Drogen, Sex und alte Meister – Werkschau des Comic-Zeichners Robert Crumb in Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. Seine rüden Bildergeschichten wimmeln von bekifften und sonstwie zugedröhnten Freaks, deren Köpfe zuweilen gar explodieren. Beängstigend dickbrüstige und wadenstramme Weiber werden in jeder denkbaren Stellung zu (willigen) Lustobjekten. Mit solchen Underground-Orgien, mit Figuren wie „Fritz the Cat“ und „Mr. Natural“, hat der US-Comiczeichner Robert Crumb seit den 1960er Jahren Berühmtheit erlangt. Jetzt gibt’s eine Werkschau des Berüchtigten im edlen Kölner Ludwig-Museum.

Crumb selbst, mittlerweile 60 Jahre alt, sieht das ganz gelassen: „Irgendwas müssen sie ja an ihre Wände hängen“, sagt er, als sei’s ihm wurscht. Überhaupt scheint er nicht an irdischen Gütern zu hängen – außer an diesen beiden: „Sex und gute Musik – das macht mich glücklich“, bekennt er in Köln. Glaubhaft versichert Crumb, er sei seit seiner katholisch geprägten, absurd verkorksten und verklemmten Jugend überaus sexbesessen. Wenn man seine Bilder sieht, hegt man daran keinerlei Zweifel.

Wucherungen im Welttheater

Die Ausstellung bietet mit ihren rund 200 Exponaten jedoch weitaus mehr als diese etwas platte Erkenntnis. Auch ein vermeintlich wilder Mann wie Crumb (der persönlich recht sanftmütig wirkt) hat künstlerische Wurzeln in der Hochkultur. Er selbst nennt Hieronymus Bosch, Pieter Breughel und Honoré Daumier. Tatsächlich haben die surreal-bizarren  Wucherungen seines amerikanischen Welttheaters einiges mit dieser Ahnengalerie gemein. Doch im direkten Vergleich mit solchen Größen möchte er sich denn doch nicht ausgestellt sehen. Als Antwort auf den Kölner Ausstellungstitel „Yeah, but is it Art?“ (Ja, aber ist es auch Kunst?) zuckt er nur die Achseln und murmelt: „I don’t know.“ Nie habe er beim Zeichnen an Museumswände gedacht, stets nur an gedruckte Heftchen.

Crumb hat aber beileibe nicht nur Comics geschaffen. Zahllose Skizzen, Zeichnungen er oder Entwürfe für Plattencover zeugen von manischer Produktivität – getreu seinem Motten „Wenn ich nicht zeichne, bin ich nichts.“ Erstaunliche Blätter Crumbs sind in Köln zu sehen, so etwa sehr präzise Hand-, Fuß- und Kopfstudien, wie aus den Ateliers der alten Meister. Wenn die Phantasie wirksam detonieren soll, braucht’s eine derart solide Grundlage.

Der Blick auf die Comics verändert sich im Kontext des Museums: Hier achtet man weniger auf die wüsten Inhalte und viel mehr auf Komposition, Strichführung, Licht- und Schattengebung. Bei näherem Hinsehen wird klar: Crumb, der erste Strips schon als Kind zu Papier brachte, beherrscht seine Mittel souverän.

Bürgerschreck oder erschrockener Bürger?

Und der Sex? Und die Drogen? Nun, Crumb zeigt all das drastisch und dynamisch genug. Doch tief in diesen Bildern stecken Angst und sogar Entrüstung. So hat er sich denn auch nie mit der Szene gemein gemacht, sondern sie aus der Halbdistanz beobachtet. Vielleicht trifft der alte Spruch vom Bürgerschreck zu, der eigentlich ein erschrockener Bürger ist. Wenn Crumb das Hippie-Gewoge und dessen Ausläufer darstellt, so immer auch die Nachtseiten: Orientierungsverlust und chaotische Verwahrlosung in schier schrankenloser „Freiheit“.

Erfolg und jeder Anflug von Käuflichkeit sind Robert Crumb verdächtig. So ließ er Fritz den Kater in der somit letzten Story kurzerhand sterben und den geschwätzigen Guru „Mr. Natural“ schließlich in einer Irrenanstalt verschwinden. Solches Loslassen hält wohl jung.

Robert Crumb: „Yeah, but is it Art?“ Köln, Museum Ludwig (am Hauptbahnhof). Bis 12. September. Di-Do und Sa/ So 10-18, Fr 11-18 Uhr. Eintritt 7,50 Euro. Katalog (sehr ratsam): 28 Euro.




