Auf den Spuren gestohlener Kunstschätze – Besuch bei der Kölner Spezial-Ermittlerin Ulli Seegers

Von Bernd Berke

Köln. „Nein. nein, ich schleiehe nicht mit hochgeschlagenern Mantelkragen und Sonnenbrille durch finstere Ecken“, stellt die junge Frau klar. Doch abseits solcher Klischees gilt Ulli Seegers (35) als Deutschlands erfolgreichste Kunst-Detektivin. Sie hat schon manches wertvolle Stück wieder aufgespürt, darunter ein millionenschweres Cézanne-Bild.

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Einen Großteil ihrer Arbeit erledigt sie freilich am Schreibtisch: In Köln betreuen die promovierte Kunsthistorikerin und drei Mitarbeiter eine (streng vom Internet abgeschottete) Datenbank, in der über 160 000 weltweit gestohlene Werke verzeichnet sind, darunter allein weit über 600 Picasso-Bilder. Jeden Monat kommen rund 1000 neue Datensätze hinzu – mit steigender Tendenz.

Ulli Seegers, anfangs eher durch Zufall an diesen Job geraten, arbeitet für das „Art Loss Register“ (ALR / Kunstverlust-Register). Es wurde 1991 m London auf Betreiben der berühmten Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s gegründet. Die wollen natürlich nur „saubere“ Ware offerieren. 1999 kam die Filiale in Köln hinzu, zudem gibt es Niederlassungen in New York, Moskau und New Delhi. Auch Raubkunst aus der NS-Zeit wird in allen Büros erfasst, und es entsteht eine Datenbank über Fälschungen.

Studien sprechen von mindestens 5 Milliarden Dollar jährlichen Schäden durch Kunstkriminalität, von ideellen Werten zu schweigen. Zudem haben sich offenkundig Kunstraub, Drogen- und Waffenhandel vermischt. Kunst ist zur Ersatzwährung in mafiösen Kreisen geworden.

Diebe haben oft leichtes Spiel

Vor allem die großen Versicherungen und Versteigerer, aber auch bestohlene Privatleute nehmen gegen Gebühren und Erfolgsprämien (bis zu 15 Prozent des Schätzwertes für Wiederbeschaffung) das ALR in Anspruch. Die Aufklärungsquote bei Gemälden beträgt etwa 25 Prozent. Wenn irgendwo auf dem globalisierten Markt Werke zweifelhafter Herkunft auftauchen, stehen sie häufig im Kölner Register. Weitere Schritte sind dann Sache der Polizei, die gleichfalls eng mit dem ALR zusammenarbeitet.

Oft haben es Kunstdiebe sträflich leicht. „Manche unserer Museen sind Selbstbedienungsläden“, kritisiert Ulli Seegers: „Kostspielige Ausstellungs-Events haben oft Vorrang, an der Sicherheit wird gespart. Die Zustände sind in vielen Städten skandalös.“

Kunstdiebe lassen meist zwei bis drei Jahre verstreichen, bis Gras über ihre Tat gewachsen ist. Sie setzen auf Vergesslichkeit. Dann versuchen Hehler die Beute loszuwerden – und hier setzt Ulli Seegers an. Denn wer Kunst anbietet, muss dies irgendwie (halb)öffentlich kundtun. Seegers überprüft ohnehin regelmäßig Auktionskataloge und Galerie-Bestände auf Kunstmessen – zwecks Datenabgleich mit ihrem Register: „Man muss genau wissen, wie der Kunstmarkt funktioniert, wo die Grauzonen beginnen. Nach einer Weile kennt man einige Pappenheimer.“

Die Grauzonen des Marktes

Auch Kontakte ins Milieu ergeben sich, bei denen sogar der selbstbewussten Ulli Seegers mulmig zumute wird. Einmal diente sie als „Lockvogel“, sie gab sich als kaufinteressierte Sammlerin aus. Objekte der vermeintlichen Begierde waren (gestohlene) Bilder von Sigmar Polke. Mit dem kannte sich Ulli Seegers bestens aus, er war Thema ihrer Doktorarbeit. Beim Münchner Café-Treff mit dem mehr als dubiosen Anbieter saßen ringsum acht Polizisten in Zivil. Die Falle schnappte zu…

Weltbekannte Kunstwerke wie die vor einem Jahr in Oslo brutal geraubten Munch-Gemälde „Der Schrei“ und „Madonna“ kommen nicht auf den Markt. Hier geht es, wie Ulli Seegers vermutet, ums „Art Napping“, also um Lösegeldzahlung bei Rückgabe.

