Was heißt denn hier naiv – Kunsthalle Recklinghausen zeigt Werke von russischen Laienmalern

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wenn wir von naiver Kunst reden, so ist das allemal ein unscharfer Sammelbegriff. Sicher, da gibt’s die unbedarften Sonntagsmaler, die aus schierem Horror vacui (Angst vor Leere) auch noch den letzten Bildwinkel besinnungslos füllen – gegen jede kompositorische Vernunft. Doch manche, die gleichfalls „naiv“ genannt werden, sind eher subversiv veranlagt und üben sich im freien Spiel mit dem vom Kunstbetrieb Verdrängten.

Mit der Recklinghäuser Kunsthalle traut sich jetzt mal wieder ein stockseriöses Haus ans Thema heran – eine Anknüpfung an örtliche Gepflogenheiten, denn hier setzte sich schon der frühere Hausherr Thomas Grochowiak fürs rege Schaffen der Laien ein. Auf drei Etagen präsentiert man nun rund 60 Arbeiten von „Russischen Naiven“ neueren Datums.

Die Bilder stammen aus der weltgrößten Spezialsammlung, welche von der Galeristin Charlotte Zander in einem Schloss bei Stuttgart verwahrt wird. Im „Ländle“ (Tübinger Retrospektive) ist derzeit ja auch der Berühmteste aller Naiven zu bewundern: der „Zöllner“ Henri Rousseau, der längst alle Weihen der Kunstgeschichte empfangen hat.

Die Russen stehen immer noch mehrheitlich für eine dörflich orientierte Themenwahl, die meist um Frömmigkeit und Feste im Jahreslauf kreist oder auch Wolfsrudel in sibirischer Kälte aufsucht. Das unverkennbare Prägemuster etlicher Bilder gibt die große Ikonen-Tradition vor. Und diese religiösen Schöpfungen waren nun einmal flächig, sie enthielten sich jeder perspektivischen Raffinesse.

Das Ungelenke wird kultiviert

Recklinghausens Kunsthallen-Chef Ferdinand Ullrich scheint aber selbst ein wenig im Zwiespalt zu stecken. Sein geschulter Blick merkt den Bildern natürlich „das Ungelenke, Nicht-Gekonnte“ an. Derlei Defizite aber würden von den Besten der Zunft auf frappante Außenseiter-Weise „kultiviert“ und produktiv gewendet, findet der Museumsmann.

Gilt also der Spruch „avanti dilettanti“? Beileibe nicht nur. Wenn etwa ein Pawel Leonow seine üppigen Szenarien von freudigen Festivitäten ausbreitet, so geschieht dies zwar ohne jede Perspektive und Tiefenstaffelung. Doch seine umstandslos aufzählend und aufschichtend gestuften Werke verweisen auf moderne Verfahren der seriellen Art.

Auf Bildern wie „Treffen der Königin von Holland“ (1998) reiht Leonow alle Geschehnisse simultan . Es ist eine Malerei wie mit staunend offenem Munde, manches Gesehene zwanghaft wiederholend. Groteske Fügungen: Vögel fliegen immer wieder in derselben Gruppen-Formation, Hubschrauber reihen sich artig ein. Auch auf der Straße sind Autos und Tiere brav hintereinander unterwegs. Überholen verboten. Musiker, die zum Fest aufspielen, erscheinen in symbolhafter Erstarrung wie auf einem Fries. Und alles, selbst ein ansonsten munterer Zirkus, wird von akkuraten Hecken rechteckig eingefriedet; ganz so, als seien die Phantasie-Räume, die sich da öffnen könnten, dem Künstler selbst zu weitläufig.

Wo die nackten Paare fliegen

Mag die pure Malweise auch naiv, wenig professionell (und gar nicht akademisch) wirken, so könnte die Haltung, die sich dahinter offenbart, als nahezu avanciert gelten. Postmoderne Profis, die eh mit allem Verfügbaren spielen, fänden wohl einiges Vergnügen darin. Ganz und gern zu schweigen von Joseph Beuys‘ altem Sprüchlein, jeder sei ein Künstler.

