Ein ungleiches Maler-Trio – Drei Wege zur Autonomie: Cézanne – Manet – Schuch in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Das Wagnis ist nicht gering: Zwei berühmte Heroen der malerischen Moderne, nämlich Edouard Manet und Paul Cézanne, werden jetzt in Dortmund mit einer nahezu unbekannten Größe konfrontiert. Bange Frage: Können die Bilder des Österreichers Carl Schuch (1846-1903) dem direkten Vergleich überhaupt standhalten?

Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte, das mit dieser Schau den Abschluss umfangreicher Umbauten begeht, rühmt sich, besagtes Trio erstmals miteinander zu präsentieren. Das mag wohl sein. Auf diese riskante Idee ist eben noch niemand gekommen…

„Drei Wege zur autonomen Kunst“ – so der Untertitel – sind von den Künstlern beschritten worden. Belegstücke sind vornehmlich Stillleben (so viele Äpfel sah man wohl selten beisammen) sowie einige Landschaftsbilder. Als Zugabe sind ein paar sehr tiefgründige Gemälde von Gustave Courbet zu bewundern, der den anderen eine Leitfigur gewesen ist.

Die Lebendigkeit der Austern und Äpfel

Das Gros der Bilder stammt von Schuch, der einige Jahre in Paris gewohnt hat, den beiden Franzosen aber nie persönlich begegnet ist. Bestimmt war es leichter, diese Leihgaben zu bekommen, als noch mehr Werke von Manet und Cézanne. Denn der gebürtige Wiener Schuch, der zeitlebens vergebens auf Ausstellungen hoffte, darob verbitterte und umnachtet starb, ist selbst manchen Fachleuten kein Begriff.

Allen drei Malern ist dies gemeinsam: Die Gegenstände werden immer weniger realistisch nachgebildet, sie sind alsbald nur noch Anlässe zum freieren Spiel mit Flächen und Farben. Ein Apfel etwa, der vordem noch mit Händen zu greifen und essbar zu sein schien, verflüchtigt sich zunehmend zur farblichen Erscheinung. Am Horizont dämmert die Abstraktion herauf.

Ein Blick auf die Entstehungsjahre der Bilder beweist: Die vorher geborenen Manet (Jahrgang 1832) und Cézanne (geb. 1839) haben sich deutlich früher von den Gegenständen entfernt als Schuch (geb. 1846). Dies ist freilich noch kein Wert an sich.

Großes Talent, doch selten Vollendung

Der genauere Augenschein zeigt allerdings Qualitäts-Unterschiede: Manets 1862 geschaffenes Stillleben „Austern“ stellt die Köstlichkeiten grandios und geradezu dynamisch auf die Szene. Seine „Vier Äpfel“ nehmen Beziehungen zueinander auf wie quicklebendige Wesen. Nahrung für die Phantasie.

Oder: Wenn Cézanne etwa eine Obstschale malt, wählt er kühne und raffinierte Ausschnitte, schafft delikate Farbereignisse und erfasst stets den richtigen, den einzig möglichen Moment. Wie schön, dass man derlei Meisterwerke in Dortmund genießen kann! Der Schriftsteller Emile Zola hatte seinerzeit stark behauptet, eine gemalte Möhre könne eine Revolution auslösen. Fast möchte man es glauben.

Demgegenüber hat sich Schuch denn doch mühen müssen. Gewiss besaß er großes Talent, doch zur Vollendung hat er selten gefunden. Manche Bilder, wie etwa die „Sägegrube“ (1878), künden durchaus von Originalität. Bei seinen Stillleben ist es aber weniger die Malweise als die zuweilen etwas gesucht wirkende Kombination der Dinge, die von Eigenheit zeugt: „Rosen, Keksteller und Orange“, „Hummer, Zinnkanne und Spargelbund“; Ansichten aus der guten Küche, die den optischen Appetit schnell stillen und darüber hinaus auf nichts Wesentliches deuten.

Cézanne – Manet – Schuch. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund (Hansastraße). 30. Mai-30. Juli. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt: 12 DM. Katalog 48 DM.




Die Stille vor der Zukunft – Zehn NRW-Künstler beleben die riesige Gladbecker Maschinenhalle Zweckel

Von Bernd Berke

Gladbeck. Filzpantoffeln über die Straßenschuhe streifen und ehrfürchtig über kostbares Parkett wandeln – so kennt man’s von Besichtigungen alter Schlösser. Warum aber sollte man sich in einem verwitterten Industriebau des Ruhrgebiets so verhalten?

Vielleicht, weil ein Künstler es vorschlägt. Werner Haypeter aus Bonn hat 200 Quadratmeter des rissigen Kachelbodens in der (1908 erbauten) früheren Gladbecker Maschinenhalle Zweckel mit einer wächsernen, transparenten Schicht überzogen. Damit diese nicht zerkratzt, soll man in Pantoffeln hinüber gleiten, bis man merkt: Das sonst so unscheinbare Relikt der Zechen-Ära schimmert samtartig durch und strahlt nun etwas Würdevolles aus, es wird zum quasi-archäologischen Zeugnis einer verfallenden Kultur.

