Mit den Worten des Jahres auf Zeitreise gehen – schon seit den 70ern gibt es die Liste

Von Bernd Berke

Es ist schon ein liebgewordenes Ritual: Alljährlich ermittelt die Gesellschaft für Deutsche Sprache (Wiesbaden) die „Wörter des Jahres“. Im Rückblick erweist sich die Auswahl über Jahrzehnte hinweg als trefflicher Indikator des jeweiligen Zeitgeistes. Begeben wir uns zum Jahreswechsel auf eine kleine Reise durch die Wortgefilde, durch sprachliche Klimazonen.

Es überwiegen seit jeher bestimmte Bereiche: politischer Streit, wirtschaftliche Mängel, neue Ausprägungen des Lebensstils, Katastrophen, Skandale und Krankheiten. Regelmäßig gibt es die Liste seit 1977/78, doch versuchshalber kürte man bereits die Worte des (nicht allzu süffigen) Jahrgangs 1971. Da zitterte noch ein klein wenig Apo-Geist von ’68 nach, denn „aufmüpfig“ galt damals als besonders zeitgemäßer Begriff. Doch die vordem gefürchtete Revolte hatte damit schon einen eher putzigen Anstrich bekommen. Ansonsten befanden wir uns auch sprachlich im Vorfeld der Öko-Bewegung. Mit sanfter Macht kam das Wort „Umweltschutz“ auf. Und noch dazu die „heißen Höschen“.

Die albernen und die ernsten Wendungen

1977 setzte sich das seither fast zuschanden gerittene Wort „Szene“ an die Spitze, dahinter kamen (im „Deutschen Herbst“ der RAF-Morde) „Terrorismus“ und „Sympathisant“. Etwa seit 1978 reden wir vom „Geisterfahrer“, der sich seinerzeit mit den „Singles“ und den Tanzwütigen („Disco“) um die Plätze balgte, während „Die Grünen“ oben rangierten. 1979 gesellte sich das Schlagwort „alternativ“ hinzu.

1980 kam der „Asylant“ (eigentlich ein Unwort) zur Sprache, zudem betrieb man Rasterfahndung“ und debattierte über „Instandbesetzer“. 1981 machte sich die „Nulllösung“ breit – ursprünglich militärisch gemeint, später ironisch auch auf unfähige Amtsträger gemünzt. Im selben Jahr rappelte es zudem in der „Zweierkiste“, wie manche ihre wackligen Techtelmechtel seither nennen.

Die „Talfahrt der Wirtschaft“ geriet 1982 ins Visier der Sprachfprscher, 1988 folgte „Gesundheitsreform“. Von beiden können wir heute singen. Die Immunschwäche „Aids“ stand 1985 erstmals in der Tabelle und 1987 auf dem Spitzenplatz. 1985 war „Glykol“ (Weinpanscherei), 1986 „Tschernobyl“ Wort des Jahres.

Neuer Schub mit der deutschen Vereinigung

Wende und deutsche Vereinigung brachten einen Schub: „Reisefreiheit“, „Montagsdemonstration“, „Trabi“ (1989), „neue Bundesländer“ (1990), „Besserwessi“, „abwickeln“ (1991), danach „Fremdenhass“, „Rechtsruck“ sowie „Lichterkette“ (1992), doch auch „Ostalgie“ (schon 1993, lange vor einschlägigen TV-Shows). Enger können Hoffnungen, erste Enttäuschungen und ernste Gefahren kaum zusammenrücken.

Seit 1993 wird vermehrt vom „Sozialabbau“ gesprochen, seit 1996 vom „Sparpaket“; es waren – wie wir jetzt wissen – nur Vorgeplänkel. „Multimedia“ und „Datenautobahn“ etablierten sich 1995, ein Jahr darauf war’s die „Globalisierung“. Den deutschen „Reformstau“ beklagt man seit 1997, als auch jener „Ruck“ (aus der Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog) durchs Land gehen sollte und der „Elchtest“ eine heimische Edelmarke blamierte.

Durch neuere Schöpfungen zieht sich oft eine Spur von Albernheit: 1998 hieß es lauthals „piep, piep, piep!“ (nach Guildo Hörn) und „Ich habe fertig!“ (nach Giovanni Trapattoni). Werden die Zeiten seitdem ernster, nimmt’s mit der Spaßgesellschaft ein Ende? Anno 2000 wollte man angeblich „brutalstmöglich“ die „Schwarzgeldaffäre“ aufklären, man regte sich über „Leitkultur“, „BSE-Krise“ und „Kampfhunde“ auf. Noch finsterer das Jahr 2001 mit der allfälligen Wendung „der 11. September“ und „Milzbrandattacke“. Da nehmen sich „Teuro“ und „Pisa-Schock“ (2002) fast harmlos aus.

Beim neuesten Wort des Jahres („Das alte Europa“) wird einem aber wieder warm ums Herz. Gewiss: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat es nicht so nett gemeint. Doch mit einem Zusatzwörtchen klingt es behaglich: das gute alte Europa.

• Komplette Listen stehen im Internet unter: www.gfds.de