Von Rechts wegen dürfen etwa Versicherungen kein Lösegeld zahlen, es käme der Vertuschung einer Straftat gleich. Bei äußerst diskreten Verhandlungen werde hier jedoch zuweilen getrickst, sagt Seegers; beispielsweise, indem man „Finderlohn“ auslobt. Müssten Versicherer die fällige Diebstahlsprämie zahlen, käme es sie noch teurer zu stehen. Auch eine Grauzone?

Gibt es den steinreichen Kunst-Liebhaber, der Diebe beauftragt und sich heimlich an der illegalen Sammlung ergötzt? Ulli Seegers: „Eine Kino-Legende! Solchen Leuten bin ich noch nie begegnet.“ Noch ein Klischee zunichte!

• „Art Loss Register“, Köln, Obenmarspforten 7-11. Tel.: 0221/257 6996. Internet: www.artloss.com




Verlust der Welt – Vielfältige Medienkunst-Ausstellung „Vom Verschwinden“ in der Dortmunder Phoenixhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Das scheint schon mal paradox zu sein: DieWerke sind alle da, doch sie handeln vom Phänomen des Verschwindens. Nun ja. Mit abwesender Kunst könnte man eben gar nichts darlegen.

Die neue Medienkunstschau in der Dortmunder Phoenixhalle sammelt, vor allem mit Video-Installationen, eine Fülle von gesellschaftlichen Befunden ein. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, so ein Leitgedanke, tun sich in so mancher Weltgegend allerlei Zeit- und Sinnlöcher auf, die auf Flüchtigkeit, Verlust oder Vernichtung hindeuten. Ein weites Feld.

Die Halle auf dem früheren Hoesch-Gelände ist ein passender Ort für solche Gedanken- und Bilderspiele. Auf dem riesigen Areal wird freilich nicht nur das Vergangene abgewrackt, sondern emsig an technologischer Zukunft gearbeitet. Umbau West.

Hier also hat der inzwischen weithin renommierte Dortmunder Medienkunstverein „Hartware“ sein Ausstellungs-Domizil gefunden. 16 Künstler und Künstlergruppen gestalten die Schau „Vom Verschwinden. Weltverluste und Weltfluchten“.

Das Ganze gliedert sich in vier Zonen. Sie heißen „Haltlos“, „Vernichtung“, „Zeitsprünge“ und „Terrain Vague“ (etwa: undeutliches Gefilde). Hört sich etwas vertrackt und verkopft an. Tatsächlich wird man kaum umhin können. entweder beizeiten das Begleit-Material zu lesen oder sich einer Führung anzuvertrauen. Um den Slogan eines großen Buchverlags aufzugreifen: „Man sieht nur, was man weiß.“

Die sinnliche Oberfläche allein, und sei sie noch so künstlerisch gestaltet, ist hier nur eine Hälfte. Gar vielfältig sind ja die Assoziationen, die sich ans „Verschwinden“ anlagern: Sie reichen von bewussten, willentlichen Fluchten aus misslichen Situationen bis hin zur Zerstörung der Twin Towers am 11. September 2001.

Irritierende Reisen durch Zeit und Raum

Konkretes Beispiel: Die Künstlergruppe „Multiplicity“ (Italien) zeigt zwei parallele Filme mit Autofahrten. Erst wenn man den Hintergrund erfährt, merkt man richtig auf. Es geht um eine Strecke durchs Westjordanland – von Nablus nach Hebron. Die eine, direkte Variante für Israelis dauert nur 20 Minuten. Palästinenser hingegen brauchen für den gleichen Weg etwa fünf Stunden, denn sie müssen weitläufig Mauern umfahren. Eine raum-zeitliehe Irritation sondergleichen – und politische Untiefen.

Komplex gelagert ist auch dieser Fall: Die Gruppe apsolutno (Serbien/Montenegro) präsentiert ein Video von 1995. Wegen der Sanktionen gegen Serbien lag damals eine große Werft still. Wie Archäologen haben die Künstler die rostenden Schiffs-Skelette erkündet. Die seltsam ergreifende Ästhetik des Schwunds…

Man kann hier geradezu eine Weltreise des Verschwindens machen: von verfallenden Stadtwüsten in Kasachstan oder Japan bis ins endlose Weltall. Andere Trips führen ins Innenleben. Denn auch die Flucht ins (leer gewordene) Ich, die (vermeintliche) Wirkung von Drogen oder der Totalabstutz im Nervenzusammenbruch werden hier flackernd sinnfällig. Eine welthaltige Schau mit etlichen Horizonten.