Zehn Künstler aus NRW haben eigens für die riesige leere Halle neue Arbeiten geschaffen. „Here we go“ heißt die höchst inspirierte Unternehmung, also etwa „Auf geht’s!“, aber auch: „Hierhin gehen wir“. Flankiert von der renommierten Ausstellungs-Kuratorin Katja Blomberg, haben die Künstler dem Raum subtile Reflexionen über Region und Welt, Absterben und Neuanfänge einbeschrieben.

Die Ausstellung ist gleichsam ein meditatives Gegenstück zur derzeitigen Dortmunder Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (Zeche Zollern II/IV), die ja auch ehemalige Industriegebäude mit Vexierbildern der Vergangenheit und Zukunft belebt. In Dortmund packen sie’s eher spielerisch und doch seriös an, in Gladbeck geht es klösterlich still und doch aufregend zu. Viele Wege führen zum Ziel.

Gladbecker Beispiele: Wolfgang Nestlers Leuchtkästen reagieren empfindlich auf einen am Dach installierten Windmesser, das Licht zeigt Regungen der Luft an. Eine Technik, die sich der Natur anschmiegt. Auch Mathias Lanfer gibt der Technik eine neue, sozusagen sanftere Richtung, indem er Drahtgebilde aus der Autoproduktion zu pflanzlich wirkenden Gebilden umwandelt.

Die regionalen Zeitungen (u. a. zahllose Exemplare der Westfälischen Rundschau) türmt Thomas Klegin aus Schwerte zu über zwei Meter hohen Wänden eines Labyrinths auf. Im Zentrum stehen ein karger Tisch und zwei Stühle. Hier drinnen ist man ganz und gar umgeben von gedruckten Informationen. Imposant wirkt das – freilich auch lastend. Das Papier verschafft sich einen machtvollen Auftritt, als wolle es dem Internet noch einmal zeigen, wer der wirkliche Herr der Zeilen ist.

Mutierte Köpfe und ein weißer Andachtsraum

Die Maschinenhalle Zweckel, einst Energiezentrale der Zeche, darf als „Kathedrale“ des Industriezeitalters gelten. Einige Künstler greifen die weihevolle Stimmung auf. Paul Schwer hat Glasplatten mit einer Mixtur aus Buttermilch und Pigmenten bemalt, sie wirken wie filigrane Kirchenfenster.

Innig und andächtig auch dies: Die gebürtige Essenerin Doris Halfmann, Tochter einer Bergarbeiterfamilie, lässt von der Decke unaufhörlich Wasser in ein kohlrabenschwarzes Becken tropfen. Irgendwann wird das Bassin so voll sein, dass die darin stehenden Kerzen verlöschen. Eine kontemplative Installation, die unversehens Gedanken an Vergänglichkeit und Tod weckt.

Angstvoll auch dieser Ausblick in die Zukunft: Thomas Bernstein (Düsseldorf) formt grotesk-gruselige Silikon-Köpfe, die er den Maschinen-Resten in der Halle aufpflanzt. Die Häupter sehen aus wie die von genetisch mutierten (Un-)Wesen. Was kommt da auf uns zu?

Leise und feierlich hingegen der Schluss: Andreas Bee stellt einen vollkommen weißen Iglu aus Chinapapier auf, den man betreten kann. Im Inneren erhebt sich eine gleichfalls schneeweiße Schale. Es ist ein Raum der Besinnung, offenbar unberührt vom stetigen Wandel der Zeiten.

„Here we go“. Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Frentroper Straße). Eröffnung So., 28. Mai, 12 Uhr. Bis 20. August. Tägl. außer Mo 12-19 Uhr. Eintritt 5 DM. Katalog (inklusive Eintritt) 30 DM.




Neue Gemeinschaft stiften – Jochen Gerz‘ Kunstaktion „Das Geschenk“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Gesichter blicken einen an – und es werden immer mehr. Schon gestern waren es 400 Porträts, die die Wände des Dortmunder Ostwall-Museums zierten. Im August sollen es rund 5000 sein. Der Ankauf für die Sammlung ist bereits beschlossene Sache.

Der mit documenta- und Biennale-Weihen versehene Künstler Jochen Gerz (60) beschert den Dortmundern mit seiner Aktion „Das Geschenk“ ein spezielles Gemeinschafts-Erlebnis.

In der Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (frühere Zeche Zollern II/IV – die WR berichtete) hat Gerz ein Fotostudio mit moderner Digitaltechnik eingerichtet. Studenten der Dortmunder FH lichten dort kostenlos Besucher ab. Möglichst gefasst sollen sie dreinschauen, niemand soll sich in Szene setzen. Gerade dann tritt die Individualität der Gesiebter (frontal und in Nahsicht) hervor. Im Schnitt haben sich die Macher 8 Minuten Zeit für eine Porträtsitzung gegeben – samt Ausdruck und Rahmung.