Bildmächtigster Maler der Schau, die punktuell auch schon mal an die Kitschgrenze rührt, ist wohl Alexander Belych. Seine seltsam symmetrische, jedoch mehrdeutige Darstellung „Liebe, Liebe“ summiert in Chagall-Manier fliegende nackte Paare, einen lüsternen Wolf, körperlose Hände, die sich aus einem züngelnden Feuer recken, sowie allerlei erzählendes Beiwerk. Ist’s nun das Paradies oder nicht doch eine Hölle der Liebenden?

Russische Naive. Kunsthalle Recklinghausen (direkt am Hauptbahnhof). Bis 30. September. Di-So 10-18 Uhr. Eintritt 2,50 DM, Katalog 25 DM.




Westfalen und die Leselust – Neues Museum „Haus Nottbeck“ in Oelde unternimmt Streifzüge durch die regionale Literatur

Von Bernd Berke

Oelde. Anfangs ließ sich die Liaison der Buchdruckerkunst mit dem westfälischen Menschenschlag noch gut an: 1478, recht bald nach Gutenbergs weltbewegender Erfindung, erschien hier eine niederdeutsche Bibel. Um 1490 druckten dann Sauerländer allerorten: Es florierte der Baseler Buchdruck des aus Olpe stammenden Humanisten Johannes Bergmann, während Peter Attendorn in Straßburg schöne Bücher herstellte.

Mehr noch: Münster mauserte sich bald zum kulturellen Zentrum. Doch später ging’s phasenweise arg bergab. Da hatte die Literatur in Westfalen kaum noch eine Heimstatt. Schaudernd erfährt man’s im neuen Westfälischen Literaturmuseum zu Oelde: Von 1800 bis 1840 erschien in Unseren Landstrichen kein einziger (!) Roman, es fehlten belletristische Verlage in der Region.

Auch das Lesebedürfnis hielt sich seinerzeit in Grenzen. Anno 1854 gab es in ganz Deutschland rund 4000 Leihbibliotheken, davon siedelten nur 38 in Westfalen. Es dürfte für die „rote Laterne“ des Letztplatzierten gereicht haben. Hatte Voltaire, der sich im „Candide“ speziell über die kulturlosen Westfalen mokiert hatte, also Recht behalten? Trostreicher Kontrast im Bestand: das „Buch vom Lobe Westfalens“.

Sofern man ein wenig Muße mitbringt, stößt man in dem Museum auf etliche spannende Geschichten. Denn in dem schmuck hergerichteten ehemaligen Gutshof („Haus Nottbeck“), der sich in wunderschöner Landschaft erhebt, singt man nicht nur das abertausendste Loblied auf Westfalens berühmte Dichterköpfe.

Gewiss: Droste-Hülshoff, Freiligrath, Grabbe oder auch der Dadaist Huelsenbeck kommen zum Zuge, desgleichen unsere Zeitgenossen von Ernst Meister (Hagen) bis Max von der Grün (Dortmund). Doch man lernt auch einiges über das breite Fundament aus Heimatliteratur, deren uralte Refrains hier freilich nicht nur anheimelnd klingen.

Fragwürdige Formen der Heimatdichtung

Bisweilen geriet diese Basis zum trüben Bodensatz. Ein Extra-Raum beweist es: NS-Ideologen konnten sich auch hier zu Lande auf heimattümelndes Schrifttum stützen, die Übergänge zur braunen Propaganda waren fließend. So gab es etwa in Olpe eine Dame, deren Elaborate den Nazis besonders gefielen und die damals hohe Auflagen erzielte. Im „Schmallenberger Dichterstreit“, der gleichfalls knapp dokumentiert wird, diskutierte man nach dem Krieg heftig über derart in Verruf geratenes Heimatschrifttum.