• „Vom Verschwinden“. Phoenixhalle, Dortmund (Ortsteil Hörde, Hochofenstraße / Ecke Rombergstraße). 27. August bis 30. Oktober. Eintritt 4 Euro, Katalog 19 Euro.




Untertauchen in der Weite – Wim Wenders‘ Meisterwerk „Don’t Come Knocking“

Von Bernd Berke

Die grandiosen Landschaften von Utah, Nevada und Montana. Das helle klare Licht mit harten Schlagschatten, wie einst auf Gemälden des famosen Edward Hopper. Das alles ruft nach Breitwandkino. Und also geschah es: Wim Wenders hat das Rufen erhört und den Film „Don’t Come Knocking“ gedreht.

Die Szenen sind vollgesogen mit dem Geist der jeweiligen Orte, mehr „Herzland‘ von Amerika war im deutschen Kino nie. In den beredten Bildern kann man sich umschauen wie in einer wirklichen Gegend. Ein visuelles Meisterwerk, ganz groß gesehen. Wenn dazu noch die erdige Musik von T-Bone Burnett erklingt, so ist man bereits hin und weg.

Doch der Film entfaltet auch noch starke Charaktere – allen voran jener verwitterte Western-Star Howard Spence (von echtem Schrot und Korn, sein Gesicht eine Landschaft für sich: Sam Shepard), der eines Tages mit unbekanntem Ziel den Drehort verlässt. Schluss mit ,Jesse James“ und allen Cowboys, denn die Zeit solcher Mythen ist wohl leider vorbei.

„Don’t Come Knocking!“ (Wagt es nicht anzuklopfen) hatte am Filmset schon das Schild auf Howards Wohnwagen gedroht. Der Mann ist den ganzen Rummel leid, er will allein sein, ziellos unterwegs. Nun zerstört er seine Kreditkarten, tauscht seine Kleidung und taucht in den endlosen Weiten des Landes unter. Produzenten und Versicherer des teuren Films schicken den „Kopfgeldjäger“ Sutter (cooler feiner Pinkel: Tim Roth) hinterher, der Spence wieder einfangen soll.

Situationen von biblischer Prägnanz

In seinem Roadmovie mit starken Western-Anklängen beschwört Wenders fortan archaische Situationen von nahezu biblischer Prägnanz; ganz so, als wolle er das Mythische gegen eine verdorbene Zivilisation aufbieten.

Bei seiner alten Mutter findet Howard, der seit fast 30 Jahren nichts mehr von sich hat hören lassen, ersten Unterschlupf. Doch dieses Elko/Nevada ist eine trostlose Stadt. In einer langen, fulminanten Sequenz taumelt Howard durch die irrsinnig glitzernde Kommerzhölle des örtlichen Spielcasinos – bis zum alkoholischen Absturz. eine grundlegende Verzweiflung hat diesen einst wohl so stolzen Mann befallen.

Die Mutter (Eva Marie Saint) bringt ihn auf eine Spur: Vor etwa 25 Jahren habe eine Frau für Howard angerufen und behauptet, sie habe ein Kind von ihm. Jetzt erst erfährt er es. Anfangs reagiert er ungläubig, dann dämmert ihm etwas. Und er wird von brennender Hoffnung auf Wiederkehr ergriffen. Er ahnt, dass er damals alles verfehlt hat: die Liebe seines Lebens, Familie, Heimat und Bleibe. All die verlorene Zeit seither, das ganze verfluchte Dasein mit Drogen, wahllosem Sex und Suff – das tut weh.

Noch 52 Meilen bis zur Weisheit

Also auf in die seltsam leeren Straßen von Butte/Montana. Doch, ach! Howard spürt zwar die alte Liebe Doreen (Jessica Lange) wieder auf, doch die duldet seine Anwesenheit eher spöttisch. Als er gar wieder anknüpfen will, liest sie ihm die Leviten: Sich für Jahrzehnte aus dem Staub machen und dann so tun, als sei nichts gewesen…

Hinzu kommt die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“: Earl, den Howard damals gezeugt hat, verdingt sich als Rockmusiker, droht ebenso haltlos zu werden wie sein Erzeuger. Berserkerhaft wehrt er sich gegen die späte Rückkehr des Vaters. Gegenfigur mit sprechendem Namen: die ätherische, scheue Sky („Himmel“ also, gespielt von der zarten Sarah Polley). Howard hat einst auch sie in die Weltgesetzt und im Stich gelassen. Doch sie hat ihm zutiefst verziehen. Eine jener engelhaften Gestalten, wie sie sonst nur noch bei Lars von Trier vorkommen.