Jede(r) Fotografierte darf ein Bild mit nach Hause nehmen, aber nie das eigene. Also trägt man das Bildnis eines oder einer Unbekannten heim, gewährt symbolisch „Gastfreundschaft“. Das eigene Konterfei nimmt wiederum ein „Fremder“ mit. Menschenfreundliche Vision: sich auf den Anderen einzulassen, ohne Ansehen von Herkunft, Beruf und dergleichen.

Inspirieren ließ sich der in Paris lebende Gerz vom Gedanken an die oftmals bewiesene Solidarität der Revier-Bewohner. Vor diesem Hintergrund stiftet sein Projekt eine neue Gemeinschaft. Besonderer Zusatz-Effekt: Man besitzt ein Kunstwerk und ist zugleich Teil von ihm. All das beschränkt sich nicht auf den privaten Raum, sondern greift ins Öffentliche aus: Sämtliche Zweitabzüge gelangen ins Ostwall-Museum, das somit nach und nach ganz gefüllt wird. Frankfurts Schirn-Kunsthalle will die Schau übernehmen.

Die Westfälische Rundschau unterstützt die Aktion auf vielfältige Weise, auch durch Veröffentlichung von Porträtfoto-Seiten (in der Dortmunder WR-Ausgabe). Zur Eröffnung der Ostwall-Schau (heute um 19 Uhr) wird WR-Chefredakteur Frank Bünte mit Jochen Gerz und dem Ausstellungsleiter Axel Wirths über die „Geschenk“-Aktion sprechen.

Jochen Gerz: „Das Geschenk“. Museum am Ostwall, Dortmund. Bis 20. August. Di/Mi/Fr/So 10-18, Do 10-20, Sa 12-18Uhr.

„Vision Ruhr“, Zollern 11/IV, DO-Bövinghausen (Grubenweg). Bis 20. August. Tägl. außer Mo 10-19, Fr 10-22 Uhr.




Sprachlos im Angesicht der gequälten Kreatur – Bruce Nauman im Duisburger Lehmbruck-Museum

Von Bernd Berke

Duisburg. Fünf Tierkörper aus Aluminium hängen, teilweise kopfüber, im Gestänge des „Karussells“. Wenn es sich dreht, werden Rotluchs, Bär, Hirsch und zwei Kojoten quälend langsam im Kreis herumgeschleift. Eine Spur am Boden zeugt von all den vergangenen Umdrehungen. Ein Bild der ohnmächtigen, zutiefst geschundenen Natur, das man nicht so schnell vergisst.

Dabei ist die 1988 entstandene Installation des Amerikaners Bruce Nauman sogar ein wenig „entschärft“. Denn anders als jetzt im Duisburger Lehmbruck-Museum, prallten die träge rotierenden Leiber bei früheren Ausstellungen auch schon mal gegen die Wände und hinterließen hässliche Dellen. Es muss auf den Betrachter noch schmerzlicher gewirkt haben.

Nauman (Jahrgang 1941), seit rund-35 Jahren auf der Szene und längst weltberühmt, wird in Duisburg mit einem 46 Exponate starken Werk-Überblick gewürdigt. Der Amerikaner, der nebenher eine große Pferdezucht in New Mexico betreibt, vertritt ein klares Credo: „Die Kunst muss sofort voll da sein.“ Ohne Umschweife soll sie einen gleich packen und nicht mehr loslassen. Tatsächlich sind Nauman immer wieder Arbeiten geglückt, die diesen Anspruch erfüllen.

Für die großflächig plakatierten Wortspiele (etwa: „War“ – „Raw“, also Krieg und roh) gilt dies noch am wenigsten, sie wirken heute eher etwas lässlich. Doch Nauman, seit jeher ein großer Sprach-Skeptiker, hat seinem Zweifel in Medien-Installationen gültigen Ausdruck verliehen.

Zum Beispiel in „Good boy – bad boy“ (Guter Junge – böser Junge, 1985): Zwei Fernsehgeräte, frontal auf den Betrachter gerichtet. Man sieht einen Mann und eine Frau, die einander nicht „erblicken“, sondern vor sich hin quatschen, jeweils im isolierten Gehäuse. Ihre Texte („Ich habe Sex. Du hast Sex“) häufen sich auf Dauer zum blanken Unsinn.

Die Aggression und der Sturz ins Bodenlose

Der Tonfall wird binnen einer Stunde immer hastiger, immer aggressiver. Schließlich erscheint Sprache bloß noch als leeres Dröhnen. Verständigung zwecklos. Wer das über 60 Minuten durchsteht, ist ein harter Knochen.