Natürlich werden auch linke Traditionen regionalen Schreibens aufgegriffen – vom Arbeiterroman der 1920er Jahre bis zum Schwelmer Polit-Barden Franz Josef Degenhardt oder Rockgruppen wie Franz K. aus Witten. Experimentelle Schöpfungen (Karl Riha, Siegen), Seitenblicke aufs Theater (Bochum, Ruhrfestspiele, WLT) und kabarettistische Einsprengsel (Jürgen von Manger & Co.) markieren weitere Wendungen westfälischer Wortkunst. Und wer hätte gedacht, dass die einst religiös so eifernde Wiedertäufer-Literatur Westfalens einen trivialen Heftchen-Nachzügler („WiedertäuferVampire“) angeregt hat?

Da kommt einem die Dortmunder Bierdeckel-Lyrik vergleichsweise klassisch vor. Apropos: Geheimrat Goethe war 1792 kurz in Münster. Auch derlei Schmankerl lässt sich das Haus des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) nicht entgehen. Die vom Designer Robert Ward griffig gestaltete Schau erstreckt sich über 400 Quadratmeter, bietet auch einen lauschigen Märchenkeller für Kinder und wird sich alle paar Monate wandeln, denn viele Exponate sind Leihgaben.

Eine eigene Sammlung soll entstehen, zudem werden weitere Flügel des früheren Gutshofes aus dem 14. Jahrhundert (Teile eines Wassergrabens sind erhalten) zum Musik-und Veranstaltungs-Zentrum ausgebaut. Schon jetzt lockt das Ambiente zum sommerlichen Ausflug mit Bildungsvergnügen. Damit wir literarisch nicht wieder auf dem Abstiegsplatz landen.

Museum für Westfälische Literatur. Oelde-Stromberg, Landrat-Predeick-Allee 1 (Autobahn A 2, Abfahrt Oelde, Richtung Stromberg, dann Richtung Wiedenbrück – nun den Schildern zum „Kulturgut Haus Nottbeck“ folgen). Tel.: 02529/94 94 57. Geöffnet Mi bis So 11-17 Uhr.




Wie beim Tratsch im Treppenhaus – Martin Walsers Roman „Der Lebenslauf der Liebe“

Von Bernd Berke

Man könnte diese Susi Gern beneiden. Mit ihrem Gatten, dem Star-AnwaIt Edmund Gern, lebt sie in einem 390 Quadratmeter großen Düsseldorfer Dachwohnungs-Paradies. Er fährt einen Bentley, sie begnügt sich mit Porsche. Von Edel-Garderobe und Kunstsammlung reden wir gar nicht erst. Damit alles hygienisçh bleibt, gönnen sie sich fünf Putzfrauen.

Für seinen neuen Roman „Der Lebenslauf der Liebe“ hat sich Martin Walser nicht gerade in den Elendsquartieren umgetan. Geld ist (zunächst) reichlich vorhanden, und auch an Wortreichtum lässt es der Autor nicht mangeln: Auf 525 Seiten breitet er Susis schweres Eheschicksal und Vorfälle aus ihrem Umfeld derart redselig und uferlos aus, dass man sich fast beim Tratsch im Treppenhaus wähnt. Ungleich besser formuliert als zwischen Tür und Angel, gewiss; doch meist nicht so funkelnd, wie wir es bei Walser lieben. Es ist, als hätte ihn eine Torschlusspanik ergriffen, als wollte er seine Zettelkasten-Bestände restlos auserzählen.

Ausharren bei einem Scheusal

Schweres Eheschicksal? Nun ja. Die Seelenpein ist gut gepolstert, jedoch vorhanden: Mit der munteren, doch geistig zurückgebliebenen Tochter Conny (ärztlicher Kunstfehler bei der Geburt) haben sie ihre liebe Last. Sohn Andreas gleitet derweil ins halbkriminelle Milieu ab. Vor allem aber ist der beruflich so gewiefte Vertrags-Schmied Edmund ein Sex-Maniak, den es seit ehelicher Frühzeit zum Gruppensex treibt. Die Absprache lautet: alles dürfen, aber einander nichts verschweigen. Doch das steht die im Grunde treuherzige Susi (die widerstrebend ihrerseits Männer ausprobiert) nicht ohne seelische Verwahrlosung durch.