Besagter Detektiv findet Howard, der zurück an den Drehort muss. Keine dauerhafte Ankunft also, er bleibt ein Verlierer. Und doch hat sich manches gewandelt. Allen, die von seiner traurigen Geschichte berührt worden sind, scheint am Ende ein bewussteres Leben zu leuchten.

Schlussbild: Der Ortsname „Wisdom“ steht auf einem Straßenschild. Nur noch 52 Meilen bis zur Weisheit…

 

 

 

 

 

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Familie, Heimat und Bleibe.

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Kulturfachmann mit Hausmacht – Norbert Lammert in Merkels CDU-„Kompetenzteam“

Von Bernd Berke

Berlin/Bochum. Zunächst einmal ist es ein Signal: Dass die CDU-Chefin Angela Merkel gestern Norbert Lammert (56) als Kulturfachmann für ihr „Kompetenzteam“ benannt hat, bedeutet eben, dass die Christdemokraten das Themenfeld nicht vergessen haben.

Im Wahlprogramm hatte sich die CDU in Sachen Kultur deutlich kürzer gefasst als die anderen Parteien. Umso freudiger reagierte gestern der Deutsche Kulturrat auf die Nominierung Lammerts. Der dämpfte freilich gleich die Erwartungen: „Mehr Geld für Kunst und Kultur ist zwar wünschenswert, angesichts der dringend notwendigen Konsolidierung aber nicht seriös zu versprechen“, sagte Lammert gestern. Man müsse die Ausgaben anders gewichten als die bisherige Regierung – und zum Beispiel die Goethe-Institute stärken.

Was nach der Wahl geschieht, ist allerdings völlig offen: Ob Lammert einem etwaigen CDU-geführten Kabinett angehören wird und in welcher Funktion, das muss sich erst zeigen. Der Mann ist immerhin Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Vielleicht hat er ja Ambitionen auf die Präsidentschaft.

Als „Luftbuchung“ wird man Norbert Lammert bestimmt nicht bezeichnen können. Der in Bochum geborene, promovierte Sozialwissenschaftler hat sich immer wieder in kulturellen Debatten kundig zu Wort gemeldet, beispielsweise in Sachen Föderalismus (Kultur als Aufgäbe der Länder und/oder des Bundes?) oder Förderung der Hauptstadtkultur.

Lammert gilt mit seinem Einstieg ins Merkel-Team immerhin als Anwärter auf das eventuelle Amt eines Kulturstaatsministers. Er selbst ist auch der Gründung eines Kulturministeriums mit Kabinettsrang nicht abgeneigt. Ob es dazu kommen wird, steht aber noch dahin.

Falls Lammert einen solchen Posten bekommen sollte, könnte er – anders als seine Vorgänger – einen Trumpf ausspielen: Er verfügt über eine veritable „Hausmacht“ in seiner Partei, ist er doch seit 1996 Vorsitzender der einflussreichen CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag. Als früherer Parlamentarischer Staatssekretär in diversen Ministerien (Bildung, Wirtschaft, Verkehr) kennt er zudem das politische Tagesgeschäft. Eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit darf man ihm sicherlich zutrauen.

Lammert wurde am 16. November 1948 in Bochum geboren und studierte ab 1969 an der Bochumer Ruhr-Universität sowie in Oxford. Schon seit 1966 ist er Mitglied der CDU. Der Vater von vier Kindern nennt auf seiner persönlichen Internet-Seite „Musik, Fußball, Literatur“ als liebste Interessengebiete. Ohne den Schlenker zum runden Leder geht’s halt im Ruhrgebiet nicht.

Das Pendlerdasein zwischen der Hauptstadt Berlin und seinem Bochumer Wahlkreis scheint Lammert zu gefallen. Zitat von seiner Homepage: „Inzwischen fühle ich mich auch in Berlin zu Hause und genieße den Wechsel zwischen den beiden schönsten deutschen Städten.“ Offenbar ein Mann mit Humor.