Vollends löst sich das Verbale in der Video-Installation „Raw Material“ (Rohmaterial, 1991) auf. Hier sehen wir des Künstlers Gesicht, per Kamera-Dreh auf die Seite gekippt und also im Ungefähren schwebend. Verstörender noch: Der Mund auf dem Bildschirm macht immerzu nur „Brrrrrrhhh“ – bis zur Erschöpfung des Körpers und jeden Sinnes. Eine nachhaltige Irritation am Rande der Trance geht von diesem überlegten Arrangement aus. Es ist wie so oft bei Bruce Nauman: Mit genau berechneten, minimalen Mitteln erzielt er ein Höchstmaß an Wirkung.

Die Duisburger Auswahl beschränkt sich keineswegs auf Videos, sie zeigt Bruce Nauman als vielseitigen Künstler. Beispiele: Auf dem Boden liegen Metallskulpturen (ring- oder sternförmige Modelle für bizarre Tunnel, die nie gebaut worden sind). An den Wänden hängen Neon-Plastiken als Anti-Reklame (ein grell leuchtender „Taucher“ stürzt ins Bodenlose) oder Zeichnungen wie das Bewegungs-Bildnis eines Mannes, der (gleichsam in Zeitlupe) mit dem Baseballschläger einen Liegenden verdrischt – und dabei eine Erektion bekommt, als sei derlei Gewalt buchstäblich „geil“. Doch die unerbittlich zergliedernde Anatomie des Vorgangs lässt keinen Zweifel an der Abgründigkeit der brutalen Aktion.

Die Ausstellung hat kulturpolitischen Hintersinn. Sie versammelt Arbeiten aus deutschen, niederländischen und belgischen Sammlungen – aus jenem Länderdreieck also, das NRW-Ministerpräsident Clement in jeder Hinsicht aufwerten möchte. Auch kulturell könnte dieses Kräftefeld einen Gegenzug zum Gewicht Berlins ausüben.

 

Bruce Nauman. Lehmbruck-Museum, Duisburg (Friedrich-Wilhelm-Straße). Bis 2. Juli. Eintritt 6 DM, Katalog 35 DM.




Unterwegs in das Zeitalter der Trance – Botho Strauß‘ neuer Prosaband „Das Partikular“

Von Bernd Berke

Hand aufs Herz: Wer weiß schon, was gemeint ist, wenn jemand „apotropäisch“ blickt, oder was unter dem „feirefizartigen Gehabe“ eines Menschen zu verstehen ist? So kennt man Botho Strauß. Ganz ohne Lexikon geht die Lektüre eben nicht vonstatten.

Doch die manchmal so überaus erlesene Wortwahl täuscht über eines hinweg: Kaum je seit seinen legendären Liebesverwirrungs-Beobachtungen „Paare Passanten“ (1981) ist Strauß kopfüber und kopfunter so tief in den Beziehungs-Alltag eingetaucht wie in „Das Partikular“. Der Titel bezieht sich auf das (alles Zufällige und historisch Bedingte aussondernde) „Auge Gottes“, das den Menschen sieht, wie er wirklich ist…

Die Alltagsnähe ist nur ein Quell, niemals das Ziel. Strauß benennt Dämonen und Phantome der Gegenwart, um sie zu bannen, um sich desto entschiedener von all dem abzustoßen, und zwar in Richtung jener von allem Tages-Geschwätz gereinigten Mythen und Trance-Zustände, denen dieser ungemein belesene Autor seit langem zustrebt.

Standbilder der Hingabe und Untreue

Ein flammendes Bekenner-Zitat entschlüpft Strauß auf Seite 74: „E i n m a l muß es so sein, daß das Zeitalter der Trance n i c h t zurückliegt.. . einmal m u ß es das j e t z i g e sein, das uns wirklich umgibt!“ Ja, das zur neuen Frömmigkeit bereite literarische Ich wähnt sich gar schon „im Vorhof der Seligen Zeit“.

Wir bleiben einstweilen nüchtern und stellen fest: Die vielen Prosastücke (und ein längeres Gedieht) dieses Bandes sind zu Kapiteln gebündelt, jedoch in zahllose Mikro-Episoden zersplittert, als wären von der Welt nur noch lauter winzige Spiegelscherben übrig, die es einzusammeln gilt. So klirren und glitzern denn auch die Worte.

Strauß kann den Dramatiker nicht verleugnen: Manche Passagen wirken wie theatergerechte Stellproben, welche die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen Männern und Frauen in kurz aufleuchtenden Szenenbildern festhalten – und wieder ins nebelhafte Nichts entlassen, aus dem sie offenbar gekommen sind. Andere Situationen verdichten sich gleichsam zu Skulpturen des Begehrens und des Hasses, devoter Hingabe und ruchloser Untreue, Erwartung und Enttäuschung.