Edmund braucht drei Dauer-Geliebte, dazu reichlich Spontan-Beischlaf. Selbst als die Parkinson-Krankheit ihn zum zittrigen Bettnässer degradiert, schleppt er sich noch zu anderen Frauen hin. Ächzend wankt er heim – und pinkelt wieder die Wohnung voll. Susi, aus deren Perspektive Walser schreibt, ekelt sich und hegt sogar Mordgedanken. Doch sie liebt das Scheusal. Trotz allem.

Diese Frau ist eine beinahe biblische Dulderin, die immerzu wartet, dass das Leben sich bessert. Doch bloßes Aushalten in der Fäulnis kostet „Feigesuse“, „Doofesuse“ (so nennt sie sich bisweilen selbst) alle Kraft. Trost bezieht sie aus dem Umgang mit Tochter Conny, ihren Kätzchen und jenen Sinatra-Songs: „My Way“, „Strangers in the Night“.

Der erste von drei Teilen („Sonntagskind“) spielt 1987. Börsencrash. Der sonst so souveräne Edmund verspekuliert sich, alles gerät ins Rutschen, riesige Schulden häufen sich. Nach und nach wird der Besitz verscherbelt, Susi und Conny müssen mit einem Appartment auskommen und allseits um Zahlungsaufschub betteln.

Verhurte Welt und kleines Glück

Diese bittere Fügung erlebt der bis zuletzt ruchlos optimistische Edmund nicht mehr. Parkinson rafft ihn dahin. Man denkt an „Jedermann“: Tod des reichen Mannes, Vergänglichkeit irdischen Habens. Die bewegendsten Strecken des Romans handeln von Verfall und Alter, vom Abbröckeln der Sexualität. Schonungslos.

Als Dieter Wellershoff „Der Sieger nimmt alles“ schrieb, nannte man ihn „Balzac der Deutschen Mark“. Walser bewirbt sich nun um den Posten „Balzac des Börsenfiebers“. Er zeigt uns eine verhurte Geld-Welt im Niedergang.

Strahlend wie eine (zerknitterte) Heilige hebt sich Susi mit ihrer Sehnsucht nach Dauer und der Absage an jede rechnende „Vernunft“ davon ab. Am Ende wird ihr eine quasi-religiöse Salbung zuteil. Zum Jahrtausend-Silvester 1999 darf sie sich, 68 Jahre alt, des neuen Gefährten endlich sicher sein. Arm aber glücklich: Das Schlussbild zeigt sie in glorioser Dreieinigkeit mit dem 31-jährigen Marokkaner Khalil und Tochter Conny. Die zieht das rheinische Fazit: „Mer blewe zusamm wie Kätzke und Tätzke bis zum Lewejottsdach.“ Amen.

Martin Walser: „Der Lebenslauf der Liebe“. Roman. Suhrkamp. 525 Seiten, 49,80 DM.

 




Die einfachen Dinge des Lebens lieben – Der Schauspieler Heinz Bennent wird heute 80 Jahre alt

Von Bernd Berke

In unseren Zeiten mag man solch einen Menschen für einen Sonderling halten: Seit vielen Jahren lebt er ohne Auto und Fernsehgerät, sein Wasser schöpft er (im Zweitdomizil auf Mykonos) am liebsten selbst aus dem Brunnen. Und manches mal, so heißt es, hören ihn die Leute im Stadtpark von Lausanne mit wirrem Gestus zu sich selbst sprechen.

Dann rezitiert er vielleicht Gedichte Hölderlins, des seit jeher innig verehrten Dichters. Wohl nur die Kultur kann derlei Bruderschaften quer durch die Jahrhunderte stiften.

Wir reden von einem unserer größten Schauspieler: Heinz Bennent, der heute vor80 Jahren in Stolberg bei Aachen als jüngstes von sechs Kindern eines Buchhalters geboren wurde und der eben die einfachen, unverbogenen Dinge des Lebens liebt.