 




DVD-Scheiben bereiten den Kinos Sorgen

Von Bernd Bcrke

Die Fronten schienen erstarrt: Bereits zum zweiten Mal binnen weniger Wochen hatten sich die großen deutschen Kinoketten geweigert, einen neuen Film des Verleihs Buena Vista in ihren Häusern zu zeigen. Erst ging’s um die „Käfer“-Klamotte „Herbie Fully Loaded“, dann um das von vielen Kritikern gepriesene Werk „Sin City“. Doch die Boykott-Maßnahmen sind nach wenigen Tagen schon wieder vorbei.

Der Streitpunkt war in beiden Fällen der gleiche. Aus Sicht der Kinobetreiber heikel: Allzu zeitig nach dem Kinostart (schon im Dezember) will der Verleih das Geschäft mit den entsprechenden DVD-Editionen nachschieben. Bisher galt als Spielregel ein Abstand von einem halben Jahr. Diese Frist soll nun gleich zweimal unterschritten werden. Sind es Präzendenzfälle?

Beim Konsumenten könnte leicht der Gedanke aufkommen: Warum soll ich jetzt ins Kino gehen, wenn ich den Film schon bald als DVD-Scheibe fürs Heimkino (mit tendenziell immer größeren und brillanteren Bildschirmen) bekomme? Wer weiß, welche relativ frischen Produktionen bereits im nächsten Weihnachtsgeschäft auf DVD feilgeboten werden…

Konflikt mit den Verleihen

Wenn’s denn schon so kommen muss, dann möchten die Kinos wenigstens spürbar geringere Abspielgebühren an die Verleiher bezahlen. Cinestar-Sprecher Jan Oesterlin mag keine vertraglichen Details nennen, doch mit der jetzt erzielten Einigung über die beiden Filme könne man „gut leben“. Offenbar hat es also einen gewissen Nachlass gegeben. Oesterlin hofft auf ähnlich gütliche Regelungen für die Zukunft. Auch die Ketten Cinemaxx und UCI haben mit Buena Vista einvernehmliche Absprachen über die beiden Filme getroffen. Doch damit ist der Konflikt gewiss nicht grundsätzlich beigelegt.

In der Branche rechnet man damit, dass künftig viele weitere DVDs vor der ominösen Sechsmonats-Frist herauskommen werden. In den USA verfolgen große Filmproduzenten diese kommerzielle Strategie schon ganz offensiv. Angesichts arg rückläufiger Besucherzahlen (bei uns derzeit rund 17 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr) haben Kinos ohnehin Probleme. Mal ganz abgesehen von illegaler Verbreitung via Internet: Auch die gesetzestreu erworbene DVD kann sich bedrohlich auswirken – erst recht, wenn sie immer früher auf den Markt kommt. Dieses Medium bedient den cineastischen Sammeltrieb und bietet überdies meist Interviews mit Regisseuren oder Impressionen von den Dreharbeiten.

Die Verwertung beschleunigt sich

Zum Vergleich: Mit DVDs (nicht nur Kinofilme, sondem auch Musik usw.) wurden in Deutschland im Jahr 2004 rund 1,6 Milliarden Euro umgesetzt, an den Kinokassen hingegen nur 893 Millionen Euro. Und welch ein Zeichen der Zeit, dass weltweit mit Computerspielen schon erheblich mehr Umsatz gemacht wird als mit der gesamten Kino-Produktion!

Eine ähnliche Beschleunigung in der Verwertungskette erlebt auch der Buchhandel. Nicht nur, weil Neuerscheinungen in immer kürzeren Zyklen aussortiert und alsbald „verramscht“ werden. In den letzten Jahren sorgen vor allem Hörbücher für dringlich benötigten Gewinn. Während vormals das Hörbuch erst im gewissen Abstand zur gedruckten Version erschien, ist heute eine parallele Veröffentlichung die Regel. Man hat sofort die Wahl zwischen Lesen und Lauschen.

Allerdings genießen Buchhändler den Vorteil, dass sie selbst die tönenden Bücher verkaufen – und nicht die Verlage. Kinos hingegen vermarkten keine DVDs. Dieses lukrative Geschäft teilen sich die Verleihe und der einschlägige Versandhandel.




Schräger Poet des deutschen Alltags – Der Liedermacher Funny van Dannen und seine neue CD „Nebelmaschine“

Von Bernd Berke

Mal klingt er heiser wie ein grimmiger Protestsänger aus den 1960er Jahren, mal dröhnend wie ein haltloser Gitarren-Schrammler am Lagerfeuer. Doch so leicht und billig lässt sich der Liedermacher Funny van Dannen nicht einsortieren. Denn er ist ein Phänomen ganz eigener Art.