Atemberaubend genaues Erzählen

Nur ein paar Tropfen aus dem wogenden Meer des zuweilen atemberaubend genauen Erzählens: Die Rede ist von einem Manne, der in Gesellschaft charmant und wendig ist, daheim, aber urplötzlich ein Rohling; von der Frau, die jedes Geschehen erst im Nachhinein verarbeitet, so dass sie unter einem anschwellenden „Erlebnis-Stau“ leidet; von allerlei Paaren mit „Zwitter-Gebrechen“ („einander Ungeschickte“), die nur noch spurlos beisammen sind. Doch wir werden auch Zeugen eines grotesk misslingenden Möbelkaufs – fast wie bei Loriot.

Seltsame Erscheinungen: ein abgründiger Kinderhasser, der den Erzähler in eine kafkaeske Hinrichtungs-Orgie hineinzieht; ein Mann, der die (berechtigte) Eifersucht seiner Frau mit windigen Ausreden zu zerstreuen sucht und dem geradezu übersinnliche Entlastung zuteil wird.

Die Magie kommt aus dem Internet

Allenthalben diese befremdlich gewordene Wirklichkeit, rätselhafte Momentaufnahmen, Vexier- und Wimmelbilder des Lebens, deren Grundelemente man zu kennen glaubt, die aber oft einen Dreh ins Mystische bekommen. Erzählt wird nuancenreich und mit ungeheurer ästhetischer Trennschärfe, wenn auch zuweilen mit Mahner- und Seher-Stimme, fern von jeder ironischen Tonlage. Ironie gilt Strauß ja als ein Grundübel dieser Zeit. Ernst und aufs Höchste gefasst sei der Mensch! Doch der Autor ist milder geworden, er hält nicht mehr so barsche Predigten.

Strauß‘ Suggestion verfehlt ihre Wirkung kaum: Wie, wenn nicht durch Trance, soll man sich all diesen flackernden Phänomenen entziehen? Als Vorbote der hypnotischen Zeit erscheint dem Autor das Internet. Irgendwann, so die Strauß’sche Science-Fiction, werde man jederlei Gestalt aus dem Netz in Echtzeit „herunterladen“ können; sie käme dann auf einen zu wie in einem traumhaften Zauberreich, „wie gerufen“. Fragt sich nur: Wollen wir sie reinlassen?

Botho Strauß: „Das Partikular“. Hanser-Verlag. 220 Seiten. 34 DM.




Im Taumel der Zukunft – Ausstellung „Vision Ruhr“ in Dortmund / Medienkunst erobert früheres Zechengelände Zollern II/IV

Von Bernd Berke

Dortmund. Du gehst die Treppe hoch, in einen dunklen Tunnel hinein. Du läufst dort oben, etwas bang unter dich blickend, über Felder aus Glas. Plötzlich erscheint, wie aus dem Nichts, dein elektronisch erzeugter Begleiter, geheimnisvoll schimmernd. Er reagiert sogar, wenn du stehen bleibst oder dich umdrehst. Da passt er mal wieder, der Slogan: Du bist nicht allein.

Warum diese vertrauliche Anrede? Weil man von solcher Medienkunst ganz direkt „angesprochen“ und geradezu umfangen wird. Immer wieder sieht man sich, beim weitläufigen Rundgang durch die Dortmunder Riesen-Schau „Vision Ruhr“, von ausgeklügelten Apparaturen ertappt oder animiert. Doch vor allem kann man vielfach selbst das Geschehen beflügeln. Es ist ein Abenteuer-Pfad mit vielen Stationen, an dem auch Kinder Vergnügen haben werden.

Virtuelle Reisen durch eine Welt der geisterhaften Bilder

„Vision Ruhr“ dürfte die umfangreichste Dortmunder Ausstellung aller Zeiten sein. Mit Hilfe etlicher Förderer hat man rund 6,5 Millionen DM aufgebracht. 25 Künstler bzw. Künstlergruppen (u. a. aus den USA und Japan) „bespielen“ die ehemalige Zeche ZollernII/IV im Ortsteil Bövinghausen mit avancierter Medienkunst. 15 Projekte sind eigens für Dortmund entstanden, zwölf Arbeiten werden in der Stadt bleiben – vielleicht als Grundstock für ein künftiges Museum der Medienkünste?

Spannungsreich sind die Kontraste zur alten Architektur, die ja – als Westfälisches Industriemuseum – selbst schon für Krise und Neubeginn steht. Nun aber tauchen die Bauten vollends ein in die zuweilen so schrecklich schöne neue Medienwelt, von der man sich im Revier entscheidende Zukunftsimpulse erhofft. Die Künstler freilich beschwören nicht nur Paradiese“ herauf, sondern spüren auch Erschütterungen nach.

Und so betritt man denn den oft schwankenden Boden der Bedeutungen. Vielleicht sind es der Taumel und das Schwindelgefühl der Zukunft, die man da verspürt. Beispielsweise, wenn man jenen Globus auf einer Leinwand berührt und sich so quer durch unsere Welt zoomt, auf den Spuren des Internet rasend; oder wenn man sich in einer Rotunde virtuell an markante Stätten des Reviers „beamt“; oder wenn man mittels rostiger Zechen-Hebel Computer steuert und damit geisterhaft „unter Tage“ umher schweift.