Der gegen jede Autorität allergische Junge wurde aus der Hitlerjugend wegen „mangelnden Gehorsams“ ausgeschlossen, später brach er eine von den Eltern erzwungene Schlosserlehre ab, um seine Theater-Leidenschaft auszuleben. All das ehrt ihn, schon vor jeglicher Kunstausübung.

„Film kann jeder!“

Beruflich ist er ein Vagabund, vor allem zwischen deutschen und französischen Bühnen. Auf feste Engagements (Debüt 1947 in Karlsruhe; kurzfristig einmal in Bochum) hat er sich schon lange nicht mehr eingelassen, er sucht sich seine Rollen gezielt aus.

Privat gilt er als treu und familiär verlässlich. Seit 1963 ist er mit der früheren Tänzerin Paulette Renou (Künstlerinnen-Name Diane Mansart) verheiratet, die ihre Laufbahn aufgab und seither der gute Geist der Künstlerfamilie ist. Die beiden Kinder sind längst selbst ruhmreiche Darsteller und traten oft mit dem Vater auf: Anne und David Bennent. Sind’s die Gene, ist’s der tägliche Einfluss? Wer weiß.

„Film kann jeder!“ hat Heinz Bennent in einem Interview gesagt. Vor der Kamera müsse man nicht spielen, sondern nur man selbst sein. Nur Koketterie? Die ist seine Sache gewiss nicht, eher schön ein aufreibender Drang zur Perfektion. Auch die Behauptung, er habe sich niemals selbst gut gefunden, glaubt man einem wie ihm. Sein Leitsatz: „Wenn man zufrieden ist, hat man keinen Ansporn mehr.“

Ein Denkmal seiner Zunft

Jedenfalls hat er fürs Kino gespielt – und wie: etwa in Volker Schlöndorffs Oscar-gekrönter „Blechtrommel“ (1979) nach Grass, in der sein Sohn David den zwergwüchsigen Oskar verkörperte; oder den von den Nazis verfolgten Theaterdirektor in François Truffauts „Die letzte Metro“ (1980) und den diabolischen Doktor in Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“ (1977).

Besonders die etwas spröden Außenseiter waren es, denen Heinz Bennent unvergesslich Gesicht, Stimme und Haltung verliehen hat. Zumal im Theater, das – zwischen Shakespeare und Schnitzler, Schiller und Ibsen – seine eigentliche Heimat blieb. Mit sparsamen Gesten, doch ungeheuer eindringlich hat er 1988 in Dieter Dorns Botho-Strauß-Uraufführung „Die Besucher“ den gealterten, notorisch eitlen Theaterdarsteller gegeben – ein wahres Denkmal seiner Zunft.

Selbst dem meist apokalyptisch düster inszenierten „Endspiel“ des Samuel Beckett hat Heinz Bennent, im fabelhaften Zusammenwirken mit seinem Sohn David, 1995 in Lausanne (und auf triumphaler Tournee) unverhofft freundliche Züge verliehen. Die verzweifelten Worte haben sie eingebettet in hauchzärtliches Spiel. Keine billige Versöhnung war’s, sondern eine Wärme-Zufuhr, die dem Text sehr wohl bekam.

Im Fernsehen war Bennent bereits ab 1954 präsent – auch in etlichen Folgen von „Der Kommissar“, „Derrick“ und „Tatort“. Inzwischen meidet er das Medium, weil es fast nur noch aus läppischen Serien bestehe. Das mag ungerecht klingen. Doch man kann Bennent den Unmut nachfühlen.

 




Invasion der harmlosen Gestalten – Renate Göbel zeigt ihre rundlichen Papp-Figuren im Dortmunder Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Für Festlegungen ist die Künstlerin Renate Göbel (Jahrgang 1934) kaum zu haben. Nein, ihre Skulpturen aus Papiermaché oder Polyester (haltbare Freiluft-Variante) seien „nicht nur ernst gemeint“. Dann also eher ironisch? Wieder lautet die Antwort: „Nicht nur…“

Na, klar doch: Zwischentöne sind angesagt bei der neuen Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums. Zumindest die Farbgebung der Plastiken löst diesen Anspruch geschmackvoll ein. Allein diese mild schimmernden Violett-Klänge!

