Die Flüsterstimmen des Wahnsinns – Kinofilm „Das weiße Rauschen“ mit Daniel Brühl

Von Bernd Berke

Etwas orientierungslos stolpert Lukas über die Baustelle am Kölner Hauptbahnhof. Der junge Mann kommt aus dem Sauerland-Dörfchen Rarbach. In der Großstadt will er studieren, findet sich aber nicht zurecht. Und es wird noch viel schlimmer.

Wohnen kann er bei seiner Schwester Kati. Minutenlang freut er sich wie ein Schneekönig, dass das Zimmer „voll geil“ sei. So lächerlich harmlos beginnt Hans Weingartners Film „Das weiße Rausehen“. Doch nach und nach gräbt er sich mutwillig in Wahnvorstellungen ein.

Befremdlich genug schon dies: An der Kinokasse will Lukas unbedingt Karten für Scorseses „Taxi Driver“ (handelt von einem, der durchdreht) kaufen, obwohl der Film nicht läuft. Unflätig beschimpft er die Kassiererin, beängstigend tobt er herum. Das Mädchen, mit dem er ins Kino wollte, ist entsetzt.

Sequenzen von verstörender Seltsamkeit

Kurz darauf probiert Lukas von den Rausch-Pilzen. die Kati und deren Freund besorgt haben. Beim Trip auf der Wiese beginnt er „Stimmen“ zu hören, die ihn nicht mehr in Ruhe lassen. Sie flüstern ihm ein, dass alle Welt sich gegen ihn verschworen habe. Er solle sich doch lieber umbringen. Immer wieder zischelt es in seinem Kopf. Immer drängender. Als Zuschauer hört man jedes böse Wort. Lukas sperrt sich im Zimmer ein, baut Irrsinns-Apparaturen, schlitzt Tapeten und hackt Türen auf, um die Stimmen zu lokalisieren. Er beschmiert die Wände mit wirren „Projekten“, attackiert die Schwester. Bis es gar nicht mehr zu ertragen ist und er aus dem Fenster springt.

In der Anstalt stellen sie Lukas mit Tabletten ruhig. Nun erfahren wir, dass schon seine Mutter unter Schizophrenie gelitten und den Freitod gewählt hat. Ein Arzt liefert die passende Statistik.

Doch es gibt nicht nur trockene Sachkunde, sondern etliche Sequenzen von verstörender Seltsamkeit. Die schlingernde Handkamera verstärkt den Sog der Nahsicht. Auch steigert sich Daniel Brühl als Lukas phasenweise in seine schizophrene Rolle hinein. Von einem solchen Trip muss man als Schauspieler nach Drehschluss auch erst einmal ‚runterkommen. Schon das bloße Zuschauen kostet Kraft und Nerven. Doch insgesamt sieht der quälende, oft unbeholfen wirkende Film aus, als habe da jemand viel Fetzenhaftes über seelische Krankheiten aufgeschnappt.

Ganz allein mit dem Meer und den Wolken

Es werden auch Perspektiven für eine Behandlung jenseits des Wegsperrens skizziert. Abstrus: Im Reha-Job arbeitet Lukas ausgerechnet für eine Schaufensterpuppen-Werkstatt. Aus allen Ecken glotzen ihn die Köpfe an, ein Kollege zersägt einer Frauenfigur den Hals. Für einen Schizophrenen nicht gerade die heilsamste Umgebung.

Lukas spült irgendwann seine Pillen ins Klo, er will nicht dahindämmern. Mit einer Kommune reist er nach Spanien, wo sich sein Zustand vorübergehend mildert. Doch bald ist er die „Hippie-Kacke“ leid. Als deren Karawane weiter zieht, bleibt er allein am Strand zurück, um jenes entgrenzte „weiße Rauschen“ der Wolken und des Meeres zu erleben – nebelhaftes Sinnbild eines für ihn lebbaren Lebens. Ende. Abspann. Betroffenheit?

Der immerhin mit dem Max-Ophüls-Preis gekrönte Film ist nicht so recht von heute, doch auch nicht zeitlos. Chaotisch ganz nach Art der Freak-Szenen der frühen 70er geht’s zu. Die Wohnung und das klapprige Auto von Kati sehen exakt so aus. Drogen werden auf eine Weise konsumiert wie damals, und „Hippie“-Kultur beherrscht das Feld wie vor 30 Jahren. Da will man uns ein Schicksal so nahe rücken – und siedelt es in solcher Ferne an.