Jim Campbell projiziert in der ehemaligen Lohnhalle eine kleine Taschenuhr in gigantischer Vergrößerung über die Köpfe. 13 Kameras erfassen Menschen, die durch die Halle schreiten, und blenden ihre Bewegungen ins Zifferblatt ein. Verstreichende Zeit, unaufhörliches Wandeln.

Spielerisch und doch hintergründig geht es bei Perry Hoberman und seiner Installation „Workaholic“ zu. Mit Haar-Fönen können Besucher ein Pendel bewegen, in dem ein Scanner steckt. Der wiederum erfasst Strichcodes (wie an der Supermarktkasse) und verwandelt sie – immer wieder anders – zu flackernden Bildern.

Nächste Verblüffung, beschert von Jill Scott: Indem man Hände, Füße oder den ganzen Körper in Holzvorrichtungen zwängt, kann man gezielt Video-Tanzszenen auslösen. Der eigene Leib als Programmgestalter, verquickt mit Bildern – die etwas andere Körper- und Medien-Erfahrung.

Nachhaltiger „erwischt“ einen die Arbeit des „Studio Azzurro“. Gegen transparente Automatik-Schiebetüren rennen und springen projizierte Menschenfiguren an wie gegen eine Gefängniswand. Man selbst schreitet unbehelligt durch diese Pforten – und auf einmal sieht man einen dieser Menschen unter sich liegen, als habe man ihn selbst niedergetreten. Wo sonst erzeugt medial vermittelte Gewalt sofort ein schlechtes Gewissen?

Doug Hall sorgt in der Schachthalle für gewaltige elektrische Entladungen, die gar einen brenzligen Geruch hinterlassen. Geleitet wird die Energie auf zwei Stühle hinter Gittern. Muss man an eine Hinrichtung denken? Oder nur an entfesselte Kräfte?

„Vision Ruhr“. Zeche Zollern II/IV, Dortmund-Bövinghausen (Grubenweg 5). 14. Mai bis 20. August. Di/mi/Do/Sa/So 10-18, Fr 10-20 Uhr. Eintritt 15 DM, Familie 30 DM, Katalog 39 DM. Internet: www.vision-ruhr.de

 




Der Geist des Freiherrn vom Stein – Endlich eine Dauerschau auf Schloss Cappenberg

Von Bernd Berke

Selm/Cappenberg. Immerhin 15 Jahre lang, von 1816 bis zu seinem Tode 1831, hat der große preußische Reformer, der Freiherr vom (und zum) Stein, auf Schloss Cappenberg gelebt. Man darf sich wundern, dass ihm dort erst jetzt eine Dauerausstellung gewidmet wird.

Die Schau, die nun mit rund 200 historischen Exponaten das Obergeschoss im Westflügel füllt, wäre längst fällig gewesen. Der Geist des Ortes (wenn nicht gar der des Freiherrn) hat doch geradezu danach gerufen!

Der Freiherr vom Stein erwarb das Schloss als Altersruhesitz. Mit seiner Frau, zwei Töchtern und einigen Bediensteten genoss er hier die Beschaulichkeit nach einem wechselvollen Leben. Brieflich pries er „den weiten, freien Blick in eine große, schöne, von den Gebirgen des Sauerlands begrenzte Ebene.“ An solcher Stätte ließ sich’s wohlsein. Hier erreichte ihn auch Post vom Dichterfürsten Goethe, der dankbar eine gemeinsame Rhein-Reise erwähnte.

Der umsichtige Freiherr, der seine Laufbahn als Bergrat in Wetter/Ruhr begann, wurde nachmals berühmt durch Reformen zur Bauernbefreiung (Aufhebung der Leibeigenschaft). Auch hat er Vorläufer der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung entwickelt. 1808 ward ein antifranzösischer Brief aus seiner Feder ruchbar – unter der napoleonischen Besatzung ein Frevel. Napoleon ächtete ihn, der Freiherr musste flüchten, fand sich später gar als Berater des russischen Zaren wieder. Zur Abwehr gegen französische Häscher trug er einen Stock mit aufgesetztem Springmesser bei sich, der nun in einer Çappenberger Vitrine zu sehen ist. Das Ding wirkt gefährlich!

Die Ausstellung beginnt mit archäologischen Funden vom Areal, auf dem 1122 das erste Prämonstratenser-Kloster in deutschsprachigen Landen gestanden hatte. Graf Gottfried von Cappenberg hatte damals seine Stammburg dem Ordensstifter Norbert von Xanten vermacht. Der muss ein christlicher Fundamentalist gewesen sein. Eine Skulptur zeigt, wie er einem „Ketzer“ den Fuß ins Genick setzt.