Der Mann aus dem Nichts – Tankred Dorst inszeniert sein Stück „Ich, Feuerbach“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Woanders warten sie ewig und drei Tage auf „Godot“. In Tankred Dorsts Drama „Ich, Feuerbach“ ist es ein Theaterregisseur namens Lettau, der sich partout nicht blicken lässt. Verdacht in beiden Fällen: Wenn jemand dermaßen abwesend ist, so könnte es sich um ein nahezu göttliches Wesen handeln.

Lettau also kommt nur als Leerstelle vor, der abgetakelte Schauspieler Feuerbach hingegen ist schmerzlich vorhanden. Nach sieben Jahren Bühnen-„Pause“ will er heute im Theater aus Goethes „Tasso“ vorsprechen. Doch er trifft nur einen jungen Schnösel an, der sich als Regie-Assistent ausgibt, vom Beruf aber rein gar nichts zu verstehen scheint.

Aus dieser fruchtlosen Begegnung erwächst inniges „Theater im Theater“, durchsetzt mit Anekdoten von den Abgründen des Metiers. Gelächter und Verzweiflung halten sich die Waage. Eine trampelige Frau (Martina Eitner-Acheampong) mit Hund taucht auf, und immer wieder betreten Bühnenarbeiter die Szenerie, sie werkeln gespenstisch schweigsam vor sich hin. Der Betrieb geht weiter, doch das Theater ist wohl längst tot.

Tankred Dorst (78) selbst inszeniert in den Bochumer Kammerspielen sein 1986 uraufgeführtes Stück, das sich erneut als Schauspieler-„Futter“ par excellence erweist. Dorst hat den Text modifiziert: In der Erstfassung lief es darauf hinaus, dass Feuerbach jene besagten sieben Jahre in einer Psychiatrie zugebracht hat und nun seine letzte Chance sucht.

Dieser existenzielle Ansatz bleibt erhalten, wird aber neu eingefärbt durch einen Seitenblick auf theatralische Zeitläufte: Das auf Video-Orgien versessene Regiehandwerk der Gegenwart (Grüß Gott, Herr Castorf!) braucht den Schauspieler eigentlich gar nicht mehr. Der Regie-Assistent (Alexander Maria Schmidt) gibt unbedarft die Parole aus: Es reiche doch, wenn ein Darsteller auf der Bühne Nudeln isst und dabei er selbst bleibt. Sinn und Bedeutung? Nebensache!

Landstreicher mit Loriot-Touch, der mühsam seine Würde im Wahn zu wahren sucht: Wolf-Dietrich Sprenger vollbringt als derart „überflüssig“ gewordener Feuerbach eine Atem beraubende, manchmal stockende, jedenfalls sonderbare Equilibristik. Er zeigt sich und deklamiert unentwegt, doch wir wissen nicht, wer er ist. Er kommt aus dem Nichts und wankt am Ende ins Nichts. Ein Mann im Paradox: abgeschabt seine Würde, würdevoll seine Scham; unverschämt kommt seine Demut daher, demütig seine Anmaßung, und in geradezu leutseliger Weise lässt er bestürzende Einsamkeit ahnen. Vielleicht ist er als Darsteller wirklich ein Genie (gewesen), dieser verrückte Heilige, der in einer quasi-religiösen Szene nackt mit den Vögeln spricht. Ein Mann mit Visionen, der „in Zungen redet“, wie pathologisch auch immer.

Alexander Maria Schmidt ist als Regie-Assistent ein trotz aller geckenhaften Tumbheit gelegentlich gewitzter Widerpart: Er durchläuft die Skala zwischen Ratlosigkeit, Naivität, Entsetzen und Hilfsbereitschaft, die aber jedes Fettnäpfchen findet: „Bekommen Sie denn keine Sozialhilfe?“ will er, halbwegs mitfühlend, von Feuerbach wissen. Grundfalsche Frage an einen, der aufs Unbedingte und Grenzenlose aus ist.

Tosender Beifall nach Bochumer Art.

