Ein Netzwerk der Kunst und sein Mittelpunkt – Sammlung Krian im Dortmunder Museum am Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Das Dortmunder Museum am Ostwall öffnet sich jetzt einem großen Kreis miteinander befreundeter Künstler. Auch wenn diese Leute mittlerweile in alle Windrichtungen der Szene verstreut sind, so hat das Netzwerk doch einen Mittelpunkt just in Dortmund.

Der als Künstler, Sammler und Galerist („da entlang“ an der Kaiserstraße) umtriebige Erich Krian hat hier in Jahrzehnten eine umfängliche Kollektion aus diesem Zirkel angehäuft. „Die Sammlung hat sich sozusagen ereignet, sie war kein erklärtes Ziel“, sagt er zu den oft spontanen Gaben oder Tauschgeschäften unter Freunden. Gewiss werden einige aus diesem „munteren Haufen“ (Krian) heute um 17 Uhr zur Eröffnung kommen.

Was sonst bei Krian daheim dicht an dicht hängt und steht, kann sich nun am Ostwall gehörig ausbreiten. Etwa die Hälfte des Gesamtbestandes ist zu besichtigen. Auch für das Sammler-Ehepaar Krian dürfte dies ganz neue Einblicke in die nunmehr luftig präsentierte (und mit einem Katalog erschlossene) Kollektion bedeuten.

Mit seiner Frau Regina, die Design studiert hat und als Sonderschullehrerin arbeitet, hat sich Erich Krian bislang stets über Sammlungs-Zuwächse geeinigt. Tochter Jenny konnte wohl kaum anders: Auch sie hat mit dem Sammeln begonnen. So weit das Familiäre, das die Schau letztlich mitprägt.

Rund 200 Arbeiten von 40 Künstlern sind zu sehen: Kommilitonen, Mitstreiter, Weggefahrten Krians. Für ihn ist es mithin irgendwie auch eine Besichtigung des eigenen Lebenslaufes – und zumeist eine Begegnung mit jenen Künstlern, die er in seiner Galerie vertritt. Die Ostwall-Ausstellung dürfte den Marktwert kaum schmälern.

Der 1948 geborene Krian begann seinen Weg an der Werkkunstschule in Dortmund und war an der Düsseldorfer Akademie Schüler der Größen Rupprecht Geiger und Gotthard Graubner. Andere Künstler zieht’s nach solchen Weihen in die weite Welt, Krian entschied sich für die Rückkehr nach Dortmund.

Vierzig Künstler können wir hier nicht nennen. Manche haben inzwischen weithin von sich reden gemacht, so etwa Ulrich Langenbach, Willi Otremba, Peter Telljohann, Günther Zins oder Katharina Grosse.

Über wenige Kämme lassen sie sich eh nicht scheren. Man spricht in derlei Fällen gern etwas wolkig von „Positionen“ der Kunst. Vielfältig die Ansätze, durchweg acht- und haltbar die Qualität. Im Erdgeschoss sind eher zurückhaltende Arbeiten zu sehen, im oberen Stockwerk darf mehr Farbe walten. Man sehe selbst. Derweil denken die Krians über eine dauerhafte Heimstatt für ihren Fundus nach und erwägen eine Stiftung fürs Dortmunder Museum.

„Der erste Blick“. Sammlung Krian. 9. November 2003 bis 11. Jan. 2004. Di/Mi/Fr/So 1017, So 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 3 Euro, Katalog 25 Euro.




Am Abgrund der Angst – aufregende Schau mit Graphik von Edvard Munch im Münsteraner Landesmuseum

Von Bernd Berke

Münster. Gute Laune verspürte der ansonsten oft schwermütige Edvard Munch (1863-1944) schon beim bloßen Anblick einer Kupferplatte. Die Freude, in die „jungfräuliche“ Fläche zu ritzen, übertraf mitunter selbst seine drangvolle Lust an der Malerei. Also zeigt das Landesmuseum in Münster etwas Wesentliches, wenn es jetzt den Graphiker Munch würdigt.