In seltener Fülle wird das Schaffen der Renate Göbel von 1967 bis in die jüngsten Tage dokumentiert. Über 70 Skulpturen kommen hier zusammen, außerdem einige Zeichnungen und Reliefs.

Weil die Künstlerin vor allem „Menschen mit Volumen“ mag und stets beim Figürlichen verharrte, begegnet man hier allerlei wohlbeleibten Gestalten. Gleich eingangs sitzt jene rundliche Dame als „Beifahrerin“ im Benz-Cabrio – nun raten Sie mal, wer die Ausstellung gesponsert hat.

Hier begegnet man auch einem mit Katalogen gerüsteten Papp-Paar, das just ein Museum besucht. Doch der Hintersinn ist begrenzt. Es ist halt eine richtig nette Sommer-Schau, sozusagen tauglich für jeden Stadtpark, ohne sonderliche Irritationen.

Oh, stumme Invasion: Sie stehen, liegen, sitzen, hocken fast überall. In einem Raum gruppieren sich Figuren aus diversen Werkphasen zu einer Party, ein anderer Bereich wirkt (schummrig abgedunkelt) wie ein schwülstiges Boudoir, ein dritter ist Schauplatz eines familiären Treffens. Aber was heißt hier treffen und beisammen sein? Im Prinzip freundlich-adrett hergerichtet, benehmen sich manche dieser Wesen doch ein klein wenig neurotisch – vielleicht so wie wir alle?

Nachsicht für die kleinen Neurosen

Vielfach halten sie sich an Gegenständen fest (Telefone, Zigaretten, Aktenkoffer, Bücher), als könnten sie sich nur so ihre Haltung bewahren. Seltsam geneigt oder gebeugt stehen manche Gestalten da. Und sie alle scheinen selbst mitten in einer Gruppierung still für sich zu bleiben.

Doch es herrscht keine Bitterkeit. Man mag an Niki de Saint Phalles gutgenährte, fröhlich-bunte „Nana“-Weiber denken – auch so eine Künstlerin, die ihren Einfällen beinahe ermüdend treu blieb. Jedenfalls bringen derlei Rundungen stets die Aura heiterer Harmonie mit sich. Auch besagte Neurosen fallen humoriger Toleranz anheim.

Ungleich bissiger war Renate Göbels Frühwerk. Aus den 60er Jahren stammen etwa jene grotesken Badestrand-Reliefs. Da sieht man noch schrundige Körper-Oberflächen, bizarr aufgesteilte Brüste, fürchterliche Grins-Münder. Solche kleinen Schreckenskabinette strafen naive Träume aus dem Urlaubskatalog Lügen. Damals ging’s noch frontal zur Sache.

Renate Göbel. Ostwall-Museum, Dortmund. Eröffnung heute, 16 Uhr; bis 26. August. Di-Fr und So 10-17, Sa 12-17. Eintritt 4 DM, Katalog 20 DM.




Westfalens Weltdichterin: Annette von Droste-Hülshoffs Gesamtwerk liegt jetzt in 28 Bänden vor

Von Bernd Berke

Münster. Um Westfalens große Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) sind häufig politische Scharmützel ausgefochten worden. Im „Kulturkampf“ (um 1875) wollten Bismarcks Preußen ihr Werk als nationales Sprachdenkmal für ihre Zwecke vereinnahmen. Die katholischen Widersacher hielten dagegen und betonten konservativ-religiöse Aspekte ihrer Lyrik und Prosa.

Heute haben feministisch inspirierte Deutungen die Oberhand gewonnen, die im Erdenwallen der Droste ein exemplarisch unterdrücktes Frauenleben erkennen wollen, das sich auch zwischen den Zeilen mitteile. Tatsächlich hat die patriarchalische Familie der Dichterin zeitlebens manche Schwierigkeiten bereitet und der Droste 1845 sogar ein striktes Schreibverbot erteilt.

