbidden Songs of the Dying West“ und „Defending Ancient Springs“ (etwa: Die uralten Quellen beschützen).

Das Alltägliche mit archaischen Wurzeln

Diese Musik ist von heute, handelt oft vom Alltäglichen, hat jedoch archaische Wurzeln und einen Hang zu Mysterien. Manchmal meint man, es erschalle aus den schottischen Highlands der Ruf eines Ritters oder Zauberers, der die Geister des Lebens beschwört. Eigentlich ist der Mann nicht einzuordnen, immerhin passt das ihm verliehene Etikett „Keltischer Soul“ ein wenig.

Es sind meist die alten Geschichten von Verlust und Verzweiflung, doch sie klingen wie ganz neu erzählt und leuchten unmittelbar ein: Schneidende Kälte von Verlassenheit dringt wie ein Urschrei aus dem „Paris Blues“, und selten hört man eine so bezwingende Version eines Pop-Klassikers wie diese: „You’ve Lost That Loving Feeling“ geht einem in Levens Fassung ungleich tiefer zu Herzen als im eher seichten Original.

Levens Gefährtin Deborah Greenwood (Gesang) und Michael Cosgrave (Keyboards) gehören innig dazu. Im Grunde ist es unfassbar, dass derlei eindringliche Musik immer noch als Geheimtipp gilt.




Marionetten der Politik – Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Brutalstmögliche Aufklärung“ versprach das Premieren-Transparent draußen vor dem Wuppertaler Schauspielhaus. Die Formel des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Koch kennt man inzwischen zur Genüge, sie ist zum geflügelten Wort der politischen Sümpfe geworden.

Und was wird unter solchen Vorzeichen in Wuppertal aufgeführt? Jean-Paul Sartres 1948 geschriebenes Stück mit dem vielsagenden Titel „Die schmutzigen Hände“.

Der fiktive Balkanstaat Illyrien ist anno 1943 von Deutschen okkupiert. Die Kommunistische Partei des Landes hat sich gespalten. Die einen setzen auf Partisanenkampf, die anderen auf taktische Kompromisse mit der erzreaktionären Regierung, damit sie schon an den Hebeln der Macht sitzen, wenn einst die Rote Armee einmarschiert.

Wie die Parodie eines Gangsterfilms

Den jungen Intellektuellen Hugo (Thomas Höhne), der bislang nur das Parteiblatt redigiert hat, drängt es aus innerer Leere zur (existenzialistischen) Tat. Er ist „zu allem bereit“, auch zum Mord am führenden Parteifunktionär Hoederer (Siegfried W. Maschek), der sich mit den herrschenden Mächten einlassen will. Hugo wird als Sekretär bei Hoederer eingeschleust, die Pistole steckt im Gepäck.

In Wuppertal (Regie: Volker Lösch) wird der Mord sogleich schon einmal als einmal als Knalleffekt vorweggenommen, ganz plakativ unterm sozialistischen Händedruck-Banner. Sodann müsste die Anatomie der Tat folgen, doch man hat zunächst den Eindruck, hier werde eine etwas alberne Gangsterfilm-Parodie geliefert.

Hoederers Leibwächter ergehen sich in Slapstick-Szenen, ihr Schutzbefohlener hantiert immerzu mit Wodka-Flaschen. Andauernd wird hastig geraucht. Zu all dem erklingt Musik aus Quentin Tarantinos Kinofilm „Pulp Fiction“ – Hinweis auf einen Standpunkt über aller Nervosität, auf einen abgeklärten Umgang mit alltäglich gewordener Gewalt?

Manischer Irrsinn mit Stühlen

Hugo, oft in unechten Posen befangen, und seine Frau Jessica (Tessa Mittelstaedt), ein erotisches Luder, treiben derweil ihr Spielchen mit Bestandteilen des einprägsamen Bühnenbilds (Cary Gayler), das von einem raumgreifenden Konferenztisch-Bogen beherrscht wird. Immer wieder verrückt Jessica die Stühle, und Hugo stellt sie dann wieder in die starre alte Ordnung. Ein Hin und Her der Temperamente, ein manischer Irrsinn.

Die Figuren scheinen überhaupt allesamt Getriebene zu sein, ihrer eigenen Bewegigründe nicht gewiss, geradezu marionettenhaft. Und aus solch unbegriffenem Gefühls-Chaos soll jemals politische Kraft erwachsen?

Nur Hoederer hat das Spiel der Macht durchschaut, aus dem man nicht mit reinen Händen hervorgehen kann. Siegfried W. Maschek zeigt eine facettenreiche Figur: melancholisch, illusionslos, geistig flexibel bis zum Zynismus, den Zwiespalt aller Worte geradezu auskostend. Doch so unabweisbar lebensecht klingen letztlich seine Argumente, dass auch Hugo ihnen erliegt – bis er Hoederer dann doch erschießt, weil jener mit Jessica poussiert, die sich bereitwillig als Trophäe hergibt.

Im Flachland des Hier und Heute

Kein feministisches Frauenbild also. Und kein politischer Mord, sondern eine Tat im Affekt. Vollends verfehlt, weil sich nach der Besatzung just Hoederers Position als Parteilinie durchsetzt. „Nicht verwendbar“, lautet das Urteil der Partei über Hugo, das dieser selbst am Ende hervorstammelt. Er wankt gleichsam ins historische Nichts. Mit dieser „brutalstmöglichen Aufklärung“ hätte es enden können.

Schade nur, dass eine achtbare Aufführung, die denn doch eine Menge Gedankenstoff recht sorgsam aufbereitet, am Schluss noch einmal ins Alberne driftet. Wir sehen den Redner einer hohlen „Neuen Mitte“ aus dem geistigen Flachland des Hier und Heute, er schwafelt von Flexibilität und dergleichen. Ein schneller Lacherfolg. Doch mit Sartre hat dieser flotte neue Typ des Kompromisslers nur noch vage zu tun.

Termine: 22., 23, 25., 29.. 31. März. Karten: 0202/569-4444.