Termine: 22., 29. Mai, 9.. 27. Juni. Karten:,0234/3333-111




Fern vom Streit der Welt meditieren – Ausstellung „Comment rester zen / gelassen bleiben“ am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit dem Wort „meditativ“ ist man oft schnell bei der Hand. Kaum geht’s mal ein wenig stiller zu im Getöse der Welt, so gebraucht man das Etikett gern. Jetzt aber sorgen im Dortmunder Ostwall-Museum 15 Künstler aus der Schweiz für ausgiebige und tiefere Kontemplation.

„Comment rester zen / gelassen bleiben“ heißt die zuvor in Paris gezeigte Schau mit Videos, Tafelbildern, Objekten und Installationen, die auf denkbar sanftmütige Weise mancherlei auratisch oder spirituell getönte Zustände beschwört. Kurator Michel Ritter vom Centre Culturel Suisse in Paris will denn auch ganz entschieden den Blick „nach innen“ richten und größtmöglichen Abstand nehmen von der (medialen) Allgegenwart der Gewalt. Die brennende Aktualität dieser Anti-Position muss man nicht langwierig erläutern: Die Folter-Bilder und das Enthauptungs-Video aus dem Irak spuken dieser Tage in allen Köpfen.

Mit höheren Weihen des Zen-Buddhismus hat das Motto der Ausstellung nur bedingt zu tun, der Begriff ist vielmehr in die französische Alltagssprache eingeflossen und bedeutet ungefähr: „So beruhige dich doch.“ Der deutsche Untertitel lautet schlichtweg: „Gelassen bleiben.“

Eine Anleitung zur Weltflucht? Oder das Aufrufen neuer Kräfte aus eigenen Seelengründen? Es dürfte jedenfalls zum besonderen Erlebnis werden, beispielsweise aus dem hektischen Getriebe der Einkaufszone in diese Ausstellung zu kommen: In einer Raum-Installation von Sylvie Fleury darf man sich als Besucher gar auf eine (beheizbare) Meditationsmatte legen, über asiatisch beschriftete Wandbehänge nachsinnen oder ein ebenso geheimnisvolles Video betrachten.

Einem aus Textilstoff gefertigten Schamanen namens „Baba“ (geschaffen von Vidya Gastaldon) wird man hier begegnen oder auch einem „leibhaftigen“ weißen Buddha, der sich monumental zur Ruhe gelegt hat, jedoch aus ganz ungewichtigem Styropor besteht. Nic Hess hat dieses Denk-Mal einer unverhofften Leichtigkeit errichtet.

Allüberall walten die ewigen Mysterien: Jürg Hassler und Hannes Bossert erkunden in einem Videofilm die Erdkräfte unter unseren Füßen, Daniele Buetti vergegenwärtigt mit einem Licht-Objekt Energieströme, als sei’s ein Sternenfeld. Sarah Glaisens Film, in dem ein Stück Eis unendlich langsam schmilzt, dauert drei Stunden. Und Ceal Floyer führt – gleichfalls filmisch – vor, wie Tinte, die aus einem Stift ausfließt, ganz allmählich einen immer größeren Kreis-Fleck erzeugt. Wer da genügend Geduld mitbringt, könnte in eine Art Trance geraten.

David Lamelas erhob sich im Fesselballon über die Ebenen und Häuser der schweizerischen Stadt Fribourg. Die Bilder von der langsamen Fahrt wirken so beruhigend wie alles Weitere in dieser Schau, die so leicht „konsumiert“ werden und doch in ungeheure Fernen führen kann. Danach sollte man man gaaaanz besänftigt sein.

Ostwall-Museum, Dortmund. Vom 16. Mai (Eröffnung 11.30 Uhr) bis 11. Juli. Di/Mi/Fr/So 10-17, Do 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 3 Euro, kein Katalog.




Im blauweißen Rausch: Schalke-Musical „nullvier – keiner kommt an Gott vorbei“ in Gelsenkirchen

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen. An gewisse Hinge muss man zwar fair, aber doch subjektiv herangehen. Wenn Schalke 04 sein Hundertjähriges mit einem Musical im Gelsenkirchener Musiktheater feiert, dann lässt einen dies als Dortmunder (der eben mit dem rivalisierenden BVB fiebert) nicht kalt. Hier also ein „Leidensbericht“ aus dem fremden Vergnügungs-Bezirk.

Ein paar illustre Premierengäste ließen sich blicken: allen voran Nationalmannschafts-Teamchef Rudi Völler und Schalker Recken aus großen Tagen (Klaus Fischer, Rolf Rüssmann & Co.).