Sie war nicht nur ein braves Fräulein

Gestern wurde, nach über 20 Jahren Detail-Arbeit, in Münster ein Mammut-Unternehmen der Literaturwissenschaft präsentiert: Die 28 Bände der historisch-kritischen Droste-Ausgabe sind komplett fertig!

Jetzt kann also auf festerer Basis über ihr Leben und Wirken spekuliert werden. Denn nun liegen ihre Texte endlich in weitgehend authentischer Gestalt vor. Der machtvolle Grundstein für viele weitere Forschungen ist damit gelegt. Herausgeber Prof. Winfried Woesler (Uni Osnabrück) glaubt, dass sich das Bild der Droste im Lichte der Neuausgabe anders darstellt als bisher: „Bisher hat man sie oft als biedermeierliches westfälisches Adelsfräulein oder gar als Spökenkiekerin gesehen.“

„Quitschern im Kiesgeschrill“

Die Autorin der weltweit übersetzten „Judenbuche“ sei jedoch eine weltoffene, durchaus belesene Frau gewesen. Ihre Texte seien teilweise unerhört modern. Wenn sie etwa ,in einem Gedicht über eine Kutschfahrt lautmalerisch vom „Quitschern im Kiesgeschrill“ spricht, so deutet dies auf expressionistische Sprachschöpfungen voraus.

Und der westfälische Aspekt? Nun, der ist im Laufe der Zeit zumindest neu gewichtet worden. Drostes innige Schilderungen aus der Region seien, so die jetzige Lesart, Welterkenntnis im Gewände der „Provinz“. Also denn: Weltdichtung aus Westfalen. Klingt doch gut.

Eine solche Edition, deren Resultate künftig auch in preiswerte Studien- und Volksausgaben einfließen werden, entsteht nicht von heute auf morgen. Band eins erschien bereits 1978. Seither haben etliche Germanisten an dem papiernen Monument „mitgemeißelt“. Rund 5,5 Millionen DM hat die Unternehmung gekostet. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, das Land NRW und andere steuerten Mittel bei.

Viele alte Fehler wurden korrigiert

Man hat alle erreichbaren Original-Handschriften der Droste (die oft winzig und kaum entzifferbar gekritzelt hat) penibel untersucht. Viele Fehler bisheriger Ausgaben konnten dabei korrigiert werden. Sogar ein Band mit eher holprigen musikalischen Versuchen (Liedvertonungen, Opern-Entwurf) der Droste gehört zum Lieferumfang.

Eine erstaunliche Fehlzuschreibung entdeckten die Herausgeber auch. Niemand hatte bis dato bemerkt, dass das Gedicht „Entzauberung“ gar nicht von ihr stammt, sondern von Grillparzer. Weil sie’s schön fand, hat sie es abgeschrieben – und nur ein einziges Wörtchen verändert.

Annette von Droste-Hülshoff. Historisch-kritische Ausgabe (Werke / Briefwechsel). Max Niemeyer Verlag, Tübingen. 28 Bände, zusammen 5505 DM, auch Einzelbände erhältlich.




Auf dem Wege zum Urbild – Alexej von Jawlensky und einige Zeitgenossen in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Für hiesige Museumsbesucher ist Alexej von Jawlensky (1864-1941) wahrlich kein Unbekannter: 1998 gab es eine reich bestückte Retrospektive am Dortmunder Ostwall, sodann eine (wegen Fälschungs-Verdachtes) höchst strittige Schau im Essener Folkwang-Museum. Nun ist Jawlensky gleichsam noch ein Stück weiter nach Westen gewandert und im Duisburger Lehmbruck-Museum „angekommen“.

Hier hat man einen etwas anderen Ansatz gefunden, um den Meister der Klassischen Moderne zu präsentieren. Unter den 100 Exponaten stammen 48 von Jawlensky. Das ist kein Manko, im Gegenteil. Sinnfällig wird sein Werk auf den künstlerischen Kontext der Zeit bezogen. Dabei konzentriert man sich vornehmlich auf Jawlenskys Schweizer Jahre von 1914 bis 1921. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte der russische Künstler, der bis dahin in München lebte (wo er mit Franz Marc die Gruppe „Blauer Reiter“ gründete), Deutschland verlassen müssen.