Doch im Mittelpunkt steht natürlich (mit etlichen Porträts, Dokumenten und weiteren Relikten) der Freiherr vom Stein. Es wird etwa seine Lektüre ausgebreitet, und man bekommt gar seine (etwas abgewetzte) Aktentasche sowie einen bequemen Reisesessel zu Gesicht. Da rückt einem die Historie plötzlich recht nahe.

Freiherr vom Stein. Dauerausstellung auf Schloss Cappenberg, Di-So 10-17 Uhr

 




Exotische Blüten einer neuen Lust – Noch titelloser Tanzabend * von Pina Bausch mit berauschend schönen Bildern

Von Bernd Berke

Wuppertal. Szene vom Geschlechter-Markt: Eine Frau hält ein Tellerchen hoch, ein Mann legt Münzen darauf. Nun darf er einer anderen Frau in den Haaren wuscheln und wühlen. Es ist eine beinahe rührend hilflose Lust-Gebärde, die aber unterschwellige Aggression enthält.

Doch man blickt hier nicht nur in die Abgründe fluchwürdiger Käuflichkeit, sondern es ist, als eröffne sich hier unversehens ein von falschen Erwartungen entlastetes, freilich höchst unsicheres Experimentierfeld der Sinne. In Pina Bauschs neuem, immer noch titellosen Tanzabend * erklingt gleich zu Beginn ein Popsong mit dem Refrain „There is no love today“ (Es gibt heute/heutzutage keine Liebe). Suggestiv, ja fast einschmeichelnd hört er sich an, der niederdrückende Befund.

Szenen zwischen Trance und Traum

Vielleicht verhält es sich so, bestürzend und verheißungsvoll zugleich: Am Nullpunkt der (romantischen) Liebe angelangt, sind Männer und Frauen frei, alles noch einmal von Grund auf zu erkunden. Sie schreiten gar zu vergleichenden Messungen ihrer Körperteile – Beginn einer vielfältigen Sichtung der erotischen Bestände, der verbliebenen Vorlieben und Rituale, vom ersten Werben bis zur letzten Träne, auf der Suche nach künftigen Horizonten.

Im Hintergrund (Bühne: Peter Pabst) erhebt sich machtvoll eine begrünte Anhöhe, aus der Wasser-Rinnsale tropfen. Später kippt diese Wand nach hinten, wird zum sanfter gewellten Hügel, auf dem ganz am Schluss ein kleines Holzgestell aufragt wie ein begonnener Schiffbau. Ist es eine Arche zum allerletzten Aufbruch vor der Sintflut?

Vom Krauchen bis zum engelhaften Fluge

Mag sein, dass wir uns anfangs im tropischen Gebiet befinden, wo die Lüste irgendwann wie exotische Blüten gedeihen könnten. Hitzig und flirrend lasziv wirken viele der nun in dichter Abfolge oder sogar simultan auf uns einstürzenden Szenenbilder; ein Pandämonium aus Ver- und Entkrampfungen, ein farbenreicher Reigen der Körper zwischen Getriebensein und Befreiungsversuchen, zwischen tierischem Krauchen und engelhaftem Fluge.

Die Geschlechter erproben ihre Posen und Rollen, bis hin zu den Extremen. Beispielsweise von der Hure zur Madonna: Eine Frau wird auf einem Stuhl in die Lüfte gehoben, für Sekunden schwebt sie über allem wie eine heilige Jungfrau. Ein andermal stehen Stühle wie ein Kartenhaus aufeinander, und man zwängt sich mühsam unten hindurch wie durch ein Nadelöhr, damit nichts stürze. Die überlistete Schwerkraft der irdischen Last. Zudem diese grotesken Einsprengsel zwischen Trance und Traum: Ein Einkaufswagen mit Kohlköpfen wird vorüber geschoben, ein Fakir beginnt (für Obdachlose?) zu kochen, ein paar Hühner scharren vor sich hin. Rätsel müssen sein, auf der Bühne wie im Leben.

Die Männer zupfen und zerren an den Frauen, sie wollen sie hierhin und dorthin ziehen. Doch diese sind nicht wehrlos, sie entschlüpfen geschickt, allerdings zu neuen, anderen Näherungen verlockend. Ein schönes, schillerndes Spiel, das sich aus den eher gezackten, kantigen Bewegungen der Männer und den oft schwebenden Figuren der Frauen auf Dauer wie von selbst ergibt. Der Unterschied und seine wundersamen Folgen.

Der fortwährende Tanz des Lebens

Wie sich das fügt: Wie lässig die Frauen es genießen, wenn ihre Gesichter immer wieder mit Wasser übergossen werden, während sie am Boden liegend rauchen. Ein Bild der Erquickung, des Wachstums, gar der Fruchtbarkeit. Südlich warm, einhüllend, fließend, sinnlich. „Liebst du jemanden?“ und „Wie viele Babys habt ihr?“, fragen die Tänzerinnen ins Publikum hinein, mit sanfter Dringlichkeit. Tatsächlich: All das hat mit einem selbst zu tun. So oder so.