Die fast 200 Exponate stammen aus dem Berliner Kupferstichkabinett. Dort verwahrt man den (nach Oslo) weltweit größten Fundus an Munch-Druckgraphik meist im Dunkel des Depots, auch wegen konservatorischer Bedenken.

In Münster werden die Holzschnitte, Lithographien und Radierungen so großzügig präsentiert, als wären es Ölgemälde. Man muss nicht zentimeternah heranrücken, um filigrane Einzelheiten zu erspähen. Munch war ein Meister der höchst prägnanten Formen, die schon aus der Distanz ihre Wirkung ausüben.

Leitsatz des Künstlers: „Ich male nicht, was ich sehe, sondern das, was ich gesehen habe.“ Bilder der Erinnerung also, die die Realität eher schattiert herbeizitieren und psychologisch umso genauer treffen. Von Munchs Motiven fühlt man sich direkt, existenziell und exemplarisch angesprochen.

Ein sterbenskrankes Kind schaut ins Jenseits

Ein Beispiel: „Das kranke Kind“ (1894/1896), in mehreren Fassungen entstanden nach dem Tod seiner Schwester Sophie, die mit 15 Jahren an Tuberkulose starb. Zunächst wacht noch die untröstliche Mutter bei dem Mädchen, das später gänzlich aus dem Zusammenhang des Zimmers gelöst wird und (buchstäblich sterbensallein) dem Betrachter optisch ganz nahe rückt, während es sich seelisch schon weit entfernt hat. Traumverloren und körperlich schon transparent, schaut es in den Vorschein eines gleißenden Jenseits.

Auch die vermeintlich in vollem Saft Lebenden zeigt Munch oft als isolierte Figuren, wie ausgestanzt aus ihrer Umgebung. Selbst die Bilder aus seinen wilden Bohème-Jahren in Oslo und Berlin geraten düster, etwa nach dem Motto: Auch mitten im Saufen und Herumhuren sind wir vom Tod umfangen.

Überhaupt regiert die Angst: Die „Pubertät“ (vor Zukunftsschauer frierendes nacktes Mädchen) erscheint als allenfalls bang hoffendes Weh und Ach. „Eifersucht“, „Trennung“ oder auch „Die Geisteskranke“ sind so gültig verdichtet, dass man die Titel nicht lesen muss. Ungemein zielsicher auch die Porträts, so von Strindberg oder Ibsen.

Frauenbildnisse zwischen Madonna und „Sünderin“

Im Zentrum der aufregenden Münsteraner Schau aber stehen die Frauen; mal madonnenhaft, dann wieder sündig, zuweilen beides zugleich. Bestürzend, dass Munch eine Geliebte (Geigerin aus England) als verrucht schöne „Salome“ zeigt und sich selbst als Johannes. Biblisch gedeutet, hieße das: Sie hat ihn Kopf und Kragen gekostet.

Auf anderen Bildern erscheint das gefährlich lockende Weib als Vampir. Ein weiteres Mädchen küsst den knochigen Tod, eine Nackte ihren Liebhaber – mit inbrünstiger Gier, als ginge es danach ans Sterben. Lechzen am Rande des Abgrunds. Weniger bekannte Tierbilder geben dem kreatürlichen Dasein einen Drall ins Groteske. Und Munch hat einen umfangreichen Zyklus geschaffen, der die Schöpfungsgeschichte noch einmal neu mit Szenen aus dem modernen Seeleleben aufrollt. Statt Adam und Eva leiden hier Alpha und Omega als aus dem Paradies vertriebenes Paar.

Zu jener Zeit hatte Munch seine Kopenhagener Therapie (Angstzustände, Alkoholismus) bereits hinter sich. Die späteren Werke nähern sich wieder der realen Welt. Harte Arbeit, einfache Verrichtungen in karger Landschaft, manchmal am Rande des Genre-Idylls. Vielleicht Balsam für des Malers wunde Seele.

Edvard Munch – Graphik. Westfälisches Landesmuseum Münster (Domplatz). 9. November 2003 bis 1. Februar 2004. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 25,50 Euro.