Halluzinationen von Wasser und Eiswüste – Collagen von Bernhard Brungs in Witten

Von Bernd Berke

In diesen „Swimmingpool“ sollte man nicht springen – weder kopfüber noch sonstwie. Zwar sieht das Spiel der Wellen mitunter fast echt aus. Doch das ist nur technisch hervorgerufene Halluzination.

Der aus Bielefeld stammende Künstler Bernhard Brungs (27) hat dem beweglichen Wesen des Wassers mit Filzstift nachgespürt und das zeichnerische Resultat sodann auf Videofilm gebannt. Die Projektion flirrt nun auf dem Fußboden des Märkischen Museums in Witten, ringsum liegen kleine Matten, als solle man hier lagern.

Brungs nennt das Arrangement, das Wirklichkeit nur vage zitiert und im Grunde von höchster Künstlichkeit zeugt, eine „Collage“. Genau für dieses Genre der Kunst war der erstmals vergebene, mit 3000 Mark dotierte Wittener Günter Drebusch-Preis ausgeschrieben, gestiftet vom örtlichen Kunstverein. Brungs also hat das noch in Euro umzumünzende Preisgeld mitsamt Einzelausstellung gewonnen.

An Elektronik kommt man nicht mehr vorbei

Die Jury tat sich anfangs schwer, Brungs‘ per Computer erzeugte Foto-Verschmelzungen und Installationen wie besagten Pool (oder einen Kamin mit Bildschirm-Feuerflackern im Schaumgummi-Gehäuse) als Collagen anzuerkennen. Doch der Collage-Begriff, so Museumsdirektor Wolfgang Zemter, muss längst erweitert werden. Es gehe nicht mehr bloß um Schere und Klebstoff, nicht mehr ums Zerschnipseln und anders Zusammensetzen. An der Elektronik komme man heute nicht mehr vorbei. Auch ein Collagen-Pionier wie der Surrealist Max Ernst wäre heute mit dem Computer zugange, glaubt Zemter. Möglich.

Fotomontagen bilden eine eigene Werkgruppe bei Brungs, der seine Ideen immer zuerst zeichnet. Beispielsweise versetzt er fremdartig wirkcnde Gipsobjekte in kargeLandschaften. Beinahe könnte man meinen, diese Dinge seien wie UFOs aus der Ferne angeschwirrt. Doch bedrohlich ist das nicht. Es ergibt sich ein matter Widerstreit, ja fast ein Geplänkel zwischen struppiger Restnatur und Künstlichkeit, zwischen weich und hart erscheinender Materie.

Etwas befremdlich auch die menschlichen Gestalten, die in solchen Szenarien auftauchen – ein bis auf die Zipfelmütze entblößter Mann in einer Art Eiswüste, ein anderer mit grotesk aufblasbarem Motorrad durchs „Death Valley“ zuckelnd. Ganz gleich, ob kalt oder heiß: Diese Gegenden sehen aus wie Vorboten einer leeren, doch irgendwie tröstlich harmlosen Zukunft.

Stetes Wachsen und Schwinden

Wir müssen noch ein Rätsel lösen. Der Namenspatron des Preises ist Günter Drebusch, er wurde 1925 in Witten geboren, wo er 1998 gestorben ist. Er gilt als wichtigster Künstler, den die Stadt in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. So richtig prominent wurde der Autodidakt, der es zum Professor für Zeichnen und Designtheorie in Münster brachte, freilich nicht. Es mag daran gelegen haben, dass er die Ölmalerei verschmähte und sich auf sein zeichnerisches Werk konzentrierte. Parallel zur Brungs-Schau ist jetzt ein Drebusch-Überblick im Obergeschoss des Wittener Museums zu sehen.

Paradox gesagt: Drebusch ist sich zeitlebens wandelbar treu geblieben. Immerzu verdichten und lichten sich die Gitter- oder Gestrüpp-Strukturen seiner abstrakten, doch naturwüchsig wirkenden Bilder. Es ist wie ein stetes Wachsen und Schwinden, wie ein ständiges Ein- und Ausatmen. Ein Werk von großer Konsequenz und heiterer Unbeirrbarkeit.

Ob Bernhard Brungs eines Tages auch solch ein individuell geprägtes Oeuvre vorweisen kann? Verfrühte Frage.

Märkisches Museum Witten, Husemannstr.; Bis 17. Februar. Di-So 10-13 und 14-17 Uhr.