Mensch, werde wesentlich: Die grandiose Musikauswahl (Schwerpunkt: südamerikanische Rhythmen) vermittelt eine Ahnung vom Antrieb der Musik überhaupt, vom fortwährenden Tanz des Lebens.

Die oft berauschend artistischen Soli geraten zu Inbildern der Körperlichkeit im Raume und damit des menschlichen Hierseins. Und es gibt wirbelnde, dann aber in der Drehbewegung verhauchende Szenen mit luftig fliegenden Kleidern, fast überirdisch und zum Heulen schön hingetupft. Könnte man’s mit Worten sagen, so müssten sie’s nicht tanzen.

Termine: 9., 10., 12., 13. Mai. Karten: 0202/569-4444.

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Nachtrag: Der Tanzabend bekam später den Titel „Wiesenland“

 




Wo das Ungeahnte jederzeit geschehen kann – Ruhrfestspiel-Ausstellung zeigt Arbeiten des Niederländers Waldo Bien

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Ganz gleich, ob auf weltweiten Reisen oder in der Kunst: Dieser Mann hält sich gern im „Niemandsland“ auf, im undefinierten Bezirk zwischen festgelegten Bereichen. Da, wo alle Grenzen verschwimmen und das Ungeahnte geschehen kann.

Der Niederländer Waldo Bien (Jahrgang 1949), der jetzt die Ausstellung der Ruhrfestspiele bestreitet, ist ein Grenz- und Schwellen-Gänger zwischen verschiedensten Stilen, Themen, Materialien. So kommt es beispielsweise vor, dass er Röntgenbilder übermalt oder Fotos, die er mit Walfisch-Öl begossen hat, unter Plexiglas einschließt. Die sämigen Schlieren und das eigentümliche Verwittern künden vielleicht von Vergänglichkeit. Oder ist es nur ein purer ästhetischer Akt, bar jeder anderen Bedeutung?

Eine Schlangenhaut, mit Tinte blau gefärbt, gilt Bien als Zeichen für Dynamik, ja als Vorbild unserer Schrift, die sich schlängele wie ein solches Reptil. Buchhalterische Zahlenkolonnen erscheinen auf einigen Bildern als Vorstufen architektonischer Kolonnaden, die Zahlensäulen mutieren zu Säulengängen: Ökonomie als Triebkraft des Bauens. Auf derlei Ideen, die sich aneinander entzünden und dann aufleuchten, muss man erst einmal kommen.

Bien will sich nicht dingfest machen lassen: Der eigentlich eloquente Beuys-Schüler sagt, er könne im Grunde nicht beschreiben, was er tue. Wahrscheinlich, so findet er, nähere man sich seiner Arbeit am besten, indem man feststellt, was er nicht macht. Oh, da käme einiges zusammen! Auf den Markt ziele er jedenfalls nicht, für ihn sei die Kunst ein immerwährendes Labor der Freiheit. Alles fließt…

Zurück zum Sichtbaren. Im Zentrum steht das „Sterbezimmer“, eine Installation im Traditionsstrang der – Achtung, Etikett! – „arte povera“ („arme Kunst“): Man sieht eine Bettstatt aus verbogenem, rostigem Metall, darauf lasten (sozusagen als Matratzen und Kissen) schwerste Kohle-Quader, die Bien selbst aus dem Bauch der Erde gehievt hat. Nach Joseph Beuys‘ Tod hat er ein Gemälde in dieses vordem so finstere Zimmer gehängt. Es zeigt ein luftiges, womöglich unendliches Blau, als wär’s nur ein Ausschnitt, direkt vom Himmel genommen. Und so mag sich dieser andächtige Raum im Laufe der Jahre immer weiter verwandeln.

Doch gar zu einst nimmt Bien das alles nun auch nicht. In den Ecken des Zimmers hat er schmale Lücken gelassen, Ausblicke ins Freie. Warum dies? „Weil ich als Schüler so oft in der Ecke stehen musste“.

Eines Tages haben Waldo Bien und sein US-Kollege Virgil Grotfeldt ihre gemeinsame Vorliebe für die Nicht-Farbe Schwarz entdeckt. Es war der Beginn einer wunderbaren Künstlerfreundschaft. Seither arbeiten sie zusammen, wann immer sie sich treffen. Früchte dieser spontanen Dialoge sind in Recklinghausen zu sehen. Die Doppelbilder sind in gemeinsame Rahmen gefasst, welche freilich an einer Seite offen bleiben, so als könnten jederzeit weitere Elemente angefügt werden. Doch vorerst sind es je zwei: mal wie füreinander geschaffen, mal einander ganz abweisend fremd. Fast wie im richtigen Leben.

Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). 6. Mai bis 2. Juli. Di-So 10-18 Uhr. Katalogbuch 48,50 DM.