Kontrast zur wilden Szene der Dadaisten

Zunächst siedelte er sich in einem Dorf bei Lausanne an, wo er in Isolation verharrte und hauptsächlich wehmutsvolle Einsamkeits-Blicke aus seinem Fenster malte. Dann aber zog es ihn in die äußerst fruchtbare Emigranten-Szene Zürichs. Vor allem die Dadaisten hatten sich dort versammelt und provozierten als eine Art wüster Spaß-Guerilla mit oft grotesken Aktionen das Bürgertum. In Duisburg beschwören u. a. phantasievolle Masken den kreativen Mummenschanz.

Über diesem quirligen Umfeld schwebte der schon etwas ältere Jawlensky als eine Art Vaterfigur, vielleicht nicht so ganz von dieser Welt. Hatte er in München noch farbglühende Landschaften und Porträts geschaffen („Spanierin“, um 1911), so begab er sich nun mit religiöser Inbrunst auf den Weg vom Abbild zum Urbild des menschlichen Antlitzes.

Asketisch schmale Lippen

Immer meditativer und ikonenhafter geraten nun die Serien der frontalen Gesichter, meist in suggestiver Nahansicht. Charakteristisch die strichförmig geschlossenen Augen und asketisch schmallippige Mundlinien. Auf früheren Bildern hatten diese erleuchteten Wesen noch gelegentlich groß geschaut (oder: das Jenseits ins Auge gefasst), doch auch da standen ihre Pupillen schon seltsam senkrecht, von mystischer Entrückung kündend.

Dies alles wäre schon eine Ausstellung wert, doch gibt es zudem erhellende Querbezüge. Bestens trifft es sich, dass der Duisburger „Hausheilige“ Wilhelm Lehmbruck damals gleichfalls eine Zeit lang in der Schweiz weilte und sich Vergleiche mit seinen Skulpturen anbieten; beispielsweise mit jener Plastik, die Lehmbruck nach dem Bilde der aussichtslos vergötterten Schauspielerin Elisabeth Bergner („Betende“, 1918) schuf.

Auch bei Lehmbruck wird ein Drang ins Jenseitige spürbar, der Impulse von Jawlensky bezogen haben mag. Vielleicht war ja unerfüllte Liebe ein beiden Künstlern gemeinsamer Sublimierungs-Quell, denn auch Jawlenskys langjährige Verbindung mit der Malerin Marianne von Werefkin gilt als zwiespältig und erotisch nebulös. Nun aber Schluss mit Spekulation und Tratsch!

Vergeistigung durch Krankheit

Fakt ist, dass die Duisburger auch einige Exponate aus dem dadaistischen Bereich (Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Marcel Janco, Hans Richter) zeigen – sozusagen als fröhlich-chaotische Kontrapunkte, neben denen Jawlenskys spirituelle Wesensart umso deutlicher hervortritt.

Dem Streben Jawlenskys näher verwandt sind jene wundervoll sanftmütigen Arbeiten von Paul Klee oder die ebenfalls famosen Bilder des Schweizers Ferdinand Hodler, der z. B. immer wieder eine Freundin porträtierte – zunächst in der Blüte ihres Lebens, später von Krankheit gezeichnet. Eine tief betrübliche, vom körperlichen Verfall erzwungene Vergeistigung.

Jawlenskys Schweizer Jahre endeten 1921, als er von Ascona nach Wiesbaden umzog, weil dort seine Förderin Emmy Scheyer wohnte. Bis zu seinem Tod (1941) lebte er dort. Zunehmend von Arthrose (Gelenksteife) geplagt, konnte Jawlenksy in den 30er Jahren nur noch formal einfache Bilder hervorbringen. Keineswegs zynisch gemeint: Vielleicht kam dies seinem Hang zum stillen, frommen Schauen sogar entgegen.

Jawlensky in der Schweiz. Lehmbruck-Museum, Duisburg. Bis 9. September. Di-Sa 11-17, So 10-18 Uhr. Eintritt 6 DM, Katalog 48 DM.