„nullvier – Keiner kommt an Gott vorbei“ heißt das fast dreistündige Spektakel mit Musik von Enjott Schneider. Story der vom Verein bestellten Produktion: Schalke steht in den 80ern (zeitgerecht: Bühne von Knut Hetzer, Kostüme von Judith Peter) vor dem Abstieg, weil der spiel- und trunksüchtige Leitwolf Stephan Krause (halbseiden bis zum Klischee: Sören Kruse) absichtlich einen Eifer versieht hat.

Bitte erst nach Saisonschluss sterben

Alle Hoffnungen richten sich nun aufs unverdorbene Jungtalent „Jojo“ Schrader (jugendlich-naive Variante eines „Erlösers“ mit zuweilen schmalziger Stimmlage: Rasmus Borkowski). Der fiese Krause intrigiert auf Dauer vergebens.

Dazu die zuckersüße Liebesgeschichte: „Jojo“ verknallt sich in die Cello spielende (Kultur verschmilzt mit Kickerei!) Unternehmertochter Louisa (Carina Sandhaus). Als die einen Unfall baut und mit Vespa-Roller ins Tattoo-Studio rast, landet sie geradewegs auf Jojo, während der sich das SchalkeEmblem eintätowieren lässt.

Wetten, dass Jojo im letzten Saisonspiel das entscheidende Tor schießt und nach einigen Irrungen Louisa erringt? Zum Schluss vereinen sich erotische Verzückung und Fußball-Enthusiasmus nahezu rauschhaft.

Und die Sache mit Gott? Nun, die ist das Schönste. Denn „Der Alte“ (Heinz W. Krückeberg) bringt echten Revier-Witz ins Spiel, indem er Gott (Andreas Windhuis) um Sterbeaufschub bis zum Saisonende bittet. Der gemütliche Gott wiederum, anfangs weiß gekleidet, trägt hernach ein bläulich schimmerndes Gewand.

Wohlfeiles Sticheln gegen den BVB

Klar, dass man gegen Schwarzgelb stichelt: Den Bösewicht Krause kriegen Jojo und seine Freunde klein, weil sie ihm mit BVB-Tätowierung drohen. Da winselt er: „Bitte alles – nur das nicht!“ Haha. Geschenkt!

Enjott Schneider ist in erster Linie als Filmmusiker („Schlafes Bruder“, „Stalingrad“ usw.) hervorgetreten. Auch seine neue Schöpfung hört sich an wie ein dienender Soundtrack. Doch hier müssten sich die Töne mehr aufdrängen. Nirgendwo findet die leidlich flotte Partitur mit solidem Big Band-Sound (musikalische Leitung: Kai Tietje) aus eigener Kraft zu einem wahren Ohrwurm.

Abstecher in Disco-Rhythmen, Operettenseligkeit oder Orientalik helfen kaum. Die schmissigsten Stellen sind geborgt: „Steh‘ auf, wenn du Schalker bist“ (nach „Go West“ von den Pet Shop Boys) ist der Hit des Abends. Tatsächlich steht das Publikum auf und klatscht frenetisch wie in der Fankurve. Nur notorische Dortmunder bleiben säuerlich sitzen.

Bonbonbuntes Frauenbild der 50er Jahre

Buch (Michael Klaus) und Songtexte (Bernd Matzkowski) stammen leider nicht aus einer Hand. Manches reimt sich recht hilflos. Aber man darf bei solchem Stoff auch nicht zu filigran ziselieren.

Zum Fußball fallen der Regie (Matthias Davids) prägnante Szenen zwischen Büdchen, Umkleide und Training ein, zur Liebe weniger. Da lauert Kitsch, und man arbeitet sich noch an einem bonbonbunten Frauenbild der 50er Jahre ab.

Dass manche Gesangsleistungen begrenzt sind, wird vergleichsweise klar, wenn – neben allen Gästen – Richetta Manager (Ensemble-Star im Musiktheater im Revier) als Tätowiererin Aurora unwiderstehlich gospelt.

„Das eingeschworene Publikum johlt begeistert, und die Chose dürfte zum Selbstläufer werden: Hier kann Blauweiß in Träumen von gottgefälligem Ruhm schwelgen.

Nächste Termine: 11., 13., 16., 28., 29. Mai (teils ausverkauft), weiter bis 30. Juni. Karten (8,50-41,50 Euro): 0209/40 97 200.




