Ein Don Juan zieht Bilanz – Jim Jarmuschs Film „Broken Flowers“ mit Bill Murray

Von Bernd Berke

Das muss Don erst einmal verkraften: Erst verlässt ihn die junge Geliebte (Julie Delpy). Am selben Tag kommt ein anonymer, auffällig rosaroter Brief von einer angeblichen „Ex“. Die kündigt an, dass sein jetzt 19jähriger Sohn ihn besuchen werde, von dem Don in all der Zeit gar nichts gewusst hat.

So beginnt Jim Jarmuschs neuer Film „Broken Flowers“. Wer Wim Wenders‘ „Don’t Come Knocking“ gesehen hat, wird verblüfft sein, denn es gibt dort eine Entsprechung, als hätten sich beide Regisseure telepathisch verständigt.

Bei Wenders begibt sich Sam Shepard alias Howard auf die Suche nach einem vor 25 Jahren gezeugten Sohn und dessen einst geliebter Mutter (Shepards Frau Jessica Lange, die auch bei Jarmusch mitwirkt). Nun also abermals eine Geschichte von später Reue eines treulosen Vaters, auch darstellerisch auf Augenhöhe mit Wenders: Jarmusch schickt den famosen Bill Murray („Lost in Translation“) auf eine ähnliche Spurensuche.

Soll Don herausfinden, wer die anonyme Briefschreiberin ist? Er fühlt sich unendlich leer und möchte nur reglos in seiner Wohnung sitzen. Doch Nachbar Winston drängt ihn zur Tat. Fünf Frauen von „damals“ kämen in Frage, Don war eben ein Don Juan. Winston recherchiert vier aktuelle Adressen (eine weitere Frau ist gestorben), er bucht auch gleich Flüge und Leihwagen. Mürrisch macht sich Don auf eine Erinnerungsreise quer durch die Staaten, er ist gleichsam als Detektiv in der eigenen Vergangenheit unterwegs: Wo ist die Schreibmaschine, auf der der Brief getippt wurde? Welche Ehemalige hat’s mit Rosarot?

Der Mann, der die Frauen liebte, macht bei seinen Überraschungsbesuchen (stets mit rosa Blumenstrauß) reihenweise trübe Erfahrungen. Nicht weil die vier Damen (Sharon Stone, Frances Conroy, Jessica Lange, Tilda Swinton) älter geworden sind. Sie haben sich ja äußerlich „gut gehalten“. Nein, sie sind – jede für sich – in öden Sackgassen des Lebens gelandet. So abgeschieden wohnen sie allesamt, als hätten sie sich (stellvertretend für den weißen Mittelstand) schon aus der Gesellschaft verabschiedet.

Am Wegesrand gibt’s kleine Versuchungen

Laura bietet sich nach dem schnell verkrafteten Tod ihres Mannes als leichte erotische Beute dar (flankiert von Töchterchen Lolita, das diesen Namen lasziv verkörpert). Dora, früher wildes Hippie-Mädchen, fristet mit einem tumben Makler im grauenhaft sterilen Ambiente ihr ach so gediegenes Dasein. Carmen ist kaum ansprechbar, sie befasst sich praktisch nur noch mit Tieren. Penny ist zur grimmigen Biker-Braut geworden.

Am Wegesrand gibt’s immer wieder kleine Versuchungen durch jüngere Frauen. Hier ein blitzendes Knie, dort ein lockender Blick. Doch es ist ein Porträt des Liebhabers als alternder Mann. Eine Reise ohne konkretes Resultat, statt dessen peinliche Wiederbegegnungen und Enttäuschungen zuhauf. Man spürt, wie der grässliche Gedanke Don beschleicht: Das alles hätte auch sein Leben sein können. Oder dies. Oder jenes. Vielleicht hätte er die Vergangenheit ruhen lassen sollen. Jetzt muss er sich fragen, ob er aus sexueller Gier nicht allzu wahllos gewesen ist.

Jarmusch drängt keinen Befund auf. Sein beiläufig registrierender Stil passt bestens zur Spielweise Murrays, der maximale Wirkung mit minimaler Mimik erzielt. Wenn sein Mundwinkel zuckt, ist schon so vieles gesagt.

Und der Sohn? Bleibt ebenfalls ein Phantom. Don erblickt alsbald in so manchem jungen Mann den möglichen Spross. Auch hier (wie bei Wenders, der freilich auf große Mythen zusteuert) läuft es auf ungestillte Sehnsucht hinaus: Familie und Dauer, das wär’s wohl doch gewesen.