Ist er nun melancholisch, romantisch, treuherzig, hinterrücks ironisch oder abgründig absurd? Auch auf seiner mittlerweile achten CD „Nebelmaschine“ mischen sich derlei Gefühlsfarben so unverfroren wie bei keinem anderen Sänger.

In seinen schrägen Songs gibt’s zuweilen grausam gereimte Zeilenpaare. Manchen Einfall könnte man für einen bloßen Pennäler-Ulk oder eine grenzdebile Schaffe irgendwo im Dunstkreis zwischen Heinz Erhardt, Mike Krüger und Helge Schneider halten. Im Grunde aber ist der Mann ein sentimentaler Poet, der den deutschen Alltag immer wieder mit sanfter Gewalt auf den Begriff bringt und dabei gelegentlich sogar ganz neue Sinn- oder eben Unsinns-Horizonte aufreißt. Wo er frei assoziiert und kluge mit bescheuerten Gedanken abenteuerlich verknüpft, da wächst kaum noch Gras.

Viele seiner Lieder haben das Zeug zum Klassiker. Von den bisherigen Alben könnte man etliche Beispiele nennen: von „Gib es zu, du warst beim Nana Mouskouri-Konzert“ bis „Als Willy Brandt Bundeskanzler war“, der vielleicht stimmigste aller Retro-Songs über die 70er Jahre. Auch auf der neuen CD (nicht mehr solo, sondern mit Band eingespielt) finden sich solche genialischen Würfe.

Beispielsweise „Infrastruktur“. Die Idee: Da setzen sich in der sonst so grämlichen Jammerrepublik Deutschland auf einmal ganz viele Leute genüsslich hin und freuen sich einfach gemeinsam über die heimische Infrastruktur. Die funktioniert ja noch so einigermaßen. Vielstimmig ertönt der entsprechende Jubel-Refrain. Hinreißend! Die Melodie ist so ungemein eingängig wie beim Zitter-Gesang von den „Bodenunebenhelten“ – die imaginären Schlaglöcher lassen selbst starke Stimmen beben.

Ferner erfahren wir, dass der hehre Bundesadler früher mal ein ganz kaputter Typ war, bis er in Bonn und Berlin groß herauskam. Wir hören Funny van Dannen beim vergeblichen Versuch zu, einen deprimierten Freund mit einem Lied über „Blutige Halme“ (was immer das sei) aufzuheitern. Herzzerreißend die Klage des Mannes, der sein spezielles Sammelalbum verloren hat – mit lauter „Fotos von Ohren“. Für gehärtete Gemüter gibt’s Tracks wie „Dingficker“ oder „Hobbynutte“. Aber man vernimmt auch Träumereien vom Wahren, Schönen, Guten wie „Gelingendes Leben“. Eine gewisse „Kaffee-Hag-Gemütlichkeit“ hat ein Kritiker solchen Sachen mal bescheinigt. Da ist ‚was dran.

Hier finden sich allerlei treffliche Balladen, klappernde Liedlein im nostalgischen Western-Rhythmus oder gaaaanz entspannte Songs im somnambulen Rumba-Stil. Das alles trägt Funny van Dannen betont „uncool“ vor, mit dem Mut zu vermeintlicher Spießigkeit und Banalität. Großer Sport!

Funny van Dannen: „Nebelmaschine“. CD bei Trikont.

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Ehemaliger Holländer

Der Sänger und Liedermacher „Funny van Dannen“ heißt bürgerlich Franz Josef Hagmanns. Er wurde 1958 in Tüddern geboren. Kurios: Damals gehörte dieser kleine Ort zu den Niederlanden, seit 1963 liegt er in NRW.

Erste Lieder soll „Funny“ mit 14 Jahren im südholländischen Dialekt geschrieben haben. Später zog er nach Berlin, wurde Werbegrafiker, spielte in diversen Punkbands und war ein Mitbegründer der legendären Gruppe „Lassie Singers“, aus der später die ebenso starke Frauenband „Britta“ hervorging.

Inzwischen hat Funny van Dannen zuweilen prominente Abnehmer: Er schrieb mehrere Titel für die „Toten Hosen“, und sein „Nana Mouskouri“-Song wurde von Udo Lindenberg gecovert. Heute wohnt der vierfache Vater (lauter Söhne) im denkbar szene-fernen Berliner Bezirk Tempelhof. Noch so eine irgendwie sympathisch „uncoole“ Entscheidung.