Ein Künstler, der die Gegensätze liebt – Ausstellung der Ruhrfestspiele präsentiert Günther Förg

Von Bernd Borke

Recklinghausen. Fast ist’s wie beim Dichter Ringelnatz, der einst diesen Werkstoff im Reime besang: Da gibt man den Dingern einen ganz kleinen Stips – und da sind sie aus Gips. Aus dem eher unedlen Material, geradezu unförmig aufgeschichtet, hie und da „wild“ bemalt, wuchern zudem in schönster Regellosigkeit solche Fragmente hervor: Dichtungsgummi, Latex-Fetzen, Bruchstücke eines Sägeblatts oder zerbeulte Getränkedosen.

Trash-Kunst von der Müllhalde, Überbleibsel vom Baumarkt? Was die puren Materialien anbelangt: ja, irgendwie schon. Es sind spontan verwendete Fundstücke. Doch der Künstler erhebt (ironischen) Geltungs-Anspruch, denn diese Skulptur-Collagen quellen auf hehren weißen Podesten vor sich hin – wie ferne klassische Vor-Bilder, doch so ganz anders geformt.

Günther Förg, 1952 in Füssen geborener documenta- und Biennale-Teilnehmer, scheut weder große noch kleine Gesten. Bei ihm relativiert sich ja alles mit Leichtigkeit. Geschwind überspringt er Gattungsgrenzen der Kunst. Auch sind Konzept und Zufall bei ihm keine Gegensätze. Sogar Pfusch würde nicht großartig auffallen.

Recklinghausens Kunsthalle präsentiert rund 120 neuere Plastiken, Gemälde und Fotografien von Förg, und zwar im Rahmen der Ruhrfestspiele. Das ist diesmal nicht selbstverständlich.

Streit hinter den Kulissen

Es gab Streit hinter den Kulissen, und es blieb lange ungewiss, ob die neue Festspiel-Direktion (Chef: Frank Castorf) die bildende Kunst überhaupt noch einbeziehen wollte. Kunsthallen-Chef Ferdinand Ullrich musste nach überstandenem Gezerre in Windeseile planen: „Hätten wir keine Festspiel-Ausstellung mehr, so wäre das eine Katastrophe für das Haus.“

Mit dem Titel hat man sich sprachlich angeschmiegt: „make it new“ (Mach’s neu) heißt die Förg-Schau, während die gesamten Festspiele unter dem Motto „No fear“ (keine Angst) stehen.

Vor der Eingangstür erhebt sich ein massiver, von Förg weiß getünchter Aluminium-Block: Einladung und Bremswirkung halten sich die Waage. Besagte Gips-Gebilde empfangen den Besucher sodann reihenweise im Erdgeschoss.

Der Betrachter muss sich recken

Im ersten Stock sieht man eigens für diesen Ausstellungsort gefertigte Tafelbilder, darunter ein zwölf Meter langes Riesenformat. Malerisch flott zitiert werden hier etwa die schmalen Fensteröffnungen der Kunsthalle, eines früheren Weltkriegs-Bunkers. Kann etwas zugleich geöffnet und geschlossen wirken? Diese Vexierbilder schon!

Unterm Dach der Kunsthalle muss man sich recken: Hoch an die Wände hat Förg seine Architektur-Fotos gehängt, die zumeist nüchterne Bauhaus-Architektur aus dem Prag der 1920er Jahre zeigen. Förg will jedoch nicht dokumentieren. Seine schwarzweißen Lichtbilder erfassen willkürliche Ausschnitte, sie wirken wie im Vorübergehen aufgenommen, sind gelegentlich unscharf und verwischt. Zu allem Überfluss nimmt Förg es ganz bewusst in Kauf, dass sich das einflutende Licht auf der Verglasung spiegelt. Hier kann sich der Besucher nicht bequemen.

Irritierend auch das Umfeld: Förg, der gern in Serien denkt und handelt, hat sich 18 satteldachförmige Pulte bauen lassen und sie jeweils beidseits mit sichtlich flugs entworfenen Acryl-Malereien verziert, so dass sich 36 „Motive“ ergeben. Gitter- und Fensterstrukturen überwiegen bei diesem äußerst freien Spiel mit architektonischen Vorgaben. Und auch hier gibt’s flirrende Doppelwirkungen: behaust und unbehaust, standfest und flüchtig.

Günther Förg: „make it new“. Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Eröffnung Sonntag, 2. Mai. Bis 18. Juli. Katalog 21 Euro.