Nichts ist gewiss. Nur diese Erkenntnis dämmert Don: Die verpfuschte Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft noch nicht da. Es gibt nur den jetzigen Moment. Man sollte ihn rasch ergreifen…




Im Kosmos der Farben und Formen – Vier Museen würdigen Fritz Winter

Von Bernd Berke

Cappenberg/Hamm/Ahlen. Es grenzt an ein biographisches Wunder: Da ist jemand in den 1920er Jahren Grubenelektriker auf der Ahlener Zeche „Westfalen“ und notiert: „Keinen Strahl Sonne – so ist im Augenblick mein Leben.“ Dann aber bewirbt er sich als Kunstschüler beim berühmten Bauhaus in Dessau. Mit Erfolg. Kein Geringerer als Paul Klee ist der Fürsprecher.

Der erstaunliche Mann heißt Fritz Winter und wird später zu den prägenden Gestalten der abstrakten westdeutschen Nachkriegskunst gehören. Am 22. September 1905, also vor fast 100 Jahren, wurde Winter in Bönen (Kreis Unna) geboren. Es wäre fahrlässig, würde man dieses Datum in Westfalen nicht museal begehen. Nun geschieht’s massiv: Vier Häuser in Cappenberg (Schloss), Hamm (Lübcke-Museum) und Ahlen (Kunstmuseum, Fritz-Winter-Haus) zeigen insgesamt rund 300 Arbeiten aus allen Werkphasen. Welch eine Fülle!

Jungenhaft frech und zu jedem Jux aufgelegt – so soll Winter gewesen sein, als er beim Bauhaus anfing. Aber er lässt sich von Meistern wie Klee, Schlemmer und Kandinsky bereitwillig in höhere Sphären der Kunst einweihen. Fleißige Notizen aus den Kursen zeugen davon.

Inspiration durch Bauhaus-Meister

Den Part des Frühwerks hat das Museum in Hamm übernommen. Vielfach sind hier noch Paul Klees fruchtbare Einflüsse spürbar. Es gibt anfangs noch figürliche Anklänge, doch schon bald entfaltet sich eine Bildwelt, die mit ihren Energiefeldern kosmischen Dimensionen zustrebt. Ein weites, weites Feld mit langen „Versuchsreihen“. Ästhetische Leitschnur ist der Formenreichtum der Natur. Winter begreift Kunst als „zweite Schöpfung“. Erfindungen wie Mikroskop und Teleskop erschließen neue Ansichten der Kreatur – im Großen und Kleinen.

Günstiger Umstand: Die parallele Hammer Schau über „Bauhaus und Esoterik“ (die WR berichtete) lädt zum Vergleich ein. Auch bei Winter gibt es ja einen gewissen Hang zum Metaphysischen.

Ortswechsel: Im Ahlener Fritz-Winter-Haus sind Werke aus finsteren Zeiten zu sehen. Auch Fritz Winter wird von den Nazis als „entartet“ verfemt. Er hält sich innerlich aufrecht, so mit Bildvisionen über „Triebkräfte der Erde“.

Nach dem Krieg und russischer Gefangenschaft kehrt Fritz Winter 1949 zurück. Ein Schaffensrausch zieht ihn sogleich ins Atelier. „Sehr aktiv“ heißt ein typisches Bild. Nun also beginnt seine Blütezeit, deren vielfach erhebende Resultate im Schloss Cappenberg ausgebreitet werden.

Rückzug in die Innenwelt

Gewiss: Manches aus den 50er Jahren wirkt heute auch zeitbehaftet und ist nicht mehr schrankenlos „gültig“. Doch es finden sich hier zahlreiche Gemälde von wunderbar schwebender Transparenz und Farbmagie. Naturerscheinungen lösen sich in reinste Strukturen und Urformen auf, Titel wie „Bewegung der Gräser“ oder „Pflanzliches Gewebe“ lassen es ahnen. Nur eine „Konstruktion schwarz“ wirkt wie eine ferne Reminiszenz an Zechentürme.

Ahlens Kunstmuseum widmet sich dem oft vernachlässigten, innig strahlenden Spätwerk des 1975 gestorbenen Winter. Kein abrupter Bruch, doch allmählicher Rückzug und Revision des Erreichten. Fließende, dann scharfkantige Farbfelder bestimmen diese Phase – und kalligraphische Zeichen. Natur bleibt nun im Hintergrund. Es geht um das Bild als Bild, um intime Innenwelten.

• Alle vier Ausstellungen ab 11. September. Cappenberg: Schloss bis 29. Januar 2006 / Hamm: Lübcke-Museum bis 20.Nov. /Ahlen: Fritz-WinterHaus und Kunstmuseum, jeweils bis 8. Jan. 2006. Gemeinsamer Katalog 27 Euro. Internet: www.fritz-winter.de